Parallel zum Erbscheinsverfahren können potenzielle Erbprätendenten die erbrechtliche Situation durch Feststellungsklagen vor den Prozessgerichten klären lassen und dies bei bereits erteiltem Erbschein mit einer Klage auf Erbscheinsherausgabe verknüpfen. Diese Parallelität birgt eine Reihe vonRechtsfragen zum Verhältnis von Erbscheinsverfahren zu erbrechtsbezogenen Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit.

Generell lässt sich dieses Verhältnis so beschreiben, dass es nicht zu verkennende wechselseitige Interdependenzen gibt, wobei dem Verfahren vor dem Prozessgericht eine faktische Vorrangstellung gegenüber dem Verfahren vor dem Nachlassgericht zukommt. Diese Vorrangstellung ergibt sich nicht etwa daraus, dass das Verfahren vor dem Prozessgericht Sperrwirkung für das Verfahren vor dem Nachlassgericht erzeugen würde; eine solche wechselseitige Sperrwirkung gibt es gerade nicht. Auch hat das Prozessgericht selbstverständlich keine Weisungsbefugnisse gegenüber dem unabhängigen Nachlassgericht, das sich zudem nicht die Arbeit dadurch erleichtern darf, dass es die Beteiligten auf den Prozessrechtsweg verweist.[1]

Die faktische Vorrangstellung des Prätendentenstreits vor den Prozessgerichten folgt vielmehr daraus, dass Urteile vor den Prozessgerichten in materielle Rechtskraft erwachsen können, was bei Entscheidungen der Nachlassgerichte über die Erbscheinserteilung/-einziehung gerade nicht der Fall ist. Da an die materielle Rechtskraft eines Feststellungsurteils sämtliche Staatsorgane gebunden sind, entfaltet dieses auch für das Nachlassgericht Bindungswirkung.[2] Das führt dazu, dass ein zu einem zwischen den Beteiligten ergangenen materiell rechtskräftigen Urteil im Widerspruch stehender Erbschein einzuziehen ist und bei der Erbscheinserteilung ein zwischen den Prozessparteien eines Rechtsstreits ergangenes materiell rechtskräftiges Urteil als hinsichtlich der Erbrechtslage bindend zu Grunde zu legen ist.

[1] Vgl. zum Verhältnis zwischen Nachlassgericht und Prozessgericht die instruktive Entscheidung des LG Braunschweig, Beschluss v. 21.10.2021, 8 T 500/21 (298).
[2] Auch der Fiskus kann grundsätzlich in seinem Erbscheinsantrag auf einen in derselben Sache ergangenen Feststellungsbeschluss nach § 1964 BGB Bezug nehmen, muss darüber hinaus aber auch diejenigen für einen ordnungsgemäßen Erbscheinsantrag erforderlichen Angaben machen, die über den Inhalt des Feststellungsbeschlusses hinausgehen, vgl. OLG Braunschweig, Beschluss v. 18.12.2020, 3 W 28/20.

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