Dr. Susanne Offermann-Burckart
Einführung
In familienrechtlichen Angelegenheiten wird die Frage, ob derselbe Rechtsanwalt mehrere Parteien vertreten kann/darf, besonders häufig gestellt. Dies hängt damit zusammen, dass man glaubt, auf Grund eines noch bestehenden (oder als nach wie vor bestehend empfundenen) Näheverhältnisses auf eine "streitige" Auseinandersetzung verzichten zu können, oder man sich scheut, durch Beauftragung eines eigenen Anwalts unnötig Öl ins Feuer zu gießen. Auch der sog. gesunde Menschenverstand und finanzielle Erwägungen werden hier ins Feld geführt.
Selbst das Bundesjustizministerium ließ sich von solchen Überlegungen leiten, als es Anfang 2006 im Rahmen der Planungen für eine FGG-Reform u.a. die Einführung eines "vereinfachten" Scheidungsverfahrens vorsah. Nach den damaligen Plänen, die glücklicherweise nicht Realität geworden sind, sollten sich die Parteien vor einem Notar über Ehegattenunterhalt, Hausrat und Wohnung einigen. Bei der anschließenden Scheidung sollte dann auf anwaltliche Hilfe verzichtet werden können. Eine prominente Justizpolitikerin äußerte damals, sie erlebe es in ihrem eigenen Bekanntenkreis ständig, dass vernünftige Leute, die sich eigentlich über alle Punkte einer Trennung geeinigt hätten, kein Verständnis dafür aufbrächten, warum zwei Anwälte bemüht werden müssten.
Angesichts dieser Situation stellt sich für den Rechtsanwalt in familienrechtlichen Angelegenheiten häufiger als sonst die Frage, ob er sich mit diesem oder jenem Tun in eine Interessenkollision begibt. Dabei treten eine Reihe typischer Fallkonstellationen immer wieder auf.
A. Grundsatzfragen
Bevor auf diese Einzelfälle eingegangen wird, ist es erforderlich, einige grundsätzliche Überlegungen voranzustellen.
I. Ausgangssituation
Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen ist in Gesetz und Berufsordnung gleich mehrfach geregelt: Zunächst in § 356 Abs. 1 StGB, der den Anwalt, "welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient", mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Sodann in § 43a Abs. 4 BRAO, der ebenso apodiktisch wie lapidar feststellt, dass der Rechtsanwalt "keine widerstreitenden Interessen vertreten (darf)". Und schließlich in § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA, der bestimmt, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, "wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat". Gemeint ist letztlich immer das Gleiche. Allerdings bleiben § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA, wonach schon ein fahrlässiger Pflichtenverstoß berufsrechtlich geahndet werden kann, hinsichtlich der Anforderungen an die subjektive Tatseite deutlich hinter § 356 StGB zurück. Dieser fordert Vorsatz. Außerdem unterscheidet sich § 356 StGB von § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 BORA ganz wesentlich dadurch, dass er nur das Verhalten des einzelnen Rechtsanwalts sanktioniert. § 43a Abs. 4 BRAO bezieht dagegen auch die Sozien, § 3 BORA (in Abs. 2) außerdem die Angestellten, freien Mitarbeiter, Bürogemeinschafter etc. mit ein.
Grundlage des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen sind "das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung".
II. Die Tatbestandsmerkmale im Überblick
Bildet man die "Quersumme" aus den im Vorhergehenden genannten Vorschriften, liegt eine Interessenkollision vor, wenn der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Anwalt in derselben Rechtssache gleichzeitig oder nacheinander zwei oder mehr Parteien berät und/oder vertritt, deren Interessen gegenläufig sind. So simpel diese Umschreibung auf den ersten Blick scheint, so schwierig ist die Ausfüllung der einzelnen Merkmale im Detail.
1. (Vor-)Befassung
Die Verbotsnormen der §§ 43a Abs. 4 BRAO sowie 356 Abs. 1 StGB und – nach seinem Wortlaut – insbesondere die des § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA knüpfen an die berufliche Vorbefassung des Anwalts mit einer Rechtssache an. Eine private Vorbefassung reicht nicht aus. Allerdings wird es gerade in familienrechtlichen Angelegenheiten häufiger vorkommen, dass der Rechtsanwalt von Freunden und Bekannten im Rahmen privater Zusammenkünfte ganz allgemein z.B. auf Fragen des Unterhalts oder des Sorgerechts angesprochen wird. Auch wenn in einem solchen Fall noch keine Mandatierung vorliegt, ist Vorsicht geboten, wenn sich später im Rahmen eines tatsächlichen Auftrags der andere Ehepartner an den Anwalt wendet. Die kontrovers diskutierte Frage, ob das Verbot den Anwalt nur bei vorangegangener anwaltlicher Tätigkeit trifft, oder ob auch andere berufliche Vorbefassungen aus...