Entscheidungsstichwort (Thema)

Arglistige Täuschung eines Beamtenbewerbers. Sechsmonatsfrist für Rücknahme der Ernennung

 

Leitsatz (amtlich)

Kenntnis von arglistiger Täuschung hat oberste Dienstbehörde, wenn sie alle objektiven und subjektiven Tat umstände kennt; nicht erforderlich, daß sie Verhalten des Bewerbers als “arglistig” im Rechts sinne qualifiziert (im Anschluß an bisherige Rechtsprechung).

 

Normenkette

BayBG Art. 15 Abs. 1 Nr. 1, Art. 17 S. 1 (= §§ 12 Abs. 1 Nr. 1, 13 Abs. 2 BBG)

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Beschluss vom 17.05.1979; Aktenzeichen 105 III 77)

VG München (Entscheidung vom 08.03.1977; Aktenzeichen M 446 V 75)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Mai 1979 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 28 600 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die allein auf den Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

Die Beschwerde macht geltend, der Berufungsbeschluß weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 1961 – BVerwG 6 O 120.59 – (BVerwGE 13, 156) ab und beruhe auf dieser Abweichung. Das Berufungsgericht habe nämlich angenommen, daß entgegen jenem Urteil der Beginn der Sechsmonatsfrist für die Rücknahme einer Ernennung eines Beamten wegen arglistiger Täuschung sich danach bestimme, wann die oberste Dienstbehörde “Kenntnis” von den Rücknahmevoraussetzungen hatte; demgegenüber fordere das Bundesverwaltungsgericht “sichere Kenntnis”.

Dieses Vorbringen kann schon deshalb nicht zur Revisionszulassung wegen Divergenz führen, weil der Berufungsbeschluß in Auslegung und Anwendung eines anderen Gesetzes, nämlich des Art. 15 des Bayerischen Beamtengesetzes, ergangen ist als das vorbezeichnete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das auf der Auslegung und Anwendung von § 11 des Berliner Landesbeamtengesetzes beruht. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kann nur dann vorliegen, wenn die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts von der des Bundesverwaltungsgerichts in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abweicht (BVerwG, Beschluß vom 18. August 1967 – BVerwG 2 B 42.67 – mit weiteren Hinweisen; ebenso zu § 127 Nr. 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes [Fassung 1965] Beschluß vom 30. August 1967 – BVerwG 2 B 33.66 – mit Hinweis auf den Beschluß vom 7. März 1960 – BVerwG 8 B 5.60 – [NJW 1960, 979] und auf den Beschluß vom 10. April 1963 – BVerwG 8 B 16.62 – [BVerwGE 16, 53 ff.]). Nach der letztgenannten Entscheidung ist die Revision sogar dann nicht zuzulassen, wenn das Berufungsurteil auf der Anwendung einer in mehreren Gesetzen wörtlich wiederkehrenden Vorschrift beruht, die abweichende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aber zu einem anderen Gesetz ergangen ist als das Berufungsurteil.

Das Beschwerdevorbringen könnte aber auch dann nicht zur Revisionszulassung führen, wenn der Berufungsbeschluß in Anwendung derselben Rechtsvorschrift ergangen wäre wie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 1961. Das Berufungsgericht hat nämlich nicht verkannt, daß es nach dem vorbezeichneten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für die Berechnung der – bei der Rücknahme einer Beamtenernennung wegen arglistiger Täuschung einzuhaltenden – Sechsmonatsfrist auf die sichere Kenntnis der obersten Dienstbehörde von allen objektiven und subjektiven Tatumständen einer arglistigen Täuschung ankommt. Daß das Berufungsgericht von dieser inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sei und angenommen habe, der Lauf der Frist habe schon zu einem früheren Zeitpunkt begonnen, kann entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht daraus geschlossen werden, daß der angefochtene Beschluß nur von “Kenntnis” und nicht von “sicherer Kenntnis” (auch) der subjektiven Tatumstände spricht. Das ist der Sache nach dasselbe. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 8. November 1961 “sichere” Kenntnis – der Gesetzeswortlaut enthält dieses Adjektiv nicht – nur gefordert, um eindeutig klarzustellen, daß die Rücknahmefrist weder bereits “durch Vermutungen oder Verdächtigungen noch durch die Kenntnis der objektiven Tatumstände allein” in Lauf gesetzt wird, sondern daß (sichere) Kenntnis aller Voraussetzungen für die Rücknahmeerklärung zu fordern ist, insbesondere also auch von der Arglist der Täuschungshandlung (a.a.O. S. 161).

Diese – sichere – Kenntnis hat das Berufungsgericht festgestellt. Der Beschwerde ist lediglich einzuräumen, daß die Darlegungen im erst instanzlichen Urteil insofern nicht unbedenklich erscheinen, als das Verwaltungsgericht diese Feststellung getroffen hat, obwohl es offengelassen hatte, “ob der Kläger seine Ernennung … durch eine arglistige Täuschung herbeigeführt hat”.

Anscheinend ist die Beschwerde der Auffassung, zur sicheren Kenntnis der Arglist des Bewerbers sei erforderlich, daß die oberste Dienstbehörde das Verhalten des Bewerbers unter das Tatbestandsmerkmal der Arglist im Rechts – sinne subsumiere und daß sie an der Richtigkeit dieser Rechts auffassung keinerlei Zweifel mehr habe. Das wird indessen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und insbesondere in dem Urteil vom 8. November 1961 nicht gefordert. Erforderlich ist vielmehr nur die sichere Kenntnis (auch) der subjektiven Tat umstände. Eine Täuschung ist arglistig, “wenn dem Bewerber die Bedeutung der verschwiegenen Tatsache für die Entscheidung, ob seine Übernahme in das Beamtenverhältnis erfolgen soll – sei es auch nur bedingt (dolus eventualis) –, bewußt gewesen ist” (a.a.O. S. 158). Die Feststellung, daß die Beklagte insoweit keine Zweifel gehabt habe, hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf das Gutachten der Universitätsnervenklinik Erlangen vom 15. März 1974 nach dem Sinnzusammenhang seiner Darlegungen eindeutig getroffen; an diese Feststellung wäre das Revisionsgericht in dem erstrebten Revisionsverfahren nach Maßgabe des § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

Wenn die Beklagte Zweifel hatte, ob das hiernach von ihr – auch in subjektiver Hinsicht – eindeutig erkannte Fehlverhalten des Klägers im Rechtssinne als “arglistig” zu subsumieren sei, so ist das für den Beginn der Rücknahmefrist somit unerheblich; es war ihr unbenommen, hierzu eine fachjuristische Auskunft einzuholen. Schon deshalb konnte es für den Beginn dieser Frist auch nicht von Bedeutung sein, daß ein Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach zur rechtlichen Beurteilung eines Verhaltens des Klägers – zudem in einem eine andere Bewerbung des Klägers betreffenden Verfahren – noch ausstand und erst am 23. April 1974 erging. Diesen Umstand konnte das Berufungsgericht daher für nicht entscheidungserheblich erachten, ohne sich dem Vorwurf der von der Beschwerde angenommenen Divergenz auszusetzen. Zwar ist es in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 1961 als sachgerecht und durch die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht geboten erachtet worden, daß die oberste Dienstbehörde in dem jener Entscheidung zugrundeliegenden Fall den (rechtskräftigen!) Abschluß eines Strafverfahrens abwartete. Im vorliegenden Fall beruft sich die Beklagte mit ihrem Hinweis auf die vor dem Verwaltungsgericht Ansbach anhängig gewesene Klage des Klägers gegen den Markt Heroldsberg aber nicht auf ein denselben Sachverhalt betreffendes Gerichtsverfahren und schon deshalb nicht auf die Erwartung weiterer Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht.

Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Der Streitwert ist gemäß § 13 Abs. 1 GKG festgesetzt. Nach ständiger Praxis der mit dem Recht des öffentlichen Dienstes befaßten Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts wird bei Statusklagen der – geschätzte – Jahresbetrag des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe des Beamten (A 10) zugrunde gelegt.

 

Unterschriften

Niedermaier, Dr. Idel, Dr. Lemhöfer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2936010

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