Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungsersatz. Krankenkasse. KOV

 

Orientierungssatz

1. Die Worte "während der Heilbehandlung" in § 19 BVG sind dahin zu verstehen, daß der Ersatz frühestens von der Anmeldung des Versorgungsanspruches an geleistet wird, wenn der Anspruch zwar angemeldet, aber von der Versorgungsbehörde erst während der Heilbehandlung oder später anerkannt worden ist.

2. Die Versorgungsbehörde ist nicht gehindert, entsprechend dem Grundsatz, daß Versorgung ab Antragsmonat zu gewähren ist und daß Heilbehandlung frühestens mit dem Tag der Anmeldung des Anspruchs beginnt ihren Bescheid auf den Zeitpunkt der ersten Antragstellung zurückwirken zu lassen, auch wenn dieser erste Antrag aus formalen Gründen abgewiesen worden ist.

 

Normenkette

BVG § 19 Fassung: 1953-08-07, § 60 Fassung: 1956-06-06, § 57 Abs. 1 Fassung: 1956-06-06, § 10 Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Dortmund (Entscheidung vom 06.09.1963)

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 6. September 1963 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,60 DM zu zahlen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Versorgungsberechtigte G R (R.) beantragte am 9. Oktober 1953 auf einem Vordruck der Klägerin (Ruhrknappschaft) Versorgung. Da er keine Unterlagen vorlegte, wurde der Antrag am 2. Dezember 1954 abgelehnt. Ein erneuter Antrag wurde am 9. August 1955 aus dem gleichen Grunde abgelehnt. Am 20. April 1956 stellte R. wiederum einen Versorgungsantrag. Mit Bescheid vom 8. August 1956, der auf den Antrag vom 9. Oktober 1953 Bezug nahm, wurde Beschädigtenrente wegen Versäumung der Anmeldefristen abgelehnt, jedoch für die im Dienst als Feuerwehrmann erlittenen Schädigungsfolgen, - Narbe rechte Stirn- Scheitelbeingrenze-, Gliedmaßennarben nach Verbrennung ohne Funktionsstörungen-, verheilter Bruch des rechten Schienbeines ein Anspruch auf Heilbehandlung zugebilligt. Eine Anzahl anderer Leiden wurde als nicht oder nicht mehr vorliegend bezw. schädigungsunabhängig angesehen. Ein Verschlimmerungsantrag vom 1. September 1957 wurde mit Bescheid vom 20. Juni 1958 abgelehnt. Diese Bescheide blieben unangefochten.

Die Klägerin, die R. in der Zeit vom 9. bis 27. Oktober 1953 wegen einer Narbenfistel am linken Knie Heilbehandlung für Schäden gewährt hatte, für die nach ihrer Auffassung im Bescheid vom 8. August 1956 Heilbehandlung zugesagt worden ist, begehrte mit Kostennachweis für das 3. Vierteljahr 1953 die Erstattung von Heilbehandlungskosten in Höhe von 102,60 DM. Nachdem der Beklagte dies letztmals im August 1960 abgelehnt hatte, erhob die Klägerin im September 1960 Klage. Das Sozialgericht (SG) wies mit Urteil vom 6. September 1963 die Klage ab und ließ die Berufung zu. Durch die bindend gewordenen Bescheide vom 2. Dezember 1954 und 9. August 1955 sei rechtsverbindlich festgestellt worden, daß ein Schädigungsleiden nicht bestehe. Der Bescheid vom 8. August 1956 sei, obwohl er sich auf den ersten Antrag vom 9. Oktober 1953 beziehe, kein Zugunsten-Bescheid gemäß § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG). Ihm fehlten alle Merkmale eines begünstigenden Berichtigungsbescheides; mit der Ablehnung des Antrages wegen Fristversäumnis seien die früheren Bescheide nur bestätigt worden. Wenn ein (beschränkter) Anspruch auf Heilbehandlung zugestanden worden sei, so könne hierfür nur der (letzte) Antrag vom 20. April 1956 maßgeblich sein. Da die Heilbehandlung vor dieser Antragstellung durchgeführt worden sei, sei ein Ersatzanspruch nach § 19 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht gegeben.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin unter Vorlage einer schriftlichen Einwilligungserklärung des Beklagten Sprungrevision eingelegt. Sie rügt Verletzung des § 40 Abs. 1 VerwVG. Bei dem Bescheid vom 8. August 1956 handele es sich nicht um eine formlose Verzichterklärung auf die Rechtsverbindlichkeit der früheren Entscheidungen, sondern um einen Zugunsten-Bescheid im Sinne dieser Vorschrift. Dafür spreche die Bezugnahme auf den ersten Antrag vom 9. Oktober 1953. Die Behörde könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) den gleichen Sachverhalt auf Grund neuer Ermittlungen in vollem Umfang neu regeln; damit würden die früheren Ablehnungsbescheide gegenstandslos. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Leistungsanspruches lasse es nicht zu, daß über denselben Anspruch mehrere Bescheide bestünden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung den Beklagten zu verurteilen, an sie 102,60 DM zu zahlen. Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Sprungrevision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 161 Abs. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist auch sachlich begründet.

Das SG hat nicht ausdrücklich festgestellt, daß es sich bei dem Leiden des R., wegen dessen die Heilbehandlung vom 9. bis 27. Oktober 1953 stattfand, um ein solches handelte, für das im Bescheid vom 8. August 1956 ein Anspruch auf Heilbehandlung zugebilligt wurde, doch ging es offensichtlich davon aus. Da der Beklagte vor dem SG ausgeführt hat, daß die Heilbehandlung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem ein Zusammenhang nicht anerkannt und der Anerkennungsbescheid vom 8. August 1956 noch nicht erteilt war, sieht der Senat diese Frage als unstreitig an.

Streitig ist sonach nur, ob die Klägerin für die dem R. in der Zeit vom 9. bis 27. Oktober 1953 gewährte Heilbehandlung vom Beklagten Ersatz ihrer Aufwendungen beanspruchen kann. Gemäß § 19 BVG in der Fassung vom 7. August 1953 (BGBl I, 866) - aF - wird den Krankenkassen, die nicht nur nach den Vorschriften des BVG verpflichtet sind, Heilbehandlung usw. zu gewähren, für ihre Aufwendungen für die Dauer von 5 Jahren - nach § 19 BVG in der Fassung vom 6. Juni 1956 (BGBl I, 469) - nF - von 8 Jahren - nach Inkrafttreten des BVG Ersatz geleistet. Der Ersatz wird gewährt, wenn der Zusammenhang der Krankheit mit einer Schädigung anerkannt ist; wird dieser Zusammenhang erst während der Heilbehandlung anerkannt, so wird der Ersatz frühestens von der Anmeldung des Versorgungsanspruches an geleistet (Abs. 1). Als Ersatz werden ua gewährt bei ambulanter Behandlung, wenn und solange Krankengeld gewährt wird, das satzungsmäßige Krankengeld (Abs. 3). Einen solchen Ersatzanspruch macht die Klägerin geltend, indem sie vom Beklagten das für die Zeit vom 9. - 27. Oktober 1953 an 19 Tagen gewährte Kassenkrankengeld von je 5,40 = 102,60 DM ersetzt verlangt. Über die Höhe des Betrages herrscht kein Streit. Eine ähnliche Regelung sah § 19 BVG auch zur Zeit der letzten ablehnenden Nachricht vom 23. August 1960 noch vor. Denn die Vorschrift weicht in der Fassung des ab 1. Juni 1960 geltenden 1. Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) nur hinsichtlich der früher geltenden Frist insoweit ab, als es hier heißt, daß für die bis zum 31. Dezember 1963 schwebenden Heilbehandlungsfälle Ersatz geleistet wird.

Im vorliegenden Fall ist der Zusammenhang des fraglichen Leidens mit einer Schädigung nicht "während der Heilbehandlung", sondern erst am 8. August 1956 anerkannt worden. Die Worte "während der Heilbehandlung" sind jedoch dahin zu verstehen, daß der Ersatz frühestens von der Anmeldung des Versorgungsanspruches an geleistet wird, wenn der Anspruch zwar angemeldet, aber von der Versorgungsbehörde erst während der Heilbehandlung oder später anerkannt worden ist. Eine andere Auffassung wäre sinnwidrig, weil sie den Ersatzanspruch von der Dauer der Heilbehandlung oder des Verwaltungsverfahrens abhängig machen würde, ohne daß das Gesetz für die Erstattung auf die Dauer dieser beiden Vorgänge auch nur andeutungsweise abgestellt hätte (vgl. hierzu auch Urteil des erkennenden Senats vom 26. August 1965 - 9 RV 734/62).

Somit kam es im vorliegenden Fall nur darauf an, ob die dem R. vom Versorgungsamt zugebilligte Heilbehandlung auf dessen Versorgungsantrag vom 9. Oktober 1953 zurückzubeziehen ist. Hierbei brauchte auf die Bedeutung der Vorschrift des § 10 Abs. 3 BVG aF, die Gewährung von Heilbehandlung sowie Kostenersatz an den " Beschädigten" "auch vor der Anerkennung ... einer Gesundheitsstörung" als Kannleistung vorsieht, nicht eingegangen zu werden, da für das Rechtsverhältnis zwischen Krankenkasse und Versorgungsbehörde nur § 19 BVG maßgebend ist.

Bei der Prüfung der Frage, ob der Bewilligungsbescheid vom 8. August 1956 auf den Versorgungsantrag des R. vom 9. Oktober 1953 zurückzubeziehen ist, hat das SG den Bescheid vom 8. August 1956 unzutreffend ausgelegt. Der Senat konnte dahingestellt sein lassen, ob in diesem Bescheid ein Zugunsten-Bescheid nach § 40 VerwVG oder (bezüglich der Rente) ein neuer gleichlautender Verwaltungsakt, der dem Berechtigten lediglich den Rechtsweg eröffnen sollte (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 21 und Nr. 22 zu § 77 SGG; BSG 18, 22 ff und Urteil des BSG vom 13. Dezember 1962 - 8 RV 837/60 - in BVBl 1963, 87) oder etwa die erste sachliche Regelung des geltend gemachten Versorgungsanspruchs zu erblicken ist. Jedenfalls ist von diesem Bescheid, der mit der Zustellung oder dem Zugang für die Versorgungsbehörde bindend geworden ist (§ 24 Abs. 2 VerwVG), auszugehen; ob die vorherige Zustimmung des Landesversorgungsamts vom Versorgungsamt eingeholt wurde (§ 40 Abs. 1 VerwVG), ist unerheblich (vgl. Schönleiter-Hennig, Komm. zum VerwVG, Anm. 7 zu § 40 VerwVG; BSG in SozR Nr. 21 zu § 77 SGG). Bei der Prüfung, ob bezw. auf welchen Zeitpunkt der Bescheid vom 8. August 1956 für die hier strittige Heilbehandlung zurückwirkt, brauchte der Senat nicht zu erörtern, inwieweit ein früherer aus formalen Gründen abgelehnter Antrag zum Nachteil des Beschädigten etwa als verbraucht gelten muß. Denn da der Beklagte auf den ersten Versorgungsantrag von 1953 die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs bisher noch nicht geprüft hatte, war er am 8. August 1956 zumindest nicht gehindert , entsprechend dem Grundsatz, daß Versorgung ab Antragsmonat zu gewähren ist und daß Heilbehandlung frühestens mit dem Tag der Anmeldung des Anspruchs beginnt (§ 60 Abs. 1 und 3 BVG nF) seinen Bescheid auf den Zeitpunkt der ersten Antragstellung zurückwirken zu lassen. Im Bescheid vom 8. August 1956 heißt es, daß R. für die anerkannten Schädigungsfolgen nach § 57 Abs. 1 letzter Satz i. V. m. § 10 Abs. 2 BVG Heilbehandlung gewährt werde. § 57 Abs. 1 letzter Satz in der hier maßgebenden Fassung des BVG vom 6. Juni 1956 (nF) lautet: Der Anspruch auf Heilbehandlung kann nach Ablauf der Frist (des § 56 - 30. September 1952 -) noch geltend gemacht werden, wenn seine Voraussetzungen (§ 10 Abs. 2 BVG - das heißt, Verhütung oder Beseitigung einer Verschlimmerung -) " erst später " eingetreten sind. Nachdem im Bescheid Versorgungsansprüche abgelehnt worden waren, weil die Anmeldefrist des § 56 BVG am 30. September 1952 abgelaufen sei, ist unter "erst später" die Zeit nach dem 30. September 1952 zu verstehen. Da der Versorgungsbehörde spätestens seit dem Schreiben der Klägerin vom 11. Oktober 1954 bekannt war, daß diese einen Ersatzanspruch gemäß § 19 BVG geltend machen werde, ist der Bescheid dahin zu werten, daß sich die 1956 erfolgte Zubilligung der Heilbehandlung auf die nach dem 30. September 1952 erforderlich gewordene, d. h. somit auch auf die im vorliegenden Fall strittige Heilbehandlung bezieht. Diese Auslegung wird auch durch den weiteren Inhalt des Bescheides gestützt. Nach § 60 Abs. 3 BVG nF - ebenso wie nach § 60 Abs. 3 BVG aF - begann die Heilbehandlung mit dem Tage, an dem die Bedingungen für ihre Gewährung erfüllt sind, frühestens mit dem Tage der Anmeldung des Anspruchs . Als Tag der Anmeldung des Anspruchs ist im Bescheid vom 8. August 1956 oben ganz allgemein der Antrag vom "9.10.1953" festgehalten. Mindestens dieser Angabe muß entnommen werden, daß die Gewährung von Heilbehandlung auf diesen Zeitpunkt zurückbezogen werden sollte, zumal das VerorgA wußte, daß dem R. 1953 Heilbehandlung bereits gewährt worden war und es der Klägerin darauf ankam, Ersatz für die dadurch entstandenen Kosten zu erlangen. Für die Auslegung des Bescheides ist dessen objektiver Inhalt maßgebend. Es ist daher unerheblich, ob die Angabe des ersten Antrags, wie der Beklagte im Verfahren vor dem SG vorgetragen hat, nur für die Entscheidung nach den §§ 56, 57 BVG aF maßgebend gewesen sein sollte. Hinzu kommt, daß die Entscheidung über die Heilbehandlung nach § 57 BVG auf kein anderes Datum einer Antragstellung Bezug nahm. Nach alledem ist aus dem Bescheid zu entnehmen, daß die Heilbehandlung ab Antrag vom 9. Oktober 1953, der am 10. Oktober 1953 bei der Versorgungsbehörde einging, zugebilligt worden ist.

Bei dieser Sachlage konnte dahingestellt bleiben, ob der Beklagte nicht auch aus anderen Gründen verpflichtet war, vom ersten Versorgungsantrag auszugehen. Denn an der formellen Ablehnung in den beiden früheren Bescheiden trifft das VersorgA, das nach § 12 Abs. 1 VerwVG den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären hat, ein Mitverschulden. Hätte es damals bereits in seinem Archiv geforscht, so hätte es festgestellt, daß schon 1944 ein Versorgungsantrag nach der Personenschädenverordnung vom 1. September 1939 in der Fassung vom 10. November 1940 gestellt und R. ein Heilfürsorgeausweis ausgestellt worden war. Außerdem hat die Versorgungsbehörde in der Zeit nach Oktober 1953 von R. immer wieder die Vorlage eines Entlassungsscheines D-2 gefordert, den er als Angehöriger der Feuerwehr gar nicht besitzen konnte. Wenn R. damals schwieg, so mag dies daran gelegen haben, daß er durch das Verhalten des VersorgA in den Glauben versetzt wurde, sein Versorgungsantrag müsse erfolglos bleiben, da er einen solchen Entlassungsschein nicht besitze.

Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist somit in vollem Umfang begründet. Zwar ist der Antrag vom 9. Oktober 1953 erst am 10. Oktober 1953 beim VersorgA eingegangen; er lag jedoch bereits am 9. Oktober 1953 bei der Klägerin, d. h. bei einem inländischen Träger der Sozialversicherung vor (vgl. § 6 Abs. 2 VerwVG), weshalb als Tag der Anmeldung der 9. Oktober 1953 zu gelten hat.

Eine Kostenentscheidung entfällt (§ 193 Abs. 4 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380673

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