Das BGB beschränkt sich bei der Regelung des Erbscheins nicht auf dessen Definition und die Anordnung seiner materiell-rechtlichen Wirkungen. Vielmehr ist das Verfahren weitestgehend in der Vorschrift des § 2353 BGB normiert.

Auch wenn es sich bei dem Erbscheinsverfahren um ein Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, so greift es auf Normen des FamFG und allgemeine Grundsätze des Verfahrensrechts nur dann zurück, soweit sich keine Regelungen im BGB finden lassen. Das Nachlassverfahren ist im Übrigen im 4. Buch (§§ 342 ff. FamFG) geregelt.

12.1 Funktion des Erbscheins

Wenngleich ein Erbschein grundsätzlich kein Muss ist um sich als Erbe zu legitimieren, stellt er, da er als amtliches Zeugnis i. S. d. §§ 415 ff. ZPO, § 271 StGB über die Verfügungsberechtigung am Nachlass des Erblassers fungiert und über die Höhe des Erbteils Auskunft gibt (§ 2353 BGB), in der Praxis ein sicheres Beweismittel dafür dar, dass derjenige, der als Erbe auftritt, auch tatsächlich (Mit-)Erbe ist. Dieser Nachweis ist in vielen Fällen überhaupt erst Voraussetzung dafür, dass Rechtsgeschäfte mit Dritten über das ererbte Vermögen abgewickelt werden können. Denn nur in seltenen Fällen wird eine transmortale oder postmortale Vollmacht zur Abwicklung eines größeren Nachlasses genügen.[1] Selbst wenn entsprechende Bankvollmachten vorliegen und kein Grundbesitz im Nachlass vorhanden ist, sind Kapitalbeteiligungen (z. B. Kommanditanteile des Erblassers) nur nach Vorlage eines Erbscheins übertragbar oder veräußerbar. Die erbrechtliche Reichweite derartiger Vollmachten ist bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt.[2]

Ein Kreditinstitut wird in der Regel eine Verfügung über das Konto des Erblassers nur zulassen, wenn sichergestellt ist, dass der als Erbe Auftretende auch tatsächlich Erbe ist; ansonsten bleibt das Erblasserkonto "eingefroren". Gleiches gilt beim Grundbuchamt für die Bearbeitung eines Antrags auf (die gebührenrechtlich privilegierte) Grundbuchberichtigung, § 35 Abs. 1 GBO.

Mithin begründet der Erbschein eine doppelte, widerlegbare, positive sowie negative Rechtsvermutung, die in analoger Anwendung von § 292 ZPO zur Umkehr der Beweislast im Prozess führt. Deshalb kommt sie vor allem den im Erbschein benannten Erben im Hinblick auf rechtliche Auseinandersetzungen mit Dritten zugute.

Über die Rechtsvermutung hinaus bietet der Erbschein Dritten Schutz im Rechtsverkehr, da der Erbschein öffentlichen Glauben genießt, §§ 2366, 2367 BGB. Somit wird mit der Vermutungswirkung und der Gutglaubenswirkung sowohl Verkehrsschutz gewährt als auch der Vertrauensschutz konsequent gestärkt.

[1] Bejahend für Grundstücksgeschäfte bei Vorliegen einer transmortalen Vollmacht KG Berlin, Beschluss v. 2.3.2021, 1 W 1503/20, wenn Bevollmächtigter erklärt, Alleinerbe des Vollmachtgebers zu sein und kein Nachweis der Erbfolge nach § 35 Abs. 1 GBO vorgelegt wird; a. A. OLG Hamm, Beschluss v. 10.1.2013, I-15 W 79/12; OLG München, Beschluss v. 31.8.2016, 34 Wx 273/16.
[2] Zum Streitstand und zur Problematik siehe Plottek, ZErb 2021, 253 ff.

12.2 Erbscheinsarten

Das Gesetz selbst regelt mehrere Erbscheinsarten. Es unterscheidet zwischen dem Erbschein des Alleinerben (Alleinerbschein gemäß § 2353 Alt. 1 BGB) und dem Erbschein eines Miterben über sein Erbrecht (Teilerbschein gemäß § 2353 Alt. 2 BGB). Daneben gibt es besondere Arten von Erbscheinen.

12.2.1 Sonderformen von Erbscheinen

Der Teilerbschein wiederum ist von dem alle Mitglieder einer Erbengemeinschaft umfassenden gemeinschaftlichen Erbschein (§ 352a FamFG) zu unterscheiden. Dieser kann als Pendant zum Alleinerbschein des Alleinerben von jedem Miterben allein beantragt werden.

Die an und für sich verfahrensrechtliche Vorschrift des FamFG orientiert sich hinsichtlich des Begriffes der "Erbschaft" am materiellen Erbrecht des BGB. Mit Erlass des Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetzes (IntErbRVG) vom 29.6.2015 wurde Regelungen zum deutschen Erbschein, die an und für sich Verfahrensrecht betroffen haben, aus dem BGB gestrichen und ins FamFG übertragen. So konnten auch Doppelungen im BGB und FamFG vermieden werden.

Bei einer Erbengemeinschaft besteht die Möglichkeit, dass Miterben auch einen Erbschein beantragen können, der – als Mischung von Teil- und gemeinschaftlichem Erbschein – nur einen Teil der Miterben ausweist. Dieser von der Rechtspraxis entwickelte Erbschein wird als Gruppenerbschein bezeichnet.

Ferner ist in der Praxis anerkannt, dass Erbscheine über mehrere sukzessive Erbfolgen hinweg in einer Urkunde zusammengefasst werden können. Man spricht dann vom Sammelerbschein.

Über diese Erbscheinsarten hinaus hat die Rechtsprechung weitere Erbscheinsarten entwickelt. Zu nennen sind Mindestteilerbscheine, die bereits feststehenden Miterben erteilt werden können, wenn noch nicht abschließend feststeht, ob ein Miterbe hinzukommt oder wegfällt, z. B. bei einer noch nicht rechtskräftig beschiedenen Erbunwürdigkeitsklage gegen einen Miterben oder weil beispielsweise ein Nasciturus, für den kein Ersatzerbe eingesetzt ist, Miterbe ist, aber noch nicht feststeht, ob er den Erbfall erleben wir...

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