Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Vertretenen nach § 70 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eine GmbH, deren Geschäftsführer Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung durch einen Kunden geleistet hat, kann gemäß § 70 AO als Haftungsschuldner für die Steuerschulden des Kunden in Anspruch genommen werden.

2) Vermögensvorteil i.S.v. § 70 Abs. 2 Satz 1 AO kann jeder wirtschaftliche Vorteil sein, der ohne die Tat des Vertreters - hier des Geschäftsführers - beim Vertretenen - hier der GmbH - nicht eingetreten wäre. Hierzu zählt auch die Sicherung der Geschäftsbeziehung des Vertretenen zu einem Kunden.

3) Eine Exkulpation nach § 70 Abs. 2 Satz 2 AO wegen sorgfältiger Auswahl und Beaufsichtigung des Vertreters gelingt nicht, wenn der Vertreter nicht nur Geschäftsführer der in Haftung genommenen GmbH, sondern auch deren Gesellschafter ist.

 

Normenkette

AO § 70 Abs. 1 und Abs. 2, § 191 Abs. 1, § 370 Abs. 1, § § 34, 35

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist, ob eine GmbH gem. § 70 Abgabenordnung (AO) in Haftung genommen werden kann.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter der B GmbH (GmbH), über deren Vermögen das Amtsgericht F mit Beschluss vom 00.00.2012 das Insolvenzverfahren unter dem Aktenzeichen 000 IN 00/12 eröffnet hat. Gesellschafter der mit Vertrag vom 00.00.2002 gegründeten GmbH waren zunächst Herr N P (1.250 EUR) und Herr T E (23.750 EUR). Bei Aufnahme der Tätigkeit übertrug Herr N P seine Anteile auf Herrn T E. Dieser wurde mit Gründung der GmbH zu deren Geschäftsführer bestellt. Daneben war Herr N P faktischer Geschäftsführer der GmbH (vgl. Vermerk „Faktischer Geschäftsführereigenschaft N P bei B GmbH”, Anlage 8 zum steuerlichen Bericht …). Seit dem 14.04.2009 ist Herr N P alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Gleichzeitig wurde die von Herrn N P beherrschte C GmbH Gesellschafterin der GmbH.

Der Beklagte nahm die GmbH mit Haftungsbescheid vom 18.04.2011 wegen Steuerverbindlichkeiten ihres Kunden Herr B Q i.H.v. xxx EUR (Einkommen- und Umsatzsteuer 2003 bis 2007 nebst Zinsen) nach § 70 AO in Anspruch. Der Beklagte meldete die noch rückständigen Steuerschulden des Herrn B Q bei der GmbH zur Insolvenztabelle an. Der Kläger bestritt diese Forderungen im Prüfungstermin am 05.06.2012. Er nahm das von der GmbH anhängig gemachte Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 10.10.2012 auf. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 als unbegründet zurück. Aufgrund von Drittzahlungen meldete der Beklagte nur noch Ansprüche i.H.v. xxx EUR zur Tabelle an.

Diesen Bescheiden liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Herr B Q betrieb in der Zeit von 2003 bis 2010 einen Dönerimbiss in D und von Ende 2005 bis 2009 einen Grill in S. Betriebsübernehmerinnen waren Frau I und Frau A Q. Herr B Q wurde in den Jahren 2003 bis 2007 von der GmbH beliefert. Nach dem Ergebnis einer bei ihm und der GmbH durchgeführten Steuerfahndung der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N und J ermöglichten die Geschäftsführer der GmbH, die Herren T E und N P, Herrn B Q durch sogenanntes Rechnungssplitting nur einen Teil der tatsächlich getätigten Wareneinkäufe und damit auch die daraus erzielten Erlöse in seiner Buchführung und den Steuererklärungen anzugeben. Die gegenüber Herrn B Q nachträglich festgesetzten verkürzten Steuern beruhen zum Teil auf einer tatsächlichen Verständigung vom 03.11.2010 (2003 bis 2005) und zum Teil auf berichtigten Steuererklärungen (vgl. steuerliche und strafrechtliche Berichte vom 03.11.2010). Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung des Herrn B Q ist insoweit unstreitig. Herr T E und Herr N P wurden nach vollumfänglichen Geständnissen u.a. wegen Beihilfe zu dieser Steuerhinterziehung mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts F vom 00.00.2011 (Az. …) zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Herr B Q ist zahlungsunfähig. Das Insolvenzverfahren über sein Vermögen wurde am 00.00.2011 beim Amtsgericht N unter dem Az. 00 IK 00/11 eröffnet und mit Beschluss vom 00.00.2012 aufgehoben. Die Betriebsübernehmerinnen des Herrn B Q und die Geschäftsführer der GmbH, die Herren T E und N P, nahm der Beklagte jeweils mit auf § 75 und § 71 AO gestützten Haftungsbescheiden in Anspruch.

Der Beklagte führte in seinem Haftungsbescheid vom 18.04.2011 und in seiner Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 sinngemäß aus, dass auch die GmbH gem. § 70 Abs. 1 und 2 AO für die Steuerschulden des Herrn B Q hafte, weil ihr Geschäftsführer T E Herrn B Q vorsätzlich Beihilfe zu dessen vorsätzlicher Steuerverkürzung geleistet habe. Dies ergebe sich aus den rechtskräftigen Urteilen des Landgerichts F mit den Az. … bzw. …. Im übrigen ergebe sich der – unstreitige – Sachverhalt aus den in der Haftungsakte dokumentierten Feststellungen der Steuerfahndung und insbesondere aus dem der Einspruchsentscheidung beigefügten Vermerk vom 06.10.2009.

Mit der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger zunächst geltend, dass die Vorschrift des § 70 AO, die auf § 153 VereinsZollG und anderen ebenfalls vor 1919 bestehenden Haftungsvorschriften der damaligen Tab...

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