– zugleich eine Anmerkung zu BVerfG FF 2009, 416

1. Ausgangsfall

Das BVerfG hat durch Kammerentscheidung einen Beschluss des OLG Brandenburg[1] aufgehoben, in dem es um einen Sorgerechtskonflikt miteinander nicht verheirateter, aber gemeinsam sorgeberechtigter Eltern ging (vgl. § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Nach der Trennung hatten die (weiterhin in Nachbarschaft wohnenden) Eltern für die Betreuung der zwei kleinen Söhne (4 und 6 Jahre) zunächst ein paritätisches wöchentliches "Wechselmodell" vereinbart. Alsbald kam es jedoch zu Konflikten, die zur Einschaltung der Familiengerichte führten: In einem ersten Schritt änderte das Familiengericht qua Umgangsregelung die beiderseitigen Betreuungsphasen; dem folgte in einem zweiten Schritt der Antrag der Mutter auf vollständige oder teilweise Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sie. Das OLG beschied (im Gegensatz zum Amtsgericht) den Antrag der Mutter positiv. Trotz dieser Veränderung auf der (Sorge-)Rechtsebene sollten aber die Betreuungsverhältnisse kontinuierlich i.S.d. bisher schon praktizierten Wechselmodells fortgeführt werden – als die Alleinsorge der Mutter einschränkende Umgangsregelung.

Die Kammer des Bundesverfassungsgerichts (1. Senat) rügte eine unzureichende und einseitige Würdigung des Sachverhalts durch das Oberlandesgericht und sah darin eine Verletzung des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) des Vaters. Das OLG habe die zumindest partiell funktionierende Kooperation der Eltern im Rahmen des Wechselmodells nicht berücksichtigt; im Übrigen sei Maßstab und Ziel einer Sorgerechtsentscheidung allein das Kindeswohl, nicht aber eine ausgewogene Machtbalance zwischen den Eltern. Der Fall wurde zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen (§ 95 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BVerfGG).

Der Kammerbeschluss erscheint auf den ersten Blick als Routinefall des Justizalltags, zu dem es wenig oder nichts anzumerken gibt. Es ist das Normalste von der Welt, dass ein Obergericht zu einem anderen Ergebnis kommt als das Untergericht, und es ist auch normal und legitim, dass die Gerichte in ihren Entscheidungsbegründungen aus komplexen Sachverhalten jeweils diejenigen Elemente besonders hervorheben, die ihr Ergebnis stützen. Darüber hinaus spricht einiges für die Richtigkeit der rechtlichen und sachlichen Rügen des BVerfG. Dennoch wird hier schon das erste, hier zu vertiefende Problem deutlich: Ist denn das BVerfG ein "Obergericht" im vorgenannten Sinne, ist es eine "Super-Beschwerdeinstanz"? Wo liegen die Grenzen der verfassungsgerichtlichen Überprüfung von fachgerichtlichen Entscheidungen speziell im Sorgerecht? (dazu unten 2.). Zum zweiten konsterniert geradezu der verbreitete Mangel an Problembewusstsein, soweit es um die rechtliche Einordnung und Behandlung des sog. "Wechselmodells" geht – gerade der Ausgangsfall lässt die insoweit offenen Fragen deutlich werden (unten 3.).

[1] FamRZ 2009, 709.

2. Überprüfungskompetenz des BVerfG

Die Verfassungsbeschwerde ist kein zivilverfahrensrechtliches Rechtsmittel,[1] sie ist kein "zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, sondern … ein eigenständiges, besonderes Rechtsschutzmittel zur prozessualen Durchsetzung der Grundrechte."[2] Hieraus folgt eine Beschränkung der verfassungsgerichtlichen Überprüfung, die das BVerfG mit einer nur geringfügig variierenden Standardformulierung etwa so umschreibt:[3] Nicht nachzuprüfen sind die tatsächlichen Feststellungen des Fachgerichts, seine Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts und "die von ihm im einzelnen vorgenommene Abwägung."[4] Zu überprüfen ist jedoch, "ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen."[5] Gelegentlich reicht dem BVerfG diese enge, auf grobe Grundrechtsverkennung beschränkte Überprüfungskompetenz, um fachgerichtliche Entscheidungen zu verwerfen – so auch in vorliegendem Fall.[6] Daneben hat es aber – spätestens seit den 80er-Jahren – einen zweiten, umfassenderen Überprüfungsauftrag speziell für "Entscheidungen über die Personensorge" entwickelt,[7] ausgehend von seiner übergreifenden Position, wonach die Prüfungs- und Eingriffsmöglichkeiten des BVerfG nicht starr und allgemeingültig zu definieren seien, sondern "von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung" im konkreten Zusammenhang abhingen.[8] Die für eine erweiterte Prüfungskompetenz erforderliche Intensität folgt im sorgerechtlichen Bereich schnell aus der unmittelbaren personalen Betroffenheit der Beteiligten. Anfangs hatte das BVerfG insoweit nur die Eltern im Blick (Elternrecht, Art. 6 Abs. 2 S. 1; Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 GG), bald rechtfertigte aber auch das Kindesrecht eine erweiterte verfassungsgerichtliche Überprüfung.[9] Dies allerdings nicht stets, d.h. bei jeder Grundrechtsberührung, sondern nur bei "schwerwiegenden" Grundrechtseingriffen, wie etwa der Eltern-Kind-Trennung,[10] dem völligen Sorgerechtsverlust[11] oder dem Kontaktverlust des Umgangsberechtigten.[12] Liegen diese Voraussetzungen vor, dann können "auch einzelne...

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