Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Artikel 8a und 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 18 EG und 39 EG). Richtlinien 64/221/EWG, 73/148/EWG und 90/364/EWG. Verordnung (EWG) Nr. 1612/68. Freizügigkeit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Öffentliche Ordnung. Recht auf Achtung des Familienlebens. Nationale Rechtsvorschriften über die Aufenthaltsversagung und die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet. Verwaltungspraxis. Strafrechtliche Verurteilung. Ausweisung

 

Beteiligte

Kommission / Deutschland

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie in § 12 Absatz 1 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 31. Januar 1980 die vom Gemeinschaftsrecht für die Beschränkung der Freizügigkeit aufgestellten Voraussetzungen nicht hinreichend klar umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 39 EG, Artikel 3 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, und Artikel 10 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs verstoßen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Italienische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 5. Dezember 2002,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O'Reilly und W. Bogensberger als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch

Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigter im Beistand von M. Fiorilli, avvocato dello Stato,

Streithelferin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch W.-D. Plessing, dann durch A. Tiemann als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Schiemann, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts und E. Juhász,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 2. Juni 2005

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland, indem sie

  • in ihrer Gesetzgebung nicht hinreichend deutlich gemacht hat, dass Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger nicht auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt werden dürfen, die aufgrund einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung die Ausweisung zwingend bzw. im Regelfall zwingend vorschreibt, bzw. Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger auf diese unklare Ermächtigungsgrundlage gestützt hat,
  • in § 12 Absatz 1 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 31. Januar 1980 (BGBl. 1980 I S. 116, im Folgenden: Aufenthaltsgesetz/EWG oder AufenthG/EWG) die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Anforderungen an die Beschränkung der Freizügigkeit nicht hinreichend klar umgesetzt hat bzw. Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger auf diese unklare Ermächtigungsgrundlage gestützt hat,
  • in ihrer Gesetzgebung nicht hinreichend deutlich gemacht hat, dass Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger nicht auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt werden dürfen, die generalpräventive Zwecke verfolgt, bzw. Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger mit der Abschreckung anderer Ausländer begründet hat,
  • Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger erlassen hat, die kein angemessenes Verhältnis zwischen dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens auf der einen Seite und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf der anderen Seite wahren,
  • den sofortigen Vollzug von Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger angeordnet hat, ohne dass es sich um dringende Fälle handelte,

ihre Pflichten aus den Artikeln 18 EG und 39 EG, aus dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens als allgemeinem Grundsatz des Gemeinschaftsrechts sowie aus den Artikeln 3 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850), Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (ABl. L 257, S. 2), den Artikeln 1, 4, 5, 8 und 10 der...

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