Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Zulässigkeit. Begriff ‚einzelstaatliches Gericht’. Kriterien. Sozialpolitik. Anwendungsbereich. Bezahlter Jahresurlaub. Begriff ‚befristet beschäftigter Arbeitnehmer’. Friedensrichter und ordentliche Richter. Unterschiedliche Behandlung. Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Begriff ‚sachliche Gründe’

 

Normenkette

AEUV Art. 267; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge Paragraf 2; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge Paragraf 3; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge Paragraf 4; Richtlinie 1999/70/EG; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7

 

Beteiligte

Governo della Repubblica italiana

UX

Governo della Repubblica italiana

 

Tenor

1. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Giudice di pace (Friedensrichter, Italien) unter den Begriff „Gericht eines Mitgliedstaats” im Sinne dieses Artikels fällt.

2. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass ein Friedensrichter, der im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, unter den Begriff „Arbeitnehmer” im Sinne dieser Bestimmungen fallen kann, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Paragraf 2 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer” einen Friedensrichter umfassen kann, der für einen begrenzten Zeitraum ernannt ist und im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Paragraf 4 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für einen Friedensrichter keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen, wie er für ordentliche Richter vorgesehen ist, kennt, falls dieser Friedensrichter unter den Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer” im Sinne von Paragraf 2 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung fallen und sich in einer mit einem ordentlichen Richter vergleichbaren Situation befinden sollte, es sei denn, diese unterschiedliche Behandlung ist durch die Unterschiede in den verlangten Qualifikationen und die Art der in den Verantwortungsbereich der ordentlichen Richter fallenden Aufgaben gerechtfertigt, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht obliegt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Giudice di pace di Bologna (Friedensrichter Bologna, Italien) mit Entscheidung vom 16. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2018, in dem Verfahren

UX

gegen

Governo della Repubblica italiana

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter P. G. Xuereb und T. von Danwitz,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von UX, vertreten durch G. Guida, F. Sisto, F. Visco und V. De Michele, avvocati,
  • des Governo della Repubblica italiana, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Fiandaca und F. Sclafani, avvocati dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. Januar 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV, Art. 31 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), den Grundsatz der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Unionsrecht sowie die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und der Paragrafen 2 und 4 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstrei...

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