Beteiligte

… Kläger und Revisionsbeklagter

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin 31, Ruhrstraße 2, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Streitig ist die Rückforderung von 12.777,40 DM.

Dem im Januar 1917 geborenen, am 31. Januar 1979 aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Kläger gewährte der Rheinische Gemeindeunfallversicherungsverband (RhGUV) wegen eines Arbeitsunfalls ab 6. Dezember 1977 zunächst Übergangsgeld und - nach Vorschußzahlungen im Oktober 1979 und April 1980 in Höhe von 13.000,-- DM - mit Bescheid vom 18. Juni 1980 (Dauer-)Verletztenrente in Höhe von 70 v.H. der Vollrente ab 7. August 1979 (zuletzt ab April 1982: 1.246,30 DM). Im Antrag auf vorzeitiges Altersruhegeld (ARG) für Schwerbehinderte (§ 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG) vom 29. Januar 1979 gab der Kläger an, Übergangsgeld beziehe er nicht, Un-fallrente sei nicht beantragt worden. Mit Bescheid 1) vom 14. August 1979 bewilligte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ab 1. Februar 1979 monatliche Zahlungen von 1.894,10 DM und führte aus, sie erkenne den Anspruch auf ARG mit Rentenbeginn am 1. Februar 1979 an, die Höhe der Rente ergebe sich aus den beiliegenden Berechnungen. Sodann heißt es in der als Bestandteil des Bescheides bezeichneten Anlage 6: "Bis zur Entscheidung über die Zeit vom 6. Dezember 1977 bis zum 31. Januar 1979 wird die Leistung als jederzeit widerruflicher Vorschuß auf die künftige Rente gewährt. Der Vorschuß ist auf die endgültige Leistung anzurechnen, soweit er diese übersteigt, ist er von Ihnen zu erstatten (I § 42 SGB) ..."

Nachdem die BfA auf mehrfache Anfragen beim RhGUV im Juni 1980 von der Verletztenrente, in August 1980 von dem Übergangsgeld und im Juni 1981 von den Vorschußleistungen auf die Verletztenrente erfahren hatte, bewilligte sie mit dem streitigen Bescheid 2) vom 20. November 1981, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 23. September 1982, ARG ab 1. Februar 1979, berücksichtigte ab Rentenbeginn die Zeit vom 6. Dezember 1977 bis zum 31. Januar 1979 als rentensteigernde Pflichtbeitragszeit, ab 1. November 1979 aber auch das anteilige Ruhen des ARG nach § 55 AVG wegen des Zusammentreffens mit der Verletztenrente, und stellte deswegen den Rentenzahlbetrag ab November 1979 niedriger als im Bescheid 1), zuletzt ab Januar 1981 auf nur 1.321,90 DM fest. In der als Bestandteil des Bescheides bezeichneten Anlage 6 führte sie aus, die Mitteilungen über den Vorschuß würden aufgehoben. Bei der endgültigen Berechnung sei für die Zeit vom 1. Februar 1979 bis zum 30. November 1981 eine Überzahlung von 12.777,40 DM eingetreten. Der die endgültige Leistung insoweit übersteigende Vorschuß sei vom Kläger zu erstatten.

Auf die Klage, mit der - wie der Kläger ausgeführt hat - nicht in Zweifel gezogen werden sollte, daß die Überzahlung in der genannten Höhe tatsächlich entstanden ist, hat das Sozialgericht (SG) Köln die streitige Verwaltungsentscheidung antragsgemäß "insoweit aufgehoben, als darin eine Rückforderung über 12.777,40 DM enthalten ist" (Urteil von 30. November 1983), weil die Beklagte den Bescheid 1) nach § 45 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 10) nur innerhalb eines Jahres ab der im Juni 1980 erlangten Kenntnis von der Zahlung der Verletztenrente, habe aufheben dürfen. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 27. Mai 1987 als unzulässig verworfen, soweit "die Höhe der Rente für den Zeitraum vom 1. November 1979 bis zum 30. November 1931 streitig ist". Im übrigen - "hinsichtlich des Rückforderungsanspruches" - hat es die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Beklagte habe durch den streitigen Bescheid 2) nicht isoliert eine Rückforderung geltend gemacht, sondern auch den Bescheid 1) aufgehoben und das ARG auch rückwirkend - und nur insoweit vom Kläger angefochten - für Zeiten vor dem 1. Dezember 1981 niedriger festgesetzt. Deshalb seien zwei prozessuale Ansprüche erhoben und vom SG beschieden worden, bei denen die Statthaftigkeit der Berufung jeweils gesondert zu prüfen sei. Soweit um die Höhe der Rente vor dem 1. Dezember 1981 gestritten werde, sei die Berufung, da nur abgelaufene Zeiträume betreffend, nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unstatthaft. Im übrigen sei sie nach § 149 SGG zwar zulässig, aber unbegründet, weil das SG die Rechtmäßigkeit der rückwirkenden Rentenneufeststellung rechtskräftig verneint habe.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 146, 149 SGG und des § 42 Abs. 2 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 1). Sie meint, bei Rechtsstreitigkeiten um die Erstattung von Vorschüssen nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 richte sich die Zulässigkeit der Berufung allein nach § 149 SGG, weil keine "Rente" i.S. von § 146 SGG betroffen sei (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG - SozR 1200 § 42 Nr. 2). Die analoge Anwendung des § 146 SGG sei ausgeschlossen (Hinweis auf BSG SozR 1500 § 146 Nr. 16). Durch die Vorschußgewährung sei hinsichtlich der Höhe der zustehenden Rentenleistung keine Bindung eingetreten. Die Rücknahme- und Er-stattungsvorschriften der §§ 45, 48, 50 SGB 10 seien weder direkt noch analog anwendbar, da § 42 Abs. 2 und 3 SGB 1 eine eigenständige und abschließende Regelung enthalte. Der Kläger habe aus der Anlage 6 des Bescheides 1) gewußt daß es sich um eine Vorschußleistung gehandelt habe. Außerdem habe er die Beantragung der Unfallrente pflichtwidrig nicht angegeben.

Die Beklagte beantragt,unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 30. November 1983 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1987 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, der Bescheid 1) habe nicht nur die Gewährung eines Vorschusses enthalten, sondern den Anspruch auf Altersruhegeld für die Zeit ab 1. Februar 1979 ausdrücklich anerkannt und damit eine endgültige Entscheidung getroffen. Der in der Anlage 6 zu diesem Bescheid enthaltene Vorbehalt habe sich erkennbar nur darauf beziehen können, daß sich bei Klärung des Zeitraums vom 6. Dezember 1977 bis zum 31. Januar 1979 eine Änderung in der Rentenhöhe ergeben könne. Ein objektiver Empfänger habe den Bescheid insgesamt nicht als Vorschußbescheid einordnen können. Eine Aufhebung des Bescheides 1) habe nur nach § 48 SGB 10 erfolgen dürfen. Insoweit habe aber das SG rechtskräftig entschieden. Er habe immer eindeutig begehrt, daß die Beklagte für den streitigen Zeitraum vor Dezember 1981 die Rente nicht anderweitig habe neu festsetzen dürfen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat ihr Vorschüsse in Höhe von 12.777,40 DM zu erstatten.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 30. November 1983 war uneingeschränkt statthaft (§ 143 SGG), da Berufungsausschlußgründe nicht vorliegen.

Im Ergebnis zutreffend hat das LSG verneint, daß das Rechtsmittel nach § 149 SGG ausgeschlossen war. Danach ist die Berufung u.a. nicht zulässig bei Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Leistungen, wenn der Beschwerdewert 1.000,-- DM nicht übersteigt. Die Beteiligten streiten indessen um die Erstattung von (s.u.: Vorschuß-)Leistungen in Höhe von 12.777,40 DM. Schon deswegen bedarf keiner Erörterung, ob ein Streit um die Rückforderung von Vorschüssen (§ 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1) überhaupt eine Streitigkeit wegen Rückerstattung von "Leistungen" i.S. von § 149 SGG ist, obwohl die Vorschüsse und deren Erstattung rechtlich eigenständig und abweichend von den für Sozialleistungen (§ 11 Satz 1 SGB 1) geltenden Bestimmungen ausgestaltet worden sind (BSG SozR 1200 § 42 Nrn. 2, 3; zum Leistungsbegriff in § 149 SGG und zur Frage der entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift BSG SozR 1500 § 149 Nr. 12 S. 16; Nr. 11 S. 12 f, 14 m.w.N.).

Hingegen rügt die Beklagte zulässig und begründet (§§ 162, 164 Abs. 2 Satz 3 SGG), das LSG habe § 146 SGG verletzt, indem es die Berufung verfahrensfehlerhaft als unzulässig verworfen habe, "soweit zwischen den Beteiligten die Höhe der Rente für den Zeitraum vom 1. November 1979 bis zum 30. November 1981 streitig ist".

Nach § 146 Regelung 3 SGG ist in Angelegenheiten der Rentenversicherung die Berufung nicht zulässig, soweit sie "nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft". Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß Streitigkeiten, die sich aus der Gewährung von Vorschüssen auf Renten der Angestelltenversicherung ergeben, "Angelegenheiten der Rentenversicherung" i.S. von § 146 SGG sind. Nach dieser Vorschrift wäre die Berufung der Beklagten gegen das Urteil erster Instanz aber nur dann ausgeschlossen gewesen, wenn das SG außer über den Angriff des Klägers gegen die im Bescheid 2) der Beklagten verfügte Rückerstattung der (Vorschuß-)Leistungen über einen weiteren prozessualen Anspruch entschieden hätte, der "nur" auf Rente (§ 22 AVG) und zudem auf Rente nur für Zeiten gerichtet gewesen wäre, die vor der Berufungseinlegung abgelaufen sind (vgl. BSG SozR 1500 § 146 Nrn. 20, 12, 5). Einen - derart begrenzten - Rentenanspruch hat der Kläger entgegen der Ansicht der Vorinstanz jedoch nicht - zusätzlich - erhoben. Soweit er Aufhebung der Rückforderung mit der Begründung verlangt, aufgrund des (Vorschuß-)Bescheides 1) bestehe ein Recht, den - unbestritten überzahlten - Betrag behalten zu dürfen, ist das kein von dem Begehren auf Aufhebung des Rückforderungsbescheides unabhängiger weiterer prozessualer Anspruch, sondern nur die den Rückerstattungsanspruch der Beklagten negierende Rechtsverteidigung des Klägers.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts folgt nichts anderes daraus, daß der Kläger die Ansicht geäußert hat, die Beklagte habe im streitigen Bescheid 2) den Rentenzahlbetrag für die Zeit bis zum 30. November 1981 nicht anders als den im (Vorschuß-)Bescheid 1) bewilligten Zahlbetrag festsetzen dürfen, weil bereits damals - vorbehaltlich der noch ungeklärten Versicherungszeit vom 6. Dezember 1977 bis zum 31. Januar 1979 - die Rente endgültig bewilligt und auch in Zahlbetrag bindend festgestellt worden sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob er damit geltend machen will, durch den (Vorschuß-)Bescheid 1) sei ihm für die Zeit bis zum 30. November 1981 ein Anspruch auf eine höhere als die - wie er zugleich nicht bezweifelt - im streitigen Bescheid 2) zutreffend festgestellte Rente zuerkannt worden mit der sich dann aus der Rechtsprechung des BSG (SozR 1500 § 146 Nr. 19 S. 42 m.w.N.) ergebenden Folge, daß der Streit um diesen durch Verwaltungsakt (vermeintlich) begründeten "Rentenanspruch" nach § 146 Regelung 2 SGG nicht berufungsfähig wäre. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung jedoch nur dann ausgeschlossen, wenn sie wirklich, d.h. nach der wahren Rechtsnatur des Streitgegenstandes, nicht lediglich nach der Rechtsansicht des Klägers, "nur die Rente" für einen abgelaufenen Zeitraum betrifft. Denn die Beteiligten können über die Voraussetzungen eines Berufungsausschlußgrundes nicht verfügen, erst recht also das Rechtsmittelgericht nicht durch eine rechtlich unzutreffende Einschätzung der Rechtsnatur des Streitgegenstandes binden. Die Beklagte hat - wie noch auszuführen ist - durch den Bescheid 1), aus dem der Kläger herleitet, er dürfe die überzahlten 12.777,40 DM behalten, allein einen laufenden Vorschuß auf das ARG bewilligt. Ein Vorschuß ist rechtlich nicht mit der endgültigen Rentenleistung identisch. Insbesondere wird durch einen Vorschuß (§ 42 Abs. 1 Satz 1 SGB 1) nicht schon teilweise die beanspruchte Rentenleistung, sondern eine Leistung eigener Art bewilligt (BSG SozR 1200 § 42 Nr. 2 m.w.N.; SozR 4150 Art. 4 § 2 Nr. 1). Daher hätte die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG selbst dann, wenn der Kläger aufgrund des (Vorschuß-)Bescheides 1) endgültig höheres ARG für Zeiten vor der Einlegung der Berufung begehren sollte, nicht "nur die Rente" betroffen; Streitgegenstand wären damit auch die Rechtswirkungen des Vorschußbescheides, also nicht "nur die Rente".

Die Beklagte hat durch den Bescheid 1) den angemeldeten Anspruch (zum Begriff: § 194 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB) auf ARG nicht i.S. von § 204 AVG i.V.m. § 1631 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anerkannt, d.h. endgültig verbindlich festgestellt, sondern - nur - einen Vorschuß i.S. von § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB 1 auf das später festzustellende ARG bewilligt: Nach Abs. 1 Satz 1 a.a.O. kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und "zur Feststellung seiner Höhe" voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Gemäß Abs. 2 Satz 1 a.a.O. sind die Vorschüsse auf die zustehende Leistung anzurechnen; "soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten" (Abs. 2 Satz 2 a.a.O.). Über die Vorschußzahlung wird durch - nicht formgebundenen - Verwaltungsakt entschieden (vgl. BSG SozR 1200 § 42 Nr. 2; Hauck/Haines/Freischmidt, Sozialgesetzbuch, SGB I, K § 42 RdNr. 8; Bley, SGB-SozVers-GesKomm, Stand: Mai 1988, § 42 Anm. 4c, jeweils m.w.N.). Er ist auf seinen Erklärungsinhalt revisionsgerichtlich nachprüfbar (BSG SozR 1200 § 42 Nr. 2 S. 5 m.w.N.). Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist der verständige Beteiligte, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BVerwGE 12, 87, 91; BVerwGE 49, 244, 246 f; BGH NJW 1985, 1335; vgl. auch BSG SozR 2200 § 1409 Nr. 2 S. 6 f; Badura in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988, § 41 II 5, S. 422 m.w.N.).

Der Wille der Beklagten, dem Kläger nur Vorschüsse auf das ARG zu bewilligen, hat im Bescheid 1) vom 14. August 1979 hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB 10) Ausdruck gefunden: In der zum Bestandteil des Bescheides erklärten Anlage 6 ist die Leistung als "jederzeit widerruflicher Vorschuß auf die künftige Rente" bezeichnet und auf § 42 SGB 1 hingewiesen worden. Ferner ist ausdrücklich angegeben worden, daß die Höhe des angemeldeten Anspruchs auf ARG noch nicht festgestellt werden konnte, weil die Zeit vom 6. Dezember 1977 bis zum 31. Januar 1979 versicherungsrechtlich noch nicht geklärt war. Dem steht nicht entscheidend entgegen, daß dort ausgeführt ist, der Anspruch auf ARG "werde anerkannt", "die Rente" beginne am 1. Februar und "die Höhe der Rente" ergebe sich aus den beiliegenden Berechnungen. Der verständige Adressat eines Verwaltungsaktes hat nämlich alle in die Entscheidung einbezogenen Umstände zu berücksichtigen, hier gerade auch die Anlage 6. Im übrigen darf die Beklagte den angemeldeten Anspruch auf ARG, also das Recht, die Zahlung eines bestimmten Rentenbetrages zu verlangen (vgl. § 194 BGB), nur "anerkennen" (§ 204 AVG i.V.m. § 1631 Abs. 1 RVO; vgl. BSG SozR 4150 Art. 4 § 2 Nr. 1 Satz 3), wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist und die Rentenhöhe feststeht. Dies war - wie ausgeführt - bei Erlaß des Bescheides 1) - auch für den Kläger - ersichtlich noch nicht der Fall. Schließlich hat die Beklagte mit Bescheid 1) keine verbindliche Entscheidung über die Auswirkungen der im August 1979 bereits geklärten Versicherungszeiten auf die Höhe des ARG getroffen. Sogar die Bindungswirkung des endgültig Rente bewilligenden Bescheides (§ 204 AVG i.V.m. § 1631 Abs. 1 RVO) eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt sich lediglich auf den Verfügungssatz, d.h. auf die Entscheidung über Art, Höhe und Dauer der Rente, hingegen nicht auf die für die Höhe der Rente bedeutsamen Berechnungselemente (BSG SozR 2200 § 1276 Nr. 11 m.w.N.). Daher kommt erst recht den Berechnungsfaktoren, mit denen die Beklagte in Ausübung ihres Ermessens (§ 42 Abs. 1 Satz 1 SGB 1) die Höhe eines Rentenvorschusses bestimmt hat, keine auf die Höhe der späteren Rentenbewilligung ausstrahlende Bestandskraft zu. Ungeachtet dessen wird die BfA zu erwägen haben (§ 9 Satz 2 SGB 10), daß durch eine die Vorläufigkeit der Vorschußbewilligung noch klarer herausstellende Ausgestaltung des Bescheides (z.B.: Bezeichnung als "Vorschußbescheid") Auslegungsschwierigkeiten, Mißverständnisse und Streitverfahren unschwer vermieden werden können.

Eine entsprechende Anwendung des § 146 Regelung 3 SGG bei Streitigkeiten um die Erstattung überzahlter Vorschüsse nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 scheidet aus. Das BSG hat es in der Regel abgelehnt, die Ausschlußvorschrift des § 146 SGG entsprechend anzuwenden, wenn Leistungen für abgelaufene Zeiträume streitig sind, die diese Vorschrift nicht ausdrücklich anführt (BSG SozR 1500 § 146 Nr. 16 m.w.N.). Der Ausnahmecharakter des Berufungsausschlußgrundes mag zwar eine ausdehnende Auslegung nicht ausschließen. Er läßt aber keine entsprechende Anwendung der Ausschlußvorschrift auf ersichtlich nicht erfaßte Tatbestände zu. Denn die Frage der Zulässigkeit der Berufung muß möglichst von Zweifeln freigehalten werden (Grundsatz der Rechtsmittelklarheit - GmSOGB SozR 1500 § 161 Nr. 18 S. 36). Soweit das BSG (SozR Nr. 11 zu § 146 SGG zum Übergangsgeld vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 7. August 1974 - BGBl. I S. 1881; SozR Nr. 27 zu § 146 SGG zu § 1531 RVO, aufgehoben mit Wirkung vom 1. Juli 1983 durch Art. II § 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 4. November 1982, BGBl. I S. 1450) eine entsprechende Anwendung des § 146 SGG für möglich erachtet hat, lagen die Gründe in Besonderheiten der früheren rechtlichen Ausgestaltung der damals streitigen Ansprüche ("Rentenähnlichkeit" des Übergangsgeldes; dazu: BSGE 46, 167 = SozR 1500 § 146 Nr. 8; "pfandrechtsartige" Erfassung des Rentenanspruchs durch den Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers; vgl. dazu BSG SozR 1300 § 105 Nr. 1; § 104 Nr. 6), welche materiell-rechtlich derart mit dem Rentenanspruch verknüpft waren, daß eine berufungsrechtlich unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt erschien.

Die Analogiefähigkeit des § 146 SGG in Ausnahmefällen braucht hier aber nicht abschließend entschieden zu werden. Der Anspruch auf Vorschuß ist rechtlich selbständig als Rechtsanspruch (§ 42 Abs. 1 Satz 2 SGB 1) bzw. als Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 42 Abs. 1 Satz 1 SGB 1) ausgestaltet mit dem Zweck, bei längeren Bearbeitungszeiten Nachteile und Härten für den Leistungsberechtigten zu vermeiden oder zu mildern und die Verwaltung von unangemessenem Zeitdruck zu entlasten (dazu und zum folgenden bereits überzeugend BSG SozR 1200 § 42 Nr. 2. S 3 f und Nr. 3). Es reicht aus, daß nach dem Stand der Sachverhaltsermittlungen (§ 20 SGB 10) zum Zeitpunkt der Vorschußbewilligung zur Überzeugung des Leistungsträgers feststeht, daß der Berechtigte gegen ihn einen Anspruch auf eine Geldleistung hat, deren genaue Höhe (Zahlbetrag) jedoch nur nach weiteren Ermittlungen festgestellt werden kann. Dann soll eine vorläufige Leistung zur Deckung eines vorübergehenden Bedarfs und zur Sicherung der ordnungsgemäßen Durchführung des Verwaltungsverfahrens trotz noch nicht abgeschlossener Sachverhaltsermittlung ermöglicht werden. Folgerichtig finden für die Rückabwicklung überzahlter Vorschüsse nicht die allgemeinen für die Rente maßgeblichen Bestimmungen (§§ 63 AVG, 45 ff., 50 SGB 10) Anwendung, sondern allein die abschließende Spezialregelung des § 42 Abs. 2 SGB 1 (BSG SozR 1300 § 50 Nr. 6 S. 13; SozR 1200 § 42 Nr. 3, dort offengelassen für nicht "angerechnete" überzahlte Vorschüsse). Sie sieht vor, daß Vorschuß und zustehende Leistung (hier: ARG) erst mit der - zwingend vorgeschriebenen (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.) - "Anrechnung" durch den Leistungsträger, d.h. durch eine besondere Willenserklärung (i.S. einer Leistungsbestimmung), einander rechtlich zugeordnet werden mit der Folge, daß der Rentenanspruch in Höhe der Vorschüsse erlischt (vgl. §§ 362 Abs. 1, 366 Abs. 1 BGB). Soweit aber der Vorschuß bei Anrechnung die endgültig zustehende Leistung übersteigt, entsteht nach Satz 2 a.a.O. ein spezieller Erstattungsanspruch. Der Vorschuß hat also wegen seiner besonderen Rechtsnatur als nur vorläufige Leistung keine Auswirkungen auf Entstehung und Bestand des endgültigen Sozialleistungsanspruchs. Bei dieser Rechtslage kann er der "Rente" i.S. von § 146 SGG nicht gleichgestellt werden.

Da nach alledem die Berufung der Beklagten uneingeschränkt zulässig war, hätte das LSG ohne Bindung an das Urteil des SG in der Sache prüfen und entscheiden müssen, ob der streitige Rückforderungsbescheid rechtmäßig ist. Daß es dies unterlassen hat, steht hier einer den Rechtsstreit abschließenden Sachentscheidung des Revisionsgerichts nicht entgegen. Denn das BSG darf auch soweit in der Sache entscheiden, als das LSG die Berufung des Revisionsklägers unzutreffend als unzulässig verworfen hat, wenn keine weiteren tatsächlichen Feststellungen erforderlich sind (BSG SozR 1500 § 146 Nr. 16 S. 34 m.w.N.). Das ist hier der Fall.

Der streitige Rückforderungsbescheid ist rechtmäßig.

Keiner Darlegung bedarf, daß die Beklagte den Anspruch auf Erstattung überzahlter Vorschüsse, die sie durch Verwaltungsakt (s.o.) gewährt hat, auch durch Verwaltungsakt geltend machen darf (stellvertretend: Hauck/Haines/Freischmidt, a.a.O., K § 42 RdNr. 9; Bley, a.a.O., § 42 SGB 1 Anm. 9 a) aa) S. 410/13 m.w.N.). Einer gesonderten Aufhebung des Vorschußbescheides vom 14. August 1979 bedurfte es schon deswegen nicht, weil er sich kraft Gesetzes erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SGB 10), als die Beklagte den Vorschuß bei endgültiger Rentenbewilligung im Bescheid 2) auf das ARG anrechnete und die Überzahlung feststellte. Denn der Erstattungsanspruch entsteht nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1, also kraft Gesetzes, sobald sich bei Zuordnung von Vorschuß und zustehender Leistung (Anrechnung) eine Überzahlung ergibt: Erstattung könnte der Leistungsträger nicht verlangen, wenn der Vorschußbescheid als Rechtsgrund für die von ihm nur vorläufig bewilligte Leistung noch nach deren Anrechnung auf die zustehende Rente (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.) wirksam bliebe (vgl. Friedrichs SV 1976, 86 f; Hauck/Haines/ Freischmidt a.a.O.).

Der Kläger zieht die Richtigkeit des Bescheides 2) erklärtermaßen selbst nicht in Zweifel; die vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten enthalten überdies keinen Anhaltspunkt, daß die Überzahlung unrichtig festgestellt worden ist. Demnach hat die Beklagte gegen den Kläger einen Erstattungsanspruch in Höhe von 12.777,40 DM.

Keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, daß § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 den Empfänger von überzahlten Vorschüssen zur Rückzahlung verpflichtet, ohne daß er sich - wie bei zu Unrecht erhaltenen Sozialleistungen (§§ 45, 48, 50 SGB 10) - auf Vertrauensschutz berufen kann (insoweit kritisch: Bieback, Anmerkung zu BSGE 62, 32 = SozR 4100 § 71 Nr. 2 in DVBl. 1988, 453, 454 und Götz, JUS 1983, 924 f, beide jedoch zur Problematik bei vorläufigen Leistungsbewilligungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 42 SGB 1; vgl. auch Maier ZfS 1989, 78, 79; Kreßel BayVBl. 1989, 65; Schimmelpfennig BayVBl. 1989, 69, jeweils m.w.N.). Zwar entspricht es dem Rechtsstaatsprinzip, gegenüber einer Rücknahme oder einem Widerruf begünstigender Verwaltungsakte Vertrauensschutz geltend machen zu können, also eine Abwägung von Allgemein- und Individualinteressen herbeizuführen (BVerfGE 59, 128, 152, 164 ff). Voraussetzung ist aber u.a., daß der Bürger durch den begünstigenden Verwaltungsakt überhaupt eine Rechtsposition erlangt hat, auf die er sich eingerichtet hat und auf deren Fortbestand er vertraut hat und vertrauen durfte (BVerfG a.a.O. S. 166). Eine derartige auf Dauer gesicherte Rechtslage wird durch einen Vorschußbescheid i.S. von § 42 Abs. 1 SGB 1 aber gerade nicht geschaffen. Vorschüsse werden ersichtlich nur vorläufig und "für eine Übergangszeit" (BSGE 18, 148, 151 = SozR Nr. 3 zu § 1299 RVO) bis zur Entscheidung über den Sozialleistungsanspruch sowie für den Empfänger erkennbar unter (Rest-)Ungewißheit über den entscheidungserheblichen Sachverhalt getroffen, so daß ein verfassungsrechtlich zu schützendes Vertrauen, einen Vorschuß ganz oder teilweise behalten zu dürfen, nicht entstanden sein kann (BSG SozR 4150 Art. 4 § 2 Nr. 1 S. 3 f). Außerdem wird den Interessen des Empfängers, die Vorschüsse zur Lebensführung verwenden zu können, ohne eine später übermäßige Belastung wegen Erstattungspflichten befürchten zu müssen, auch durch die zur Vermeidung von Härten geschaffenen Regelungen des § 42 Abs. 3 SGB 1 (Stundung, Niederschlagung, Erlaß) Rechnung getragen.

Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist, ob der Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 42 Abs. 3 SGB 1 wegen erheblicher Härten für den Kläger (Nr. 1 a.a.O.) zu stunden oder wegen einer besonderen Härte für den Kläger (Nr. 3 a.a.O.) zu erlassen ist. Darüber hat die Beklagte bislang nicht entschieden (zur Verwaltungsaktsqualität solcher Entscheidungen Bley, a.a.O., § 42 SGB 1 Anm. 10c S. 410/17 m.w.N.). Sie war nicht verpflichtet, die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs (Abs. 2 Satz 2 a.a.O.) mit einer Entscheidung nach Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 a.a.O. zu verbinden (vgl. schon BSGE 39, 86 = SozR 2200 § 628 Nr. 1 und Urteil des erkennenden Senats vom 21. September 1983 - 4 RJ 84/82, SozSich 1984, 219 = DRV 1984, 36, dort besprochen von Tannen, m.w.N.). Denn der Erstattungsanspruch nach Abs. 2 Satz 2 a.a.O. setzt - anders als § 80 AVG (= § 1301 RVO) in der bis zum 31. Dezember 1980 gültigen Fassung - nicht voraus, daß "die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist". Ob und wie der Erstattungsanspruch durchgesetzt wird, ist nach Abs. 3 a.a.O. einer von der Rückforderung rechtlich (nicht notwendig zeitlich) gesonderten Regelung vorbehalten, die hier nicht getroffen worden ist.

Nach alledem mußte die Revision der Beklagten Erfolg haben und die Klage gegen den streitigen Rückforderungsbescheid abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517965

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