Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnungsverbot. Entstehen des Anspruchs auf Energiesteuerentlastung nach § 53 EnergieStG. Verbrauch versteuerten Erdgases als anfechtbare Rechtshandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nicht, wenn die Forderung „ihrem Kern nach” bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, d. h. sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs – im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – erfüllt waren. Auf den Zeitpunkt der Abgabe einer Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheids kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Dies gilt für den Antrag auf Steuerentlastung bzw. -vergütung gemäß § 53 Abs. 1 EnergieStG entsprechend.

2. Der Entlastungsanspruch nach § 53 EnergieStG entsteht mit der steuerbegünstigten Verwendung des Energieerzeugnisses.

3. Der Verbrauch versteuerten Erdgases stellt einen Realakt dar, der bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 53 EnergieStG geeignet ist, Rechtswirkungen – nämlich das Entstehen eines Entlastungsanspruchs – auszulösen und damit grundsätzlich die Voraussetzungen für das Vorliegen einer „Rechtshandlung” im Sinne der § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO und § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.

4. Das Entstehen des Entlastungsanspruchs kraft der gesetzlichen Regelung in dem Zeitpunkt, als feststand, dass auch die weiteren Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG – hier insbesondere das Erreichen eines Jahresnutzungsgrades von mindestens 70 % – vorgelegen haben, stellt keine anfechtbare Rechtshandlung dar, da sie nicht an ein von einem Willen getragenes Handeln anknüpft.

 

Normenkette

AO §§ 226, 218 Abs. 2; InsO § 96 Abs. 1 Nrn. 1, 3, §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1; EnergieStG § 53 Abs. 1, 5

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.02.2020; Aktenzeichen VII R 39/18)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Abrechnungsbescheids um die Frage der Unzulässigkeit einer Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung –InsO– bzw. § 96 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 131 InsO.

Mit Beschluss des Amtsgerichts B… vom 01.03.2012 (36s IN 5692/11) wurde über das Vermögen der C… (nachfolgend: Schuldnerin) das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Verfahrenseröffnung erfolgte aufgrund Eigenantrags der Schuldnerin vom 13.12.2011, welcher am 14.12.2011 im Amtsgericht B… eingegangen ist.

Mit Antrag vom 18.12.2012, eingegangen im Hauptzollamt E… am 21.12.2012, beantragte der Kläger als Insolvenzverwalter der C… gemäß § 53 EnergiesteuergesetzEnergieStG – die Steuerentlastung für Erdgas, welches die Schuldnerin in ihrem Blockheizkraftwerk für die Stromerzeugung und die gekoppelte Erzeugung von Kraft und Wärme im Kalenderjahr 2011 verwendet hatte. Das Hauptzollamt E… setzte die Steuerentlastung daraufhin mit Bescheid vom 14.11.2013 auf 53.437,30 EUR fest. Dabei rechnete es gleichzeitig gemäß § 226 Abgabenordnung –AO– seine Forderungen von Einfuhrumsatzsteuer aus Zollabfertigungen im Jahr 2011 in Höhe von insgesamt 35.105,17 EUR sowie 1.080,00 EUR Säumniszuschläge, insgesamt 36.185,17 EUR, mit dem Steuerentlastungsbetrag auf. Es handelt sich im Einzelnen um die Bescheide

des Hauptzollamts D…, Zollamt F…

vom 17.10.2011 AT/C/40/001166/10/2011/2105

des Hauptzollamts E…, Zollamt G…,

vom 17.10.2011 AT/C/40/000207/10/2011/2101,

vom 28.10.2011 AT/C/40/000400/10/2011/2101,

vom 28.10.2011 AT/C/40/000403/10/2011/2101,

vom 31.10.2011 AT/C/40/000421/10/2011/2101,

des Hauptzollamts H…, Zollamt I…,

vom 14.11.2011 AT/C/40/034177/11/2011/4851,

vom 14.11.2011 AT/C/40/034202/11/2011/4851,

vom 15.11.2011 AT/C/40/037183/11/2011/4851,

vom 15.11.2011 AT/C/40/037506/11/2011/4851,

vom 29.11.2011 AT/C/40/072130/11/2011/4851,

vom 14.12.2011 AT/C/40/036009/12/2011/4851.

Den Restbetrag von 17.252,13 EUR zahlte das Hauptzollamt E… an den Kläger aus.

Mit Schreiben vom 23.04.2015 forderte der Kläger das Hauptzollamt E… unter Fristsetzung auf, den aufgerechneten Betrag in Höhe von 36.185,17 EUR auf das Notaranderkonto zu zahlen, und wies darauf hin, dass die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig gewesen sei. Nach Mitteilung des Hauptzollamts E… vom 03.06.2015, dass es keine Zahlung leisten werde, da die Aufrechnung zulässig gewesen sei, erhob der Kläger beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg zunächst Leistungsklage auf Zahlung des Betrags in Höhe von 36.185,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.05.2015 an den Kläger zur Masse, die zum Aktenzeichen 1 K 1172/15 geführt wurde. Nach entsprechendem Hinweis durch die Berichterstatterin beantragte der Kläger beim Beklagten den Erlass eines Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 Abgabenordnung –AO–, der mit Datum vom 16.09.2015 erteilt wurde. Das Hauptzoll...

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