Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Seniorenwohnheim, Betreutes Wohnen, Betrieb eines Altenheims, Anerkennung als soziale Einrichtung
Leitsatz (amtlich)
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ‐ ist dahin auszulegen, dass für diejenigen der Dienstleistungen, die von einer Einrichtung für betreutes Wohnen wie der des Ausgangsverfahrens, deren sozialer Charakter vom vorlegenden Gericht insbesondere anhand der im vorliegenden Urteil genannten Gesichtspunkte zu beurteilen ist, erbracht werden, die in der Zurverfügungstellung von geeigneten Wohnungen an Senioren bestehen, die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung gewährt werden kann. Die anderen Dienstleistungen können auch unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung fallen, sofern diese Dienstleistungen, die eine solche Einrichtung für betreutes Wohnen aufgrund der nationalen Regelung anbieten muss, insbesondere bezwecken, die Unterstützung von Senioren sicherzustellen und diese zu betreuen, und denjenigen entsprechen, die auch Altenheime nach der betreffenden nationalen Regelung anbieten müssen.
Es ist insoweit unerheblich, ob der Betreiber einer Einrichtung für betreutes Wohnen wie der des Ausgangsverfahrens einen Zuschuss oder eine andere Form von Vorteil oder finanzieller Begünstigung seitens der öffentlichen Hand erhält.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g
Beteiligte
Les Jardins de Jouvence SCRL |
Verfahrensgang
Cour d appel de Mons (Belgien) (Beschluss vom 18.06.2014; ABl. EU 2014, Nr. C 339/5) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Steuerbefreiungen ‐ Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g ‐ Steuerbefreiung für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen ‐ Begriff ‚eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen‘ ‐ Als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen ‐ Einrichtungen für betreutes Wohnen“
In der Rechtssache C-335/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Mons (Belgien) mit Entscheidung vom 18. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 2014, in dem Verfahren
Les Jardins de Jouvence SCRL
gegen
État belge,
Beteiligte:
AXA Belgium SA,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer T. von Danwitz, in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer, sowie der Richter D. Šváby, A. Rosas, E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Les Jardins de Jouvence SCRL, vertreten durch L. Strepenne und G. Lardinois, avocats,
‐ der Axa Belgium SA, vertreten durch P. Meessen und C. Goossens, avocats,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Dintilhac und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli 2015
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Les Jardins de Jouvence SCRL (im Folgenden: LJJ) und dem État belge (belgischer Staat) wegen der Versagung des Abzugs der im Rahmen von Bauarbeiten, die LJJ im Hinblick auf den Betrieb einer Einrichtung für betreutes Wohnen durchgeführt hat, entrichteten Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Sechste Richtlinie wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) aufgehoben und ersetzt. In Anbetracht des entscheidungserheblichen Zeitraums gilt für das Ausgangsverfahren jedoch weiterhin die Sechste Richtlinie.
Rz. 4
Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie bestimmte:
„(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterzie...