Szenen einer Ehe

Es waren nicht die "knallharten" Themen aus der familienrechtlichen Praxis, die am ersten Veranstaltungstag in Stuttgart zur Debatte standen. Die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht hatte sich gemäß dem Motto des diesjährigen Anwaltstages "Freiheit gestalten" die Freiheit genommen, sich mit der Entstehungsgeschichte und den Rahmenbedingungen des Familienrechts auseinanderzusetzen.

Geschichte – Kirche – Wirtschaft

Rechtsanwältin Elisabeth Unger aus Hamburg, dort auch Dozentin für den DAAD und die Universität, außerdem Referentin für internationales Familienrecht am Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht in Heidelberg, erläuterte die verschiedenen Eheverständnisse, die unser Land vom Mittelalter bis heute geprägt haben. Denn – so zitierte sie Professor Dieter Schwab – "Das jeweilige Scheidungsrecht ist das Spiegelbild des Eheverständnisses". In einem Parforceritt durch die Jahrhunderte und quer durch verschiedene Kulturen analysierte sie das Ehe- und Scheidungsrecht. Das Lebenszeitprinzip "bis dass der Tod Euch scheidet" war typisch für das Kirchenrecht, das maßgeblich im Mittelalter war. Auch in der Reformationszeit hielt man noch an der Unauflösbarkeit der Ehe fest, aber allmählich gab es Lockerungen. Hurerei und Ehebruch galten als Scheidungsgrund, stinkender Atem und Lepra jedoch nicht. Mit der Aufklärung entwickelte sich auch das Familienrecht, im 19. Jahrhundert wurde die obligatorische Zivilehe eingeführt. Die Ehe bekam Vertragscharakter, zwei Individuen, die sich zusammenschlossen, konnten den Vertrag, der sie aneinander band, auch wieder auflösen. Aber dann wurde mit dem BGB, das 1900 in Kraft trat, ein sehr strenges Scheidungsrecht eingeführt. Die absolute Vorrangstellung des Mannes hielt sich noch bis weit ins 20. Jahrhundert. Erstaunlich ist, wie sich von allen drei Eheverständnissen Elemente auch im aktuellen Familienrecht wiederfinden. Wir kennen heute die Ehe, die auf unbestimmte Dauer geschlossen wird, das institutionelle Element ist enthalten, weil der Staat prüft, ob die Ehe gescheitert ist und das vertragliche Verständnis schließlich setzt sich allmählich mehr und mehr durch, vor allem, was die Scheidungsfolgen angeht. Das Recht, auch das gehörte zum Fazit von Rechtsanwältin Unger, passt sich den gesellschaftlichen Veränderungen an, allerdings meist mit Verzögerungen.

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam auch Dr. Christine Bergmann in ihrem Vortrag. Die ehemalige Familienministerin ist Vorsitzende der ad-hoc-Kommission zur Erstellung einer Orientierungshilfe Familie, die im Juni 2013 veröffentlicht wurde: "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken". Der Text hatte in der evangelischen und der katholischen Kirche, aber auch in der allgemeinen Öffentlichkeit eine kontroverse Debatte ausgelöst. Dass Familie auch in unterschiedlichen Formen gelebt werden kann, dass auch gleichgeschlechtliche Paare Eltern sein können, wollen viele nicht akzeptieren. Die Kommission würde die Ehe abwerten, sei der Hauptvorwurf, resümierte Christine Bergmann.

Nach den historischen und kirchlichen Perspektiven auf das Familienrecht erläuterte Professor Hanno Beck von der Hochschule Pforzheim Statistiken über das Glücklichsein vor und nach der Eheschließung und sprach als Ökonom darüber, dass die Liebe ein enormes Investitionsgut sei. Sein teils amüsanter und teils informativer Vortrag über ökonomische Gesetzmäßigkeiten, die eben auch auf das Familien- und Scheidungsrecht anwendbar sind, schloss den ersten Veranstaltungstag ab.

Quo vadis Ehegattenunterhalt?

Bei der Diskussionsveranstaltung am zweiten Tag, den die Arbeitsgemeinschaft gemeinsam mit dem Gesetzgebungsausschuss Familienrecht organisiert hatte, ging es wieder um aktuelle familienrechtliche Fragen. Auf dem Prüfstand war das Ehegattenunterhaltsrecht. Rechtsanwalt Rolf Schlünder aus Mannheim, Mitglied des Ausschusses, stellte erste Überlegungen für eine Reform vor. "Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen." (§ 1569 BGB) Das Prinzip der Eigenverantwortung, vom Gesetzgeber in den Änderungen von 2007 in den Vordergrund gerückt, komme im gegenwärtigen Recht nicht zur Geltung. Es würde vielmehr flankiert durch ein nahezu lückenloses Netz von Unterhaltsansprüchen. "Es beginnt mit dem Betreuungsunterhalt, dann Aufstockungsunterhalt, dann ist man krank und irgendwann ist man alt. Wenn man das richtig gestaltet, kann man ein lückenloses Netz von Unterhaltsansprüchen aufstellen mit der Folge, dass da von Eigenverantwortung nicht mehr viel zu sehen ist." Dr. Isabell Götz, Vorsitzende Richterin am OLG München und Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, meinte indes, dass es mit den jetzigen Regeln zu schaffen sei, angemessene Lösungen zu finden. Allerdings sah auch sie Diskussionsbedarf über das sehr komplizierte jetzige System. Sie hob hervor, dass Änderungen sich nur auf zukünftige Ehen beziehen dürften, um nicht wieder – wie bei der letzten Reform – in ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge