§ 850a ZPO gilt über § 850i ZPO

Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, gehören in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird (BGH NJW 2003, 2167; BGH ZInsO 2011, 1412). Dem Schuldner ist auf Antrag (neben den Betriebsausgaben) so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Hiermit verweist § 850i Abs. 1 ZPO auf die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO (BGH FamRZ 2008, 2021), insbesondere auch auf § 850a ZPO. Danach setzt das Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenden Betrag unter Beachtung der §§ 850a ff. ZPO individuell fest.

Privilegierte Mehrarbeit oder profitierender Gläubiger?

Nach § 850a Nr. 1 ZPO sind die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens zur Hälfte unpfändbar. Grund dieser Regelung ist, dem Schuldner einen Anreiz zu geben, Mehrarbeit zu erbringen und dadurch zugunsten der Gläubiger Mehreinnahmen zu erwirtschaften. Mehrarbeit ist jede Arbeit, die über den üblichen Umfang hinaus geleistet wird, etwa in Form von Überstunden und Sonntagsarbeit, aber auch erlaubte regelmäßige Tätigkeiten bei einem weiteren Arbeitgeber. Maßstab sind die normalen Arbeitszeiten des Betriebs, die im Tarifvertrag, im Arbeitsvertrag oder in der Dienstordnung festgeschriebene Vollbeschäftigungszeit. § 850a Nr. 1 ZPO greift nur ein, wenn die zeitlich geleistete Mehrarbeit durch einen als solchen ausgewiesenen oder ausweisbaren zusätzlichen Bezug des Schuldners neben dem üblichen Lohn entgolten ist. Deswegen werden etwa Mehrarbeitsleistungen von Beamten, soweit nicht eine Vergütung nach § 88 Satz 4 BBG in Verbindung mit § 48 BBesG und der Bundesmehrarbeitsverordnung gezahlt wird, und nicht gesondert entgoltene Überstunden von Angestellten nicht erfasst. Auch wenn der Schuldner die geleistete Mehrarbeit durch Inanspruchnahme von Freizeit ausgleicht, greift § 850a Nr. 1 ZPO nicht ein.

§ 850a ZPO gilt (eigentlich) bei Selbstständigen nicht

Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 850a Nr. 1 ZPO liegen bei einem Selbstständigen regelmäßig nicht vor. Dessen Arbeitszeit ist weder durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Dienstordnung oder auf sonstige Weise geregelt; deswegen lässt sich ein üblicher Umfang seiner Arbeit nicht bestimmen. Ebenso wenig wird eine zeitlich geleistete Mehrarbeit durch als solche ausgewiesene oder ausweisbare zusätzliche Einnahmen des Schuldners entgolten.

Sonderfall Rentner …

Etwas anderes gilt vorliegend aber deswegen, weil der Schuldner aufgrund seines Alters – zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung war er 70 Jahre alt – nicht mehr erwerbspflichtig ist und diverse Renten in einer Höhe bezieht, die – wenn auch nur leicht – über dem Pfändungsfreibetrag liegt. Somit ist sein Unterhaltsbedarf durch diese Leistungen gesichert. Auf ihn findet die Schutzvorschrift des § 850a Nr. 1 ZPO entsprechende Anwendung.

… aus der Gesetzgebungsgeschichte

§ 850a ZPO ist durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes mit Wirkung ab 1.7.2010 geändert worden. Danach hat der Gesetzgeber den Pfändungsschutz nicht nur auf alle selbst erzielten, eigenständig erwirtschafteten Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, erweitert, sondern zudem die Ungleichbehandlung von abhängig Beschäftigten und selbstständig tätigen Personen beseitigt und den Vollstreckungsschutz für sonstige Einkünfte an den Pfändungsregelungen für das laufende Arbeitseinkommen ausgerichtet. Entgegen der alten Fassung von § 850i ZPO wird von der Neuregelung auch jegliche nicht wiederkehrende Vergütung für persönliche Arbeiten und Dienste erfasst, so dass nunmehr auch Pfändungsschutz bei einer Vergütung für Dienste bestehen kann, die ein vollbeschäftigter Schuldner in seiner Freizeit erbringt.

… aus einer Anwendung des Rechtsgedankens

Richtig ist deswegen, den Rechtsgedanken des § 850a Nr. 1 ZPO auf vorliegenden Fall anzuwenden. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Schuldner die Sinnhaftigkeit einer überobligatorischen Tätigkeit wirtschaftlich erkennbar zu machen. Er soll motiviert werden, über seine eigentlichen Einnahmen hinaus zum eigenen und zum Wohle der Gläubiger Einkünfte zu erzielen. Ein Schuldner, der die Vergütung für die Mehrarbeit insgesamt an seine Gläubiger abgeben muss, hat keinen Anreiz, in seiner Freizeit oder während seines Ruhestandes zu arbeiten. Bei einer angemessenen Aufteilung der schuldnerischen Einnahmen aus einer überobligatorischen Tätigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger haben beide Seiten etwas davon. Jedwede gewinnbringende Aktivität des Schuldners wird dadur...

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