Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung des KrFristenablaufG § 2 S 4, wenn ein Antrag auf Rente nicht gestellt worden ist, weil sie nach der SVD 27 geruht hätte.

 

Normenkette

KrFrHemmSV/AVG § 2 S. 4; SVD 27

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 22. November 1954 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Vater der am 14. Dezember 1941 geborenen Klägerin ist im Jahre 1942 gefallen; die Todesnachricht haben die Hinterbliebenen noch im Laufe des gleichen Jahres erhalten. Erst am 19. Dezember 1952 beantragte die Klägerin auf Grund der Invalidenversicherung ihres gefallenen Vaters Gewährung von Waisenrente. Diese ist ihr mit Bescheid der Beklagten vom 27. März 1953 nach § 1286 Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. mit Wirkung vom 1. Januar 1953 an bewilligt worden; den Bescheid hat die Klägerin nicht angefochten. Sie stellte jedoch am 8. Juni 1953 den Antrag, ihr die Waisenrente schon vom Ablaufe des Todesmonats des Vaters der Klägerin an zu gewähren. Mit Bescheid vom 13. Oktober 1953 hat die Beklagte diesen Antrag abgelehnt: nach § 2 des Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung vom 13. November 1952 (BGBl. I S. 737) - Kriegsfristengesetz (KFG) - hätte der Antrag auf Waisenrente bis zum 31. Dezember 1943, nämlich bis zum Ablauf des auf die Todesnachricht folgenden Kalenderjahres, gestellt werden müssen. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 13. Oktober 1953 hat die Klägerin Berufung beim Oberversicherungsamt eingelegt, die nach § 215 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) übergegangen ist. Die Klägerin macht insbesondere geltend, sie habe den Waisenrentenantrag nur deshalb nicht alsbald nach dem Tode ihres Vaters gestellt, weil ihr damals die Rente - neben der bis April 1945 bezogenen höheren Versorgungsrente von 101,42 RM - nicht hätte gewährt werden können. Das SG. hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte zur Rentenzahlung von dem auf ihren Zuzug in die britische Zone folgenden Monat an (1. Mai 1946) verurteilt; § 2 KFG (in der Fassung vom 13. November 1952) habe den 30. Juni 1953 als Endtermin der Antragstellung bestimmt. Dieser Termin, der eine einheitliche Regelung der in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlichen Rechtsentwicklung bezweckt habe, sei von der Klägerin eingehalten worden.

Das Landessozialgericht (LSG.) hat das Urteil des SG., das die Berufung zugelassen hat, auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage - unter Zulassung der Revision - abgewiesen: Das KFG bezwecke nicht, allgemein eine nochmalige Antragsmöglichkeit zu eröffnen, sondern wolle im Hinblick auf die länderweise bis dahin geltenden Unterschiedlichkeiten - unter Rückkehr zu den Vorschriften des § 1286 RVO a.F. - eine einheitliche Ordnung schaffen. Wer es unterlassen habe, innerhalb der dem § 2 Satz 1 KFG entsprechenden Fristen einen Rentenantrag zu stellen, verdiene keine besondere Bevorzugung, er sollte durch das KFG nicht begünstigt werden.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 2. Februar 1955 zugestellte Urteil des LSG. am 15. Februar 1955 Revision eingelegt und sie mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 14. März 1955 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie beantragt,

das Urteil des LSG. vom 22. November 1954 aufzuheben und das Urteil des SG. vom 24. Mai 1954 wiederherzustellen sowie die Revisionsbeklagte zur Kostenerstattung zu verurteilen.

Zur Begründung hat die Klägerin unrichtige Anwendung des § 2 KFG gerügt. Den in § 2 Satz 3 KFG vorgesehenen Antrag habe sie rechtzeitig innerhalb der hier vorgesehenen Frist gestellt. Daher sei ihr vom 1. Mai 1946 an Rente zu gewähren. Das Wort "bisher" in § 2 Satz 3 KFG beziehe sich auf die hier genannte Frist. Ihr nach Inkrafttreten des KFG, jedoch vor dem 30. Juni 1953 gestellter Antrag sei daher rechtzeitig.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG), konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Die Frage, ob der Klägerin ein Anspruch auf Vorverlegung des Beginns der ihr mit Wirkung vom 1. Januar 1953 an bewilligten Waisenrente zusteht, ist nach den Vorschriften des KFG zu beurteilen. Das KFG enthält in § 2 eine Sonderregelung des Rentenbeginns für Renten an Hinterbliebene von Versicherten, die während des Krieges in Ausübung von Kriegsdienst oder aus ähnlichen kriegsbedingten Gründen gestorben sind. Seine Vorschriften werden mithin durch das spätere allgemeine Recht des ArVNG über den Rentenbeginn (§ 1290 RVO n.F.) nicht berührt.

Da der Klägerin zur Zeit des Inkrafttretens des KFG (16. November 1952) noch kein Bewilligungsbescheid erteilt war, ist die Frage des Beginns der ihr zustehenden Waisenrente nach § 2 Satz 1 KFG zu beantworten (BSG. 3 S. 72). Dem steht nicht entgegen, daß der Bescheid der Beklagten vom 27. März 1953, durch den der Klägerin eine Waisenrente vom 1. Januar 1953 an bewilligt worden ist, bindend geworden ist; denn die Beklagte hat die Klägerin auf ihren Antrag vom 8. Juni 1953 erneut sachlich beschieden (Bescheid vom 13. Oktober 1953) und dadurch ein neues Rechtsmittelverfahren eröffnet. Die Rechtslage ist daher ebenso zu beurteilen, wie wenn der Bewilligungsbescheid über die Rentenzahlung vom 1. Januar 1953 an nicht bindend geworden wäre.

Nach § 2 Satz 1 KFG ist die Hinterbliebenenrente nur dann vom Ablauf des Sterbemonats an zu gewähren, wenn sie spätestens bis zum Ende des auf die Todesnachricht (bzw. Todeserklärung) folgenden Kalenderjahres beantragt worden ist oder beantragt wird. Der erkennende Senat schließt sich damit dem überzeugend begründeten Urteil des 1. Senats vom 8. Mai 1956 (BSG. 3 S. 72) an. Eine Vorverlegung des Rentenbeginns nach § 2 Satz 3 KFG kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin vor Inkrafttreten des KFG (16. November 1952) noch keinen Rentenbewilligungsbescheid erhalten hatte. Auch nach § 2 Satz 4 KFG ist ein Anspruch auf Vorverlegung des Beginns der Rente nicht begründet. Nach dieser Vorschrift findet eine Vorverlegung der Rente in zwei Fällen statt, deren erster hier aber von vornherein ausscheidet, weil die dafür geltende Voraussetzung, daß ein Rentenantrag der Klägerin abgelehnt worden ist, fehlt: ihr war auf Antrag vom 19. Dezember 1952 vom 1. Januar 1953 an Rente bewilligt worden. Danach bleibt allein noch zu prüfen, ob die zweite im Satz 4 aufgestellte Voraussetzung für eine Rentenvorverlegung zutrifft, daß ein Rentenantrag deshalb "nicht gestellt worden ist, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung nach Eintritt des Versicherungsfalles weggefallen sind". Unter dem Wegfall der Voraussetzungen für die Rentengewährung ist, wie der 1. Senat des BSG. bereits ausgesprochen hat (BSG. 5 S. 57), etwa der Fall zu verstehen, daß eine Kriegerwitwe beim Tod ihres Mannes im Jahre 1943 invalide, beim Eingang der Todesnachricht im Jahre 1947 jedoch nicht mehr invalide gewesen ist (vgl. § 1256 Abs. 1 RVO in der bis zum 1. Juni 1949 geltenden Fassung). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Auch wenn man - entgegen der in dem Urteil des 4. Senats vom 9. Mai 1957 (BSG. 5 S. 148) vertretenen Auffassung - annehmen wollte, daß der Unterlassung der Antragstellung infolge Wegfalls der für die Rentengewährung geltenden Voraussetzungen der Fall gleichzusetzen ist, daß ein Rentenantrag nicht gestellt worden ist, weil der Antrag infolge Ruhens der Rente nicht zur Rentenzahlung hätte führen können, würden im vorliegenden Streitfall doch die Voraussetzungen des § 2 Satz 4 KFG nicht erfüllt sein. Ein solches Ruhen der Waisenrente hätte hier zwar, wie das Vordergericht auch angenommen hat, eintreten können, weil die Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 vom 24. Mai 1947, die am 1. August 1947 in Kraft getreten ist und bis zum Inkrafttreten des BVG (rückwirkend vom 1. Oktober 1950) galt, in Ziff. 11 Abschn. II Buchst, a vorsah, daß nur die höhere Rente gezahlt wird, wenn der Anspruch nach der Direktive und der Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf den gleichen Umständen beruht. Deshalb war es vom Standpunkt der Klägerin aus verständlich und dürfte ihr nicht zum Nachteil gereichen, daß sie bis zur Verkündung des BVG (21. Dezember 1950) von der Stellung eines Antrags auf Waisenrente der Invalidenversicherung abgesehen hat, weil diese Rente doch geruht hätte. Als aber das BVG vom 20. Dezember 1950 verkündet und - mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 - in Kraft getreten war, fehlte jeder Grund für ein Unterbleiben der Antragstellung; denn das BVG ordnet an, daß neben der Kriegshinterbliebenenrente auch die Hinterbliebenenrente aus der Invalidenversicherung zu gewähren ist (§ 87). Konnte die Klägerin aber vom 20. Dezember 1950 an, somit erhebliche Zeit vor dem Erlaß des KFG, Hinterbliebenenrente beantragen, ohne damit rechnen zu müssen, daß eine ihr bewilligte Rente ruht, so läßt sich nicht sagen, daß ihr Rentenantrag unterblieben sei, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung weggefallen waren. Von einer nach § 2 Satz 4 KFG gerechtfertigten Unterlassung des Rentenantrags kann jedenfalls nicht mehr gesprochen werden, wenn der Antrag erst nach Ablauf des auf die Verkündung des BVG folgenden Kalenderjahres gestellt worden ist; in diesem Falle ist die "Überlegungsfrist", die in entsprechender Anwendung des § 22 des "Maßnahmengesetzes" vom 15. Januar 1941 (RGBl. I S. 34) und des § 2 Satz 1 KFG eingeräumt werden könnte, nicht gewahrt. Da die Klägerin den Antrag auf Waisenrente erst im Dezember 1952, also fast ein Jahr nach Ablauf der erwähnten "Überlegungsfrist" gestellt hat, kann ihr Anspruch auf Vorverlegung des Rentenbeginns auf den Sterbemonat ihres Vaters auch nicht nach § 2 Satz 4 KFG gerechtfertigt sein.

Die Revision der Klägerin war hiernach als unbegründet zurückzuweisen. Kosten sind nach §§ 170, 193 SGG nicht zu erstatten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340753

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