Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtlinie 93/13/EWG. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Beurteilungskriterien. Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsklausel durch das nationale Gericht von Amts wegen. Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs

 

Beteiligte

VB Pénzügyi Lízing

VB Pénzügyi Lízing Zrt

Ferenc Schneider

 

Tenor

1. Art. 23 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht nicht einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, die vorsieht, dass der Richter gleichzeitig mit seinem Ersuchen um Vorabentscheidung von Amts wegen den Justizminister seines Mitgliedstaats über dieses informiert.

2. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union auf die Auslegung des Begriffs „missbräuchliche Vertragsklausel” in Art. 3 Abs. 1 und im Anhang der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sowie auf die Kriterien erstreckt, die das nationale Gericht bei der Prüfung einer Vertragsklausel im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie anwenden darf oder muss, wobei es Sache dieses Gerichts ist, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.

3. Das nationale Gericht ist verpflichtet, von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um festzustellen, ob eine Klausel über einen ausschließlichen Gerichtsstand in einem Vertrag, der Gegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits ist und zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossen wurde, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, und, falls dies zu bejahen ist, von Amts wegen zu beurteilen, ob eine solche Klausel möglicherweise missbräuchlich ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Budapesti II. és III. kerületi bíróság (Ungarn) mit Entscheidung vom 27. März 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2008, in dem Verfahren

VB Pénzügyi Lízing Zrt.

gegen

Ferenc Schneider

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, U. Lõhmus, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der ungarischen Regierung, vertreten durch J. Fazekas, R. Somssich, K. Borvölgyi und M. Fehér als Bevollmächtigte,
  • Irlands, vertreten durch D. J. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. M. Collins, SC,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch J. López-Medel Báscones als Bevollmächtigten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski und L. Seeboruth als Bevollmächtigte sowie durch T. de la Mare, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B. D. Simon und W. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. Juli 2010

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29, im Folgenden: Richtlinie).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der VB Pénzügyi Lízing Zrt. (im Folgenden: VB Pénzügyi Lízing) und Herrn Schneider wegen eines Mahnbescheids.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestimmt:

„In den Fällen nach Artikel 267 AEUV obliegt es dem Gericht des Mitgliedstaats, das ein Verfahren aussetzt und den Gerichtshof anruft, diese Entscheidung dem Gerichtshof zu übermitteln. Der Kanzler des Gerichtshofs stellt diese Entscheidung den beteiligten Parteien, den Mitgliedstaaten und der Kommission zu und außerdem den Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, von denen die Handlung, deren Gültigkeit oder Auslegung streitig ist, ausgegangen ist.

Binnen zwei Monaten nach dieser Zustellung können die Parteien, die Mitgliedstaaten, die Kommission und gegebenenfalls die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, von denen die Handlung, deren Gültigkeit oder Auslegung streitig ist, ausgegangen ist, beim Gerichtshof Schriftsätze einreichen oder schriftliche Erklärungen abgeben.

…”

Rz. 4

Zweck der Richtlinie ist nach ihrem Art. 1 Abs. 1 „die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern”.

Rz. 5

Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn ...

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