Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsbürgerschaft. Drittstaatsangehöriger, der einem Kleinkind Unterhalt gewährt, das Unionsbürger ist. Recht auf Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit das Kind besitzt. Strafrechtliche Verurteilungen des Elternteils des Kindes. Ausweisung des Elternteils, die dazu führt, dass mittelbar auch das Kind ausgewiesen wird

 

Normenkette

AEUV Art. 20

 

Beteiligte

CS

Secretary of State for the Home Department

CS

 

Tenor

Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein wegen einer Straftat verurteilter Drittstaatsangehöriger auch dann in den Drittstaat auszuweisen ist, wenn er tatsächlich für ein Kleinkind sorgt, das die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt, in dem es sich seit seiner Geburt aufgehalten hat, ohne von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht zu haben, und das wegen der Ausweisung des Drittstaatsangehörigen das Gebiet der Europäischen Union verlassen müsste, so dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbestands seiner Rechte als Unionsbürger verwehrt würde. Unter außergewöhnlichen Umständen darf ein Mitgliedstaat jedoch eine Ausweisungsverfügung erlassen, sofern sie auf dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des Mitgliedstaats berührt, und die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, dies zu überprüfen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Obergericht [Senat für Einwanderung und Asyl], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 4. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 2014, in dem Verfahren

Secretary of State for the Home Department

gegen

CS

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentin C. Toader, der Kammerpräsidenten D. Šváby, F. Biltgen und C. Lycourgos, der Richter A. Rosas (Berichterstatter), E. Juhász, A. Borg Barthet und M. Safjan sowie der Richterinnen M. Berger, A. Prechal und K. Jürimäe,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von CS, vertreten durch R. Husain, QC, L. Dubinsky und M. P. Tridimas, Barristers, beauftragt durch D. Furner, Solicitor,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt und J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. Wolff als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, K. Pawłowska und M. Pawlicka als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Martínez del Peral, C. Tufvesson und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Februar 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Drittstaatsangehörigen CS, der Mutter eines Kleinkinds, das Unionsbürger ist und die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzt, in dem es sich durchgehend aufgehalten hat, und dem Secretary of State for the Home Department (Innenminister, Vereinigtes Königreich) wegen einer Verfügung, mit der CS wegen ihrer Vorstrafen aus dem Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs in einen Drittstaat ausgewiesen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 3 „Berechtigte”) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35) bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:

a) jedes nicht unte...

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