Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 13 S 938/97)

 

Tenor

Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. Januar 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

Die Beschwerde hat im Ergebnis mit der Rüge Erfolg, der Verwaltungsgerichtshof hätte das Vorbringen der Klägerin zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht mit der gegebenen Begründung übergehen dürfen. Darin liegt zwar keine Verletzung des Anspruchs auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) – das Berufungsgericht hat den Sachvortrag insoweit aus Gründen des formellen Rechts unbeachtet gelassen –, wohl aber ein Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurück.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Verwaltungsgericht habe über den Antrag zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bereits rechtskräftig zu Lasten der Klägerin entschieden, trifft nicht zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war der von der Klägerin in erster Instanz gestellte, offenkundig auf umfassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gerichtete Klageantrag (vgl. VG-Urteil S. 3) sachdienlich dahingehend auszulegen (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO), ihr für den Fall des Unterliegens mit ihrem Hauptantrag auf Gewährung von Asyl nach Art. 16 a GG und von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hilfsweise entweder Schutz vor drohender Abschiebung nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG durch teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung und Feststellung eines Abschiebungshindernisses oder – weiter hilfsweise – zumindest Abschiebungsschutz durch Verpflichtung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu einer Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren (vgl. Urteil des Senats vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 19.96 – BVerwGE 104, 260, 262 f. und ständig). Das Berufungsgericht hätte daher nach der unangefochten gebliebenen Ablehnung des Hauptantrags der Klägerin auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG im Falle der Ablehnung auch des in erster Instanz erfolgreichen ersten Hilfsantrags zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG über den auf die Berufung des Beteiligten in der Berufungsinstanz angefallenen weiteren Hilfsantrag zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entscheiden müssen. Dies würde sogar dann gelten, wenn der Verwaltungsgerichtshof die Berufung nicht – wie nach dem objektiven Erklärungsinhalt aber eindeutig – unbeschränkt zu § 53 AuslG, sondern lediglich beschränkt auf § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK zugelassen hätte; insoweit war das Berufungsgericht nämlich zu einer Einschränkung des Streitgegenstands nach der Rechtsprechung des Senats nicht befugt. Ein Hilfsantrag, über den die Vorinstanz nicht zu entscheiden brauchte (hier: zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG), weil sie dem vorrangig gestellten (Haupt- oder Hilfs-)Antrag (hier: nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG) entsprochen hat, fällt nämlich durch das Rechtsmittel des Beklagten oder des Beteiligten ebenfalls (und automatisch) in der Rechtsmittelinstanz an (vgl. das Urteil vom 15. April 1997 a.a.O. S. 263 zum Verhältnis zwischen Haupt- und Hilfsantrag sowie das Urteil des Senats vom 28. April 1998 – BVerwG 9 C 2.98 – ≪juris≫ zur Anwendung dieser Rechtsprechung auch auf Rechtsmittel des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten und zur stufenweisen Entscheidung über die beiden Hilfsanträge zu § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG und zu § 53 Abs. 6 AuslG). Dieser verfahrensrechtlichen Pflicht ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen. Insoweit ist seine Entscheidung wegen eines Verfahrensmangels aufzuheben und die Sache zur Nachholung einer Entscheidung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zurückzuverweisen. Eine Beschränkung der Zurückverweisung auf den Verpflichtungsantrag zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kommt hier ausnahmsweise gleichwohl nicht in Betracht, weil das Berufungsgericht zusätzlich verfahrensfehlerhaft das Begehren der Klägerin zu § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG auf eine nicht zulässige Teilprüfung eines einzelnen Rechtsgrundes – auf § 53 Abs. 4 i.V.m. Art. 8 EMRK – beschränkt und die nach seiner Auffassung an sich zusätzlich veranlaßte Prüfung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK rechtsirrtümlich unterlassen hat. Insoweit ist die Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht auf eine Teilzulassung der Revision beschränkt erhoben worden.

Der Senat bemerkt ferner, daß der Verwaltungsgerichtshof im übrigen unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles auch nicht befugt gewesen wäre, ohne erneute Anhörung nach § 130 a VwGO zu entscheiden. Zwar waren die Beweisanträge im Schriftsatz der Klägerin vom 28. Dezember 1999 nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich, doch hätte es hierauf durch eine erneute Anhörungsmitteilung hinweisen müssen, nachdem zumindest der Tenor des Beschlusses über die Zulassung der Berufung eine die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts stützende Beschränkung des Streitgegenstandes des Berufungsverfahrens eindeutig nicht enthalten hat und die Klägerin deshalb nicht mit einer sofortigen Entscheidung nach § 130 a VwGO trotz der gestellten Beweisanträge zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechnen mußte. Dagegen ist eine Gehörsverletzung im Hinblick auf die angebliche Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch den Bundesbeauftragten nicht schlüssig vorgetragen und im Ergebnis auch nicht ersichtlich. Gründe für eine Verwirkung der Rechtsmittelbefugnis des Bundesbeauftragten infolge der späten Nachholung der Berufungsbegründung sind weder vorgetragen noch ersichtlich, zumal der Berufungszulassungsbeschluß eine Rechtsmittelbelehrung nicht enthielt und die vom Berufungsgericht zitierten, die Rechtslage klarstellenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts erst Ende September 1998 ergangen sind (vgl. die Urteile vom 29. September 1998 – BVerwG 9 C 14.98 und BVerwG 9 C 15.98 – ≪juris≫).

Das Berufungsgericht wird nunmehr zunächst prüfen müssen, ob ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1, 2 oder 4 AuslG besteht; falls es dies aus allen nach Lage des Falles in Betracht kommenden Rechtsgründen wiederum verneint, muß es zusätzlich die Prüfung nachholen, ob die Klägerin Anspruch auf Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hat.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Hund, Richter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566966

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