Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichartigkeit der Leistungen iS von § 104 SGB 10

 

Leitsatz (amtlich)

Zahlt der Sozialhilfeträger für die Ehefrau eines Versicherten freiwillige Krankenversicherungsbeiträge während der Zeit, während der die beantragte Rente dem Versicherten noch nicht bewilligt war, so hat der Sozialhilfeträger für die insoweit erbrachte Leistung keinen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger.

 

Orientierungssatz

§ 104 Abs 1 SGB 10 setzt voraus, daß die Leistung, die der vorrangig Leistungsverpflichtete zu erbringen hat und diejenige, die der nachrangig Leistungsverpflichtete tatsächlich erbracht hat, gleichartig sind.

 

Normenkette

SGB 10 § 104 Abs 1 S 1; SGB 10 § 104 Abs 1 S 2; RVO § 205 Abs 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 27.10.1987; Aktenzeichen L 12 J 1215/85)

SG Fulda (Entscheidung vom 27.08.1985; Aktenzeichen S 3b J 36/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte von der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers 309,58 DM zu Lasten des Klägers an die Beigeladene abführen durfte.

Der Kläger erhält von der Beklagten Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte bewilligte ihm die Rente auf seinen Antrag vom Januar 1982 ab 1. Februar 1982 mit Bescheid vom 1. August 1983. Den Nachzahlungsbetrag in Höhe von rund 33.000,00 DM behielt die Beklagte wegen etwaiger Erstattungsansprüche dritter Stellen ein. Der beigeladene Sozialhilfeträger meldete Erstattungsansprüche an, darunter auch die 309,58 DM, um die die Beteiligten streiten. Die Beklagte erfüllte die Ansprüche des Beigeladenen voll.

Der Kläger und seine Familie hatten vom 1. Juni 1982 bis 30. September 1983 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezogen. Die Ortskrankenkasse (AOK), der der Kläger angehörte, hatte darauf hingewiesen, daß für Ehegatten von Versicherten, die Sozialhilfe empfangen, kein Anspruch auf Familienkrankenhilfe (§ 205 Reichsversicherungsordnung -RVO-) besteht. Der Beigeladene bezahlte deshalb für die Ehefrau des Klägers freiwillige Krankenversicherungsbeiträge an die AOK in Höhe von 309,58 DM für die Zeit vom 23. März 1983 bis 30. September 1983.

Der Kläger verlangte von der Beklagten die Auszahlung der 309,58 DM, die die Beklagte der Beigeladenen erstattet hatte. Das lehnte die Beklagte ab (Schreiben vom 22. Dezember 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. August 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 309,58 DM zu zahlen (Urteil vom 27. Oktober 1987). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe zwar gegen die Beklagte einen der Sozialhilfe vorrangigen Anspruch auf Gewährung der Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit gehabt. Die weiter erforderliche Voraussetzung des Erstattungsanspruchs (§ 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB 10-), daß die Leistungen des vorrangigen und des nachrangigen Leistungsträgers gleichartig seien, liege dagegen nicht vor.

Der Beigeladene hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 104 SGB 10.

Er beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 27. August 1985 zurückzuweisen.

Die Beklagte stellte keinen Antrag.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte hat ihm diese Rente bereits bewilligt. Einen dem Kläger zustehenden Betrag von 309,58 DM hat sie bisher nicht an ihn ausgezahlt, sondern an den Beigeladenen. Ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte in Höhe dieses Betrages bestand jedoch nicht. Die Beklagte ist deshalb durch die Zahlung an den Beigeladenen nicht von ihrer Verpflichtung zur Zahlung an den Kläger freigestellt worden (§ 107 Abs 1 SGB 10).

Zugunsten des Beigeladenen kommt nur der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB 10 in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen indessen nicht vor. Nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB 10 ist der Leistungsträger, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, dem nachrangig verpflichteten Leistungsträger, der geleistet hat, erstattungspflichtig. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs 1 Satz 2 SGB 10). Die Erstattungspflicht gilt auch, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen hat oder hatte (§ 104 Abs 2 SGB 10). Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 104 Abs 2 SGB 10 gegeben sind, insbesondere ob der Kläger überhaupt mit Rücksicht auf seine Ehefrau gegen die Beklagte im Rahmen seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Anspruch auf Sozialleistungen hat oder hatte. Denn der Anspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte und damit die Zahlung der Beklagten an den Beigeladenen mit befreiender Wirkung gegenüber dem Kläger (§ 107 Abs 1 SGB 10) scheitert bereits daran, daß es an dem Merkmal der gleichartigen Leistung fehlt.

§ 104 Abs 1 SGB 10 setzt voraus, daß die Leistung, die der vorrangig Leistungsverpflichtete zu erbringen hat und diejenige, die der nachrangig Leistungsverpflichtete tatsächlich erbracht hat, gleichartig sind. Ein Erstattungsanspruch kann nur ausgelöst werden, wenn der erstleistende Träger eine Verpflichtung des auf Ersatz in Anspruch genommenen zweiten Trägers erfüllt hat (vgl Urteile des Bundessozialgerichts BSG in SozR 1300 § 104 Nrn 4, 6, 12). Der Kläger hatte jedoch gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Krankenkassenbeiträgen für seine Ehefrau. Zwar sind Leistungen der Sozialhilfe immer schon dann den Rentenleistungen gleichartig, wenn sie wie die Rente "in irgendeiner Art" dem Lebensunterhalt dienen (vgl BSGE 39, 183, 185; SozR 1300 § 104 Nr 12 S 34). Der letztere Grundsatz ist jedoch ausgesprochen worden im Zusammenhang mit der Erstattung einer Weihnachtsbeihilfe nach dem BSHG. Zwischen der Weihnachtsbeihilfe und der Rente besteht in der Tat eine Zweckidentität. Wäre die Rente rechtzeitig gezahlt worden, so wären die erhöhten Weihnachtsaufwendungen, die durch die Weihnachtsbeihilfe abgedeckt werden sollen, aus der Rente bestritten worden. Das ist anders bei der Zahlung von freiwilligen Krankenversicherungsbeiträgen durch den Beigeladenen. Sie dienen in diesem Sinne nicht "in irgendeiner Art" dem Lebensunterhalt des Versicherten. Da nach der Entscheidung des BSG vom 18. August 1982 (SozR 2200 § 205 Nr 50) bei der Prüfung der Frage, ob der Krankenversicherte seiner Ehefrau unterhaltspflichtig iS des § 205 RVO ist und ob er daher Anspruch auf Familienkrankenhilfe für seine Ehefrau hat, eine beantragte aber noch nicht bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit außer Betracht zu bleiben hat, war die Ehefrau des Klägers solange ohne Krankenversicherungsschutz, als die Rente des Klägers noch nicht bewilligt war. Der Kläger war seiner Ehefrau solange nicht unterhaltspflichtig. Die Ehefrau des Klägers wäre auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen gewesen, wäre sie krank geworden (§ 27 BSHG). Da bei der Ehefrau des Klägers die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung bestand (§ 176b Nr 2 RVO), wurden diese Kosten durch den Beigeladenen getragen (§ 13 BSHG). Als der Kläger seine Rente erhielt, wurde er aber nicht rückwirkend unterhaltspflichtig. Er war auch nicht verpflichtet, den Unterhalt nachzuzahlen. Denn für die Vergangenheit kann Unterhalt grundsätzlich nicht gefordert werden (§§ 1360a Abs 3, 1613 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Hätte er zu der Zeit, als der Beigeladene Krankenversicherungsbeiträge für die Ehefrau des Klägers zahlte, seine Rente schon gehabt, so wäre er erst recht nicht verpflichtet gewesen, Beiträge für seine Ehefrau zu entrichten. Denn da diese dann unterhaltsberechtigt gewesen wäre, hätte der Anspruch auf Familienkrankenhilfe auch ohne besondere Beitragsleistung seitens des Klägers für die Ehefrau des Klägers bestanden.

Das bedeutet, daß der Beigeladene letztlich die Kosten für die Krankenversicherung der Ehefrau des Klägers hinsichtlich der Zeit zu tragen hat, in der der Kläger auf die Bewilligung seiner Rente wartete. Nach der Entscheidung des BSG vom 18. August 1982 aaO entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, daß die Krankenkasse nicht Familienkrankenhilfe zu leisten hat, weil der Anspruch auf die Rente bei der Frage der Leistungsfähigkeit des rentenberechtigten Klägers außer Betracht bleibt, solange die Rente noch nicht bewilligt ist. Das entspricht auch der Systematik der §§ 102 ff SGB 10. In den Fällen der §§ 102 und 105 SGB 10 hat ein nicht zuständiger Leistungsträger geleistet, in den Fällen der §§ 103, 104 SGB 10 werden zweckidentische Doppelleistungen vermieden. Soweit in diesem Rahmen kein Erstattungsanspruch besteht, bleibt es bei der abschließenden Leistungszuständigkeit des Trägers, der seine Sozialleistung mit Rechtsgrund erbracht hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648315

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