Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentner als Vergleichsgruppe

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit engerer Vergleichsgruppen bei der kassenarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung.

 

Orientierungssatz

Die Beschränkung des statistischen Vergleichs im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf eine Patientengruppe (hier: auf den Rentneranteil) ist nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

RVO § 368n Abs 5 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.11.1985; Aktenzeichen L 5 Ka 7/83)

SG Hannover (Entscheidung vom 20.04.1983; Aktenzeichen S 10 Ka 87/82)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses für die Quartale II bis IV/1979.

Der Prüfungsausschuß bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Niedersachsen hat durch Beschluß vom 21. Januar 1981 auf Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) N. gegen den als Kassenarzt - Arzt für Allgemeinmedizin - zugelassenen Kläger einen Regreß wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in den vier Quartalen des Jahres 1979 in Höhe von insgesamt 6.000,-- DM, nämlich von je 1.500,-- DM pro Quartal, festgesetzt. Der Arzt habe insoweit bei Familienangehörigen, bei Rentnern und insgesamt den Durchschnitt der Fachgruppe überschritten:

Mitglieder:

- 14,9

- 16,8

- 17,9

- 4,1

Angehörige:

+ 10,7

+ 40,8

+ 50,3

+ 4,5

Rentner:

+ 54,6

+ 51,9

+ 56,3

+ 51,2

Insgesamt:

+ 39,6

+ 46,0

+ 54,2

+ 41,5

Durch diese Überschreitungen seien der Krankenkasse 48.546,79 DM Mehrkosten entstanden. Auf den Widerspruch des Arztes hat der Beklagte (Beschwerdeausschuß), nachdem er einen Teil der gegenüber Rentnern vorgenommenen Verordnungen hatte einzeln überprüfen lassen, durch Beschluß vom 13. Januar 1982 den Regreß für die Quartale II bis IV/1979 (in Höhe von 4.500,-- DM) bestätigt und den Regreß für das Quartal I/1979 aus Verjährungsgründen aufgehoben. Die Verordnungsweise des Arztes bei der Gruppe der Rentner sei unwirtschaftlich. Die Abweichung liege, wie bereits im Bescheid des Prüfungsausschusses festgestellt, bei 51,9 % im zweiten Quartal, bei 56,3 % im dritten und bei 51,2 % im vierten Quartal. Es seien die Durchschnittswerte bei allen praktischen Ärzten des Kassenbezirks (Altkreis Land H.) zugrunde gelegt worden; in diesem ländlichen Raum sei bei annähernd gleichem Patientengut der gleiche durchschnittliche Behandlungs- und Verordnungsaufwand erforderlich. Die Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts liege nicht zuletzt in der Verordnung von Vitaminen und Geriatrica (Präparate zur körperlichen und geistigen Leistungssteigerung alter Menschen). Der Arzt hat Klage erhoben und in erster Linie geltend gemacht, die Prüfung hätte sich nicht auf die Rentnergruppe beschränken dürfen; insgesamt gesehen liege kein offensichtliches Mißverhältnis vor. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Der Hinweis des Klägers darauf, daß sein Rentneranteil höher sei als derjenige der Vergleichsgruppe und daß er bei den Mitgliedern Unterschreitungen aufzuweisen habe, würde insofern fehl gehen, als die festgesetzten Regresse auf einem Vergleich mit dem Fallkostendurchschnitt beruhen und sich - in zulässiger Weise - lediglich auf die Gruppe der Rentner beziehen würden. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 27. November 1985 das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Aufgliederung des Patientengutes in einzelne Gruppen sei kein sachgerechter Maßstab für eine verfeinerte und individuelle Wirtschaftlichkeitsanalyse. Eine derartige Differenzierung würde zu kaum zu überwindenden Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Selbst wenn eine derartige Aufteilung des Patientengutes möglich wäre, würde sie Sinn und Zweck einer fachbezogenen Durchschnittsbetrachtung widersprechen. In der Bewertung der Behandlungs- und Verordnungsweise nach statistischen Durchschnittszahlen komme die Zusammensetzung des Krankengutes nicht oder nur ungenügend zum Ausdruck. Auf entsprechende Besonderheiten hinzuweisen sei Sache des Arztes, dem ein offensichtliches Mißverhältnis zur Last gelegt werde. Daraus folge, daß die Verordnungsweise des Klägers nur anhand seiner Gesamtfallzahlen hätte statistisch geprüft werden dürfen.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Beklagten (- Beschwerdeausschuß -) und des Beigeladenen (- AOK Landesverband -). Sie beantragen, das Urteil des LSG Niedersachsen vom 27. November 1985 - L 5 Ka 7/83 - aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 20. April 1983 - S 10 Ka 87/82 - zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind begründet.

Die Prüf- und Beschwerdeausschüsse bei den Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung "im einzelnen" (§ 368n Abs 5 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Leistungen haben diese Prüforgane das Recht, nach der Methode des statistischen Vergleichs vorzugehen, wenn eine genaue Feststellung nicht möglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig gegeben.

Ein solches Verfahren muß aber in sich geeignet sein, die bei seiner Anwendung vorausgesetzten Bedingungen statistischer Erkenntnis zu erfüllen. Da der eigentliche Maßstab der Wirtschaftlichkeitsprüfung dasjenige ist, was unter Vergegenwärtigung der jeweiligen medizinischen Indikation an ärztlichen Leistungen notwendig bzw nicht notwendig war und die statistische Prüfmethode den Vorteil bringen soll, durch den Vergleich generell ärztlicher Leistungsbedingungen weitgehend auf konkrete Feststellungen über die Krankheits- und Behandlungsbedingungen verzichten zu können, erfordert die statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung eine Erfassung gleichartiger (genereller) ärztlicher Leistungsbedingungen, aus denen der Schluß gezogen werden kann, daß damit auch die durchschnittliche Häufigkeit der indizierten Behandlung gleich sei (Baader, "Praxisumstände"..., SGb 1985, 446 ff). Das verlangt aber, daß die verglichenen Ärzte insoweit eine homogene Gruppe bilden, die wesentlichen Leistungsbedingungen des geprüften Arztes also mit den wesentlichen Leistungsbedingungen der (in statistisch ausreichender Zahl) verglichenen Ärzte übereinstimmen.

Der Kläger wurde dementsprechend nur mit Ärzten seines Fachgebietes verglichen. Haben die Prüfgremien den Vergleich nicht hinsichtlich aller behandelter Patienten, sondern nur hinsichtlich eines Teiles von ihnen angestellt, so wird damit die genannte Grundvoraussetzung des Vergleichs - die Gleichartigkeit der verglichenen Leistungsbedingungen - dann verbessert, wenn diese Patientengruppe hinsichtlich der Häufigkeit der indizierten Leistung sich gegenüber dem anderer Teile typischerweise unterscheidet. Dies ist bei der Gruppe der Rentner aber der Fall. Aus diesem Grunde ist es auch üblich geworden, daß die Prüforgane den jeweiligen Anteil der Rentner besonders berechnen und bei wesentlich über dem Durchschnitt liegendem Anteil entsprechend berücksichtigen. Die hier von dem Beklagten vorgenommene Beschränkung auf die Rentner ist demgegenüber nur ein weiterer, durchaus konsequenter Schritt. Ist es schon systemgerecht, den Rentneranteil gegenüber den anderen Behandlungsfällen gesondert zu berücksichtigen, indem man den Fallkostendurchschnitt des geprüften Arztes entsprechend - und zwar nur überschlägig - reduziert, dann ist es auch sachgerecht, die Fallkostendifferenz durch einen direkten Vergleich der Rentneranteile zu ermitteln. Im Interesse der Gleichbehandlung ist das letztgenannte Vorgehen sogar vorzuziehen, weil damit feste zahlenmäßige Grundlagen für die Ermittlung der Kostendifferenz erbracht werden und nicht bloß von geschätzten Unterschieden ausgegangen werden muß, so daß auch eine Gleichstellung mit anderen geprüften Ärzten, die ähnliche Bedingungen aufweisen, erfolgen kann. Das Vorgehen des Beklagten ist daher nicht zu beanstanden. Er hat weder seinen Spielraum bei der Auswahl der Feststellungsmittel verletzt, wozu hier auch die Anwendung von Methoden der statistischen Verfeinerung gehört, noch hat er bei der Würdigung der damit erbrachten Ergebnisse gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen (vgl Baader: "Zur gerichtlichen Überprüfbarkeit ...", SGb 1986, 309 ff). Daß eine solche Differenzierung des statistischen Vergleichs, wie das LSG zu bedenken gibt, zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann, steht dem nicht entgegen. Schließlich vermag auch die Rüge des Klägers, der Beklagte habe seinen höheren Anteil an Rentnern nicht berücksichtigt, nicht durchzugreifen. Wie schon das SG ausdrücklich hervorgehoben hat, haben solche Unterschiede durch das Abstellen auf den Durchschnitt pro Behandlungsfall bereits ihre Berücksichtigung gefunden.

Die Ansicht des Beklagten, daß bei den vorliegenden Überschreitungen ein offensichtliches Mißverhältnis vorliege, ist ebensowenig zu beanstanden wie die Feststellung des Mehrbetrages und die Festsetzung der Höhe des Regresses; dies wurde (in diesem engeren Sinne) auch nicht gerügt.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben; die Berufung des Klägers war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 143

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