Leitsatz (amtlich)

Zu den Selbsthilfearbeiten iS des RVO § 539 Abs 1 Nr 15 gehört auch das Herausschleifen von Holz aus dem Wald für den Transport zum Sägewerk, wo es für den Bau des Familienheims zugeschnitten werden soll.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 13 S. 1 Fassung: 1956-06-27, § 539 Abs. 1 Nr. 15 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Mai 1969 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger erlitt am 11. Juni 1963 eine schwere Quetschung der rechten Hand, als er zusammen mit dem Schwiegervater seines Sohnes die von seinem Sohn für dessen steuerbegünstigten Familienheimbau gekauften Baumstämme aus dem Wald zum Abfuhrweg herausschleifte. Das Holz wurde später in einem Sägewerk zugeschnitten und sodann von einem Zimmereibetrieb für die Dachkonstruktion des Familienheimes verwendet. Der Wert der für den Familienheimbau unabhängig davon geleisteten Selbsthilfe betrug mehr als 1,5 v.H. der Gesamtkosten des Bauvorhabens.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. Juli 1966 Entschädigungsansprüche ab, da das Holz nicht in Selbsthilfearbeiten am Bauvorhaben verwandt worden sei.

Der Kläger hat Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 2. August 1967 den Beklagten verurteilt, den Unfall des Klägers vom 11. Juni 1963 als Arbeitsunfall zu entschädigen: Für die einschränkende Auslegung des Beklagten, daß bei Selbsthilfearbeiten Versicherungsschutz nur bestehe, wenn sie unmittelbar an der Baustelle oder etwa in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Heranschaffen von Baustoffen erbracht würden, ergebe das Gesetz keinen Anhalt.

Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 7. Mai 1969 zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Zur Selbsthilfe gehörten in sachlicher Hinsicht nach der Begriffsbestimmung in § 36 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (2. WBG) "die Arbeitsleistungen, die zur Durchführung eines Bauvorhabens erbracht werden". Und um solche Arbeiten habe es sich vorliegend gehandelt, weil die vom Kläger aus dem Wald herausgeschleiften Stämme nach den Ermittlungen des Beklagten der Durchführung des obengenannten Bauvorhabens dienen sollten. Wenn selbst außerhalb der Baustelle geleistete Arbeiten, wie z.B. die in geistiger Arbeit bestehende Vorbereitung des Bauvorhabens durch den Bauherrn, zur Selbsthilfe zählen könnten, müsse dies nach Auffassung des LSG um so mehr im vorliegenden Fall gelten, in dem es sich um körperliche Arbeiten handele, die für die Leistung von Selbsthilfe typisch seien.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er trägt unter Bezugnahme auf einen Aufsatz von Schöppner (Die Gemeindeunfallversicherung 1963, 89, 91) vor, zu den Bauarbeiten gehörten nicht die Gewinnung und Aufbereitung des Materials, z.B. das Fällen eines Baumes im eigenen Wald und der Abtransport zur Sägemühle.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Mai 1969 und des Sozialgerichts Fulda vom 2. August 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er führt aus, die Frage, ob auch das Beschaffen von Bauholz im Walde bereits zu den versicherten Tätigkeiten gehöre, könne nicht nach räumlichen Gesichtspunkten beantwortet werden. Es sei allein auf den Begriff der "Eigenleistung durch Selbsthilfe" (§ 36 des 2. WGB) abzustellen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor.

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Nach § 537 Nr. 13 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241 - RVO aF) am 1. Juli 1963 waren u.a. alle Personen, die beim Bau eines Familienheims (Eigenheim, Kaufeigenheim, Kleinsiedlung) im Rahmen der Selbsthilfe tätig waren, in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfälle versichert, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollten. Diese Vorschrift stimmt insoweit mit § 539 Abs. 1 Nr. 15 Satz 1 RVO überein, der hier jedoch nicht anwendbar ist, da sich der Unfall vor Inkrafttreten des UVNG ereignet hat (s. Art. 4 § 1, 16 UVNG).

Der Kläger hat den Unfall am 11. Juni 1963, wie das SG und das LSG zutreffend entschieden haben, im Rahmen der Selbsthilfe beim Bau eines Familienheims erlitten.

§ 537 Nr. 13 RVO aF enthielt - ebenso wie nunmehr § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO - keine nähere Bestimmung oder Begrenzung des Begriffs der Selbsthilfe beim Bau eines Familienheims. § 537 Nr. 13 Satz 3 RVO aF verwies jedoch für die Begriffsbestimmungen ebenfalls (s. auch § 539 Abs. 1 Nr. 15 Satz 3 RVO) u.a. auf § 36 des 2. WBG vom 27. Juni 1956 (BGBl I 523; hier in der Fassung vom 1.8.1961 - BGBl I 1121). Nach § 36 Abs. 2 des 2. WBG gehören zur Selbsthilfe die "Arbeitsleistungen, die zur Durchführung eines Bauvorhabens erbracht werden a) von dem Bauherrn selbst, b) von seinen Angehörigen, c) von anderen unentgeltlich oder auf Gegenseitigkeit".

Der Sohn des Klägers hat ein steuerbegünstigtes Familienheim gebaut. Der Kläger hat somit zu dem durch § 537 Nr. 13 RVO aF geschützten Personenkreis gehört.

Die Revision meint zu Unrecht, das Herausschleifen des Holzes aus dem Wald für den Abtransport zum Sägewerk, in dem es für den Bau des Familienheims bearbeitet wurde, habe noch nicht zur Selbsthilfe im Sinne des § 537 Nr. 13 Satz 1 RVO aF gezählt.

Der Kläger ist allerdings nicht bei Arbeiten am Bau selbst verunglückt. Nach § 36 Abs. 2 des 2. WBG gehören jedoch zur Selbsthilfe alle die "Arbeitsleistungen, die zur Durchführung eines Bauvorhabens erbracht werden". Weder § 537 Nr. 13 Satz 1 RVO aF noch die Begriffsbestimmung in § 36 Abs. 2 des 2. WBG haben die Selbsthilfe auf Arbeiten im örtlichen Bereich des Familienheimes beschränkt. Versichert waren -und sind - die Personen, die "beim" und nicht nur die "am" Bau tätig waren. Ebenso enthielt - und enthält - § 36 Abs. 2 des 2. WBG keine Einschränkung dahin, daß nur die Arbeitsleistungen am Bauvorhaben zur Selbsthilfe gehörten. Der Senat vermag daher der im Schrifttum zum Teil vertretenen Auffassung nicht folgen, daß Personen bei Arbeiten außerhalb des Baugeländes nur ausnahmsweise gemäß § 537 Nr. 13 RVO aF versichert waren (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 Anm. 93). Andererseits reicht auch ein Tätigwerden am Bau allein nicht aus, wenn die Arbeiten, wie z.B. das Fegen eines bereits fertiggestellten Raumes, nicht zugleich "beim Bau" eines Familienheimes verrichtet werden und somit ihrer Natur nach nicht Selbsthilfearbeiten sind. Wie auch sonst für die Begründung des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung kam es für den Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 13 RVO aF ebenfalls nicht auf den örtlichen und zeitlichen, sondern auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Bau des Familienheimes an. Um den Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 13 RVO aF begründen zu können, war es hiernach - wie der Senat zu § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO bereits in seinem Urteil vom 27. Juni 1968 (BSG 28, 122, 125 f) ausgeführt hat - erforderlich, aber auch genügend, daß die Selbsthilfe für die Durchführung des Bauvorhabens ursächlich war. Dies galt auch hinsichtlich der Art der geleisteten Selbsthilfe. Hierunter fielen alle "Arbeitsleistungen", die zur Durchführung des Bauvorhabens erbracht wurden und ihm somit unmittelbar dienten. Dem Bauvorhaben unmittelbar dienen in der Regel alle Bauarbeiten, die im allgemeinen von Betrieben des Bauhaupt- oder Baunebengewerbes ausgeübt werden (vgl. BSG aaO S. 126). Zu den Selbsthilfearbeiten wird deshalb das Heranschaffen des Baumaterials gezählt. Auch Schöppner (Die Gemeindeunfallversicherung 1963, 89, 91), auf dessen Ausführungen sich die Revision vornehmlich stützt, rechnet das Anfahren des Holzes vom Sägewerk zum Bauplatz einschließlich des "Auf- und Abladens" zur Selbsthilfe im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO. Ebenfalls schon im ursächlichen Zusammenhang mit dem Bau des Familienheimes steht aber im allgemeinen das Heranschaffen von Rohmaterial, auch wenn es, wie z.B. das zum Bau bestimmte Holz, noch einer gewissen Be- oder Verarbeitung bedarf, bevor es als Baumaterial verwendet werden kann. Der gegenteiligen Auffassung von Schöppner (aaO), der Transport eines Baumes zur Sägemühle gehöre stets nicht zur Selbsthilfe im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO, hat sich der Senat entgegen der Auffassung der Revision auch in seinem Urteil vom 27. Juni 1968 (aaO) nicht angeschlossen, und zwar schon deshalb nicht, weil diese Entscheidung insoweit den Versicherungsschutz auf der Fahrt zur Arbeit auf dem Bau selbst betroffen hat. Die von Schöppner (aaO) angenommene Trennung zwischen dem Versicherungsschutz beim Transport des Holzes von der Sägemühle zur Baustelle und dem nichtversicherten Heranschaffen des Holzes zum Zurechtschneiden in der Sägemühle ist weder aus dem Erfordernis des Kausalzusammenhanges zwischen der Selbsthilfe und dem Bau des Familienheimes noch aus dem Kriterium gerechtfertigt, daß die Arbeitsleistungen dem Bauvorhaben unmittelbar dienen müssen. Sinn und Zweck des § 537 Nr. 13 RVO aF sprechen ebenfalls gegen die enge Auffassung Schöppners. Diese Vorschrift bezweckte vor allem, einem Bauherrn, der mangels ausreichender wirtschaftlicher Mittel genötigt ist, sein Familienheim - ebenso ähnliche vom Gesetzgeber aus familienpolitischen Gründen begünstigte Arten des Wohnungsbaues - ganz oder teilweise in Selbsthilfe zu erstellen, und den ihn hierbei unterstützenden Personen Unfallschutz zu gewähren (vgl. BSG 28, 128, 129). Auch die für das Heranschaffen des Holzes zum Zurechtschneiden für den Bau in einer Sägemühle notwendigen Arbeiten erfordern vom Bauherrn finanzielle Mittel, die durch Selbsthilfe eingespart werden können.

Der Wert der vom Sohn des Klägers insgesamt erbrachten Selbsthilfearbeiten hat über 1,5 v.H. der Gesamtkosten des Bauvorhabens gedeckt (BSG 28, 122, 126). Da auch die sonstigen in § 537 Nr. 13 RVO aF aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ist die Revision des Beklagten unbegründet und muß zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 82

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