Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtsverwaltung und Streitentscheidung beim VA. Rücknahme einer Bereiterklärung

 

Leitsatz (amtlich)

Mit dem Antrag auf Gestattung der Weiterversicherung beim VA war noch keine Beitragsstreitigkeit in Gang gesetzt worden; diese setzte voraus, daß das VA angerufen wurde, damit es einen Beitragsstreit entscheide, und zwar in dem hierfür vorgesehen Beschlußverfahren.

Die Rücknahme einer Bereiterklärung ist rechtlich zulässig.

 

Normenkette

RVO § 1444 Abs. 2 Fassung: 1924-12-15, Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 1957 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11, Oktober 1955 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die am 16. Juni 1900 geborene Klägerin war vom Jahre 1916 bis zum 28. Oktober 1924 als Hausgehilfin invalidenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Für diese Zeit liegen auf jeden Fall mehr als 260 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung vor.

Im Frühjahr 1951 bemühte sich die Klägerin um die Wiederaufnahme ihrer Versicherung. Mit Schreiben vom 7. Juni 1951 reichte die Amtsverwaltung Dülmen den Antrag, die freiwillige Weiterversicherung zu gestatten, an die Beklagte weiter mit der Bitte, die Versicherungsfähigkeit der Klägerin zu überprüfen. Bei der vertrauensärztlichen Untersuchung vom 15. September 1951 kam der Medizinalrat Dr. S...in Coesfeld zu dem Ergebnis, daß die Klägerin an Herzangina, Asthmabronchitis und Stirnhöhlenkatarrh leide und seit dem 1. Mai 1951 invalide sei.

Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 14. Februar 1952 mit, daß sie wegen bereits eingetretener Invalidität zur freiwilligen Weiterversicherung nicht mehr berechtigt sei; sie könne auch keine Leistungsansprüche erheben, weil die Anwartschaft aus den bis 1924 entrichteten Beiträgen erloschen sei.

Mit einem Schreiben vom 20. Februar 1952 legte die Klägerin bei der Beklagten "Einspruch" ein und führte aus, sie sei noch nicht invalide, sie verrichte noch alle Hausarbeiten, sei im Laden tätig und habe sogar in den letzten Jahren noch bei Bauern geholfen; sie bitte um schnellste Erledigung ihres Einspruchs, damit sie "die für 1949, 1950 und 1951 zu entrichtenden Beiträge umgehend kleben" könne.

Am 30. September 1952 entschied das Versicherungsamt in G. auf Grund des § 1459 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, die Klägerin sei seit dem 1. Mai 1951 invalide und könne deshalb keine Beitragsmarken zur Invalidenversicherung mehr wirksam kleben. Nach dem Untersuchungsbefund des Vertrauensarztes sei sie seit diesem Zeitpunkt unfähig, die Hälfte des für sie maßgebenden Lohnes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verdienen. Es liege keine Veranlassung vor, der ärztlichen Begutachtung ihres Körperzustandes entgegenzutreten. Da aber nach § 1236 RVO derjenige versicherungsfrei sei, der invalide sei, und auch freiwillige Beiträge nach § 1443 RVO nach eingetretener Invalidität nicht entrichtet werden dürften, könnten für die Klägerin keine Beitragsmarken mehr entrichtet werden.

Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde vom 13. Oktober 1952 an das Oberversicherungsamt Münster ging nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) Münster über.

Inzwischen hatte die Klägerin am 28. Juli 1952 einen Antrag auf Gewährung von Invalidenrente ausgefüllt, wobei sie angab, seit 1949 infolge einer Operation invalide zu sein. Mit Bescheid vom 20. März 1953 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab; der Versicherungsfall sei im Jahre 1951 eingetreten; zu diesem Zeitpunkt sei die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1951 entrichteten Beiträgen erloschen gewesen, da Beiträge für die Jahre 1949 und 1950 fehlten und eine neue Wartezeit nicht erfüllt sei, da seit dem Erlöschen der Anwartschaft keine Beitragsmonate nachgewiesen seien. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein, die ebenfalls als Klage auf das SG Münster überging. Sie führte aus, zu ihrem Erstaunen habe der Kreisarzt in Coesfeld sie auf ihren Antrag auf Gestattung der freiwilligen Weiterversicherung für invalide erklärt. Ihr Einspruch sei erfolglos geblieben. Daraufhin habe sie einen Rentenantrag gestellt. Falls sie jedoch invalide sei, sei sie dies jedenfalls bereits seit ihrer Operation im Februar 1949.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 1955 vor dem SG nahm die Klägerin ihre Beschwerde vom 13. Oktober 1952 gegen die Entscheidung des Versicherungsamts Coesfeld vom 30. September 1952 zurück. Sodann beantragte sie,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Rentenzahlung seit dem 1. August 1952 zu verurteilen.

Das SG wies die Klage auf Grund des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme durch Urteil vom 11. Oktober 1955 ab. Der Versicherungsfall sei Anfang des Jahres 1951 eingetreten. Damals hätten Beiträge für die Jahre 1949 und 1950 gefehlt. Da die Klägerin, wie sich insbesondere aus dem Gutachten des Medizinalrats Dr. F... ergebe, spätestens zu der Zeit, als sie den Antrag auf Weiterversicherung gestellt habe, nämlich seit dem 7. Juni 1951 invalide gewesen sei, hatte sie auch gemäß § 1443 RVO keine freiwilligen Beiträge mehr nachentrichten können und habe dies auch nicht getan. Mithin sei die Anwartschaft aus den alten Beiträgen erloschen, da auch die Halbdeckung nicht erreicht werde. Somit sei ein Rentenanspruch nicht gegeben.

Die Klägerin legte Berufung ein, wobei sie erneut vorbrachte, sie selbst habe sich zwar weder zur Zeit der Untersuchung durch Dr. S... noch am 1. Juni 1951 noch in den Jahren 1948 und 1949 für invalide gehalten. Die Entscheidung hierüber obliege indes den Ärzten. Wenn sie aber jetzt invalide sei, dann sei sie es auch schon 1949 gewesen. Dazu legte sie ein Attest ihres behandelnden Arztes Dr. P ... in Dülmen vom 13. November 1955 vor, der darin behauptete, sie sei bereits seit dem Jahre 1948 so gut wie völlig erwerbsunfähig.

Mit Bescheid vom 7. Juni 1957 hat die Beklagte auf Grund des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 Rente in Hohe von 70,20 DM monatlich vom 1. Januar 1957 an bewilligt, weil nach neuem Recht die Erhaltung der Anwartschaft nicht mehr Voraussetzung für einen Rentenanspruch war.

Auf Anregung des Landessozialgerichts (LSG) hat die Klägerin am 5. August 1957 je 26 Wochenbeiträge der Klasse II für die Jahre 1949 und 1950 entrichtet, indem sie den Gegenwert von 52,-- DM an die Beklagte überwies.

Durch Urteil vom 11. Oktober 1957 hat das LSG Nordrhein-Westfalen unter Abänderung des Urteils des SG Münster vom 11. Oktober 1955 und unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 1953 die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin die Invalidenrente schon ab 1. August 1952 zu gewähren und hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der hier praktisch nur noch streitige Rentenanspruch für die Zeit vor den 1. Januar 1957 sei gegeben. Die Wartezeit sei mit den in den Jahren 1916 bis 1924 entrichteten Beiträgen erfüllt. Aus ihnen sei die Anwartschaft zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles erhalten. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1948 sei § 4 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) vom 17. Juni 1949 maßgebend, weil noch nach dem 1. Januar 1924, nämlich bis zum 28. Oktober 1924, Beiträge entrichtet worden seien. Die für die Zeit vom 1. Januar 1949 an zur Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Wochenbeiträge habe die Klägerin im August 1957 in zulässiger und wirksamer Weise nachentrichtet. Die Möglichkeit hierzu sei durch das laufende Verfahren offengeblieben. Als die Klägerin im Jahre 1951 sich um die Wiederaufnahme ihrer Versicherung bemüht habe, sei die durch § 1442 Abs. 1 RVO aF eröffnete Möglichkeit, freiwillige Beiträge für die vergangenen zwei Kalenderjahre, d.h. für 1949 und 1950, zu entrichten, noch gegeben gewesen. Mit dem Antrag auf freiwillige Weiterversicherung habe eine Beitragsstreitigkeit begonnen, die noch vor ihrer Beendigung durch ein Verfahren über einen Anspruch auf Invalidenrente abgelöst worden sei. Der Ablauf der Nachentrichtungsfrist des § 1442 Abs. 1 RVO aF sei somit gemäß § 1444 Abs. 2 RVO aF gehemmt gewesen. - Die nachträgliche Beitragsentrichtung werde auch nicht durch § 1443 RVO aF ausgeschlossen, weil zu der Zeit, als die freiwillige Weiterversicherung beantragt worden sei, der Versicherungsfall der Invalidität noch nicht eingetreten gewesen sei. Der Nachweis, daß die Klägerin damals bereits invalide gewesen sei, sei nicht zu erbringen. Der Ausgangspunkt der Vorinstanzen, wonach sie am 7. Juni 1951 die Weiterversicherung beantragt habe, sei unrichtig. Am 7. Juni 1951 habe vielmehr die "Amtsverwaltung Dülmen (Versicherungsamt)" der Beklagten die Tatsache, daß die Klägerin sich weiterversichern wolle, mitgeteilt und die Vorgänge mit der Bitte um Überprüfung der Versicherungsfähigkeit übersandte Die beigefügten Unterlagen, nämlich der Beschäftigungsfragebogen vom 28. März 1951 und die Arbeitgeberbescheinigungen vom 29. März 1951, seien jedoch auf den üblichen Vordrucken des Versicherungsamts niedergeschrieben worden und ließen den sicheren - Schluß zu, daß die Klägerin spätestens am 28. März 1951 die freiwillige Weiterversicherung beim Versicherungsamt beantragt habe. Daß die Klägerin aber Ende März 1951 schon invalide gewesen sei, lasse sich nicht mehr mit der Sicherheit feststellen, die erforderlich sei, um ihr das Recht zur Beitragsnachentrichtung mit Erfolg streitig zu machen. In den Fällen, in denen es auf eine möglichst genaue Bestimmung des Zeitpunktes des Eintritts der Invalidität ankomme, genüge eine unbestimmte Annahme hierüber nicht, vielmehr müsse ein überzeugender Beweis gefordert werden. Das Gutachten des Medizinalrats Dr. S... vom 15. September, 1951 verlege jenen auf den 1. Mai 1951. Dr. N... nehme zwar in seiner Stellungnahme Invalidität schon seit 1949 an. Gelegentliche Asthmaanfälle bedingten jedoch noch keine Invalidität. Der Senat habe sich daher nicht die sichere Überzeugung verschaffen können, daß Invalidität schon in der ersten Hälfte des Jahres 1951 oder gar vor dem spätestens am 28. März 1951 gestellten Antrag auf Weiterversicherung bestanden habe. Das Recht zur freiwilligen Nachentrichtung von Beiträgen entfalle auch nicht deshalb, weil der Klägerin durch die Entscheidung des Versicherungsamts vom 30. September 1952 das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung versagt worden sei und sie das hiergegen eingelegte Rechtsmittel am 11. Oktober 1955 zurückgenommen habe. Die Entscheidung sei hier ausnahmsweise deshalb nicht bindend, weil sie zu einem Zeitpunkt ergangen sei, als das Rentenverfahren schon begonnen hätte. Nach § 1459 RVO hätte das Versicherungsamt nur. dann über den Streit der Beitragsleistung endgültig entscheiden können, wenn dieser Streit nicht bei der Rentenfestsetzung hervorgetreten sei. Diese Vorschrift habe das Versicherungsamt außer acht gelassen. Die entgegen § 1459 RVO getroffene Entscheidung sei für die Rentenfestsetzung nicht bindend. Pur den Tag der Antragstellung (Juli 1952) hätten somit alle Voraussetzungen für den erhobenen Rentenanspruch vorgelegen, nämlich Eintritt der Invalidität (1951), Erfüllung der Wartezeit und Erhaltung der Anwartschaft. Die Nachentrichtung wirke auf den Zeitpunkt zurück, für den die Beiträge zulässigerweise nachentrichtet worden seien. Damit stehe der Klägerin die Rente rückwirkend vom 1. August 1952 an zu.

Gegen das ihr am 14. Dezember 1957 zugestellte Urteil, in dem die Revision zugelassen worden war, hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie hält die für die Jahre 1949 und 1950 durch Überweisung von 52,-- DM am 5. August 1957 entrichteten Beiträge für unwirksam. Durch die Entscheidung des Versicherungsamts Coesfeld vom 30. September 1952 sei der Klägerin das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung versagt worden. Da sie das dagegen eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen habe, sei die Entscheidung rechtskräftig geworden und damit für das Rentenverfahren verbindlich. Zwar habe das Versicherungsamt zu einem Zeitpunkt entschieden, in dem das Rentenverfahren schon begonnen hätte. Das Beitragsverfahren sei aber vorher anhängig geworden. Im § 1459 RVO aF sei klar und deutlich gesagt worden, daß nur dann das Versicherungsamt sich einer Entscheidung zu enthalten habe, wenn der Beitragsstreit erst nach Eröffnung des Rentenfeststellungsverfahrens offenkundig werde. Sei aber bereits vor dem Rentenverfahren ein Beitragsstreit anhängig, dann müsse zunächst das Beitragsverfahren durchgeführt werden, und der Ausgang dieses Verfahrens sei dann für die späteren Instanzen des später eröffneten Rentenverfahrens bindend. Nur so könne der Wortlaut des § 1459 RVO verstanden werden. Selbst wenn man aber insoweit anderer Ansicht sein sollte, sei ein Rentenanspruch für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 noch aus anderen Gründen nicht gegeben. Nach § 1286 RVO aF habe die Rente mit dem Ablauf des Kalendermonats begonnen, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt gewesen seien. Würden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten freiwillige Beiträge nachentrichtet, so seien diese Voraussetzungen erst dann erfüllt, wenn die noch notwendigen freiwilligen Beiträge tatsächlich entrichtet seien. Lediglich bei der Nachentrichtung rückständiger Pflichtbeiträge könne die Rente schon vorher beginnen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 1957 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Münster vom 11. Oktober 1955 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Beklagten mußte Erfolg haben. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit den Ansichten des LSG über die nicht bindende Wirkung des Bescheides des Versicherungsamts Coesfeld vom 30. September 1952 zu folgen ist, und inwieweit seine hierzu getroffenen Feststellungen mit dem Inhalt der in Bezug genommenen Beiakten zu vereinbaren sind. Schon aus anderen Gründen steht der Klägerin Invalidenrente für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 nicht zu.

Das LSG führt aus, es sei nicht nachzuweisen, daß der im Jahre 1951 eingetretene Versicherungsfall der Invalidität schon in der ersten Hälfte dieses Jahres oder gar vor dem spätestens am 28. März 1951 gestellten Antrag auf Weiterversicherung sich ereignet habe. An diese Feststellung ist der Senat nach § 163 SGG gebunden, da hiergegen begründete Einwendungen nicht erhoben worden sind.

Im Jahre 1951 hatte die Klägerin keine Beiträge für die Jahre 1949 und 1950 entrichtet. Danach war die Anwartschaft aus ihren früheren Beiträgen, die nach § 4 Abs. 2 SVAG zunächst bis zum Ende des Jahres 1948 erhalten war, an sich erloschen, da es an den nach § 1264 RVO aF mindestens erforderlichen weiteren 26 Wochenbeiträgen für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Eintritts des Versicherungsfalles fehlte.

Hierzu vertritt das LSG die Meinung, die Klägerin habe bis zum Ende des Jahres 1951 noch Zeit gehabt, die Beiträge für die Jahre 1949 und 1950 nachzuentrichten (§ 1442 RVO aF), und der Ablauf dieser zum 31. Dezember 1951 endenden Frist sei durch § 1444 Abs. 2 RVO aF gehemmt worden, so daß die im August 1957 aufgebrachten Beiträge noch rechtzeitig geleistet worden seien. Dieser Auffassung konnte der Senat nicht beitreten. Zwar heißt es in der genannten Vorschrift, daß Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit (§§ 1459 bis 1461) oder ein Verfahren über einen Anspruch auf Invaliden-, Alters-, Witwen- oder Witwenrente schwebt, in die Fristen der §§ 1442, 1443 RVO nicht eingerechnet werden. Den Antrag auf Invalidenrente hatte die Klägerin aber erst im Jahre 1952 gestellt, so daß dieser nicht mehr zu einer Hemmung der Nachentrichtungsfrist für die Beiträge für 1949 führen konnte. Das LSG ist indes weiter der Ansicht, daß mindestens seit Ende März 1951 eine Beitragsstreitigkeit geschwebt habe, weil die Klägerin schon Ende März 1951 beantragt habe, ihr die Weiterversicherung zu gestatten. Hierin kann ihm nicht gefolgt werden. Selbst wenn, wie das LSG annimmt, tatsächlich bei der Amtsverwaltung Dülmen zugleich ein Versicherungsamt eingerichtet gewesen sein sollte (vgl. § 36 RVO sowie Beuster, Die Aufgaben der Amtsverwaltungen auf dem Gebiete des Sozialrechts, ZfS 1961, 167), war doch mit dem Antrag auf Gestattung der Weiterversicherung noch keine Beitragsstreitigkeit in Gang gesetzt worden. Diese setzte voraus, wie sich aus der Bezugnahme auf die §§ 1459 bis 1461 RVO aF in § 1444 Abs. 2 RVO aF ergibt, daß das Versicherungsamt angerufen wurde, damit es einen Beitragsstreit entscheide (vgl. hierzu auch § 1420 Abs. 2 RVO nF), und zwar in dem hierfür vorgesehenen Beschlußverfahren (§§ 1780 ff RVO aF). Hieran fehlte es aber, da der Amtsdirektor in Dülmen nicht als Streit entscheidender Vorsitzender des Versicherungsamts - sofern er dies überhaupt war - tätig werden wollte, sondern als Amtsverwaltung bzw. im Rahmen des § 37 Abs. 1 RVO der Klägerin behilflich war, die erforderlichen Unterlagen für ihren Antrag auf Weiterversicherung zusammenzubringen, um ihn dann an die Beklagte zur weiteren Prüfung und Entscheidung weiterzuleiten. Eine solche, im Rahmen der amtlichen Fürsorge erfolgende Hilfe bei der Regelung des Versicherungsverhältnisses unterscheidet sich grundlegend von einem Tätigwerden zum Zwecke der Entscheidung eines Beitragsstreits. Die Nachfrage der Klägerin bei der Amtsverwaltung Dülmen und die ihr zuteil gewordene Unterstützung bei der Stellung des Antrags, der Aufklärung des Sachverhalts und der Beschaffung der erforderlichen Unterlagen stellten somit noch nicht den Anfang eines Beitragsstreits dar. Dieser begann frühestens im Februar 1952, als die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten von 14. Februar 1952 "Einspruch" erhob. Damals war jedoch die Frist des § 1442 RVO für die Entrichtung der Beiträge für das Jahr 1949 längst abgelaufen.

Wohl hätte das LSG in den Bemühungen der Klägerin im Frühjahr 1951 um die Wiederaufnahme ihrer Versicherung eine Bereiterklärung zur Nachentrichtung der für die Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beiträge für die Jahre 1949 und 1950 sehen dürfen. Eine solche Bereiterklärung hätte alsdann nach § 1444 Abs. 1 RVO aF einer Beitragsentrichtung gleichgestanden, wenn die Beiträge "in angemessener Frist" entrichtet wurden. Auch dieser Weg vermag indes der Klägerin nicht zu helfen. Denn wenn auch die Angemessenheit dieser Frist sich nicht nach festen Grenzen richtet, sondern je nach der Sachlage verschieden sein kann, wobei es auf die Umstände des jeweiligen Falles ankommt (BSG 10, 264, 268), so mußte es doch bereits als bedenklich erscheinen, eine Nachentrichtung nach mehr als sechs Jahren noch als in angemessener Frist geleistet anzusehen. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall nämlich wäre hierfür Voraussetzung gewesen, daß im Jahre 1957 eine frühere, rechtswirksame Bereiterklärung noch vorlag, auf die sich die Klägerin bei der Nachentrichtung hätte berufen können. Hieran fehlte es jedoch. Denn dabei kann nicht außer Betracht bleiben, daß die Klägerin inzwischen nicht nur ihren Rentenantrag vom Juli/Oktober 1952 gestellt und darin behauptet hatte, seit 1949 invalide zu sein, sondern vor allem auch, daß sie ihr Rechtsmittel, gegen die Entscheidung des Versicherungsamts vom 30. September 1952 zurückgenommen hatte, durch das ihr das Recht der Weiterversicherung versagt worden war, während sie gleichzeitig die Verurteilung der Beklagten zur Rentenzahlung wegen eines 1949 eingetretenen Versicherungsfalles der Invalidität beantragt hatte. Damit hatte sie durch ihr gesamtes Verhalten im früheren Verfahren und durch die Art und Weise ihrer Prozeßführung eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht mehr bereit war, Beiträge für die Jahre 1949 und 1950 nachzuentrichten. In diesem ihrem Vorgehen bei der Verfolgung ihrer Ansprüche lag eine - rechtlich zulässige - Rücknahme ihrer Bereiterklärung vom Frühjahr 1951, so daß aus diesem Grunde auch § 1444 RVO aF keine Grundlage mehr für eine fristgerechte Nachentrichtung der Beiträge für 1949 abgeben konnte. Aus welchen Gründen die Klägerin sich damals so verhalten hat, ob sie insbesondere etwa selber eingesehen hatte, daß sie-schon seit einiger Zeit invalide war, ist dabei unerheblich, da sie an ihre früheren Erklärungen gebunden ist.

Nach alledem kann die Klägerin für die noch streitige Zeit schon deshalb keine Invalidenrente erhalten, weil sie bei Eintritt des Versicherungsfalles im Jahre 1951 die Anwartschaft aus ihren früheren Beiträgen nicht erhalten hatte und eine wirksame Nachentrichtung zumindest für das Jahr 1949 nicht vorlag. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die sonstigen Ausführungen im angefochtenen Urteil sowie auf das übrige Vorbringen der Beteiligten, insbesondere bedarf es keiner Entscheidung der Streitfrage, ob eine Nachentrichtung dazu führen kann, daß die Rente bereits für Zeiträume vor der Nachentrichtung zu zahlen ist. Im übrigen konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil der Sachverhalt geklärt ist. Die Voraussetzungen für die Gewährung der erstrebten Rente sind nach den obigen Ausführungen nicht erfüllt.

Somit war auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290960

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