Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 1 S 2239/99)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. Juli 2000 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Beschwerde erachtet es als eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen Fotoaufnahmen polizeilich beschlagnahmt werden dürfen, bevor diese veröffentlicht werden können. Nach Ansicht der Beschwerde müsse geklärt werden, dass und welche konkreten Anhaltspunkte gerade für denjenigen bestehen müssten, der die Beschlagnahme ausspreche. Es müsse klargestellt werden, dass es nicht genüge, auf allgemeine Lebenserfahrungen mit bestimmten Bereichen der Boulevardpresse zu verweisen.

Die von der Beschwerde behauptete rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwGE 13, 90, 91 f.).

a) Das Berufungsgericht sieht die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage der zu überprüfenden polizeilichen Beschlagnahmeanordnung in § 2 Abs. 2 baden-württembergisches Polizeigesetz (– PolG BW – i.d.F. vom 13. Januar 1992, GBl S. 1, ber. S. 596, Berichtigung GBl 1993 S. 155) i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW. Diese Vorschriften gehören dem irrevisiblen Landesrecht an (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Insoweit können sich Fragen, die in dem erstrebten Revisionsverfahren zu klären wären, nicht stellen (vgl. § 173 VwGO, § 562 ZPO).

b) Dagegen gehören dem revisiblen Recht die von der Beschwerde angeführten grundrechtlichen Bestimmungen und § 22 Satz 1 KunstUrhG an. Dazu trägt die Beschwerde jedoch keine klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfragen vor.

Dass die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG einerseits und das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen andererseits in einen Konflikt geraten können und dieser im Sinne praktischer Konkordanz auszugleichen ist, hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt näher dargelegt (s. BVerfGE 35, 202, 225 f.; 101, 361, 388 ff.; vgl. auch BVerfGE 99, 185, 196 ff.). Das Gericht hat sich insoweit auch gerade auf die Vorschrift des § 22 KunstUrhG bezogen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt, dass sich die von der Beschwerde gestellte Frage, unter welchen Voraussetzungen Fotoaufnahmen polizeilich beschlagnahmt werden dürfen, bevor diese veröffentlicht werden können, nicht allgemein gültig entscheiden lässt (vgl. etwa BVerfGE 99, 185, 196). Um bei einer derartigen Rechtslage eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zulässig zu erheben, hätte es in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Darlegung bedurft, ob und in welcher Hinsicht eine – ggf. typisierende – Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung anlässlich des vorliegenden Falls möglich und geboten ist. Dahingehende Darlegungen enthält die Beschwerde nicht.

Auch hinsichtlich § 22 Satz 1 KunstUrhG wirft die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen auf. Das Berufungsgericht bezweifelt nicht, dass § 22 Satz 1 KunstUrhG nur das Verbreiten, nicht aber das Anfertigen von Abbildungen betrifft. Es hat allerdings angenommen, für den die Beschlagnahme aussprechenden Beamten hätten konkrete Anhaltspunkte bestanden, dass mit einem Verbreiten der oder einzelner Lichtbilder zu rechnen gewesen sei. Dass das Verbreiten strafbar sein kann, folgt aus § 33 KunstUrhG. Der Sache nach rügt die Beschwerde auch nur, dass das Berufungsgericht die von ihm angenommenen konkreten Anhaltspunkte für ein zu erwartendes Verbreiten des Bildmaterials unzutreffend beurteilt habe. Soweit die Beschwerde damit als Rechtsfrage die nach baden-württembergischem Polizeirecht erforderlichen Anforderungen an die Prognose zur Beurteilung der unmittelbar bevorstehenden Störung für klärungsbedürftig ansehen will, behandelt sie wiederum eine Frage des irrevisiblen Landesrechts. Soweit sie damit rügen will, dass das Berufungsgericht eine Auslegung des Landesrechts im Lichte der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG versäumt habe, hätte es der Darlegung bedurft, dass die damit gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführte bundesrechtliche Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. Juli 1995 – BVerwG 6 NB 1.95 – NVwZ 1997, 61, 63 f. = AfP 1995, 700, 703 m.w.N.). Eine solche Darlegung fehlt. Im Übrigen greift die Beschwerde lediglich die tatrichterliche Würdigung der Umstände des Einzelfalles an. Dies vermag die rechtsgrundsätzliche Bedeutung indes nicht zu begründen.

2. Die Beschwerde macht als Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO geltend, das Urteil des Berufungsgerichts weiche von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 12, 205, 260 ff. ab. Diese Rüge ist unzulässig.

Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur gegeben, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechtssatz mit einem widersprechenden Rechtssatz abgerückt ist. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in dieser Hinsicht, dass die sich widersprechenden Rechtssätze angegeben werden (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 = DÖV 1998, 117). Dem genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Unterlässt es das Berufungsgericht, einen vom Bundesverfassungsgericht für einen bestimmten Regelungsbereich aufgestellten Rechtssatz in einem anderen Regelungszusammenhang fruchtbar zu machen, so ist dies nicht mit einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gleichzusetzen. Die Entscheidung BVerfGE 12, 205 ≪Deutschland-Fernsehen≫ behandelt offensichtlich keine Fragen der polizeilichen Beschlagnahme von Fotografien eines Pressefotografen. Dasselbe gilt für die ergänzend angeführte Entscheidung BVerfGE 7, 198 ≪Lüth-Urteil≫.

3. Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler sind nicht gegeben.

a) Die Beschwerde meint, die vom Berufungsgericht gegebene Begründungen seien nicht ausreichend und insbesondere nicht hinreichend konkret. Damit greift die Beschwerde der Sache nach die tatrichterliche Überzeugungsbildung an (§ 108 Abs. 1 VwGO). Dem Vorbringen ist jedoch nicht zu entnehmen, welche Rechtsregeln das Berufungsgericht missachtet haben soll. Für das Berufungsgericht war jedenfalls nicht entscheidend, ob es selbst das Bestehen einer konkreten Gefahr annahm. Es hat vielmehr in Auslegung des § 33 PolG BW für maßgebend gehalten, ob der die Beschlagnahme anordnende Beamte im Zeitpunkt der Beschlagnahme den Eintritt einer Störung als hinreichend gewiss ansehen und ob diese Annahme nach einem Gespräch mit dem Redaktionsleiter aufrechterhalten werden durfte (Urteilsabdruck S. 6/7 und S. 14/15). Damit hat das Berufungsgericht auf der Grundlage des materiellen Rechts eine tatrichterliche Beurteilung vorgenommen. Die Ausführungen der Beschwerde stellen sich insoweit lediglich als Angriff auf die sachliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar, indem der Tatsachenwürdigung des Berufungsgerichts eine eigene, davon abweichende Würdigung entgegengesetzt wird. Damit kann jedoch ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht dargetan werden.

b) Ebenso wenig führt die Rüge zur Zulassung der Revision, das Berufungsgericht habe den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) dadurch verletzt, dass es seiner Entscheidung Angaben des Deutschen Presserates sowie eine bestimmte Abhandlung (Martina Minzberg, BILD-Zeitung und Persönlichkeitsschutz, Vor Gericht und Presserat: Eine Bestandsaufnahme mit neuen Fällen aus den 90er-Jahren, 1999) zugrunde gelegt habe, ohne diese in das Verfahren eingeführt zu haben. Es kann nämlich ausgeschlossen werden, dass das Berufungsurteil auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht, so dass die gesetzliche Vermutung des § 138 Nr. 3 VwGO nicht eingreift (vgl. Urteil vom 20. November 1995 – BVerwG 4 C 10.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23 = NVwZ 1996, 378 m.w.N.).

Das Berufungsgericht hält die Beschlagnahme wegen der Gefahr der rechtswidrigen Verbreitung der fotografischen Aufnahmen für gerechtfertigt und begründet dies u.a. damit, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen gewesen sei, eine auf Aktualität ausgerichtete Boulevardzeitung wie die BILD-Zeitung werde über den Aufsehen erregenden Kriminalfall bereits am nächsten Tag mit entsprechender Aufmachung berichten (Urteilsabdruck S. 13). Diese Begründung steht in keinem Zusammenhang mit Angaben des Deutschen Presserates und der genannten Abhandlung und zur Frage, inwieweit sich die BILD-Zeitung in Bezug auf den Persönlichkeitsschutz „sensibel” verhält. Die Beschwerde hat auch keinen rechtlichen Gesichtspunkt aufgezeigt, unter dem ein derartiger Zusammenhang hergestellt werden könnte.

Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme für gerechtfertigt erachtet hat (Urteilsabdruck S. 14 f.). Das Berufungsgericht würdigt insoweit das Gespräch zwischen dem zuständigen Beamten und der Redaktion der BILD-Zeitung und leitet daraus ab, dass die Gefahr einer rechtswidrigen Verbreitung der Fotoaufnahmen bestanden habe. Es stellt der zu unterstellenden Rechtstreue des Redaktionsleiters dessen „abweisendes und unkooperatives” Verhalten sowie die allgemeine Erfahrung entgegen, dass es im Bereich der Boulevardpresse immer wieder zu unzulässigen Berichterstattungen komme, die für die Betroffenen schwerste und in vielen Fällen irreversible Folgeschäden verursachten. Unabhängig von der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob diese Erwägungen in der Sache zu billigen sind, weist auch diese Begründung keinen Zusammenhang zu den später erwähnten Angaben des Deutschen Presserates und der genannten Abhandlung auf. Die Beschwerde enthält insoweit lediglich den Hinweis, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruhe offensichtlich auf diesen Angaben, ohne im Einzelnen auf die Begründung des Berufungsurteils einzugehen.

Das Berufungsgericht ergänzt seine Ausführungen allerdings durch die von der Beschwerde angegriffenen Erwägungen, wonach der verantwortliche Beamte habe davon ausgehen dürfen, dass die BILD-Zeitung nicht zu den Presseorganen gehöre, die einer hochsensiblen Situation für den Persönlichkeitsschutz, wie sie hier bestanden habe, stets mit der gebotenen Rücksichtnahme begegne; diese Einschätzung werde durch die Angaben des Deutschen Presserates und die Abhandlung von Minzberg bestätigt. Die von der Beschwerde angeführten Erwägungen zur Einschätzung des Deutschen Presserats und der genannten Abhandlung tragen die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Sie dienen ausdrücklich nur der Bestätigung des aus anderen Gründen getroffenen Urteils. Sie stehen nicht in dem maßgeblichen auf die Verhältnisse im Bereich der Boulevardpresse im Allgemeinen abstellenden Begründungszusammenhang des Berufungsurteils und lassen sich daher ohne weiteres wegdenken, ohne dass sich am Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung etwas ändern würde. Daher ist es nach jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der gerügte Verfahrensmangel auf das Berufungsurteil von Einfluss gewesen sein könnte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 i.V.m. § 159 Satz 1 VwGO, § 100 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO.

 

Unterschriften

Bardenhewer, Hahn, Eckertz-Höfer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI642538

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