Leitsatz

Eine "Belassenserklärung" des Gläubigers ist für den Gerichtsvollzieher bindend. Dementgegen kann kein Kostenvorschuss verlangt werden.

AG Neubrandenburg, Beschl. v. 19.9.2017 – 603 M 4453/17

1 I. Der Fall

Gläubiger will Pkw, der im Gewahrsam des SU verbleiben soll

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus einem Vollstreckungsbescheid des AG Bremen. Mit Schreiben vom 10.8.2017 beantragte die Gläubigerin die Pfändung von zwei Pkw des Schuldners mit folgender Anweisung: "Die Pfändung nehmen Sie bitte so vor, dass Sie eine Siegelmarke am Fahrzeug anbringen und lediglich Schlüssel und Kfz-Brief abnehmen. Hiernach ist das Auto im Gewahrsam des Schuldners zu belassen."

GV verlangt Kostenvorschuss für die Verbringung

Der GV forderte mit Schreiben vom 15.8.2017 von der Gläubigerin zur Erledigung des Vollstreckungsauftrages einen Kostenvorschuss i.H.v. 1.000 EUR an. Er teilte der Gläubigerin in weiterem Schriftverkehr mit, dass aus Haftungsgründen ein Abtransport der Pkw erfolgen müsse. Da der GV eine Neuberechnung der Höhe des Kostenvorschusses ablehnte, beantragte die Gläubigerin, die Akte dem Vollstreckungsgericht zur Entscheidung nach § 766 ZPO vorzulegen.

2 II. Die Entscheidung

AG widerspricht dem GV

Die Entscheidung gem. § 766 ZPO ist zulässig und begründet. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung liegen vor. Der GV ist nicht berechtigt, die Durchführung der von der Gläubigerin beantragten Pfändung von der Leistung eines Kostenvorschusses i.H.v. 1.000 EUR abhängig zu machen.

Grundsätzliche Verbringungspflicht …

§ 808 Abs. 2 ZPO sieht vor, dass andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere im Gewahrsam des Schuldners zu belassen sind, sofern hierdurch die Befriedigung des Gläubigers nicht gefährdet wird. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat der GV selbstständig zu beurteilen. Kommt der GV zu der Erkenntnis, dass eine solche Gefährdung vorliegt, ist er zur Wegschaffung verpflichtet, wenn nicht der Gläubiger in die Belassung einwilligt (Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 808 Rn 17).

… es sei denn, der Gläubiger gibt andere Weisung

Im vorliegenden Fall hat die Gläubigerin nicht nur in die Belassung der Pkw beim Schuldner eingewilligt, sondern ausdrücklich an den GV die Weisung erteilt, dass die Pkw im Gewahrsam des Schuldners verbleiben sollen. Der GV ist grundsätzlich an Weisungen des Gläubigers gebunden, sofern diese nicht mit dem Gesetz oder der GVGA im Widerspruch stehen. Die Weisung der Gläubigerin, die Pfandsachen im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, ist mit dem Gesetz und der GVGA vereinbar und daher durch den GV zu beachten.

GV ist durch die Weisung nicht gefährdet

Dem steht auch nicht die Schutzwürdigkeit des Gerichtsvollziehers entgegen. Durch die ausdrückliche Weisung der Gläubigerin, die Pkw beim Schuldner zu belassen, besteht für den Gerichtsvollzieher kein Haftungsrisiko bezüglich einer Beschädigung, Wertminderung oder einem Untergang der Pfandsache. Dieses Risiko trägt aufgrund der erteilten Weisung die Gläubigerin.

Der Gläubiger steuert die Vollstreckung

In der Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren die Auffassung durchgesetzt, dass der Gerichtsvollzieher an bestimmte Weisungen des Gläubigers hinsichtlich der Ausführung des Vollstreckungsauftrages gebunden ist, soweit sie mit dem Gesetz und der GVGA nicht in Widerspruch stehen. Diese Auffassung wird auch vom LG Neubrandenburg vertreten (Beschl. v. 5.3.2012 – 4 T 43/12): "Die Zwangsvollstreckung dient den Gläubigerinteressen. Sie fordert als verfahrenseinleitende Prozesshandlung einen Antrag des Gläubigers. Damit bestimmt der Gläubiger Beginn, Art und Ausmaß des Vollstreckungszugriffs."

Die Zulässigkeit der Weisung des Gläubigers, den zu pfändenden Pkw (mit Übertrag des Haftungsrisikos auf den Gläubiger) im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, wurde in den Entscheidungen des LG Landau (15.12.2016 – 3 T 177/16), LG Verden (1.8.2014 – 6 T 146/14, AG Kassel (4.7.2017 – 603 M 170/16) und AG Pirna (6.5.2013 – 1 M 663/13) bejaht. Das AG Neubrandenburg schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

Der GV hat die Pfändung der Pkw weisungsgemäß durch Belassen der Pkw im Gewahrsam des Schuldners durchzuführen. Ein Kostenvorschuss i.H.v. 1.000 EUR ist dafür nicht erforderlich.

3 Der Praxistipp

Die GVGA hilft

Das vom AG begründete Ergebnis ergibt sich im Allgemeinen wie im Besonderen aus der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung (GVGA). Die GVGA ist eine landesrechtliche Verwaltungsvorschrift im Sinne einer abstrakt-generellen Dienstanweisung für den Gerichtsvollzieher, die die Bestimmungen der ZPO konkretisiert und dort, wo der GV ein Ermessen hat, für seine Ausübung verbindliche Anweisungen trifft. Obwohl Landesrecht, gilt die GVGA bundesweit, weil sich die Länder inhaltlich abstimmen.

Allgemeines Weisungsrecht nach §§ 31 Abs. 2, 58 Abs. 2 GVGA

Nach § 31 Abs. 2 GVGA hat der Gerichtsvollzieher Weisungen des Gläubigers insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch stehen. § 58 Abs. 2 GVGA konkretisiert das dann weiter. Au...

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