Leitsatz (amtlich)

1. Der Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 1949-03-22 (ND Steuer- und Zollblatt 1949, 107) über die lohnsteuerliche Behandlung der Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft, der im Lande Niedersachsen mit Wirkung vom 1949-04-01 an die Stelle des RMF-Erl vom 1943-06-02 (RStBl S 457) getreten ist, verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (GG Art 3 Abs 1) und hat jedenfalls bis zum Inkrafttreten des EStG § 40 Fassung: 1957-07-26 (BGBl 1 848) im Lande Niedersachsen als Bundesrecht fortgegolten.

2. Die auf Grund des Erlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 1949-03-22 pauschalbesteuerten Bezüge land- und forstwirtschaftlicher Aushilfskräfte bleiben bei der Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Ansatz (Abschn 1 Nr 4 des RMF/RAMErl 1944-09-10 - AN S 281 -) und sind daher nicht als Entgelt iS der Sozialversicherung anzusehen (Nr 1 des RAMErl 1944-10-24 - AN S 302 -).

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 123 Fassung: 1949-05-23, Art. 125 Fassung: 1949-05-23; RVO § 160 Abs. 1 Fassung: 1936-12-23; RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn. 1 Nr. 4; RAMErl 1944-10-24 Nr. 1; RFMErl 1943-06-02; EStG § 40 Fassung: 1957-07-26

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. April 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Landkrankenkasse (LKK) berechtigt ist, von dem Kläger für - dem Namen nach nicht bekannte - Aushilfskräfte, die in dessen landwirtschaftlichem Betrieb jeweils kurzfristig beschäftigt waren, Beiträge zur Invalidenversicherung (Rentenversicherung der Arbeiter) zu fordern.

Der Kläger ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes. Auf Grund einer Betriebsprüfung forderte die beklagte IKK durch Bescheid vom 2. Dezember 1955 für den Bruder des Klägers - Dieter O -, der bei ihm beschäftigt gewesen war, den Haussohn T. F sowie eine nicht näher bekannte Anzahl von Aushilfskräften für die Zeit von Januar 1954 bis zum September 1955 Beiträge zur Kranken- und Invalidenversicherung. Diese Beiträge waren nach der Summe der insgesamt gezahlten Löhne berechnet. Der Kläger erhob Widerspruch und beantragte, den Bescheid dahin zu berichtigen, daß nur Beiträge zur Krankenversicherung (KrV) zu zahlen seien. Die von der LKK ermittelten Löhne seien an Teilbeschäftigte gezahlt worden, die die Beiträge zur Rentenversicherung durch Verwendung von Beitragsmarken selbst hätten entrichten müssen.

Nachdem die Beklagte die Beiträge zur KrV mit 6 v. H. der Lohnsumme berechnet und der Kläger diese Beiträge gezahlt hatte, wurde der Widerspruch im übrigen durch Bescheid vom 1. Juni 1956 zurückgewiesen: Es sei weder nachgewiesen noch glaubhaft, daß die vom Kläger beschäftigten Aushilfskräfte Teil beschäftigte gewesen seien. Ihre Namen seien nicht bekannt. Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß sie kranken- und invalidenversicherungspflichtig gewesen seien.

Der Kläger erhob Klage beim Sozialgericht (SG) Aurich mit dem Antrag, den Bescheid vom 2. Dezember 1955 und den Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1956 aufzuheben. Das SG hörte den Vater des Klägers, R. J. O, den Haussohn T. F sowie Frau G. B, die Anführerin einer Arbeitskolonne, die beim Kläger tätig gewesen war, als Zeugen und wies die Klage ab: Feststellungen über die in den Arbeitskolonnen Beschäftigten und über die gezahlten Einzelentgelte könnten nicht mehr getroffen werden. Da eine Beschäftigung gegen Entgelt grundsätzlich versicherungspflichtig sei, habe der Kläger den Nachteil zu tragen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit nicht mehr aufzuklären seien (Urteil vom 5. Juli 1957). Der Kläger legte Berufung ein und beantragte, nachdem sich der Rechtsstreit hinsichtlich des Haussohnes T. F und des D. O auf andere Weise erledigt hatte, das Urteil des SG Aurich vom 5. Juli 1957 aufzuheben und den Bescheid vom 2. Dezember 1955 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 1956 dahin zu ändern, daß Beiträge zur Invalidenversicherung für die von Januar 1954 bis September 1955 beschäftigten Aushilfskräfte nicht gefordert werden. Zur Begründung trug er vor: Da die Sozialversicherung eine Personenversicherung sei, könnten Beiträge für Unbekannte nicht erhoben werden. Im übrigen habe es sich bei den von ihm beschäftigten Aushilfskräften um unständig Beschäftigte gehandelt, die ihre Beiträge selbst zu entrichten hätten. Schließlich seien die Aushilfskräfte auch versicherungsfrei gewesen, weil ihr Arbeitsentgelt der Pauschalbesteuerung unterlegen habe und deshalb der Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen (RMdF) und des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 10. September 1944 (AN S. 281) anzuwenden sei. Demgegenüber machten die Beklagte und die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) geltend, bei den Aushilfskräften sei eine Pauschalbesteuerung nicht zulässig gewesen, zumindest führe die Pauschalbesteuerung nicht zur Versicherungsfreiheit. Da der Kläger schuldhaft keine Aufzeichnungen über die von ihm Beschäftigten gemacht habe, müsse er die Vermutung gegen sich gelten lassen, daß beitragspflichtige Entgelte vorgelegen hätten. Das Landessozialgericht (LSG) gab der Berufung des Klägers statt und änderte den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1955 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides dahin, daß Beiträge zur Invalidenversicherung für die vom Januar 1954 bis September 1955 beschäftigten Aushilfskräfte nicht gefordert werden dürften.

Zur Begründung seines Urteils führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus: Die Aushilfskräfte, die der Kläger in der Zeit vom Januar 1954 bis zum September 1955 beschäftigt habe, seien versicherungsfrei gewesen. Wie der Kläger auf Grund der Aufzeichnungen in seinem Lohnbuch glaubhaft dargelegt habe, handele es sich bei den Beschäftigten um eine nicht näher bestimmte größere Anzahl von Personen, vorwiegend Frauen und Mädchen, die in der streitigen Zeit an einzelnen Tagen Rüben gehackt, Bohnen und Erbsen gepflückt sowie Rübenstecklinge gesetzt hätten. Durch die vom SG durchgeführte Beweisaufnahme habe sich weder die Zahl der Beschäftigten noch deren Namen oder der jeweils gezahlte Einzellohn ermitteln lassen. Die Lohnsteuer habe der Kläger in einem Pauschbetrag von 2 v. H. des Arbeitslohnes berechnet und an das Finanzamt abgeführt; er habe die Pauschalsteuer übernommen. Nach § 1226 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung der Ersten Vereinfachungs-Verordnung (1. VereinfVO) vom 17. März 1945 setze die Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung (Rentenversicherung der Arbeiter) in der hier streitigen Zeit die Versicherungspflicht in der KrV voraus. Diese hänge nach § 165 Abs. 2 RVO aF von einer Beschäftigung gegen Entgelt ab. Zum Entgelt gehörten nach § 160 Abs. 1 RVO zwar grundsätzlich alle Bar- und Sachbezüge, die als Gegenleistung auf Grund eines Dienstverhältnisses gewährt würden, dies gelte jedoch nicht ausnahmslos. Nach § 19 der Zweiten Lohnabzugs-Verordnung - 2. LAV - vom 24. April 1942 (AN S. 290) seien zur Angleichung der Bemessungsgrundlage die gesetzlichen Lohnabzüge grundsätzlich von der gleichen Bemessungsgrundlage zu berechnen. Der Gemeinsame Erlaß des RMdF und des RAM über die weitere Vereinfachung des Lohnabzugs vom 10. September 1944 (AN S. 281) wiederhole in Abschnitt 1 zunächst, daß die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen seien, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Er bestimme aber in Nr. 4, daß für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung Bezüge außer Ansatz bleiben, "für die ich, der Reichsminister der Finanzen, Pauschalbesteuerung zugelassen habe oder zulassen werde". Darüber hinaus habe der RAM unter Hinweis auf die Ermächtigung in § 160 Abs. 1 Satz 2 RVO in Nr. 1 seines Erlasses vom 24. Oktober 1944 (AN S. 302) angeordnet, daß Lohnbezüge, die nach dem Gemeinsamen Erlaß bei der Berechnung der Beiträge außer Ansatz bleiben, nicht als Entgelt im Sinne der Sozialversicherung anzusehen seien. Der RMdF habe in seinem Erlaß vom 2. Juni 1943 (RStBl S. 457) für Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft eine Pauschalbesteuerung zugelassen. Aushilfskräfte, die freiwillig oder nach Aufforderung durch die Arbeitseinsatzbehörden in Zeiten großen Arbeitsanfalls in der Land- und Forstwirtschaft mitarbeiteten, brauchten nach diesem Erlaß ihre Lohnsteuerkarte nicht vorzulegen. Die Lohnsteuer habe zur Vereinfachung des Lohnabzugsverfahrens in einem Pauschbetrag von 2 v. H. des Arbeitslohnes berechnet und durch den Arbeitgeber an das Finanzamt abgeführt werden können unter der Voraussetzung, daß dieser die Pauschalsteuer übernahm.

Der Gemeinsame Erlaß sei noch heute in Kraft und eine unmittelbar geltende Rechtsnorm. Der Erlaß des RMdF vom 2. Juni 1943 gebe zwar keine Rechtsgrundlage an, er leite sich aber aus der dem RMdF durch die Reichsabgabenordnung (RAO) erteilten Ermächtigung her. Nach § 12 RAO in der Fassung des § 21 Nr. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) vom 16. Oktober 1934 (RGBl I 925) habe der RMdF zur Durchführung und Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen und insbesondere auch den Umfang der Befreiungen und Steuerermäßigungen näher regeln können. Diese Vorschrift sei eine ausreichende Ermächtigung für den Erlaß vom 2. Juni 1943, der als Rechtsverordnung anzusehen sei.

Der Erlaß vom 2. Juni 1943 sei durch die Konstituierung der Bundesrepublik nicht gegenstandslos geworden; er habe nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 125 GG als Bundesrecht weitergegolten. Der Bund habe das alte Recht hinsichtlich der Pauschalbesteuerung erstmalig durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl I 848) geändert, das dem Einkommensteuergesetz (EStG) den § 40 eingefügt habe, wonach die Finanzämter ua die Pauschalbesteuerung von Bezügen aushilfsweise beschäftigter Arbeitnehmer hätten zulassen können. Bis dahin sei jedenfalls die Pauschalbesteuerung auf Grund des Erlasses des RMdF vom 2. Juni 1943 rechtens gewesen. Das gelte auch, wenn man von dem inhaltlich gleichen Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 22. März 1949 (Steuer- und Zollblatt S. 107) ausgehe, der den Erlaß des RMdF vom 2. Juni 1943 habe ersetzen sollen. Als verfassungsmäßige Rechtsnachfolger des RMdF seien die Finanzminister der Länder nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches und vor Beginn der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die nach Art. 122 Abs. 1 GG mit dem Zusammentritt des Bundestages - 7. September 1949 - begonnen habe, ermächtigt gewesen, gleiche Vorschriften wie der RMdF zu erlassen. Dabei habe es sich nicht, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 10. Juli 1959 (BStBl III S. 354) ohne nähere Begründung ausgeführt habe, um bloße Verwaltungsanweisungen gehandelt, die der gesetzlichen Grundlage entbehrten. Vielmehr seien sie allgemeinverbindliche Rechtsverordnungen und damit auch von den Gerichten zu beachtende Rechtsnormen gewesen. - Aber selbst wenn die beiden Erlasse vom 2. Juni 1943 und 22. März 1949 im Gesetz keine ausreichende Rechtsgrundlage gehabt hätten, seien sie kraft Gewohnheitsrechts gültig.

Die mit 2 v. H. pauschal besteuerten Bezüge der Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft seien zumindest bis zum Inkrafttreten des § 40 EStG - 6. August 1957 - nach Abschnitt 1 Nr. 4 des Gemeinsamen Erlasses in Verbindung mit dem Erlaß des RAM vom 24. Oktober 1944 kein Entgelt im Sinne der Sozialversicherung. Die beim Kläger in den Jahren 1954 und 1955 beschäftigten Aushilfskräfte seien daher versicherungsfrei gewesen.

Unabhängig davon könne die Beklagte für die den Aushilfskräften gezahlten Löhne auch deshalb keine Beiträge fordern, weil die Versicherungspflicht der einzelnen Aushilfskräfte nicht mehr zu klären sei. Eine Vermutung, daß Versicherungspflicht anzunehmen sei, solange nicht Versicherungsfreiheit festgestellt werde, bestehe bei der Beschäftigung von Aushilfskräften an jeweils nur ein bis zwei Tagen nicht. Dieser Vermutung stehe schon § 168 Abs. 1 RVO entgegen, der nach § 1226 Nr. 1 RVO aF auch für die Invalidenversicherung gegolten habe. Aushilfsweise Beschäftigungen in der Landwirtschaft zu Pflück- und Erntearbeiten würden aber gerade von solchen ländlichen Bevölkerungskreisen ausgeübt, deren wirtschaftliche Stellung nicht zu einem erheblichen Teil auf Lohnarbeit beruhe. Vielmehr handele es sich dabei oft um Personen, deren wirtschaftliche Existenz durch das Einkommen Unterhaltsverpflichteter gesichert sei und die nur zur Bestreitung zusätzlicher eigener Bedürfnisse einem vorübergehenden Erwerb nachgingen. Sollte es sich aber dennoch um berufsmäßige Lohnarbeiter gehandelt haben, so folge daraus nicht in jedem Falle eine Beitragspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Versicherungsträger. Denn es könne sich bei den Aushilfskräften auch um unständig Beschäftigte (§ 441 RVO) gehandelt haben, die ihre Beitragspflicht nach § 15 Abs. 3 der Durchführungsverordnung zur 2. LAV vom 15. Juni 1942 (RGBl I 404) selbst zu erfüllen hätten. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die beklagte LKK hat Revision eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 11. April 1961 aufzuheben und die Entscheidung des SG Aurich vom 5. Juli 1957 zu bestätigen.

Sie trägt zur Begründung der Revision im wesentlichen folgendes vor:

Der Erlaß des RMdF vom 2. Juni 1943 sei seinem Inhalt und seiner Wirkung nach nur für die Kriegszeit bestimmt gewesen. Da er hauptsächlich auf Angehörige der Partei und ihrer Gliederungen, Schüler und Studenten, also auf Personenkreise verweise, die nicht zu denjenigen gehörten, auf die sich das angefochtene Urteil beziehe, könne nicht angenommen werden, daß er über das Kriegsende hinaus weitergegolten habe. Daß auch die Länder nach 1945 dieser Auffassung gewesen seien, gehe daraus hervor, daß ua der Niedersächsische Minister der Finanzen mit Erlaß vom 22. März 1949 eine eigene Regelung getroffen habe, die inhaltlich mit dem Erlaß vom 2. Juni 1943 übereinstimme. Dieser Erlaß stelle aber keine allgemeinverbindliche Rechtsverordnung dar, sondern sei als Verwaltungsanweisung einer übergeordneten Behörde an eine nachgeordnete Dienststelle anzusehen. Durch die Entscheidung des BFH vom 10. Juli 1959 (BStBl 1959 III 354), wonach Verwaltungsanordnungen der Länderfinanzminister über eine Pauschalbesteuerung für die Landwirtschaft in Höhe von 2 v. H. der gesetzlichen Grundlage entbehrten, sei auch dem Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers vom 22. März 1949 die Rechtsgrundlage entzogen worden, wenn er sie überhaupt gehabt habe. Die Erlasse vom 2. Juni 1943 und 22. März 1949 könnten auch nicht kraft Gewohnheitsrechts als gültig angesehen werden. Im übrigen habe das Berufungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse in der Landwirtschaft nicht berücksichtigt. Früher habe jeder landwirtschaftliche Betrieb eine ausreichende Anzahl ständiger Arbeitskräfte gehabt, zu denen im allgemeinen auch die Ehefrauen der Landarbeiter und andere ortsgebundene Personen zählten. Diese Frauen seien vor allem bei Hackfruchtarbeiten, aber auch bei der Heu- und Kornernte ständig eingesetzt worden. Zwischen diesen Arbeitszeiten habe es gelegentlich arbeitsfreie Tage gegeben. Der Erlaß vom 2. Juni 1943 habe dagegen Personen erfaßt, die hauptsächlich durch die Kriegsverhältnisse zum Einsatz in der Landwirtschaft herangezogen wurden, die aber an sich nicht in der Landwirtschaft tätig gewesen seien. Nach dem Kriege hätten sich die Verhältnisse jedoch wesentlich verändert. Der industrielle Aufschwung in der Bundesrepublik habe zu einer ständigen Abwanderung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte geführt. Die Betriebe seien deshalb und auch aus anderen wirtschaftlichen Gründen zur Rationalisierung gezwungen worden. Das habe dazu geführt, daß die früher ständig beschäftigten Frauen und sonstigen Kräfte nur noch als Aushilfskräfte in Erscheinung träten. Wenn sich die Zeitdauer ihrer Beschäftigung gegenüber den früheren Verhältnissen auch verkürzt habe, so seien diese Personen doch auf den aus dieser Arbeit erzielten Verdienst wirtschaftlich angewiesen. Man könne daher nicht allgemein feststellen, daß diese Aushilfstätigkeiten Versicherungsfreiheit nach § 168 RVO bewirkten. Der Auffassung des LSG, die Nachteile, daß nähere Feststellungen über die einzelnen Aushilfsbeschäftigungen nicht mehr zu treffen seien, gingen zu Lasten der Versicherungsträger, könne nicht gefolgt werden, denn sie öffne der Beitragshinterziehung Tür und Tor.

Die beigeladene LVA hat sich den Ausführungen der beklagten LKK im wesentlichen angeschlossen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zu verwerfen.

Er meint, die Einlegung der Revision entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften, da die von dem Referenten W unterzeichnete Revisionsschrift vom 18. Mai 1961 keinen Antrag enthalten habe. Die von dem Geschäftsführer P unterschriebene Revisionsschrift vom 19. Mai 1961 könne keine Beachtung finden, weil es sich dabei um eine dem Rechtsstreit "absolut fremde und fernstehende Person" handele Er beantragt hilfsweise,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil in der Sache zutreffe.

II

Die von dem Kläger gegen die Zulässigkeit der Revision vorgebrachten Bedenken sind nicht begründet. Zwar entsprach die von dem früheren Prozeßbevollmächtigten der beklagten LKK - Referent W vom Verband der Landkrankenkassen Niedersachsen - unterzeichnete Revisionsschrift vom 18. Mai 1961 nicht dem § 164 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil sie keinen bestimmten Antrag enthielt (BSG 1, 47; 1, 50). Die einen bestimmten Antrag enthaltende Revisionsschrift vom 19. Mai 1961 ist aber noch innerhalb der Revisionsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Daß dieser Schriftsatz nicht von dem früheren Prozeßbevollmächtigten W, sondern von dem damaligen Geschäftsführer des Bundesverbandes der Landkrankenkassen P unterzeichnet ist, steht der Rechtswirksamkeit der Revision nicht entgegen, denn der frühere Prozeßbevollmächtigte W hatte dem Geschäftsführer P Untervollmacht erteilt. Dazu war er nach § 73 Abs. 4 SGG in Verbindung mit § 81 der Zivilprozeßordnung (ZPO) befugt. Da die Vorschrift des § 166 Abs. 2 SGG über die zur Vertretung vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten für Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht gilt (vgl. BSG 2, 159), kann sich die Beklagte im Revisionsverfahren von jeder von ihr für geeignet gehaltenen Person vertreten lassen, also auch von dem Geschäftsführer ihres Bundesverbandes, zu dessen gesetzlichen Aufgaben es zudem gehört, seine Mitglieder vor Versicherungsbehörden und Gerichten zu vertreten (§ 414 f Buchst. d RVO). Die dem Geschäftsführer P erteilte Untervollmacht ist auch alsbald in Schriftform zu den Akten eingereicht worden, sie deckt daher die von ihm vorgenommene Prozeßhandlung (§ 73 Abs. 2 SGG; vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 c) und e) zu § 73 SGG).

Die Revision ist jedoch nicht begründet, weil der Kläger nicht verpflichtet gewesen ist, für die von ihm in der Zeit vom 1. Januar 1954 bis zum September 1955 beschäftigten Aushilfskräfte Beiträge zur Invalidenversicherung zu entrichten.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG handelte es sich bei den vom Kläger beschäftigten Aushilfskräften um eine nicht näher bestimmte größere Anzahl von Personen, vorwiegend Frauen und Mädchen, die an einzelnen Tagen Rüben gehackt, Bohnen und Erbsen gepflückt sowie Rübenstecklinge gesetzt haben. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich ferner, daß die Beschäftigung dieser Personen jeweils nicht länger als ein bis zwei Tage gedauert hat.

Das LSG hat die Beitragspflicht des Klägers in erster Linie deshalb verneint, weil der Kläger für diese Aushilfskräfte die Lohnsteuer in Höhe eines Pauschbetrages von 2 v. H. des Arbeitslohnes übernommen und an das Finanzamt abgeführt habe und weil Lohnbezüge, die nach Abschnitt 1 Nr. 4 des Gemeinsamen Erlasses des RMdF und des RAM vom 10. September 1944 über weitere Vereinfachung des Lohnabzugs (AN 1944, 281) bei der Berechnung der Lohnsteuer außer Ansatz blieben, nicht als Entgelt im Sinne der Sozialversicherung anzusehen seien. Dieser Rechtsauffassung ist beizutreten.

Wie der erkennende Senat mehrfach entschieden hat - und wie auch die Revision nicht in Zweifel zieht - ist der Gemeinsame Erlaß vom 10. September 1944 formell gültig zustande gekommen und auch heute noch in Kraft (BSG 6, 47, 51; 16, 91, 94; 16, 98, 103). Nach Abschnitt 1 Nr. 4 dieses Erlasses bleiben für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung Bezüge außer Ansatz, "für die ich, der Reichsminister der Finanzen, Pauschalbesteuerung zugelassen habe oder zulassen werde", Eine Pauschalbesteuerung liegt nach dem Sinn und Zweck des Erlasses vor, wenn die Steuer nicht bei jedem einzelnen Arbeitnehmer, sondern pauschal, d. h. für alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer zusammen, nach einem festen Satz erhoben wird (vgl. BSG 16,94). Diese Art der Besteuerung setzt ferner voraus, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer übernimmt. Nach dem Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 22. März 1949 über die lohnsteuerliche Behandlung der Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft vom 22. März 1949 (Steuer- und Zollblatt 1949, 107) gilt die Regelung, die der Reichsfinanzminister in dem Erlaß vom 2. Juni 1943 (RStBl 1943, 457) getroffen hatte, "auch heute noch". Dieser Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen, der die frühere reichsrechtliche Regelung übernommen hat und der im Lande Niedersachsen mit Wirkung vom 1. April 1949 an die Stelle des Erlasses des Reichsministers der Finanzen vom 2. Juni 1943 getreten ist (Ziff. 5 des Erlasses vom 22. März 1949), ist in der hier maßgebenden Zeit (Januar 1954 bis September 1955) in der die Beschäftigung der Aushilfskräfte stattgefunden hat, geltendes Recht gewesen. Er hatte in gleicher Weise wie der im Reichssteuerblatt veröffentlichte Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 2. Juni 1943 den Charakter einer Rechtsnorm. Er war keine bloße Verwaltungsanordnung, an die nur die nachgeordneten Steuerbehörden gebunden waren, sondern stellte eine an die Allgemeinheit gerichtete Rechtsverordnung dar, zu deren Erlaß - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - der RMdF auf Grund von § 12 RAO in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 (RGBl I 925) ermächtigt war. Die gegenteilige Meinung (vgl. Schreiben des BMA vom 31. Juli 1962, abgedr. in DOK 1962, 525) übersieht, daß der "Erlaß" nicht nur an die nachgeordneten Steuerbehörden gerichtet war, sondern daß er eine generelle Regelung enthielt, aus der der zur Entrichtung der Lohnsteuer verpflichtete Bürger Rechte gegenüber der Finanzbehörde herleiten konnte (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand Mai 1964, S. 312 e unten). Der an die Stelle des Erlasses vom 2. Juni 1943 getretene Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen ist ebenfalls durch die damals noch geltende Vorschrift des § 12 RAO in der Fassung vom 16. Oktober 1934 gedeckt. Diese landesrechtliche Regelung ist nach dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages partielles Bundesrecht geworden (Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit Art. 125 Nr. 2 GG) und hat frühestens mit dem Inkrafttreten des § 40 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl I 848), der die Bemessung der Lohnsteuer nach Pauschsteuersätzen regelt, ihre Geltung verloren.

Der Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 2. April 1949, der an die Stelle des Erlasses des RMdF vom 2. Juni 1943 getreten ist, ermächtigt die Steuerbehörden, die Lohnsteuer vom Arbeitslohn der Aushilfskräfte, die in den Zeiten großen Arbeitsanfalls in der Landwirtschaft mitarbeiten, nicht auf Grund der Lohnsteuerkarte zu berechnen, sondern läßt es zu, daß die Lohnsteuer in einem Pauschbetrag in Höhe von 2 v. H. des Barlohns berechnet und durch den Arbeitgeber an das Finanzamt abgeführt wird. Ist - wie im vorliegenden Falle - die Besteuerung in dieser Weise durchgeführt worden und hat der Arbeitgeber die Pauschalsteuer übernommen, so handelt es sich um pauschalbesteuerte Bezüge im Sinne des Abschnitts 1 Nr. 4 des Gemeinsamen Erlasses vom 10. September 1944. Der BFH hat zwar in seiner Entscheidung vom 10. Juli 1959 (BStBl 1959 III 354), die sich auf die Erhebung von Lohnsteuer in den Jahren 1951 bis 1955 bezieht, ausgesprochen, daß die in Verwaltungsanweisungen vorgesehene Pauschalierung der Lohnsteuer landwirtschaftlicher Aushilfskräfte auf 2 v. H. der gezahlten Löhne der gesetzlichen Grundlage entbehre. Diese Entscheidung nimmt jedoch zu dem Erlaß des RMdF vom 2. Juni 1943 und zu § 12 RAO in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 keine Stellung; aus ihr ist auch nicht zu entnehmen, auf welches Gebiet der Bundesrepublik sie sich bezieht. Möglicherweise geht der BFH - ohne dies zum Ausdruck zu bringen - davon aus, daß der genannte Erlaß des RMdF ebenfalls nur eine Verwaltungsanweisung dargestellt hat oder daß er durch die Aufhebung der Ermächtigungsnorm (§ 12 RAO in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 ist durch das Gesetz zur Änderung von einzelnen Vorschriften der RAO und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 - BGBl I 511 - aufgehoben worden) seine Rechtswirksamkeit verloren hat. Demgegenüber vertritt der erkennende Senat - wie oben dargelegt - die Auffassung, daß der an die Stelle des Erlasses vom 2. Juni 1943 getretene Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 2. April 1949 den Charakter einer Rechtsverordnung gehabt hat, die - soweit sie dem Grundgesetz nicht widersprach - im Lande Niedersachsen partielles Bundesrecht (Art. 123, 125 GG) geworden ist.

Der Erlaß vom 2. Juni 1943 widerspricht weder dem Grundgesetz noch geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen der freiheitlichen Demokratie (vgl. BVerfG 6, 418). In Betracht käme allenfalls ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG. Ein solcher Verstoß ist jedoch in der Zulassung der Pauschalbesteuerung für die Bezüge der in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Aushilfskräfte nicht zu erblicken. Für die gesetzliche Differenzierung sind sachlich einleuchtende Gründe vorhanden, die sich schon aus der regelmäßig kurzen Dauer der Beschäftigungsverhältnisse und aus den besonderen Verhältnissen in der Land- und Forstwirtschaft ergeben. - Gewiß bedeutete die mit der Pauschalbesteuerung verknüpfte Folge, daß die pauschalbesteuerten Bezüge bei der Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Ansatz bleiben, eine Ausnahmebehandlung der Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft. Diese Sonderbehandlung, die die Bundesregierung im übrigen in Zukunft nur durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zulassen könnte (Art. 2 des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961 - BGBl I 981 -), läßt sich aber mit sachlichen Gründen rechtfertigen, die sich aus der Natur der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitsweise ergeben, die hauptsächlich in Zeiten der Bestellung und der Ernte oder des Holzeinschlags auch unter den heutigen geänderten Verhältnissen für bestimmte Arbeiten den stoßweisen Einsatz zahlreicher Aushilfskräfte fordert, die sonst beruflich nicht tätig zu sein pflegen. - Der Wegfall der Ermächtigung (Streichung des § 12 RAO in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 durch Art. I Nr. 2 des Gesetzes vom 11. Juli 1953) berührt grundsätzlich nicht die Gültigkeit der auf Grund der Ermächtigung erlassenen Rechtsnormen (vgl. BSG 1, 164, 168 mit weiteren Nachweisen). Erst das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl I 848), das am 6. August 1957 in Kraft getreten ist, hat durch Einfügung des § 40 in das Einkommensteuergesetz Änderungen hinsichtlich der Zulassung der Besteuerung nach Pauschsteuersätzen gebracht, die - was hier jedoch keiner endgültigen Entscheidung bedarf - der weiteren Anwendung des an die Stelle des Erlasses des RMdF vom 2. Juni 1943 getretenen Erlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 22. März 1949 entgegenstehen dürften.

War aber dieser Erlaß in der hier maßgebenden Zeit (1. Januar 1954 bis September 1955) im Lande Niedersachsen geltendes Bundesrecht, so blieben die pauschalbesteuerten Bezüge der beim Kläger beschäftigten Aushilfskräfte bei der Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Ansatz; sie waren nicht als Entgelt im Sinne der Sozialversicherung anzusehen (Nr. 1 des Erlasses des RAM vom 24. Oktober 1944, AN S. 302). Der Senat hat zwar in seiner Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht der Vertragsfußballspieler (BSG 16,98) ausgesprochen, daß nach dem Sinn und Zweck des Gemeinsamen Erlasses nur eine bundeseinheitlich zugelassene Pauschalbesteuerung sich auf die Beitragspflicht in der Sozialversicherung auswirken könne. Das bezieht sich jedoch nur auf steuerrechtliche Regelungen, die nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes getroffen worden sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um die Weitergeltung einer früheren reichsrechtlichen Regelung, die - wenn sie auch in einzelnen Teilen des Bundesgebietes nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 aufgehoben sein sollte - jedenfalls im Lande Niedersachsen fortgegolten hat.

Da das angefochtene Urteil, das von der Weitergeltung des Erlasses des RMdF vom 2. Juni 1943 im Jahre 1954/1955 ausgegangen ist, im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, bedarf es keines Eingehens auf die vom LSG angestellten Hilfserwägungen.

Die Revision der Beklagten LKK ist hiernach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380962

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge