Leitsatz (redaktionell)

Das Maß der Zuerkennung oder Aberkennung des geltend gemachten Anspruchs kann nur der Urteilsformel entnommen werden.

Das RVA hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß alle wesentlichen Teile der Entscheidung über den Streitstoff, hinsichtlich derer die Rechtskraft eintreten soll, in der Entscheidungsformel enthalten sein müssen. Stimmen Urteilsformel und Urteilsgründe nicht überein, so ist die Urteilsformel maßgebend. Nur dann, wenn die Urteilsformel zu Zweifeln Anlaß gibt, ist der übrige Inhalt zur Auslegung des Urteils ergänzend heranzuziehen.

Der GrS des RVA (AN 1917, 368) hat ausgesprochen, daß Sinn und Tragweite eines Erkenntnisses - insbesondere bei Unklarheiten der Urteilsformel - zwar aus der Begründung der Entscheidung zu erschließen sind, die Urteilsgründe aber nicht dazu bestimmt und geeignet sind, die in die Formel gehörige Entscheidung in wesentlichen Punkten zu ergänzen oder gar zu ändern.

Der erkennende Senat schließt sich dieser nahezu einhellig vertretenen Auffassung an, daß für die Auslegung eines Urteils in erster Linie die Urteilsformel maßgebend ist und nur in Zweifelsfällen und in Unklarheiten der übrige Inhalt des Urteils (vgl SGG § 136) ergänzend herangezogen werden kann.

 

Normenkette

SGG § 136 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1953-09-03, Nr. 6 Fassung: 1953-09-03, § 141 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. September 1965 aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Der Kläger ist Beschädigter des 2. Weltkrieges. Er bezieht Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 % seit dem 1. Oktober 1950 wegen: "1) Reizlose Narbe am linken Unterschenkel und beiden Händen ohne Funktionsausfall. 2) Mäßige Herabsetzung des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit nach Fleckfiebererkrankung. 3) Beiderseitige Lungentuberkulose und Darmtuberkulose." Zeitweilig wurde dem Kläger Pflegezulage gewährt. Am 14. November 1960 (Bl. 261) beantragte der Kläger ua die Gewährung von Schwerstbeschädigtenzulage (§ 31 Abs. 5 des 1. Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I S. 453) - 1. NOG -). Der ärztliche Dienst des Beklagten errechnete insgesamt 115 Punkte (Schädigungsfolgen am Kopf 10 % MdE, an den Atmungsorganen 80 % MdE, an den Verdauungsorganen 30 % MdE = 95 Punkte; dazu kam ein Zuschlag von 20 Punkten gemäß § 3 der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) - vom 17. April 1961, BGBl I S. 453). Durch Bescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) H vom 17. November 1961 wurde der Antrag auf Schwerstbeschädigtenzulage abgelehnt. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 16. Januar 1963).

Im Klageverfahren bewertete der Beklagte die Lungentuberkulose wegen der erneuten Heilstättenbehandlung des Klägers mit einer MdE um 100 % und die Gehirnschädigung mit einer MdE um 40 %. Der Beklagte errechnete eine Punktzahl von 120 Punkten; der besondere Zuschlag von 20 Punkten wurde nicht gewährt. Der Sachverständige Dr. S wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) gehört.

Durch Urteil des SG Lüneburg vom 19. August 1964 wurde der Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 17. November 1961 und 16. Januar 1963 verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 1960 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I zu gewähren. In den Gründen ist ausgeführt, nach einer nochmaligen Überprüfung durch den Beklagten betrage die MdE für die Kopfschädigung 40 %; da die Lungentuberkulose (100 % MdE) mit 100 Punkten, die Gedächtnisstörungen (MdE 40 %) mit 20 Punkten und das Zusammentreffen von Schädigungsfolgen an zwei inneren Organsystemen (Hirn und Lunge) ebenfalls mit 20 Punkten zu bewerten seien, werde mit 140 Punkten die Mindestpunktzahl von 130 Punkten überschritten. Wörtlich heißt es in diesem Urteil: "Es liegt auf der Hand, daß das Gericht eine Feststellung nach neuem Recht noch nicht treffen konnte, da die § 31 (5) BVG näher umreißende Rechtsverordnung bisher nicht erlassen wurde. Der Beklagte wird daher von Amts wegen für die Zeit nach dem 1. Januar 1964 eine Umrechnung vorzunehmen haben".

Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung ein und wandte ein, bei den Gedächtnisstörungen und der Lungentuberkulose handele es sich nicht um das Zusammentreffen von Schädigungsfolgen an zwei inneren Organsystemen; der Zuschlag von 20 Punkten könne daher nicht gewährt werden. Der Beklagte verwies auf das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 18. Mai 1961 zur Durchführung der Verordnung zu § 31 Abs. 5 BVG (BVBl 1961, Heft 6, S. 70 Nr. 42).

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 24. September 1965 die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen; die Revision wurde zugelassen. Das Berufungsgericht führte aus, das Urteil des SG betreffe nur Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum (§ 148 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Zwar sei der Beklagte nach dem Urteilstenor zur Leistung von Schwerstbeschädigtenzulage ab 1. Juni 1960 schlechthin und ohne zeitliche Einschränkung verurteilt worden. Aus den Entscheidungsgründen ergebe sich jedoch klar, daß das SG eine Verurteilung zur Leistung von Schwerstbeschädigtenzulage für die Zeit ab Inkrafttreten des 2. NOG (1. Januar 1964) nicht habe treffen wollen. Der Inhalt der Urteilsformel sei durch das Heranziehen des sonstigen Urteilsinhalts, vor allem der Entscheidungsgründe, auszulegen (BSG 3, 137; 4, 123; 6, 98). Bei dem Urteil des SG handele es sich um ein Teilurteil, so daß über den Rest des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs noch in einem später zu ergehenden Schlußurteil entschieden werden müsse. Ein Teilurteil sei gemäß § 301 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hinsichtlich seiner Anfechtbarkeit wie ein Endurteil zu behandeln. Zwar habe das Bundesgesetzblatt, in dem die Rechtsverordnung zu § 31 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG vom 17. Juli 1964 verkündet sei (Teil I Nr. 37 S. 489), zur Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem SG bereits vorgelegen, so daß der Rechtsstreit im ganzen entscheidungsreif gewesen sei und ein Teilurteil möglicherweise nicht habe ergehen können (§ 202 SGG iVm § 301 ZPO). Ein derartiger Fehler sei jedoch von dem Beklagten mit der Berufung nicht nach § 150 Nr. 2 SGG gerügt. Die Revision sei zuzulassen gewesen; über die Frage, ob die Berufung gegen ein Teilurteil, in dem ein an sich abtrennbarer Anspruchsteil zu Unrecht noch nicht für entscheidungsreif gehalten werde, auch ohne Rüge statthaft sei, liege eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) noch nicht vor.

Gegen dieses am 19. Oktober 1965 zugestellte Urteil des LSG hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 16. November 1965, beim BSG eingegangen am 18. November 1965, Revision eingelegt und beantragt,

die Entscheidungen des SG Lüneburg vom 19. August 1964 - S 10 V 44/63 - und des LSG Niedersachsen vom 24. September 1965 - L 11 V 721/64 - aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen zurückzuverweisen.

Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist hat der Beklagte die Revision mit Schriftsatz vom 14. Januar 1966, der am 18. Januar 1966 beim BSG eingegangen ist und auf den Bezug genommen wird, begründet. Er trägt ua vor: Das SG habe den Begriff "innere Organsysteme" verkannt und dadurch gegen das Gesetz verstoßen. Ein weiterer Verfahrensmangel der ersten Instanz habe darin gelegen, daß das SG die bereits erlassene Rechtsverordnung zu § 31 Abs. 5 BVG nicht angewendet habe. Für die zweite Instanz werde eine Verletzung der §§ 103, 106, 128 iVm § 153 SGG gerügt. Das Urteil des SG gestatte nach Urteilsformel und Inhalt keine Auslegung dahin, daß es sich nur um ein Teilurteil gehandelt habe. Durch die Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Verordnung zu § 31 Abs. 5 BVG (nach dem 2. NOG) habe sich ein Unterschied gegenüber dem früheren Rechtszustand nicht ergeben. Das LSG habe einen Denkfehler begangen, wenn es davon ausgegangen sei, daß für die Zeit ab 1. Januar 1964 eine abweichende Entscheidung möglich gewesen sei. Das SG habe nicht über Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum, sondern über die durch das 1. NOG neugeschaffene Leistung der Schwerstbeschädigtenzulage erstmalig entschieden. Aus diesem Grunde sei die Berufung zulässig und eine Sachentscheidung des LSG geboten gewesen. Entgegen der Darstellung in dem Urteil des LSG habe der Beklagte im Berufungsverfahren Mängel des Verfahrens der ersten Instanz gerügt. Jedenfalls habe das LSG die Parteien vor oder in der mündlichen Verhandlung auf das Ergehen eines Teilurteils hinweisen müssen, um ihnen Gelegenheit zu weiterem Vorbringen und zur Stellung sachdienlicher Anträge zu geben. Das SG habe offensichtlich nicht die Absicht gehabt, ein Teilurteil zu erlassen; man könne sie ihm nicht nachträglich aufzwingen. Auch objektiv seien die Voraussetzungen für ein Teilurteil nicht gegeben gewesen, da nicht nur ein Teil eines Anspruchs, sondern der gesamte Anspruch entscheidungsreif gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten gegen das Urteil des LSG Niedersachsen vom 29. September 1965 als unbegründet zurückzuweisen und dem Beklagten auch die dem Kläger im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Er hat sich auf die Urteile der Vorinstanzen bezogen.

Der Beklagte hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig begründet (§§ 164, 166 SGG). Die Statthaftigkeit der Revision ergibt sich aus § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG, da das LSG sie ausdrücklich zugelassen hat. Zwar hat das Berufungsgericht die Revision nur zur Klärung einer bestimmten Rechtsfrage zugelassen, die für die jetzige Revisionsentscheidung nicht zum Tragen kommt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 170) kann die Zulassung der Revision auf einen bestimmten Anspruch, nicht jedoch auf die Entscheidung einzelner Rechtsfragen beschränkt werden; das angefochtene Urteil ist vielmehr in vollem Umfang nachprüfbar. Die Entscheidung des LSG über die Zulassung der Revision kann auch nicht als offensichtlich unbegründet angesehen werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 83, 109 und 139). Im übrigen würde sich die Statthaftigkeit der Revision auch aus § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG ergeben. Der Beklagte hat zutreffend als wesentlichen Verfahrensmangel gerügt, daß das LSG ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen hat (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 17 = Bd. 1, 284).

Entgegen der Auffassung des LSG war die Berufung nicht nach § 148 Nr. 2 SGG unzulässig; sie betraf nicht "nur Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum". Die Unzulässigkeit der Berufung kann auch nicht aus § 148 Nr. 3 SGG hergeleitet werden; weder betraf sie den Grad der MdE noch die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse. Vielmehr handelte es sich um die Erstfeststellung eines durch das 1. NOG neugeschaffenen selbständigen Anspruchs (vgl. Urteil BSG vom 29. April 1965, 9 RV 1024/64), für den die Berufung nicht ausgeschlossen war.

Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil selbst hervorgehoben, daß der Beklagte im Urteilstenor zur Leistung von Schwerstbeschädigtenzulage ab 1. Juni 1960 "schlechthin" verurteilt worden sei. Zur Stützung seiner Ansicht, daß das SG gleichwohl eine Verurteilung zur Leistung von Schwerstbeschädigtenzulage ab 1. Januar 1964 (Inkrafttreten des 2. NOG) nicht habe treffen wollen, hat das LSG alsdann die Entscheidungsgründe des SG-Urteils zur Auslegung mit herangezogen. Schon dieser Ausgangspunkt des Berufungsurteils ist fehlsam. Gemäß § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Der genaue Umfang der Entscheidung über den Streitgegenstand ergibt sich im Regelfall aus der Urteilsformel. § 136 Abs. 1 Nr. 4 SGG schreibt deshalb ausdrücklich vor, daß das Urteil enthält: ... "die Urteilsformel". § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der über § 202 SGG entsprechende Anwendung findet. ergänzt diese Vorschrift dahin, daß die Urteilsformel von der Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe "äußerlich zu sondern" ist. Diese äußerliche Trennung, die im gerichtlichen Bereich allgemein eingehalten wird, hat auch ihren guten Grund; denn die Urteilsformel entscheidet über den Umfang der Vollstreckung und die Grenzen der Rechtskraft (vgl. Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 136 Anm. 4; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 256 c ff.). Das Maß der Zuerkennung oder Aberkennung des geltend gemachten Anspruchs kann nur der Urteilsformel entnommen werden (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 150 Anm. II 3). Das Reichsversicherungsamt (RVA) hatte wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß alle wesentlichen Teile der Entscheidung über den Streitstoff, hinsichtlich derer die Rechtskraft eintreten soll, in der Entscheidungsformel enthalten sein müssen (vgl. RVA in AN 1915, 330; 1917, 368; EuM Bd. 23 S. 4). Stimmen Urteilsformel und Urteilsgründe nicht überein, so ist die Urteilsformel maßgebend (vgl. OGHZ 3, 298; Brackmann, aaO). So hat das RVA die Bezeichnung einer Rente als "vorläufige" nur in den Gründen eines Oberversicherungsamts-Urteils als rechtsunwirksam erklärt (AN 1915 S. 330). Nur dann, wenn die Urteilsformel zu Zweifeln Anlaß gibt, ist der übrige Inhalt zur Auslegung des Urteils ergänzend heranzuziehen (vgl. Peters/Sautter/Wolff, aaO S. II/213; Brackmann, aaO S. 256 e). Der Große Senat des RVA (AN 1917, 368) hat ausgesprochen, daß Sinn und Tragweite eines Erkenntnisses - insbesondere bei Unklarheiten der Urteilsformel - zwar aus der Begründung der Entscheidung zu erschließen seien; indessen seien die Urteilsgründe nicht dazu bestimmt und geeignet, die in die Formel gehörige Entscheidung in wesentlichen Punkten zu ergänzen oder gar zu ändern. Der erkennende Senat schließt sich dieser nahezu einhellig vertretenen Auffassung an, daß für die Auslegung eines Urteils in erster Linie die Urteilsformel maßgebend ist und nur in Zweifelsfällen und bei Unklarheiten der übrige Inhalt des Urteils (vgl. § 136 SGG) ergänzend herangezogen werden kann. Die Ausgangslage ist anders zu beurteilen als bei der Auslegung von Gesetzen, bei denen neben dem reinen Wortlaut die Entstehungsgeschichte, der Sinn und Zweck des Gesetzes, unter Umständen aber auch spätere Veränderungen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und Auffassungen berücksichtigt werden müssen. Das Gesetz hat für eine Vielzahl von Fällen und für lange Zeiträume Anwendung zu finden; zwangsläufig sind damit auch veränderte Auslegungsmöglichkeiten verbunden. Demgegenüber regelt ein gerichtliches Urteil den streitigen Einzelfall und soll den Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten wiederherstellen. Diese Entscheidung, die außerdem für die Vollstreckung maßgebend ist, muß eindeutig klargestellt sein und gehört deshalb in die Urteilsformel. Der Senat verkennt dabei nicht, daß insbesondere in den Fällen, in denen "die Klage abgewiesen wird", die Gründe des Urteils zur Erläuterung der Entscheidung herangezogen werden müssen. Keinesfalls darf jedoch ein eindeutiges gerichtliches Erkenntnis durch Heranziehen der Entscheidungsgründe in seinem Gehalt verändert, ausgedehnt oder zeitlich eingeschränkt werden.

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann das Urteil des SG nicht als Teilurteil angesehen werden. Der Kläger hatte während des gesamten Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens den durch das 1. NOG neu geschaffenen Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage verfolgt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hatte er beantragt, den Beklagten zur Gewährung von Schwerstbeschädigtenzulage "von noch festzusetzender Höhe" zu verurteilen. Der Kläger hatte also keine zeitliche Begrenzung für die Geltungsdauer des 1. NOG vorgenommen, sondern lediglich die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage ("Stufe") der Entscheidung des Gerichts überlassen. Das SG hat über den Klaganspruch erschöpfend entschieden; dem Kläger wurde ab 1. Juni 1960 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I zugesprochen. Dem Tenor dieses Urteils ist, was auch das LSG betont hat, eine zeitliche Begrenzung nicht zu entnehmen. Das LSG hat überdies völlig unbeachtet gelassen, daß der Tenor des SG-Urteils auch die Kostenentscheidung enthält, daß der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat. Diese Kostenentscheidung wäre unverständlich, wenn das SG über den Rest des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs - der vermutlich einen sehr viel längeren Zeitraum als die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 umfassen würde - noch "in einem später zu ergehenden Schlußurteil entscheiden" wollte. Eine Kostenentscheidung der genannten Art deutet gleichfalls auf ein abschließendes, die Instanz beendendes Urteil hin. Für Unklarheiten, die eine Auslegung des SG-Urteils unter Zuhilfenahme der Gründe rechtfertigen könnten, blieb somit kein Raum. Selbst wenn jedoch die Entscheidungsgründe zur Auslegung des SG-Urteils herangezogen werden müßten, so kann die vom LSG vorgenommene Auslegung nicht gebilligt werden. Das LSG hat den entscheidenden Absatz der Entscheidungsgründe des SG-Urteils (Seite 4 unten, Seite 5 oben) unvollständig zitiert und ist dem Inhalt der Begründung nicht gerecht geworden. Im unmittelbaren Anschluß an die vom LSG wörtlich zitierte Textstelle: "Es liegt auf der Hand, daß das Gericht eine Feststellung nach neuem Recht noch nicht treffen konnte, da die § 31 (5) BVG näher umreißende Rechtsverordnung bisher nicht erlassen wurde" steht noch folgender Satz: "Der Beklagte wird daher von Amts wegen für die Zeit nach dem 1. Januar 1964 eine Umrechnung vorzunehmen haben". Dieser zweite Satz kann nicht die vom LSG gewählte Auslegung stützen, sondern der Begriff "Umrechnung" besagt, daß der Beklagte dem Kläger etwaige Verbesserungen hinsichtlich der Punktbewertung (Stufeneinteilung) oder der geldlichen Höhe aufgrund des 2. NOG und der irrtümlich als noch nicht erlassen angesehenen DVO zu § 31 Abs. 5 BVG von Amts wegen zugute bringen sollte. Ein neuer Rechtsstreit oder die Fortsetzung des alten sollte gerade vermieden werden.

Bei dieser Rechtslage kam es auf die vom LSG aufgeworfenen Fragen, ob ein etwaiges Teilurteil hinsichtlich seiner Anfechtbarkeit wie ein Endurteil zu behandeln wäre, und ob der Erlaß eines Teilurteils im vorliegenden Falle deshalb fehlerhaft wäre, weil das Bundesgesetzblatt, in dem die DVO zu § 31 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG verkündet ist, zur Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem SG bereits vorlag, so daß der Rechtsstreit im ganzen entscheidungsreif war, nicht an. Das Urteil des LSG, in dem zu Unrecht ein Teilurteil des SG angenommen und deshalb die Berufungsmöglichkeit gegen dieses Urteil verneint wurde, mußte aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Der Senat konnte nicht selbst in der Sache entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil das LSG keine Feststellungen zur Höhe der MdE hinsichtlich der einzelnen Schädigungsleiden getroffen hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324587

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