Leitsatz (amtlich)

Hat ein Arbeitgeber einen Bankkredit zur Begleichung einer von der Einzugsstelle zu Unrecht erhobenen Beitragsforderung aufgenommen, so hat er nach Aufhebung des rechtswidrigen Beitragsbescheids nur Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Beiträge, nicht aber auch auf Ersatz der Bankzinsen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Über die Frage zu entscheiden, ob eine KK als Einzugsstelle im Falle einer schuldhaft rechtswidrigen Beitragseinziehung zum Schadensersatz (dieser könnte auch die Aufwendungen des Arbeitgebers für den aufgenommenen Bankkredit umfassen) verpflichtet ist, sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig. Zur Entscheidung dieser Fragen sind die ordentlichen Gerichte zuständig.

 

Normenkette

RVO § 1424 Fassung: 1957-02-23, § 1425 Fassung: 1957-02-23; BGB § 288 Fassung: 1896-08-18, § 291 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und der beiden Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. März 1964 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. März 1962 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) der klagenden Genossenschaft Zinsen für einen Bankkredit zu erstatten hat, den diese zur Zahlung für zu Unrecht von ihr angeforderte Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aufgenommen hat; des weiteren auch darüber, ob Prozeßzinsen gefordert werden können.

Mit den durch Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1957 bestätigten Bescheiden vom 29. Mai 1956 und 26. März 1957 hatte die AOK festgestellt, daß die Tätigkeit der bei der Klägerin als Lagerhalter, An- und Verkäufer sowie Vermittler tätigen Landwirte H M und Ewald M versicherungspflichtig sei. Die Beklagte forderte später bei der Klägerin Beiträge für H M für die Zeit vom 1. Dezember 1953 bis zum 31. Dezember 1955, für E M für die Zeit ab 1. Dezember 1955 nach, und zwar insgesamt 8.900,04 DM. Davon entfielen auf Beiträge zur Krankenversicherung 2.482,69 DM, zur Rentenversicherung 5.458,10 DM und zur Arbeitslosenversicherung 959,25 DM. Nach einem Aktenvermerk der Beklagten vom 25. März 1958 wurden an diesem Tage mit dem Geschäftsführer der Klägerin Abschlagszahlungen auf die Beitragsrückstände vereinbart. Diese Zahlungen wurden in der Folgezeit geleistet. Auf die bereits im August 1957 erhobene Klage hob das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 21. April 1960 die angefochtenen Bescheide auf, da die Tätigkeit von H und E M nicht der Versicherungspflicht unterlegen habe. Dieses Urteil wurde von der Beklagten nicht angefochten.

Am 18. November 1960 verfügte die Beklagte die Rückzahlung der Beiträge an die Klägerin. Mit Schreiben vom 8. September 1960 begehrte diese von der Beklagten den Ersatz der Bankzinsen, die sie für einen Kredit zur Begleichung der unberechtigten Beitragsforderung gezahlt habe. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 23. September 1960 ab. Der Widerspruch wurde am 14. Februar 1961 zurückgewiesen. Das SG hat nach Beiladung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die Beklagte verurteilt, der Klägerin 1.747,38 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 13. März 1961 zu zahlen. Dabei sind die 1.747,38 DM die Zinsen vom 1. September 1957 bis zum 15. November 1960. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der Klägerin stehe als Folgenbeseitigungsanspruch der Ersatz der durch die Inanspruchnahme eines Kredites entstandenen Aufwendungen in Gestalt der üblichen Bankzinsen zu. Die Verwaltungsstelle, die einen noch nicht rechtskräftigen Verwaltungsakt vollziehe, handele auf eigene Gefahr. Es sei daher rechtens, daß sie im Falle späterer Aufhebung des Verwaltungsaktes diese Folgen zu beseitigen habe. Der Folgenbeseitigungsanspruch umfasse nicht nur die Rückzahlung der gezahlten Beiträge, sondern auch weitergehende Ansprüche. Er sei unabhängig von dem durch schuldhafte Rechtsverletzung ausgelösten Schadensersatzanspruch nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i. V. m. Art. 34 des Grundgesetzes; er beruhe vielmehr auf der Haftung für schuldlose rechtswidrige Handhabung der Staatsgewalt und umfasse auch alle sonstigen Beeinträchtigungen, die mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes noch nicht beseitigt seien. Weiterhin habe die Beklagte für die Zeit vom Eintritt der Rechtshängigkeit an der Klägerin Prozeßzinsen entsprechend der Regelung des § 291 BGB zu zahlen, weil diese einen allgemeinen Rechtsgedanken enthaltende Vorschrift auch im öffentlichen Recht anwendbar sei, soweit nicht etwa eine abweichende Regelung vorliege. Der Anspruch auf Prozeßzinsen setze nur voraus, daß die Forderung fällig sei und daß der Schuldner es auf einen Rechtsstreit über die Forderung ankommen lasse, anstatt zu leisten. Durch ein allgemeines Gesetz seien Zinsansprüche für öffentlich-rechtliche Forderungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die Reichsversicherungsordnung (RVO) enthalte hierzu keine besondere Regelung. Revision ist zugelassen worden.

Gegen das Urteil haben die beklagte AOK, die beigeladene LVA und die beigeladene BfArb Revision eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, die Vorschriften der §§ 288, 291 BGB über die Verzinsung von Geldschulden könnten keine entsprechende Anwendung finden. In den Sozialversicherungsgesetzen seien nur in einzelnen Fällen Vorschriften über Zinsleistungen enthalten. Dieser Umstand rechtfertige den Schluß, daß Zinsen nur in den ausdrücklich genannten Fällen verlangt werden könnten. Das Reichsversicherungsamt (RVA) habe bereits ausgesprochen, daß § 286 BGB keinen auf allen Rechtsgebieten gültigen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthalte, ein Anspruch auf Verzugszinsen oder ein sonstiger Verzugsschaden werde nur in den in der RVO besonders aufgezählten Fällen gewährt. Es sei auch zu berücksichtigen, daß der Versicherungsträger in Fällen der vorliegenden Art nicht nur zu Unrecht Beiträge gefordert und entgegengenommen, sondern auch das Versicherungsrisiko so lange zu tragen gehabt habe, als die Beiträge als rechtswirksam entrichtet anzusehen seien und die Verpflichtung zur Rückkehr nicht endgültig feststehe.

Die beigeladene LVA macht geltend, der Folgenbeseitigungsanspruch sei im wesentlichen ein Erstattungsanspruch, also ein Anspruch auf Rückgängigmachung des Realakts sowie ein Entschädigungsanspruch wegen Inkaufnehmens der Rechtswidrigkeit seitens der vollziehenden Behörde. Nach der Rechtsprechung des RVA müsse man davon ausgehen, daß die Geltendmachung eines Folgenbeseitigungsanspruchs auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts nur in der Weise denkbar sei, daß man die seinerzeit bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über die Erstattung (heute Rückzahlung) zu Unrecht entrichteter Beiträge auf die Gewährung von Leistungen anwende. Ein weitergehender Folgenbeseitigungsanspruch sei schon unter der Rechtsprechung des RVA dem Sozialversicherungsrecht fremd gewesen. Der Gesetzgeber habe, soweit es die Rentenversicherung betreffe, am 1. Januar 1957 diese alte Regelung durch die §§ 1424, 1425 RVO bzw. §§ 146, 147 des Angestelltenversicherungsgesetzes übernommen.

Die beigeladene BfArb führt aus, auch wenn ein Folgenbeseitigungsanspruch grundsätzlich nicht bestritten werden könne, so umfasse dieser nicht alle Aufwendungen, die die Klägerin gemacht habe. Vielmehr habe die Beklagte nur das herauszugeben, was sie durch die Vollziehung des später wieder aufgehobenen Verwaltungsaktes erlangt habe; dieser Anspruch der Klägerin sei aber bereits erfüllt. Ihr weitergehender Anspruch sei auch nicht als Entschädigungsanspruch wegen Inkaufnehmens der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts seitens der vollziehenden Behörde begründet. Der Umfang des Entschädigungsanspruchs beschränke sich auf den unmittelbaren Schaden und schließe jeden mittelbaren Schaden aus. Die Aufnahme eines Bankkredites sei aber kein unmittelbarer, sondern eine mittelbare Folge des aufgehobenen Verwaltungsakts.

Die Beklagten, die beigeladene LVA und die beigeladene BfArb beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 24. März 1964 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 8. März 1962 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

II

Die Revisionen sind begründet. Zu Unrecht hat das LSG angenommen, die klagende Genossenschaft habe unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung gegen die beklagte AOK Anspruch nicht nur auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Beiträge, sondern auch auf Ersatz der Aufwendungen, die sie durch Inanspruchnahme eines Kredits bei ihrer Bank in Gestalt der üblichen Bankzinsen gehabt hat.

Zwar ist der Klägerin darin beizupflichten, daß die Aufnahme eines Bankkredits wirtschaftlich gesehen Folge der finanziellen Belastung eines Arbeitgebers mit - möglicherweise unerwarteten - Beitragsforderungen sein kann, zumal wenn sie zur Abwendung eines drohenden Verwaltungszwangs erfolgt ist. Deshalb ist die Möglichkeit nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen, daß sich der aus der Aufhebung des zugrunde liegenden rechtswidrigen Verwaltungsakts fließende Anspruch auf Folgenbeseitigung auch auf Ersatz solcher unvermeidlichen Aufwendungen erstreckt.

Indessen ist für eine solche auf Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts gestützte Lückenausfüllung kein Raum, wenn das jeweilige Rechtsgebiet, dem der Anspruch angehört, die Verpflichtung zur Folgenbeseitigung enger begrenzt. Das ist aber im Recht der Sozialversicherung der Fall. Hier wird grundsätzlich sowohl im Falle des Leistungsverzugs als auch dem der Erstattung zu Unrecht bezogener Leistungen nur der den Gegenstand der Leistung selbst bildende Betrag geschuldet; Verzugszinsen sind nicht zu entrichten (vgl. BSG 22, 150, 153 ff; 24, 16, 18 f). Soll der Schuldner ausnahmsweise zu weitergehenden Leistungen als dem zur Hauptsache geschuldeten Betrag - wie Säumniszuschlägen und Verzugszinsen - verpflichtet werden können, so enthält das Gesetz ausdrückliche Ermächtigungen (vgl. §§ 397 a, 751, 823 Abs. 2; 1400 Abs. 3; 1436 Abs. 2 RVO; §§ 122 Abs. 3, 158 Abs. 2 AVG). Aus dieser Systematik des Gesetzes muß gefolgert werden, daß im Recht der Sozialversicherung - außer in den vom Gesetz selbst genannten Fällen - nur der den Gegenstand der eigentlichen Leistung bildende Betrag, nicht aber zusätzliche Leistungen wie Verzugszinsen oder auch - wie im vorliegenden Fall - Aufwendungen für eine durch rechtswidriges Handeln der Verwaltung ausgelöste Kreditaufnahme geschuldet werden.

Daß im Recht der Sozialversicherung solche zusätzlichen Leistungsverpflichtungen im Falle des Verzugs nur gegenüber der forderungsberechtigten Verwaltung - das allerdings, wie dargelegt, auch nur in wenigen Fällen -, nicht aber auch umgekehrt vorgesehen sind, stellt keine unzulässige Privilegierung der Verwaltung dar. Die Träger der Sozialversicherung tragen als Repräsentanten der Solidargemeinschaften der Versicherten eine besondere Verantwortung dafür, daß die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel bereitgestellt werden (vgl. BSG 24, 16, 19). Insbesondere muß bei den Krankenkassen als Einzugsstellen berücksichtigt werden, daß sie nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sind, auf einen pünktlichen Beitragseingang hinzuwirken, damit die Versicherungsträger rechtzeitig in den Besitz der zur bestimmungsgemäßen Verwendung erforderlichen Mittel kommen. Sie können daher nicht jeweils warten, bis die Bescheide bindend geworden sind. Daß diese Sonderstellung der Verwaltung auch auf anderen Rechtsgebieten anerkannt ist, zeigt das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. März 1963 (DVBl 1963, 293), wonach das Finanzamt berechtigt ist, noch nicht bindend gewordene Steuerbescheide zu vollziehen, und im Falle einer späteren Aufhebung dieser Bescheide außer der Rückzahlung des Empfangenen nur ein Anspruch aus etwaiger Amtspflichtverletzung, nicht aber aus anderen Gesichtspunkten gegeben ist.

Ob etwa die Beklagte als Einzugsstelle im Falle einer schuldhaft rechtswidrigen Beitragseinziehung zum Schadenersatz verpflichtet ist (dieser könnte dann auch die Aufwendungen für einen Bankkredit umfassen), hatte der Senat nicht zu entscheiden; denn hierfür sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig. Der Anspruch auf Ersatz der Kreditzinsen ist mithin unbegründet.

Schon deshalb entfällt auch ein Anspruch auf Prozeßzinsen für diesen Betrag.

Das Urteil des LSG muß daher auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

NJW 1967, 1439

MDR 1967, 702

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