Leitsatz (amtlich)

1. In den Kammern und Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrechts wirken je ein Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte mit, wenn es sich nach dem Klagevorbringen um eine die gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen betreffende "Angelegenheit des Kassenarztrechts" (SGG § 12 Abs 3 S 1) handelt.

2. ZO-Ärzte BW § 30 ist als Landesrecht, dessen Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des LSG Baden-Württemberg hinaus erstreckt, nicht revisibel.

3. ZO-Ärzte BW § 30 verstößt insoweit nicht gegen Bundesrecht ( GG Art 125 Nr 1), als der Zulassungsausschuß - nach der vom BSG nicht nachprüfbaren Auslegung dieser Vorschrift durch das LSG - allein über die Bestellung und Abberufung von Ärzten als Verwalter einer durch Wegzug des bisherigen Praxisinhabers freigewordenen Kassenarztstelle zu entscheiden hat. Eine eigene Zuständigkeit der Krankenversicherung zum Erlaß solcher Verwaltungsakte ergibt sich auch nicht aus ihrem allgemeinen bundesrechtlichen Auftrag zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (vergleiche RVO § 368n Abs 1).

4. Der Bescheid der Krankenversicherung, daß sie einen Auftrag zur kommissarischen Verwaltung einer Kassenarztstelle, der bis zur Neubesetzung dieser Stelle erteilt war, "als beendet betrachte" und sein Ende aus Abwicklungsgründen auf einen bestimmten Tag festsetze, ist ein Verwaltungsakt.

5. Hat die Krankenversicherung in Verkennung ihrer Zuständigkeit einen Auftrag zur kommissarischen Verwaltung einer Kassenarztstelle widerrufen, so ist dieser Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig.

6. Ist die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes innerhalb der Klagefrist des SGG § 87 erhoben worden, so haben die Gerichte, wenn sie den Verwaltungsakt nicht als nichtig, wohl aber als anfechtbar ansehen, auch ohne einen ausdrücklichen Antrag über seine Aufhebung zu entscheiden. Das gilt auch für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht der Nichtigkeitsklage stattgegeben hatte, das Revisionsgericht diese Klage aber für unbegründet hält. Einer Anschlußrevision des Klägers bedarf es insoweit nicht.

 

Normenkette

GG Art. 125 Nr. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 12 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1953-09-03, Art. 33 Fassung: 1953-09-03, Art. 40 Fassung: 1953-09-03, Art. 54 Fassung: 1953-09-03, Art. 55 Fassung: 1953-09-03, Art. 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, Art. 87 Fassung: 1953-09-03; RVO § 368n Abs. 1 Fassung: 1949-02-21; ÄZO BW § 30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. November 1955 - mit Ausnahme der Gebührenfestsetzung für die Berufstätigkeit der Anwälte des Klägers - sowie das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. Mai 1955 - mit Ausnahme der Gebührenfestsetzung für die Berufstätigkeit der Anwälte des Klägers - werden aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 1954 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. Dezember 1954 werden aufgehoben. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit dieser Bescheide wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KV.) hatte den Kläger im Oktober 1952 beauftragt, eine durch Wegzug des bisherigen Praxisinhabers freigewordene Kassenarztstelle bis zu ihrer Ausschreibung und Neubesetzung kommissarisch zu verwalten. Nach Besetzung der Stelle mit einem anderen Arzt im April 1953, die vom Kläger angefochten, inzwischen aber rechtskräftig geworden ist (Urteil des Senats vom 28.1.1958 - 6 RKa 29/56 -), teilte die Beklagte dem Kläger am 12. Oktober 1954 mit, sie müsse seine Beauftragung wegen Fortfalls der Voraussetzungen "als beendet betrachten"; aus Abwicklungsgründen setze sie ihr Ende auf den 31. Dezember 1954 fest. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage mit dem Antrag, die Nichtigkeit des Bescheides der Beklagten vom 12. Oktober 1954 und ihres Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1954 festzustellen; außerdem beantragte er nach Ablauf der Klagefrist vorsorglich, den Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufzuheben. Ferner erhob er vor dem Landgericht Heidelberg Klage auf Schadensersatz gegen die Beklagte, weil sie ihn seit dem 1. Januar 1955 von der weiteren kassenärztlichen Tätigkeit ausgeschlossen habe. Das Landgericht hat die Verhandlung nach § 148 der Zivilprozeßordnung (ZPO) bis zur Erledigung des schwebenden sozialgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt.

Der Kläger hält die "Entziehung" seiner kommissarischen "Zulassung" für nichtig, weil sie von einer unzuständigen Stelle ausgesprochen worden sei; zuständig sei nach dem Inkrafttreten der Baden-Württembergischen Zulassungsordnung vom 26. November 1953 (ZulO 1953) allein der Zulassungsausschuß gewesen. Im übrigen seien die Bescheide der Beklagten nicht hinreichend bestimmt und hätten in sittenwidriger Weise den für den Kassenarztsitz zugelassenen Arzt begünstigt, bevor über dessen Zulassung rechtskräftig entschieden worden sei.

Das Sozialgericht Karlsruhe hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Mai 1955). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg - in der Besetzung mit zwei ärztlichen Beisitzern - die Bescheide der Beklagten für nichtig erklärt, weil die Beklagte zu ihrem Erlaß nicht mehr zuständig gewesen sei (Urteil vom 21. November 1955). Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Sie ist der Auffassung, die Beauftragung des Klägers sei von vornherein befristet gewesen und deshalb mit der Neubesetzung der Kassenarztstelle von selbst erloschen. In diesem Sinne sei auch ihre "Mitteilung" vom 12. Oktober 1954 zu verstehen. Selbst wenn darin aber ein Verwaltungsakt liegen sollte, sei sie auf Grund ihrer Pflicht zur Sicherstellung einer geordneten kassenärztlichen Versorgung zu seinem Erlaß befugt gewesen. Auf keinen Fall könnten ihre Bescheide jedoch wegen "offensichtlicher" Unzuständigkeit als nichtig angesehen werden. Das Urteil des Berufungsgerichts, das der Nichtigkeitsklage stattgegeben habe, müsse daher aufgehoben werden. Zugleich mit der Nichtigkeitsklage sei - aus den genannten Gründen - auch die vorsorglich erhobene Anfechtungsklage vom Revisionsgericht als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision und beantragt, die angefochtenen Bescheide, falls sie nicht nichtig seien, unter Abänderung des Berufungsurteils aufzuheben.

II.

Der Senat hat zunächst geprüft, in welcher Besetzung er über den vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden hat. Nach §§ 12 Abs. 3, 33, 40 SGG wirken in den Kammern und Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrechts nur Kassenärzte als Beisitzer mit, wenn es sich um "Angelegenheiten der Kassenärzte" handelt. Das ist hier nicht der Fall. Die angefochtenen Verwaltungsakte sind zwar allein von kassenärztlicher Seite - der KV. - erlassen worden. Mit der Klage wird jedoch gerade geltend gemacht, daß zu ihrem Erlaß nicht die beklagte KV., sondern die Zulassungsinstanzen, d.h. der Zulassungs- und der Berufungsausschuß zuständig gewesen seien. Von diesem Vorbringen des Klägers ist auszugehen, wenn es sich um die - vor der eigentlichen Sachentscheidung liegende - Frage der Besetzung des Gerichtes handelt (auch die Zulässigkeit des Rechtsweges und die Zuständigkeit des Gerichtes wird "auf Grund der Klage" geprüft, vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 39 f. und S. 148 f., mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Betrifft der Streit nach dem Klagevorbringen aber eine - den Zulassungsinstanzen übertragene - Angelegenheit der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen, so muß, wie der Senat in BSG. 5 S. 50 ff. näher ausgeführt hat, bei der Entscheidung auch ein Vertreter der Krankenkassen mitwirken. Der gegenteiligen Auffassung des Berufungsgerichts, das in der Besetzung mit zwei ärztlichen Beisitzern entschieden hat, vermag der Senat nicht zu folgen. Da die nicht ordnungsmäßige Besetzung des Landessozialgerichts indessen von keinem der Beteiligten gerügt worden ist, ist sie vom Revisionsgericht nicht zu beachten (RGZ. 121 S. 5; Rosenberg a.a.O. S. 682; Wieczorek, ZPO, § 551 Bem. B I a 2).

Die Revision der beklagten KV. ist zulässig. Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen, weil es die Abgrenzung des Begriffs "Angelegenheiten der Kassenärzte" und das Verhältnis von Nichtigkeits- und Anfechtungsklage als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung angesehen hat. Diese dem Zulassungsausspruch beigefügte Begründung beschränkt das Revisionsgericht nicht auf die Prüfung und Entscheidung der genannten Fragen (BSG. 3, 135 [138 f.]).

Die Revision ist auch begründet, soweit sie die Nichtigkeitsklage betrifft, über die das Landessozialgericht allein entschieden hat und - von seinem Rechtsstandpunkt aus - allein zu entscheiden brauchte. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann mit der Klage die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Nichtigkeitsklage ist hiernach - ebenso wie die Aufhebungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) - nur gegen einen Verwaltungsakt zulässig. Das Berufungsgericht hat die vom Kläger angegriffenen Bescheide der Beklagten vom 12. Oktober und 29. Dezember 1954 mit Recht als Verwaltungsakte angesehen. In dem ersten Bescheid hat die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, daß sie seinen Auftrag zur kommissarischen Verwaltung einer Kassenarztstelle als beendet betrachte und das Ende der Beauftragung "aus Abwicklungsgründen" auf den 31. Dezember 1954 festsetze; in dem zweiten Bescheid hat sie den Widerspruch des Klägers hiergegen zurückgewiesen. Form und Inhalt dieser Bescheide sowie der Umstand, daß der erste Bescheid in einem nur für Verwaltungsakte vorgesehenen Widerspruchsverfahren nachgeprüft worden ist, lassen keinen Zweifel, daß die Beklagte mit den Bescheiden das Verhältnis des Klägers zu ihr in verbindlicher Weise regeln wollte. Der Revision kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie der Auffassung ist, die Bescheide der Beklagten seien nicht als Verwaltungsakte, sondern nur als briefliche "Mitteilungen" der Beklagten zu werten.

Dem Berufungsgericht ist auch darin beizutreten, daß der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide hat. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob das in § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG geforderte "berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung" mit dem allgemeinen Rechtsschutzinteresse zusammenfällt, wie das Berufungsgericht annimmt. Auch wenn man dieser Auffassung nicht folgt, das Feststellungsinteresse grundsätzlich also von dem Rechtsschutzbedürfnis zu trennen wäre, könnte jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art des berechtigte Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit nicht verneint werden; denn die Verwaltungsakte griffen unmittelbar in die Rechtsstellung des Klägers ein und ließen die Befürchtung gerechtfertigt erscheinen, daß ihm aus ihrer Vollziehung unmittelbar Nachteile drohten. Gegen die Zulässigkeit der vorliegenden Nichtigkeitsklage bestehen daher keine Bedenken.

Die Nichtigkeitsklage ist jedoch nicht begründet, obwohl die beklagte KV. zum Erlaß der angefochtenen Bescheide nicht zuständig war.

Nach § 30 Abs. 1 der Baden-Württembergischen Zulassungsordnung vom 26. November 1953 (Ges. Bl. für Baden-Württemberg S. 197) hatte der Zulassungsausschuß über Zulassungen und "sonstige Beteiligungen", über ihr Ruhen und ihre Entziehung oder ihren Widerruf, sowie bei Streit über Bestehen oder Nichtbestehen einer Zulassung oder "sonstigen Beteiligung" zu entscheiden. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Sammelbegriff "sonstige Beteiligungen" habe auch Aufträge zur kommissarischen Verwaltung einer Kassenarztstelle umfaßt; nach der ZulO 1953 seien die Zulassungsinstanzen daher auch berechtigt gewesen, über die Erteilung, den Widerruf und das Bestehen solcher Behandlungsaufträge zu entscheiden. Diese Auslegung der ZulO 1953 kann vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden, da sie irrevisibles Landesrecht betrifft.

Die ZulO 1953 ist auf Grund des Baden-Württ. Gesetzes vom 20. Juli 1953 (Ges. Bl. für Baden-Württemberg S. 113) als eine Landesverordnung für die Regierungsbezirke Nordwürttemberg, Nordbaden und Südbaden erlassen worden. Im Gegensatz zu dem Bayer. Zulassungsgesetz vom 14. Juni 1949, das der Senat in einer früheren Entscheidung (SozR. § 162 SGG Nr. 116) als Bundesrecht angesehen hat, weil es vor dem Zusammentritt des ersten Bundestages (7.9.1949) ehemaliges Reichsrecht abgeändert hat (Art. 125 Nr. 2 GG), ist die - erst später ergangene - ZulO 1953 nicht nach Art. 125 GG Bundesrecht geworden. Sie ist auch dadurch nicht Bundesrecht geworden, daß Art. 4 § 11 Abs. 2 GKAR - eine bundesrechtliche Norm - ihre Weitergeltung bis zum Inkrafttreten der neuen bundeseinheitlichen Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 angeordnet hat. Diese Vorschrift stellt nur klar, daß die in Art. 4 § 1 Abs. 2 GKAR verfügte Außerkraftsetzung der "landesrechtlichen Vorschriften über das Kassenarztrecht" das Zulassungsrecht der Länder zunächst unberührt lassen sollte. Die ZulO 1953 gehört somit als Landesrecht zu den "sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschriften" (§ 162 Abs. 2 SGG). Da ihr Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, ist sie irrevisibel.

Der Senat hat nicht zu entscheiden brauchen, ob Landesrecht dann vom Revisionsgericht nachgeprüft werden kann, wenn es zwar nur innerhalb des ISG-Bezirkes gilt, inhaltlich aber mit anderem, außerhalb dieses Bezirkes geltenden Recht übereinstimmt (vgl. BSG. 3 S. 77 [80] und 8 S. 142 [144] sowie Urteil des 11. Senats vom 10.12.1958 [SozR. § 162 SGG Nr. 126]). Die ZulO 1953 weist eine solche inhaltliche Übereinstimmung mit anderen Zulassungsordnungen nicht auf. Fast alle ihre Bestimmungen unterscheiden sich nicht nur dem Wortlaut, sondern zum großen Teil auch der Sache nach von den entsprechenden Bestimmungen der Zulassungsordnung für die britische Zone vom 21. April 1948 und des wesentlich gleichlautenden Bayer. Zulassungsgesetzes vom 14. Juni 1949. Das gilt insbesondere für die hier in Betracht kommenden §§ 31 f. der ZulO 1953, die den Zulassungsinstanzen in Baden-Württemberg - anders als nach den vergleichbaren Bestimmungen der §§ 29 bis 31 der Zulassungsordnung für die britische Zone und des Bayer. Zulassungsgesetzes - auch die Entscheidung über "sonstige Beteiligungen" übertrugen, dem Zulassungsausschuß bei Einlegung eines Widerspruchs ein Abhilferecht einräumten, den Berufungsausschuß zur Zurückverweisung der Sache an den Zulassungsausschuß ermächtigten und vor Erhebung der gerichtlichen Klage gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses die Einlegung eines weiteren Widerspruchs vorsahen. Diese - in einer Reihe wichtiger Punkte von den anderen Zulassungsordnungen abweichende - Regelung zeigt, daß auch von einer nur inhaltlichen Übereinstimmung der ZulO 1953 mit dem Zulassungsrecht anderer Länder nicht gesprochen werden kann. Ist § 30 ZulO 1953 hiernach mit dem Berufungsgericht als irrevisibles Landesrecht anzusehen, so muß das Revisionsgericht diese Vorschrift so anwenden, wie sie vom Berufungsgericht ausgelegt worden ist. Es ist mithin davon auszugehen, daß durch § 30 ZulO 1953 allein den Zulassungsinstanzen die Entscheidung über die Erteilung und den Widerruf eines Auftrages zur kommissarischen Verwaltung eines verwaisten Kassenarztsitzes übertragen worden ist.

Das Berufungsgericht hat, indem es § 30 ZulO 1953 in diesem Sinne ausgelegt und angewendet hat, auch nicht gegen revisibles Recht verstoßen. Da der Bund erstmals durch das Gesetz über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (BGBl. I S. 513) von seinem Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiet des kassenärztlichen Zulassungswesens Gebrauch gemacht hat, kommt als revisibles Recht höherer Ordnung, zu dem die ZulO 1953 hätte in Widerspruch treten können, nur früheres Reichsrecht in Betracht, insbesondere die Zulassungsordnung für Ärzte vom 8. September 1937 (RGBl. I S. 977) in Verbindung mit den Kriegserlassen des Reichsarbeitsministers vom 4. und 12. September 1939 (AN. 1939 S. 461 und 454), durch die ordentliche Zulassungen bis auf weiteres gesperrt und nur noch vorübergehende Beteiligungen an der kassenärztlichen Versorgung gestattet worden waren (BSG. 3 S. 95 [99]). Dieses Recht hätte jedoch der ZulO 1953 nur dann entgegengestanden, wenn es nach Art. 125 Nr. 1 des Grundgesetzes (GG) in Bundesrecht transformiert worden wäre. Das ist nicht der Fall.

Beim Zusammentritt des ersten Bundestages am 7. September 1949, dem insoweit maßgebenden Stichtag (BVerfG. 4 S. 178 [184]), hat das alte reichsrechtliche Zulassungsrecht in keiner Besatzungszone mehr einheitlich gegolten, wie zur Umwandlung in Bundesrecht nach Art. 125 Nr. 1 GG erforderlich gewesen wäre. Soweit es nach dem Kriege nicht schon durch den Fortfall der Zulassungsorgane oder die Kontrollratsgesetzgebung über die Nichtanwendung nationalsozialistischen Rechts unanwendbar geworden war, war es in der britischen Besatzungszone durch eine neue zoneneinheitliche Zulassungsordnung für Ärzte vom 21. April 1948 (Arbbl. brit. Zone 1948 S. 250) ersetzt worden; später - aber noch vor dem 7. September 1949 - war in der amerikanischen Besatzungszone das Bayer. Gesetz über die Zulassung von Ärzten vom 14. Juni 1949 (Bayer. GVOBl. 1949 S. 162), in der französischen Besatzungszone die Verordnung über die Zulassung von Ärzten in Württemberg-Hohenzollern vom 12. Juli 1949 (Regbl. Württ. Hohenz. 1949 S. 294) ergangen. Das alte Zulassungsrecht des Reiches ist mithin; soweit es beim Zusammentritt des ersten Bundestages überhaupt noch in Kraft war, nicht nach Art. 125 Nr. 1 GG Bundesrecht geworden, sondern hat in seinem Geltungsbereich weiterhin zur Disposition des Landesgesetzgebers gestanden. Die Länder, die bis zum 7. September 1949 das Zulassungswesen noch nicht neu geregelt hatten, - unter ihnen das frühere Land Württemberg-Baden - waren daher jedenfalls bis zum Inkrafttreten des GKAR (20.8.1955) nicht gehindert, das ehemalige Reichs-Zulassungsrecht durch eigene landesrechtliche Zulassungsordnungen zu ersetzen.

Bei einer solchen Neuregelung hatten diese Länder - entgegen der Ansicht der Revision, die ihnen die Befugnis hierzu nur für das "engere Gebiet der Zulassung und Beteiligung" zugestehen will - auch insoweit freie Hand, als es sich darum handelte, die Befugnisse der KV., insbesondere ihr Recht zur Erteilung von kommissarischen Verwaltungsaufträgen auf andere Instanzen zu übertragen. Denn auch in dieser Beziehung hatten bereits die "vorkonstitutionellen" Zulassungsordnungen der britischen Zone, Bayerns und Württemberg-Hohenzollerns das frühere Reichsrecht (§ 2 der Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands vom 31.10.1933/27.1.1941 [AN. 1941 S. 104]) geändert, indem sie den Zulassungsausschuß und nicht mehr die KV. für zuständig erklärt hatten, "zur Behebung eines Notstandes Ärzten die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung .... zu gestatten" (§ 20 bzw. 21 der genannten Zulassungsordnungen bzw. -gesetze). Daß zu Notstandsmaßnahmen dieser Art auch kommissarische Behandlungsaufträge für die Zeit bis zur Neubesetzung eines freigewordenen Kassenarztsitzes gehörten, nehmen Hess-Venter (Handbuch des Kassenarztrechts, Bd. I S. 139) mit Recht an (ebenso wohl auch Heinemann, Kassenarztrecht, 4. Aufl., Stand: Juni 1957 S. 62 c unten). Soweit die KV. en der einzelnen Länder hiernach beim Zusammentritt des ersten Bundestages noch zur Einsetzung kommissarischer Praxisverwalter befugt waren, ist diese auf altem Reichsrecht (§ 2 der Satzung der KVD) beruhende Befugnis nicht nach Art. 125 GG zu einer bundesrechtlichen Zuständigkeit geworden. Die ZulO 1953 war deshalb durch Bundesrecht nicht gehindert, dieses Recht auf die Zulassungsinstanzen zu übertragen. Die entsprechende Regelung in §§ 30 f. ZulO 1953 verstößt somit nicht gegen revisibles Recht.

Der vorliegende Fall nötigt den Senat nicht zu der Entscheidung der Frage, ob der KV. - ungeachtet des Umstandes, daß § 30 ZulO 1953 die Erteilung von Aufträgen zur kommissarischen Praxisverwaltung in die Hand der Zulassungsinstanzen gelegt hat - insoweit eine eigene bundesrechtliche Zuständigkeit verblieben ist, als sie auf Grund ihres allgemeinen Auftrages zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (vgl. § 2 der Satzung der KVD, jetzt § 368 n Abs. 1 RVO) in Notfällen das Recht und die Pflicht hat, vorläufige Maßnahmen zur Weiterführung einer verwaisten Kassenarztstelle zu treffen. Der Senat verkennt nicht, daß unter besonderen Umständen ein Bedürfnis vorliegen kann, der KV. - abgesehen von ihren disziplinarischen Befugnissen - eine selbständige Einwirkungsmöglichkeit auf die Begründung und Beendigung kassenärztlicher Rechtsverhältnisse, jedenfalls aber die tatsächliche Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit zu geben. Ob und inwieweit diesem Bedürfnis indessen nach geltendem Recht noch Rechnung getragen werden kann, ist streitig und zweifelhaft (besonders weitgehend Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl., § 368 n Anm. 1, der in § 368 n Abs. 1 eine Art Generalklausel sieht, welche die KV. ermächtigt, mit eigenen Maßnahmen überall dort einzugreifen, "wo die Zulassungsinstanzen nicht rechtzeitig oder nicht kraft ihres Auftrages in der Lage sind, eine kassenärztliche Tätigkeit (Zulassung, Beteiligung) zu begründen oder wo sie nicht in der Lage sind, eine unerwünschte kassenärztliche Tätigkeit rechtzeitig zu verhindern"; zustimmend Venter, Zulassungsrecht für Kassenzahnärzte, S. 122, während Hess-Venter, Handbuch des Kassenarztrechts, Bd. 1 S. 278, anscheinend einen engeren Standpunkt einnehmen; ähnlich auch Hess in ÄM. 1957 S. 764; vgl. ferner Jantz-Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, § 368 n Anm. 6, und Sievers, Das Zulassungsrecht, 2. Aufl. S. 129). Einer abschließenden Klärung der in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen bedarf es im vorliegenden Falle jedoch nicht, da hier - anders als vielleicht bei Todesfällen - ein dringendes Bedürfnis zum selbständigen Eingreifen der KV. nicht bestanden hat. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern hier das Interesse der Versicherten an der Aufrechterhaltung einer geordneten kassenärztlichen Versorgung es zwingend erfordert hat, die Beendigung der kassenärztlichen Tätigkeit des "Klägers nicht durch den Zulassungsausschuß, sondern durch die KV. selbst auszusprechen.

Steht hiernach fest, daß die beklagte KV. zum Erlaß der Verwaltungsakte vom 12. Oktober und 29. Dezember 1954 nicht befugt war, so sind ihre Bescheide - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - deswegen gleichwohl nicht als nichtig anzusehen. Sachliche Unzuständigkeit führt nach der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Meinung nur dann zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes, wenn die Unzuständigkeit "absolut" ist, d.h. wenn unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Zuständigkeit der die Verfügung erlassenden Behörde gegeben ist" (BVerwG. 1 S. 67 [70] mit Nachweisen; Klinger, MRVO Nr. 165, 3. Aufl.. § 23 A II 2 b, S. 131; Jantz-Prange a.a.O. § 368 a IV 2 d). Nach anderen begründet die "sachliche Kompetenzverfehlung unter Behörden gleicher Rangstufe" nur dann Nichtigkeit des Verwaltungsaktes, wenn es sich um grobe und offensichtliche Verletzungen der Zuständigkeitsverteilung handelt (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., 7. Aufl., S. 214). Dem ist beizutreten. Die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz der Beteiligten verbieten es, jede Überschreitung der - oft nicht leicht feststellbaren - Zuständigkeitsschranken mit der Nichtigkeit des Verwaltungshandelns zu "ahnden". Dem Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen wird in der Regel durch die Möglichkeit der Erhebung einer Anfechtungsklage genügt; macht er von dieser Möglichkeit keinen oder verspäteten Gebrauch, so muß er sich mit der inzwischen eingetretenen Heilung des Zuständigkeitsmangels abfinden, zumal diese - bei begünstigenden Verwaltungsakten - zugleich seinem eigenen Schutze dient. Im vorliegenden Fall hat die Zuständigkeit zum Erlaß der angefochtenen Verwaltungsakte nach der nicht nachprüfbaren Feststellung des Berufungsgerichts bis zum Inkrafttreten der ZulO 1953 (1.1.1954) bei der Beklagten gelegen und ist erst mit diesem Zeitpunkt auf die Zulassungsinstanzen übergegangen. Schon dieser Umstand spricht dagegen, hier eine absolute und offensichtliche Unzuständigkeit der Beklagten anzunehmen. Im übrigen läßt auch die bisher noch wenig geklärte Rechtslage hinsichtlich der Befugnisse der Beklagten zur vorläufigen Regelung der kassenärztlichen Rechtsverhältnisse in Notfällen ihre Unzuständigkeit zum Erlaß der angefochtenen Verwaltungsakte nicht als so offensichtlich erscheinen, daß diese als nichtig anzusehen wären. Da auch die anderen vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht durchgreifen, ist seine Nichtigkeitsklage nicht begründet.

Auf die Revision der Beklagten muß daher das angefochtene Urteil aufgehoben werden, soweit es der Nichtigkeitsklage stattgegeben hat. Die Revision kann dagegen keinen Erfolg haben, soweit sie darüber hinaus auch die Abweisung der Aufhebungsklage durch das Revisionsgericht begehrt.

Das Revisionsgericht ist befugt, über die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte zu entscheiden, obwohl der Kläger ihre Aufhebung erst nach Ablauf der Klagefrist beantragt und das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt zu Recht - über den vorsorglich gestellten Aufhebungsantrag nicht entschieden hat. Geht man nämlich davon aus, daß Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nur "einen verschiedenen Grad der Rechtswidrigkeit darstellen" (Urteil des Senats vom 28.3.1958 - 6 RKa 23/55 -), so muß ein Gericht, das im Gegensatz zum Kläger die Rechtswidrigkeit des im Streit befangenen Verwaltungsaktes nicht für so grob und offensichtlich hält, daß sie seine Nichtigkeit zur Folge hat, in der Lage sein, statt der beantragten Nichtigkeit wenigstens die Aufhebung des Verwaltungsaktes auszusprechen. Das erscheint um so unbedenklicher, als die Gerichte im sozialgerichtlichen Verfahren - anders als im Zivilprozeß - an die Fassung der Klaganträge nicht gebunden sind (§ 123 SGG; vgl. auch § 75 Abs. 1 MRVO Nr. 165, wonach ein Verwaltungsgericht im umgekehrten Falle den mit der Aufhebungsklage angefochtenen Verwaltungsakt nicht aufzuheben, sondern trotz des anders lautenden Klagantrages für nichtig zu erklären hat, wenn es seine Nichtigkeit feststellt). Die Aufhebung eines mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Verwaltungsaktes wird das Gericht allerdings nur dann aussprechen können, wenn die Nichtigkeitsklage - wie hier - innerhalb der Anfechtungsfrist erhoben worden ist. Im anderen Falle wäre die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes mit Ablauf der Anfechtungsfrist "geheilt", dürfte vom Gericht also nicht mehr berücksichtigt werden. Die Entscheidung des 9. Senats in BSG. 7, 35 (38) steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, da es sich dort um eine erst nach Ablauf der Klagefrist erhobene Nichtigkeitsklage gehandelt hat.

Haben die Gerichte hiernach auch ohne einen ausdrücklichen Antrag über die Aufhebung eines - mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen, von ihnen aber nicht als nichtig angesehenen - Verwaltungsaktes zu entscheiden, sofern die Nichtigkeitsklage innerhalb der Klagefrist erhoben ist, so kann nichts anderes gelten, wenn der Kläger neben der (rechtzeitig erhobenen) Nichtigkeitsklage vorsorglich auch die Aufhebung des Verwaltungsaktes beantragt, den Antrag jedoch nicht innerhalb der Klagefrist gestellt hat. Die Rechtsmittelgerichte können in diesem Falle über die (vorsorglich beantragte) Aufhebung des Verwaltungsaktes auch dann entscheiden, wenn das Vordergericht nicht darüber entschieden hatte, weil es dem Hauptantrag des Klägers auf Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes stattgegeben hatte, das Rechtsmittelgericht diese Feststellung aber nicht für begründet hält (vgl. für den Zivilprozeß BGH. in ZZP. Bd. 65 S. 273 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des RG.; Roschberg , Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., § 142 II 1 in Vbd. mit § 137 II). Es bedarf insoweit auch keiner Anschlußberufung oder -revision des Klägers, um seinen Hilfsantrag vor das Rechtsmittelgericht zu bringen (BGH. a.a.O.; Rosenberg a.a.O.).

Das Aufhebungsbegehren des Klägers ist auch begründet, da die beklagte KV., wie oben dargelegt, zum Erlaß der angefochtenen Verwaltungsakte nicht zuständig war. Damit ist nicht darüber entschieden, ob der Widerruf auch aus anderen Gründen nicht erfolgen durfte, etwa weil der Auftrag des Klägers zur kommissarischen Verwaltung der Kassenarztstelle auf Grund des § 45 Abs. 2 ZulO 1953 in eine ordentliche Zulassung umgewandelt worden ist (vgl. § 45 Abs. 5 ZulO 1953).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 171

MDR 1959, 702

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