Entscheidungsstichwort (Thema)

Honorarkürzung. keine notwendige Beiladung der Krankenkasse. Erschwerung einer Rechtsbehelfseinlegung durch unrichtige Belehrung

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Streitigkeit um die Aufhebung eines Honorarkürzungsbescheids ist die Krankenkasse nicht notwendig beizuladen.

2. Aus der Vorschrift des § 368n Abs 5 S 6 RVO folgt, daß die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung den Prüfungsausschüssen nicht zwingend durch das Gesetz auferlegt wird. Diese Pflicht besteht aber nach § 22 Abs 6 des ZÄBMV.

3. Bei einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung (hier: vom RVO-Prüfungsausschuß zwingend geforderte Einreichung einer Beschwerdeschrift in vierfacher Ausfertigung entspricht nicht einer Sollvorschrift), ist die abstrakte Möglichkeit des Kausalzusammenhangs mit dem Verlust des Rechtsbehelfs nicht auszuschließen. Dieser vom BSG (vgl BSG 1971-04-02 11 RA 214/70 = SozR Nr 33 zu § 66 SGG) aufgestellte Grundsatz muß allgemein für Rechtsbehelfsbelehrungen gelten. Der Betroffene kann nicht auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwiesen werden.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03, § 66 Fassung: 1953-09-03; RVO § 368n Abs 5 S 6; BMV-Z § 22 Abs 6; SGG § 67 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.11.1979; Aktenzeichen L 10 Ka 1495/78)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 16.06.1978; Aktenzeichen S 6 Ka 870/78)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 16.06.1978; Aktenzeichen S 6 Ka 236/78)

 

Tatbestand

Der Kläger ist als Kassenzahnarzt zugelassen. Auf Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) B. setzte der bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) für den Regierungsbezirk Tübingen bestehende RVO-Prüfungsausschuß mit Bescheid vom 16. Mai 1977 einen "Regreß" in Höhe von 40.317,30 DM für die Quartale III/1975 bis II/1976 fest. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe das offensichtliche Mißverhältnis seiner Abrechnungswerte im Verhältnis zum KZÄV-Durchschnitt nicht entkräften können. Seine Darlegungen ließen auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise schließen. Der Bescheid wurde am 16. Mai 1977 zum Zweck der Zustellung mit Einschreibebrief zur Post gegeben und war mit folgender Rechtsbehelfsbelehrung versehen: "Gegen diesen Beschluß können Sie binnen eines Monats nach Erhalt Beschwerde bei dem RVO-Prüfungs-Beschwerdeausschuß einlegen. Die Beschwerde muß den Beschluß bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und ist unter Angabe von Gründen entweder schriftlich in vierfacher Ausfertigung oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle beim RVO-Prüfungs-Beschwerdeausschuß, Tübingen, Stiffurtstraße 3 einzulegen". Dagegen erhob der Kläger mit einem beim Beklagten am Montag den 20. Juni 1977 eingegangenen Schreiben Beschwerde und kündigte die Nachreichung einer Begründung an. Die Begründung ging am 5. September 1977 beim Prüfungsausschuß ein. Der Beklagte wies die Beschwerde als unzulässig zurück, weil sie ohne Begründung eingegangen sei und der Kläger damit gegen die Vorschrift des § 14 Ziff 1 Satz 3 der Verfahrensordnung für die Prüfeinrichtungen bei der KZÄV Südwürttemberg-Hohenzollern gemäß § 22 Abs 6 des Bundesmantelvertrages-Zahnärzte (BMV-Z) verstoßen habe.

Mit Urteil vom 16. Juni 1978 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte habe die Beschwerde gegen den Bescheid vom 16. Mai 1977 mit Recht als unzulässig zurückgewiesen. Nach § 14 Ziff 1 Satz 3 der Verfahrensordnung habe die Beschwerde Angaben darüber zu enthalten, inwieweit und aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird. Die Vertragspartner seien nach § 22 Abs 6 BMV-Z berechtigt gewesen, diese Regelung zu vereinbaren. Für einen derartigen Vertrag dürfe es auch keiner ministeriellen Genehmigung. Die unter Ausnutzung der vollen Rechtsmittelfrist eingelegte Beschwerde des Klägers habe aber keine Begründung enthalten. Nach § 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelte das im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführende Beschwerdeverfahren als Vorverfahren im Sinn des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Anwendbar seien nur diejenigen Formvorschriften des SGG, die für das nachfolgende Gerichtsverfahren bedeutsam seien. Im übrigen seien die Vertragspartner in der Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens frei und könnten die Anforderungen aus sachlichen Gründen auch verschärfen. Eine fristgemäße Vorlage der Begründung sei für ein Verwaltungsverfahren sachdienlich.

Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und macht geltend, die Vorschrift des § 14 Ziff 1 Satz 3 der streitigen Verfahrensordnung sei rechtswidrig. Sie verstoße gegen das Amtsermittlungsprinzip. Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei der Bürger nicht verpflichtet, seine Klage oder Berufung zu begründen. Die Verfahrensordnung habe darüber hinaus der Genehmigung des Arbeitsministeriums bedurft.

Der Kläger beantragt, die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid des RVO-Prüfungsausschusses vom 16. Mai 1977 idF des Bescheides des Beklagten vom 20. Januar 1978 aufzuheben, hilfsweise, den Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist in dem Sinn begründet, daß die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben werden und der Beklagte zur Erteilung eines neuen Widerspruchsbescheides verurteilt wird. Die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid des RVO-Prüfungsausschusses vom 16. Mai 1977 hat der Beklagte zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen.

Der Senat kann in der Sache entscheiden. Dazu bedurfte es nicht der Beiladung der vom angefochtenen Bescheid betroffenen Krankenkassen. Die Beiladung war nicht nach § 75 Abs 2 SGG notwendig. An dem streitigen Rechtsverhältnis sind die Kassen nicht derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen könnte. Dem Dritten gegenüber kann die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis iS des § 75 Abs 2 SGG nur einheitlich ergehen, wenn sie zugleich unmittelbar in seine Rechtssphäre eingreift (BSGE 46, 232, 233 = SozR 2200 § 658 Nr 3 mwN). Streitiges Rechtsverhältnis ist hier das Begehren auf Aufhebung des Honorarkürzungsbescheids vom 16. Mai 1977. Mit der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides wird nicht unmittelbar in das Rechtsverhältnis eingegriffen, an dem die Krankenkassen beteiligt sind, nämlich in ihr Rechtsverhältnis zur KZÄV. Die angefochtenen Bescheide der Prüfungsinstanzen betreffen statt dessen die gegen die KZÄV gerichteten Honoraransprüche des Klägers. Dem Kläger ist als Mitglied der KZÄV aus den von ihm erbrachten Leistungen kein Anspruch gegen die RVO-Kassen erwachsen. Die Kassenzahnärzte haben nur einen Anspruch gegen die KZÄV auf Verteilung der von den Kassen entrichteten Gesamtvergütung nach den Bestimmungen des Honorarverteilungsmaßstabes (§ 368f Abs 1 Sätze 2 bis 4 RVO). Diese Gesamtvergütung entrichten die Krankenkassen nach Maßgabe des Gesamtvertrages für die gesamte kassenzahnärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung an die KZÄV (§ 368f Abs 1 Satz 1 RVO). Auch bei der Berechnung der Gesamtvergütung nach Einzelleistungen erfüllt die Kasse mit der Entrichtung der Vergütung an die KZÄV nicht lediglich eine Summe von Einzelleistungsansprüchen der Kassenzahnärzte. Träger des Vergütungsanspruchs gegenüber der Krankenkasse ist vielmehr allein die KZÄV. Die von ihren Mitgliedern erbrachten Leistungen sind nur unselbständige Rechnungsposten innerhalb des der KZÄV zustehenden Anspruchs auf die Gesamtvergütung. Aus diesen Gründen hat der Senat die Beiladung der Krankenkasse zum Rechtsstreit zwischen KZÄV und Kassenzahnarzt wegen Verteilung der Gesamtvergütung nicht als notwendig angesehen (SozR Nr 31 SGG § 75). Die Entscheidung im Rechtsstreit über die Höhe des Honorars braucht im Verhältnis zwischen Kassenzahnarzt und KZÄV nicht notwendig genauso auszufallen wie im Verhältnis zwischen KZÄV und Krankenkasse, in dem es um die Gesamtvergütung geht. Das gleiche gilt für die Entscheidung im Rechtsstreit zwischen Kassenzahnarzt und Prüfinstanzen wegen der Honorarkürzung, denn die Prüfinstanzen und dementsprechend die Gerichte im Rechtsstreit gegen ihre Verwaltungsakte entscheiden über die Höhe des von der KZÄV dem Kassenzahnarzt zu zahlenden Honorars.

An dieser Rechtslage ändert sich nichts durch die besonderen Vorschriften des Rahmengesamtvertrages zwischen der KZÄV für den Regierungsbezirk Tübingen und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Württemberg in Stuttgart vom 21. Dezember 1974. Der Senat konnte darüber entscheiden, ob sich die Notwendigkeit der Beiladung gemäß der bundesrechtlichen Bestimmung des § 75 Abs 2 SGG aus diesen landesrechtlichen Vorschriften ergibt. Allerdings mag es sich bei dem Rahmengesamtvertrag um nichtrevisibles Recht handeln, auf dessen Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann (§ 162 SGG). Der Senat kann die Vorschriften des Vertrages aber jedenfalls deshalb heranziehen, weil das LSG sich in den Gründen seines Urteils damit nicht auseinandergesetzt hat (vgl BSGE 7, 122, 125).

Nach § 10 Abs 3 des Rahmengesamtvertrages leisten die Krankenkassen ihre Zahlungen an die KZÄV nur vorbehaltlich der Entscheidungen der Prüfinstanzen. Die Vorschrift bestimmt keine Bindungswirkung der Entscheidungen der Prüfinstanzen für das Rechtsverhältnis zwischen der KZÄV und den Krankenkassen. Der Bestimmung des § 10 Abs 3 des Rahmengesamtvertrages kann nicht entnommen werden, daß diese Entscheidungen bindend die Höhe der Gesamtvergütung regeln. In welcher Weise sich die Entscheidungen der Prüfinstanzen im Verhältnis zwischen KZÄV und Krankenkassen auswirken, ist in § 10 Abs 3 des Rahmengesamtvertrages nicht bestimmt. Die Vorschrift betrifft nur die Wirkung der Zahlungen und überläßt es der KZÄV und den Krankenkassen zu regeln, auf welche Weise die Prüfentscheidungen die Gesamtvergütung beeinflussen. Daran würde sich nichts ändern, wenn in der praktischen Handhabung die Entscheidungen der Prüfinstanzen uneingeschränkt und ohne Umweg auf die Höhe der Gesamtvergütung durchschlagen - wovon anscheinend der Bescheid vom 16. Mai 1977 ausgeht -. Es bleibt vielmehr den Partnern der Gesamtverträge oder des Bundesmantelvertrages überlassen, ob sie die unmittelbare Bindungswirkung verbindlich regeln wollen.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig, weil der Kläger die Frist für die Beschwerde mit der in § 14 Ziff 1 Satz 3 der Verfahrensordnung geforderten Begründung nicht versäumt hat. Die Rechtsbehelfsfrist hat nicht zu laufen begonnen, denn den Bescheid des RVO-Prüfungsausschusses vom 16. Mai 1977 war eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung beigegeben. Nach § 66 SGG läuft die Frist für einen Rechtsbehelf nur, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die Einzelheiten der Frist schriftlich belehrt worden ist; die Belehrung muß richtig sein. Die Vorschrift des § 66 SGG kann allerdings für die Entscheidung der RVO-Prüfungsausschüsse nicht unmittelbar herangezogen werden, da § 368n Abs 5 Satz 6 RVO in der hier anzuwendenden Fassung des Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28. Dezember 1976 (BGBl I 3871) für das Verfahren der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse ausdrücklich nur auf die Vorschrift des § 84 Abs 1 SGG verweist, nicht aber auf § 84 Abs 2 Satz 3 SGG, der die entsprechende Geltung des § 66 SGG vorschreibt. Aus der Vorschrift des § 368n Abs 5 Satz 6 RVO folgt, daß die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung den Prüfungsausschüssen nicht zwingend durch das Gesetz auferlegt wird. Diese Pflicht besteht aber nach § 22 Abs 6 des BMV-Z. Im BMV-Z ist nicht geregelt, welche Folgen eine unterbliebene oder unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung hat. Eine Rechtsbehelfsbelehrung hat aber den Sinn, daß der Betroffene sich darauf verlassen kann und keinen Nachteil erleidet, wenn er sich nach der Belehrung richtet. Wenn die Belehrung unrichtig ist, ist die abstrakte Möglichkeit des Kausalzusammenhangs mit dem Verlust des Rechtsbehelfs nicht auszuschließen. Dieser vom Bundessozialgericht -BSG- (SozR Nr 33 SGG § 66) zu § 66 SGG aufgestellte Grundsatz muß allgemein für Rechtsbehelfsbelehrungen gelten. Der Betroffene kann nicht auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwiesen werden.

Die Rechtsbehelfsbelehrung durch den RVO-Prüfungsausschuß im Bescheid vom 16. Mai 1977 war unrichtig. In dieser Belehrung, auf die das LSG ausdrücklich Bezug genommen hat, heißt es, die Beschwerde sei unter Angabe von Gründen entweder schriftlich in vierfacher Ausfertigung oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle beim RVO-Prüfungs-Beschwerdeausschuß, Tübingen, Stiffurtstraße 3, einzulegen. Die damit bei schriftlicher Einlegung zwingend geforderte Einreichung in vierfacher Ausfertigung entspricht nicht der Vorschrift des § 14 Ziff 1 Satz 3 der Verfahrensordnung für die Prüfungseinrichtungen bei der KZV Südwürttemberg-Hohenzollern. Darin wird die vierfache Ausfertigung nur als Sollvorschrift geregelt.

Die abstrakte Möglichkeit ist nicht auszuschließen, daß der Kläger die rechtzeitige Vorlage der Beschwerdebegründung wegen der unrichtigen Forderung auf Einreichung der Beschwerde in vierfacher Ausfertigung unterlassen hat. Ob die Erschwerung einer Rechtsbehelfseinlegung durch unrichtige Belehrung einen Betroffenen tatsächlich von der rechtzeitigen Einlegung abgehalten hat, wird sich in vielen Fällen nicht feststellen lassen, weil sich der Betroffene die Motive für eine solche Unterlassung kaum selbst klarmachen wird. Es ist aber durchaus nicht unwahrscheinlich, daß ein Betroffener die rechtzeitige Vorlage der Beschwerdebegründung unterläßt, weil ihm die Einreichung des Schriftsatzes durch die Forderung, ihn in vierfacher Ausfertigung vorzulegen, erschwert worden ist.

Die Revision ist aus diesen Gründen für den Kläger erfolgreich. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654642

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