Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Verpflichtung des Gerichts aus Art. 103 Abs. 1 GG zum Rechtsgespräch oder zur Andeutung der Rechtsauffassung bzgl. der Beteilgten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht weder zu einem Rechtsgespräch noch dazu, seine Rechtsauffassung den Beteiligten vorher anzudeuten oder seine mögliche spätere Beweiswürdigung mitzuteilen.

2. Die fehlende sachliche Begründung der Revisionsentscheidung gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG ist nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden, denn dem Grundgesetz läßt sich nicht entnehmen, daß jede, auch eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung mit einer Begründung versehen sein müßte.

3. Auch wenn der Steuertatbestand grundsätzlich nach den Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimmt wird, braucht das Steuerrecht nicht durchgängig an die bürgerliche Rechtsordnung anzuknüpfen. Privat- und Steuerrecht sind lediglich dort tiefgreifend verbunden, wo das Steuerrecht nicht nur an die gegebenen Lebensverhältnisse und damit auch ihre zivilrechtliche Ordnung anknüpft, sondern den Steuergegenstand prinzipiell nach Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimmt. Selbst eine solche qualifizierte Verbindung schließt eine steuerrechtliche Abweichung von der zivilrechtlichen Gestaltung nicht aus, wenn sie von überzeugenden Gründen getragen ist.

4. Daß das Entgelt für die Bestellung eines zeitlich begrenzten Nießbrauchs an einer Eigentumswohnung als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu versteuern ist, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; EStG § 21 Abs. 1 Nr. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 7

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 04.06.1986; Aktenzeichen IX R 131/83)

FG München (Entscheidung vom 01.07.1983; Aktenzeichen II 97/80-E)

 

Gründe

1. Das Verfahren des Bundesfinanzhofs begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht weder zu einem Rechtsgespräch (BVerfGE 31, 364 ≪370≫) noch dazu, seine Rechtsauffassung den Beteiligten vorher anzudeuten oder seine mögliche spätere Beweiswürdigung mitzuteilen (Nichtannahmebeschluß vom 17. Januar 1979 – 2 BvR 1055/78 –; HFR 1979, S. 160).

b) Die fehlende sachliche Begründung der Revisionsentscheidung gemäß Art 1 Nr. 7 BFHEntlG ist ebenfalls nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden. Dem Grundgesetz läßt sich nicht entnehmen, daß jede, auch eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung mit einer Begründung versehen sein müßte (vgl. BVerfGE 50, 287 ≪290≫; 65, 293 ≪295≫).

2. Soweit das Finanzgericht im Ausgangsverfahren in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 27. Juni 1978 – VIII R 54/74 –; BStBl. II 1979 S. 332 f.) entschieden hat, daß die Beschwerdeführer das Entgelt für die Bestellung eines zeitlich begrenzten Nießbrauchs an einer Eigentumswohnung als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu versteuern haben, begegnet weder die Auslegungsmethode noch das Auslegungsergebnis verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht erstreckt sich nicht darauf, ob diese Auslegung des Einkommensteuergesetzes nach einfachem Recht richtig ist; sie muß sich vielmehr darauf beschränken, ob die dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Auslegung gegen Verfassungsrecht verstößt, ob also Auslegungsmethode und -ergebnis eines der geltend gemachten Grundrechte verletzen oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung dieser Grundrechte beruhen. Ob daneben vom einfachen Recht her eine andere Auslegung möglich ist, kann vom Bundesverfassungsgericht nicht geprüft werden (vgl. BVerfGE 26, 327 ≪334≫).

b) Prüfungsmaßstab ist nicht Art. 14 Abs. 1 GG. Die Auferlegung von Geldleistungspflichten berührt den Schutzbereich dieser Norm grundsätzlich nicht; denn Art. 14 Abs. 1 GG schützt nur vermögenswerte Rechte, nicht das Vermögen selbst (seit BVerfGE 4, 7 ≪17 ff.≫ st.Rspr.). Ein ausnahmsweise an Art. 14 Abs. 1 GG zu messender Fall einer übermäßigen, die Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführer grundlegend beeinträchtigenden Besteuerung (BVerfGE 63, 312 ≪327≫ und 343 ≪;G8≫) liegt offensichtlich nicht vor.

c) Das Finanzgericht ist zu seinem Auslegungsergebnis in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Anwendung herkömmlicher und verfassungsrechtlich unbedenklicher Auslegungsmethoden gelangt (vgl. BVerfGE 11, 126 ≪130≫). Die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) und an die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG wird durch die Auslegung des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht verletzt. Auch wenn der Steuertatbestand grundsätzlich nach den Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimmt wird, braucht das Steuerrecht nicht durchgängig an die bürgerliche Rechtsordnung anzuknüpfen. Privat- und Steuerrecht sind lediglich dort tiefgreifend verbunden, wo das Steuerrecht nicht nur an die gegebenen Lebensverhältnisse und damit auch ihre zivilrechtliche Ordnung anknüpft, sondern den Steuergegenstand prinzipiell nach Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimmt. Selbst eine solche qualifizierte Verbindung schließt eine steuerrechtliche Abweichung von der zivilrechtlichen Gestaltung nicht aus, wenn sie von überzeugenden Gründen getragen ist (vgl. BVerfGE 13, 331 ≪339 f.≫; 18, 224 ≪233≫; 29, 104 ≪117≫).

In ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH, BStBl. III 1963 S. 564; m.w.N.) und nach ganz herrschender Meinung sind die Begriffe „Vermietung und Verpachtung” in § 21 EStG nicht in dem Maße an die Begriffe „Miete und Pacht” des bürgerlichen Rechts gebunden, daß sie nur auf die diesen bürgerlichrechtlichen Begriffen entsprechenden Rechtsverhältnisse zuträfen (vgl. Schmidt, EStG, 5. Aufl., § 21 Anmerkung 1 a, m.w.N.).

3. Die weitere Rüge, Art. 3 Abs. 1 GG sei deshalb verletzt, weil keine Übergangsregelung erlassen worden sei, ist bereits nicht hinreichend substantiiert (§ 92 BVerfGG). Die Beschwerdeführer machen zwar ganz allgemein geltend, dies sei in weniger weitreichenden und überraschenden Fällen einer geänderten Rechtsprechung zum Nießbrauch geschehen. Die Beschwerdeführer haben es allerdings unterlassen darzutun, um welche konkreten Vergleichsfälle es sich handelt und aus welchen besonderen Gründen der Erlaß einer Übergangsregelung für die steuerliche Behandlung des noch vor Ergehen der Rechtsprechungsänderung vereinbarten entgeltlichen Nießbrauchs willkürlich unterblieben sein soll.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1560991

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