Das nacheheliche Unterhaltsrecht war, wie die Bestimmung zeigt, von seinen Voraussetzungen her grundsätzlich verschuldensunabhängig ausgestaltet. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Ehe sich "in einem gewissen Rahmen wieder zu einem Versorgungsinstitut [entwickelt] und damit in den Beziehungen zwischen den Ehegatten materielle Motive in den Vordergrund rücken."[28] Ungeachtet dieses ideologisch motivierten Begründungsansatzes[29] ist gleichwohl festzuhalten, dass man sich in der DDR bereits im Jahr 1965 und damit zu einem Zeitpunkt für ein modernes, verschuldensunabhängiges Scheidungsfolgenrecht ausgesprochen hatte, zu dem in Westdeutschland das Verschuldensprinzip im Unterhaltsrecht noch lange nicht überwunden war; dies erfolgte in der Bundesrepublik vielmehr erst mehr als zehn Jahre später mit dem Inkrafttreten des 1. EheRG am 1.7.1977.[30]

Ganz ohne Verschuldenselemente kam man freilich auch in der DDR nicht aus:[31] Auf der Rechtsfolgenseite der Bestimmung sollen bei der Frage, ob, in welcher Höhe und über welche Zeitdauer nach der Scheidung Unterhalt zu zahlen ist, die "Umstände, die zur Scheidung geführt haben", Berücksichtigung finden. Über diese Vorgabe sollen auch ideologische Erwägungen Eingang in das Unterhaltsverfahren gefunden haben.[32] In der vom Justizministerium der DDR herausgegebenen, amtlichen Erläuterung der Bestimmung heißt es, dass ein Unterhaltsanspruch ausgeschlossen oder auf einen relativ niedrigeren Betrag beschränkt sein könne, wenn der Bedürftige die Ehe allein durch sein pflichtwidriges Verhalten zerrüttet hat. Die Leistungsverpflichtung muss, so heißt es weiter, "moralisch vereinbar sein mit dem vorangegangenen Verhalten der Partner zueinander."[33] Als Maßstab hierfür wird auf die entsprechende Regelung beim Trennungsunterhalt (§ 18 Abs. 4 FGB) Bezug genommen; danach kann "ein Ehegatte, der mit der Trennung gegen die durch die Ehe begründeten Pflichten schwer verstößt oder durch einen solchen Verstoß dem anderen Anlass zur Trennung gibt", keinen Unterhalt beanspruchen. Im Kommentar wird freilich deutlich darauf hingewiesen, dass im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung stets auch die Belange der Kinder zu berücksichtigen seien, so dass etwa ein Ehegatte, der aufgrund der Betreuung der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder nicht oder nicht voll berufstätig sein kann, auch dann berechtigt ist, Unterhalt für sich zu fordern, wenn er durch sein "moralwidriges Verhalten" die Ehe zerrüttet hat.[34] Sein Fehlverhalten wirkte sich dann lediglich auf die Unterhaltshöhe aus.[35]

[28] Vgl. Eberhardt, Zu einigen Ergebnissen der Diskussion über den FGB-Entwurf, NJ 1966, 8 (10).
[29] Vgl. die klassenkämpferische Darstellung bei Familienrecht/Ansorg/Grandke/Rieger (Fn 5), S. 286 ff.
[30] Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts v. 14.6.1976, BGBl I, 1421 und speziell zu den unterhaltsrechtlichen Auswirkungen der Reform Willutzki, 20 Jahre Eherechtsreform, FamRZ 1997, 777 (778).
[31] Vgl. die Darstellung zur Entwicklung des Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts der DDR in der Allgemeinen Begründung des Entwurfs des 1. EheRG, BT-Drucks 7/650, 64 f.
[32] Vgl. Adlerstein/Wagenitz, FamRZ 1990, 1300 (1301 Fn 10 und Text; 1304 mit dem Hinweis, dass von Unterhaltsberechtigten vor Ausreisegenehmigungen Verzichtserklärungen abgepresst oder ihnen bei "Republikflucht" Unterhalt versagt worden sei); Hohage, Deutsch-deutsches Eherecht und Ehekollisionsrecht, 1996, 219 (Fn 768 und Text). Bestätigung erfährt dies, wenn vom leitenden Justizministerialbeamten Karl-Heinz Eberhardt (FamRZ 1990, 917 [917 Fn 5 und Text]) nach der Wende eingeräumt wurde, dass die "sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung und Moral in der regulären alltäglichen Anwendung und Interpretation des Familienrechts nicht bestimmend" gewesen sein soll (und damit aber doch in den verbleibenden, nicht-alltäglichen Fällen).
[33] Vgl. FGB-Kommentar/Seifert (Fn 5), § 29 Anm. 1.3.
[34] Vgl. FGB-Kommentar/Seifert (Fn 5), § 29 Anm. 1.3.
[35] Vgl. OG, Urt. v. 11.6.1970 – 1 ZzF 7/70, NJ 1970, 624 (die Ehe scheiterte, weil die Ehefrau sich "beharrlich und ohne Grund weigerte [ … ], zum Ehemann zu ziehen, um das Zusammenleben der Ehegatten zu ermöglichen." Die auf diesen Umstand gegründete Unterhaltsversagung hatte keinen Bestand, weil die zweijährige Tochter aufgrund ihres Gesundheitszustands weder eine Kinderkrippe besuchen konnte noch ein Krippenplatz zur Verfügung stand).

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