Orientierungssatz

Verminderte bergmännische Berufsfähigkeit, bisheriger knappschaftlicher Hauptberuf.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.11.1974; Aktenzeichen L 2 Kn 60/72)

SG Duisburg (Entscheidung vom 06.03.1972; Aktenzeichen S 2 Kn 154/71)

 

Tatbestand

Unter den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zusteht.

Der 1929 geborene Kläger, gelernter Mechaniker, arbeitete im Bergbau von 1953 bis 1961 als Grubenschlosser und Bandmeister, anschließend bis 1966 als Maschinenhauer. Von 1966 bis Juli 1968 führte ihn die Zeche - mit einer kurzen Unterbrechung - als Lehrhauer. Hiernach wurde der Kläger krank und kehrte ab. Seit März 1971 bedient er eine Verladeeinrichtung in einem nicht knappschaftlich versicherten Kraftwerk.

Den im Oktober 1968 gestellten Antrag des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte nach umfangreichen Ermittlungen durch Bescheid vom 10. Februar 1971 und Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1971 ab: Der Kläger sei weder berufsunfähig noch vermindert bergmännisch berufsfähig, weil er noch eine Reihe leichterer Arbeiten verrichten könne.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte nach Anhörung von medizinischen Sachverständigen verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1968 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zu gewähren. Die Berufung der Beklagten hiergegen hat das Landessozialgericht (LSG) nach weiterer Beweisaufnahme mit der angefochtenen Entscheidung vom 14. November 1974 zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger sei auch in der Zeit, in der er als Lehrhauer geführt worden sei, tatsächlich als Maschinenhauer tätig gewesen. Er brauche der Frage nicht weiter nachzugehen, welche Arbeiten der Kläger noch verrichten könne. Jedenfalls stünden in knappschaftlich versicherten Tagesbetrieben keine Arbeitsplätze zur Verfügung, auf die der Kläger noch verwiesen werden könnte. Die dem Kläger im übrigen noch gesundheitlich möglichen Arbeiten seien keine Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten oder sogenannten Aufstiegstätigkeiten. Für die Zeit ab Inkrafttreten der neuen Lohnordnung gelte nichts anderes.

Mit der zugelassenen Revision tritt die Beklagte diesem Urteil entgegen. Sie bringt vor: Bei der Feststellung des Hauptberufs des Klägers habe das LSG die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten; es habe nicht den Aussagen der Zeugen - der seinerzeit zuständig gewesenen Abteilungssteiger - folgen dürfen, sondern von den dem Kläger zugewiesenen Arbeitergrad-Schlüsselnummern ausgehen müssen; danach habe sich der Kläger von der Tätigkeit des Maschinenhauers gelöst und sei deswegen als Lehrhauer zu beurteilen. Als solcher könne der Kläger auf die Tätigkeiten eines angelernten Handwerkers, Maschinenwärters, Lampenwärters, Magazinarbeiters oder Maschinisten 1 nach den Lohngruppen 06 und 07 über Tage verwiesen werden. Selbst wenn Hauptberuf des Klägers der des Maschinenhauers wäre, könnte er auf die Tätigkeiten des Metallfacharbeiters (Lohngruppe 08 über Tage) verwiesen werden. Arbeitsplätze seien in ausreichender Zahl vorhanden; das LSG habe die einschlägige Arbeitgeberauskunft nicht zutreffend gewürdigt. Letztlich habe das LSG übersehen, daß der Kläger jedenfalls als angelernter Handwerker (Lohngruppe 06 über Tage) arbeiten könne; hierbei handele es sich um eine dem Lehrhauer gleichwertige Arbeit von Personen mit gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 6. März 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die zugelassene Revision ist im Sinne der Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz begründet.

Bergmannsrente erhält auf Antrag der Versicherte, der vermindert bergmännisch berufsfähig ist und die Wartezeit erfüllt hat (§ 45 Abs 1 Nr 1 des Reichsknappschaftsgesetzes -RKG-). Vermindert bergmännisch berufsfähig ist nach Absatz 2 aaO ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß der Kläger infolge gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht mehr in der Lage ist, die bis 1968 unter Tage ausgeübte knappschaftliche Arbeit weiter zu verrichten. Zu der Frage jedoch, auf welche andere Arbeiten der Kläger nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen noch verwiesen werden kann, liegen ausreichende tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.

Eine Verweisung auf andere knappschaftliche Arbeiten setzt voraus, daß Klarheit darüber besteht, welche Tätigkeiten der Antragsteller nach seinen gesundheitlichen Kräften nicht mehr und welche er noch ausüben kann. Hierzu fehlen im angefochtenen Urteil die Feststellungen. Das LSG hat (auf Blatt 15 seines Urteils) auszugsweise referiert, was einige der im Verwaltungs- und Streitverfahren gutachtlich zu Wort gekommene Ärzte hierzu ausgeführt haben. Nach dieser Wiedergabe ärztlicher Äußerungen vertritt das LSG die Auffassung, daß ihnen "nicht weiter nachzugehen" sei; es hat dies auch nicht getan. Das Gericht läßt also offen, welche Tätigkeiten der Kläger nicht mehr und welche er noch verrichten kann. Zwar nimmt das LSG nachfolgend (Blatt 16 aaO) beiläufig noch "auf die übrigen von den Ärzten und Sachverständigen genannten Tätigkeiten in Tagesbetrieben und Bergwerken" Bezug. Aus der Vielzahl der zum Teil erheblich abweichenden Meinungen der so angesprochenen zahlreichen ärztlichen Gutachter vermag der erkennende Senat jedoch keine tatsächlichen Feststellungen zum Kreis der dem Kläger gesundheitlich noch zumutbaren Verweisungstätigkeiten zu entnehmen. Während verschiedene Gutachter den Kläger nur auf leichte oder leichtere Arbeiten verweisen, hat zB der vom LSG selbst und zuletzt als medizinischer Sachverständige gehörte Internist Dr R den Kläger noch für fähig erachtet, über Tage leichte bis mittelschwere Arbeiten im Gehen und Stehen auch noch im Freien vollschichtig zu verrichten. Inwieweit das LSG diesem letzten Gutachten seines eigenen medizinischen Sachverständigen folgt, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Es liegt jedoch auf der Hand, daß, träfe die Beurteilung Dr R zu, dem Kläger unter dem gesundheitlichen Gesichtspunkt noch ein weiter Kreis von Verweisungstätigkeiten eröffnet wäre.

Bei Fehlen grundlegender tatsächlicher Feststellungen ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache nicht möglich. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Streitsache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG nach Feststellung des Kreises der dem Kläger aus gesundheitlicher Sicht noch möglichen Tätigkeiten zunächst einwandfrei zu klären haben, ob Hauptberuf des Klägers der des Maschinenhauers oder der des Lehrhauers ist. Dabei wird das LSG davon auszugehen haben, daß die Berufstätigkeit, unter der der Arbeitgeber den Versicherten geführt und für die er ihn entlohnt hat, grundsätzlich die bisherige knappschaftliche Arbeit des Versicherten ist; Ausnahmen werden nur in ganz besonders liegenden Ausnahmefällen anerkannt werden können. Gegebenenfalls müßte geprüft werden, warum der Kläger, sollte er in der streitigen Zeit tatsächlich Maschinenhauer im Gedinge gewesen sein, vom Arbeitgeber nicht als solcher, oder zumindest doch als Hauer geführt und entlohnt worden ist (vgl zB die vom 1. Juli 1968 an geltende Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau - Untertage - Teil A, Schlüssel-Nr 021).,

Nach Feststellung der bisherigen knappschaftlichen Tätigkeit wird das LSG zu prüfen haben, welche anderen im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten der Kläger in knappschaftlichen Betrieben noch ausüben könnte. Im Rahmen der Prüfung der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit wird das LSG der Frage nachzugehen haben, inwieweit etwa früher nicht wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten durch die tarifliche Entwicklung gleichwertig geworden sind. Dies gilt insbesondere für Rentenbezugszeiten ab dem Inkrafttreten der neuen Lohnordnung am 1. Juni 1971. Von diesem Zeitpunkt ab wird auch die Qualität verschiedener wirtschaftlich gleichwertiger Tätigkeiten mit der Qualität des bisherigen knappschaftlichen Berufs näher zu untersuchen sein, so etwa bezüglich des Maschinisten 2 (Lohngruppe 08 über Tage nach der ab 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung). Soweit es nach der Auffassung des Berufungsgerichts darauf ankommt, wieviel Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wird das LSG hierzu konkrete Ausführungen unter Angabe von Zahlen zu machen haben.

Der Kostenausspruch war der abschließenden Entscheidung vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651390

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