Leitsatz (amtlich)

1. Das Arbeitsangebot muß auch bei zwischenbezirklicher Arbeitsvermittlung jene Angaben enthalten, deren der Arbeitslose bedarf, um sich über die zulässigen Ablehnungsgründe schlüssig zu machen. Ob es ausreichend bestimmt ist (Vergleiche BSG 1956-02-22 7 RAr 102/55 = BSGE 2, 221), muß nach den besonderen Umständen des jeweiligen Vermittlungsfalles beurteilt werden. Die Eigenart zwischenbezirklicher Arbeitsvermittlung kann zB bedingen, daß es erst an Ort und Stelle möglich wird, dem Arbeitslosen den Arbeitgeber oder die Arbeitsstätte zu bezeichnen. Hat das Arbeitsamt zugesichert, daß die auswärtigen Arbeitsstellen einwandfrei seien, so treffen es die Kosten der Rückbeförderung , falls dem Arbeitslosen im Aufnahmebezirk keine nach AVAVG 1927 § 90 Abs 2 zumutbare Arbeitsstelle zugewiesen werden kann.

2. Wer von vornherein die angebotene Arbeit überhaupt ablehnt (zB nach auswärts oder in die Landwirtschaft), ohne daß er tatsächlich einen berechtigten Ablehnungsgrund geltend macht, kann die Verhängung einer Sperrfrist jedenfalls nicht mit der Behauptung abwenden, im Arbeitsangebot seien wesentliche Arbeitsbedingungen nicht enthalten.

 

Normenkette

AVAVG § 90 Abs. 2; AVAVG 1927 § 90 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Schleswig vom 20. Januar 1956 und des vorausgegangenen Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 13.Mai 1955 die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Der 1930 geborene, ledige Kläger ist ungelernter Arbeiter und war seit 1953 bei verschiedenen Arbeitgebern als Landarbeiter und Bauhilfsarbeiter beschäftigt. Vor der Arbeitslosmeldung vom 4. Januar 1955 hatte er vom 25. Juli bis 28. September 1954 bei der Ziegelei ... vom 1.Oktober bis 22. November 1954 bei der Arbeitsgemeinschaft Straßenbau und vom 29. November 1954 bis 1. Januar 1955 bei der Firma J, sämtlich in ..., dem Wohnort des Klägers, gearbeitet.

Ab Januar 1955 bezog der Kläger Arbeitslosenunterstützung (A.). Am 28. Januar wurde ihm - wie auch andern Arbeitslosen - bei der Nebenstelle ... des Arbeitsamts ... durch den zuständigen Vermittler in Gegenwart eines Vermittlers aus Baden-Württemberg landwirtschaftliche Arbeit im Bezirk des Arbeitsamts ...; angeboten. Ihm wurde dabei ein Umdruck "Arbeitsvertrag für landwirtschaftliche Arbeitskräfte mit voller Kost und Wohnung aus Schleswig-Holstein" vorgelegt, der ausführlich die Arbeitsbedingungen, nicht aber den Namen des Arbeitgebers und den Arbeitsort enthielt. Die Lohnsätze waren aus einem Werbeblatt "An alle jugendlicher Arbeitssuchenden" ersichtlich. Außerdem wurde bekanntgegeben, daß die Arbeitsplätze örtlich überprüft und in Ordnung befunden seien. Der Kläger weigerte sich, nach auswärts zu gehen, und lehnte die Arbeit von vornherein ab, weil er Anfang März wieder bei der Ziegelei ... anfangen wolle. Er bestätigte zugleich unterschriftlich, daß er über die Rechtsfolgen einer unbegründeten Arbeitsablehnung belehrt worden sei.

Wegen dieser Ablehnung sperrte das Arbeitsamt Flensburg mit Verfügung vom 1. Februar 1955 die A. für vier Wochen. Im Widerspruchsverfahren bemängelte der Kläger, daß kein ausreichendes Arbeitsangebot vorgelegen habe, weil ihm der Arbeitgeber nicht bezeichnet worden sei. Zusätzlich machte er geltend, die vorgesehene Arbeit sei für ihn auch deshalb nicht zumutbar, weil ein Antrag auf Bau eines Landarbeitereigenheims bereits genehmigt sei und der Bau im Sommer begonnen werden solle.

Die Widerspruchsstelle wies die Einwendungen des Klägers zurück und bestätigte durch Bescheid vom 5. März 1955 die Sperrfristverfügung des Arbeitsamts.

II. Auf Klage hob das Sozialgericht Schleswig mit Urteil vom 13. Mai 1955 die Verfügung des Arbeitsamts und den Widerspruchsbescheid auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger A. für die Sperrzeit zu zahlen, da ein konkretes Arbeitsangebot nicht vorgelegen habe. Die Benennung des künftigen Arbeitgebers und die Bezeichnung des Arbeitsplatzes seien schon deshalb notwendig, damit der Arbeitnehmer prüfen könne, ob die Unterkunft gesundheitlich oder sittlich bedenklich sei. Diese Möglichkeit, die er gegebenenfalls durch eine Organisation oder Vertrauensperson an Ort und Stelle wahrnehmen könne, dürfe dem Kläger auch nicht bei der überbezirklichen Arbeitsvermittlung abgeschnitten werden, damit er nicht später, wenn er feststelle, daß der Arbeitsplatz nicht einwandfrei oder die angebotene Arbeit nicht zumutbar und ihre Ablehnung deshalb berechtigt sei, weit von seiner Heimat entfernt mittellos und ohne Rückreisegeld auf der Straße stehe.

Berufung wurde zugelassen.

III. Die Beklagte legte Berufung ein, wurde aber mit diesem Rechtsmittel vom Landessozialgericht Schleswig durch Urteil vom 20. Januar 1956, das sich die Begründung der Vorinstanz zu eigen machte, zurückgewiesen. Das Landessozialgericht leitete aus der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA) die Auffassung ab, daß die angebotene Arbeit, wenn auch nicht bis in alle Einzelheiten festgelegt, so doch konkretisierbar sein müsse. Insbesondere müsse der Arbeitslose Arbeitsort und Arbeitgeber kennen. Diesen Erfordernissen genüge der Hinweis im Arbeitsangebot, daß sämtliche Arbeitsplätze überprüft seien, nicht.

Revision wurde zugelassen.

IV. Gegen das ihr am 13. Februar 1956 zugestellte Urteil legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Februar 1956, beim Bundessozialgericht eingegangen am 8. März, Revision ein und beantragte, unter Aufhebung der Vorderurteile die Klage abzuweisen.

In der Revisionsbegründung vom 27. März 1956, eingegangen am 6. April, wurde ausgeführt, daß von einer bestimmten Arbeit oder einer bestimmten Stelle im Sinne der Rechtsprechung des RVA. nicht nur dann gesprochen werden könne, wenn dem Arbeitslosen der Name des Arbeitgebers und die Arbeitsstätte bekannt gegeben seien; es genüge vielmehr, daß er in die Lage versetzt werde zu beurteilen, ob er die Arbeit annehmen müsse oder verweigern könne. Eine Überspannung des dem Arbeitslosen zustehenden Prüfungsrechts bedeute die Forderung, der Arbeitslose könne die bereits vom Arbeitsamt überprüften und für einwandfrei befundenen Verhältnisse des freien Arbeitsplatzes vor Annahme des Angebots noch einmal selbst überprüfen oder durch seine Interessenvertretung überprüfen lassen. Bei einer derartigen Ausweitung der Prüfungsbefugnis des Arbeitnehmers würde die Vorschrift des § 90 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), der zufolge der Arbeitslose auch dann eine Sperrfrist verwirke, wenn er eine Arbeit außerhalb seines Wohnorts ohne berechtigten Grund ablehne, praktisch unanwendbar und gegenstandslos. Im übrigen sei die Auffassung der Vorinstanzen, daß der Arbeitslose die Rückreisekosten im Falle einer berechtigten Ablehnung der Arbeit am auswärtigen Arbeitsort selbst zu tragen habe, unrichtig. Nach den Richtlinien zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 17. Dezember 1953 übernehme die Arbeitsverwaltung die Rückreisekosten. Der Kläger habe insgesamt keinen berechtigten Grund zur Ablehnung der angebotenen Arbeit gehabt. Seine Einwendungen seien nicht durch die vom Gesetz zugelassenen Ablehnungsgründe gedeckt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 27. März 1956 Bezug genommen.

Von seiten des Klägers wurden schriftsätzliche Erklärungen im Revisionsverfahren nicht abgegeben. Er beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Im Verhandlungstermin machte der Kläger geltend, das Arbeitsangebot sei nicht ausreichend bestimmt gewesen, um eine eigene Prüfung hinsichtlich der zulässigen Ablehnungsgründe zu ermöglichen. Im übrigen bezog er sich auf die seiner Meinung nach zutreffende Beurteilung der Rechtslage durch das Berufungsgericht.

V. Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch begründet.

Nach § 90 Abs. 1 AVAVG erhält für vier Wochen keine Arbeitslosenunterstützung, wer sich ohne berechtigten Grund trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine Arbeit anzunehmen oder anzutreten, auch wenn sie außerhalb seines Wohnortes zu verrichten ist. Wie der Senat in seinem Urteil vom 22.Februar 1956 - 7 RAr 102/55 - (BSG 2 S. 221 und SozR AVAVG § 90 Blatt Ba 1 Nr. 1) dargelegt hat, setzt § 90 ein Arbeitsangebot voraus, das ausreichend bestimmt sein muß, damit der Arbeitslose prüfen kann, ob er einen berechtigten Grund zur Ablehnung der Arbeit hat. Auch bei zwischenbezirklicher Arbeitsvermittlung, d.h. bei Vermittlung in einen fremden Arbeitsamtsbezirk, muß das Arbeitsangebot jene Angaben enthalten, deren der Arbeitslose bedarf, um sich über die zulässigen Ablehnungsgründe schlüssig zu werden. Ob ein Arbeitsangebot ausreichend bestimmt ist, muß nach den besonderen Umständen des jeweiligen Vermittlungsfalles beurteilt werden. Diese Erkenntnis findet sich schon in den Grunds. Entscheidungen des RVA. Nr. 3363 (AN. 1929 S. IV 81) und Nr. 3713 (AN. 1930 S. IV 190). Die anhängige Streitsache unterscheidet sich jedoch von jenen beiden RVA.-Entscheidungen insofern, als dort der Arbeitslose nur zwecks bevorstehender Vermittlungsverhandlungen vom Arbeitsamt vorgeladen, ihm aber weder eine bestimmte Arbeit zugewiesen noch sonst ein tatsächliches Arbeitsangebot gemacht worden war. Im vorliegenden Falle indessen hatte der Kläger ein Arbeitsangebot vor sich, das ihn mit den genauen Arbeits- und Lohnbedingungen für die ihm fachlich bezeichnete Tätigkeit in dem vorgesehenen örtlichen Bereich in der Form eines Arbeitsvertragsmusters nebst Werbeblatt bekannt machte. Er hatte ferner Gelegenheit, sich von den anwesenden Arbeitsvermittlern des Abgabeamtes und des Aufnahmebezirks weitere Aufklärung erteilen zu lassen. Auch war ihm ausdrücklich zugesichert, daß die in Frage kommenden Arbeitsplätze amtlich überprüft und in Ordnung befunden seien. Der Kläger beachtete und nutzte jedoch alle diese Angaben und Möglichkeiten nicht und ging auf das Angebot in keiner Weise ein, sondern lehnte es bei dem Vermittlungsversuch am 28. Januar 1955 sogleich mit der Erklärung ab, daß er Anfang März wieder bei einem früheren Arbeitgeber seines Wohnortes anfangen wolle.

VI. Dieses Argument der Erwartung eines späteren Arbeitsplatzes am Ort, das der Kläger im Vermittlungszeitpunkt als einziges dem Arbeitsangebot entgegensetzte, fällt nicht unter die Gründe, die das Gesetz als zulässig anerkennt. Ein berechtigter Ablehnungsgrund liegt nach der Aufzählung in § 90 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 AVAVG lediglich vor, wenn für die Arbeit nicht der tarifliche bezw. ortsübliche Lohn gezahlt wird, die Arbeit körperlich nicht zumutbar, der Arbeitsplatz durch Arbeitskampf frei geworden, die Unterkunft gesundheitlich oder sittlich bedenklich oder bei Vermittlung nach auswärts die Versorgung der Angehörigen nicht hinreichend gesichert ist. Die Rechtsprechung hat als sechsten Grund Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten hinzugefügt (RVA. Grunds. Entsch. Nr. 3529 - AN 1929 S. IV 352). Diese Gründe ausschließlich sind von Rechts wegen zu beachten. Deshalb kann der Kläger auch nicht mit der später nachgetragenen Begründung gehört werden, daß er für den Sommer mit dem Bau eines Landarbeitereigenheims glaubte rechnen zu können.

Da der Kläger bei dem Vermittlungsversuch des Arbeitsamts von vornherein die angebotene landwirtschaftliche Arbeit nach auswärts überhaupt ablehnte, kann er die gesetzliche Folge der Unterstützungssperre ferner nicht nachträglich mit der Behauptung abwenden, jenes Arbeitsangebot sei nicht genügend bestimmt gewesen, weil Arbeitgeber und Arbeitsort nicht genannt waren. Ein tatsächliches Arbeitsangebot, das vom Unterstützungsempfänger von Anfang an schlechthin abgelehnt, also von der Basis her allgemein (z.B. Arbeit nach auswärts, Arbeit in der Landwirtschaft) ausgeschlagen wird, bedarf keiner Darlegung in den Einzelheiten mehr, da es ohnehin scheitern muß.

VII. Darüber hinaus war das Arbeitsangebot im vorliegenden Falle den Umständen nach aber auch ausreichend bestimmt. Dem Kläger wurden - ungerechnet die weiteren Auskunftsmöglichkeiten durch den auswärtigen Vermittler - mit der Vorlegung des Vertragsmusters und des Werbeblattes alle für das künftige Arbeitsverhältnis wesentlichen Bedingungen ausführlich bekanntgegeben, insbesondere Beschäftigungsart, Arbeitszeit, Entlohnung, Sachleistungen, Unterkunftsverhältnisse, Urlaub, Kündigung u.a. Nr. 2 des Vertragsmusters besagte z.B.:

"Die Entlohnung erfolgt nach dem Rahmentarif für landwirtschaftliche Betriebe in Baden-Württemberg für männliche und weibliche Arbeitnehmer mit voller Kost und Wohnung. Die Auszahlung des Lohnes erfolgt monatlich nachträglich. Abschlagszahlungen sind zu gewähren, jedoch nicht über die bis dahin verdiente Lohnsumme hinaus."

In dem Werbeblatt waren sogar im einzelnen die Lohnsätze mit den tariflich zustehenden Stundenbeträgen in DM und DPf sowie nach Altersstufen gestaffelt vermerkt, obwohl solche zahlenmäßigen Angaben nach einhelliger Meinung nicht einmal Sache des Arbeitsamts, sondern der Tarifpartner sind; nach dem Gesetz genügt der Hinweis, daß Tarif- oder ortsüblicher Lohn gezahlt wird. Bezüglich der Unterkunft - bei Vermittlung nach auswärts von gesteigerter Wichtigkeit und gegebenenfalls Ablehnungsgrund nach § 90 Abs. 2 Nr. 4 AVAVG - hieß es unter Nr. 6 des Vertragsmusters:

"Zum Barlohn wird dem Arbeitnehmer freie Unterkunft in einem sauberen, wohnlichen Zimmer ... gewährt. .... Der Schlafraum muß in gesundheitlicher Beziehung einwandfrei, sauber und verschließbar sein. Er muß mindestens ausgestattet sein mit Bett, Tisch, Stuhl, verschließbarem Schrank, Waschgelegenheit und ausreichender Beleuchtung. Bei nichtheizbaren Räumen muß dem Arbeitnehmer in kalter und nasser Jahreszeit im Rahmen der Hausgemeinschaft ein geheizter Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt werden. Auch muß dem Arbeitnehmer zum Trocknen seiner Arbeitskleidung Gelegenheit gegeben sein. Bettwäsche, die monatlich gewechselt wird, ist unentgeltlich vom Arbeitgeber zu stellen".

Der Kläger wußte also genau, woran er war, zumal er in der Vergangenheit selber landwirtschaftliche Arbeit verrichtet hatte.

Zu untersuchen blieb freilich, wie die Tatsache rechtlich zu bewerten ist, daß Arbeitgeber und Arbeitsort zwar nicht überhaupt, aber immerhin insofern zunächst offenblieben, als nicht ein bestimmter Name und Ort genannt war, sondern nur feststand, daß es sich um einen Landwirt im Arbeitsamtsbezirk Ravensburg handeln würde. Von Bedeutung ist dabei, daß Aufgabe der Arbeitsvermittlung nicht etwa der Abschluß des Arbeitsvertrages, sondern nur dessen tatsächliche Anbahnung ist. Auch werden - diese Übung hat sich in jahrzehntelanger Praxis mit Billigung aller Verantwortlichen herausgebildet - größere Vermittlungsaufträge, bei denen wie im vorliegenden Falle zu gleicher Zeit für eine ganze Reihe von auswärtigen Arbeitgebern zahlreiche verhältnismäßig leicht untereinander austauschbare Arbeitskräfte (meist Hilfsarbeiter) gesucht werden, teils aus Zweckmäßigkeitsgründen, aber nicht zuletzt auch im Interesse der künftigen Vertragspartner selber, häufig in der Art abgewickelt, daß deren endgültige Zusammenführung erst im Aufnahmebezirk erfolgt. Nur dort kann sie wirklich sachgemäß vorgenommen werden, schon weil die Werbungen oft in einer Mehrzahl von Abgabebezirken nebeneinander laufen und weil bis zum endgültigen Abschluß der Verträge noch mehr oder weniger große Veränderungen in den Anforderungen der Arbeitgeber und den Zusagen der Arbeitsuchenden einzutreten pflegen. Dort kann man auch Besonderheiten der Lage und Einzelwünschen gerade der Arbeitnehmer am besten entsprechen. Macht die Arbeitsverwaltung es dagegen anders, spannt sie bürokratisch die Partner, denen sie ja nur die Möglichkeit zum Vertragsschluß eröffnen soll, vorschnell auf dem Papier zusammen, so entstehen, wenn hinterher die Vertragsteile nicht zueinander passen oder soweit Bedarf und Angebot sich geändert haben, zwangsläufig zahlreiche Unzuträglichkeiten, die bei dem jetzigen Verfahren vermieden werden.

VIII. Aber nicht nur verwaltungsmäßige Vernunft und das eigene Interesse aller Beteiligten sprechen dafür, bei Vermittlungsaufträgen der erwähnten Art Arbeitgeber und Arbeitsstätte nicht zu früh festzulegen. Der Arbeitslose, dem im zwischenbezirklichen Ausgleich eine auswärtige Arbeit angeboten wird, wäre auch um nichts gebessert, wenn ihm von vornherein ein Arbeitgeber mit voller Anschrift genannt würde. Nähme man selbst an, er stellte durch Verwandte oder Bekannte, durch seine Berufsorganisation oder sonstwie Ermittlungen an, so bliebe die Aussicht, daß diese ihm einen gesetzlichen Ablehnungsgrund bieten könnten, recht gering, weil die Arbeitsverwaltung in den Ausgleich von jeher nur einwandfreie und überprüfte Arbeitsstellen geben läßt. Erwiese sich aber wirklich eine Stelle als ungeeignet, so könnten alsbald neue Stellen angeboten werden, und daß diese ebenfalls unzumutbar sein sollten, ist noch unwahrscheinlicher. Es wäre daher nicht sinnvoll, das Verfahren der zwischenbezirklichen Arbeitsvermittlung solchen fast nur theoretischen Überlegungen zuliebe entgegen allen Erfahrungen mit einer offenbar unzweckmäßigen Auflage zu belasten und dadurch diese für eine gehobene Arbeitsvermittlung unentbehrliche Einrichtung zu gefährden oder zu einem nutzlosen und schädlichen Umweg zu nötigen. Die natürliche Lösung in diesem Widerstreit zwischen dem verständlichen Wunsch des Arbeitslosen nach möglichst weiter Aufklärung und dem Anspruch der künftigen Vertragspartner sowie der Allgemeinheit auf das Funktionieren der Arbeitsvermittlung muß vielmehr darin bestehen, daß dem Arbeitslosen, wenn er keinen sonstigen Ablehnungsgrund aus § 90 hat, sondern lediglich aus technischen Gründen vorläufig noch nicht weiß, mit welchem der für ihn zunächst gleichwertigen Arbeitgeber er in dem ihm bekannten Aufnahmebezirk abschließen wird, die Fahrt dorthin zuzumuten ist. Auch bei innerbezirklicher Vermittlung muß er sich in aller Regel zu dem Arbeitgeber begeben, der ihm vom Arbeitsamt benannt wird; denn dort findet die vertragliche Einigung statt, und nur aus dem endgültigen Inhalt des Angebots sowie aus der Prüfung der Arbeitsstelle kann der Arbeitslose letztlich ersehen, ob er einen gesetzlichen Ablehnungsgrund hat. Allerdings erscheint die Fahrt in einen entfernten Bezirk nur zumutbar, wenn für den Arbeitslosen ein Höchstmaß an Sicherheit für das Zustandekommen des Arbeitsvertrages gewährleistet ist, wie es hier durch die amtliche Überprüfung gegeben war.

IX. Natürlich bleibt dem Arbeitslosen, der auf diese Weise seine Mitwirkungspflicht bei der Anbahnung eines neuen Arbeitsverhältnisses erfüllt, das Recht erhalten, an Ort und Stelle den endgültigen Arbeitsplatz - wie bei der innerbezirklichen Vermittlung - daraufhin zu untersuchen, ob dieser tatsächlich im Sinne des § 90 Abs. 2 AVAVG zumutbar ist; die eigene Prüfung wird so überhaupt erst voll möglich. Erweist sich die Zusicherung des Arbeitsamts als unzutreffend, so kann das Arbeitsangebot noch jetzt abgelehnt werden. Das Arbeitsamt ist dann genötigt, entweder eine dem Gesetz entsprechende Ersatzvermittlung vorzunehmen, oder, falls dies nicht möglich sein sollte, den Arbeitslosen in den Abgabebezirk zurückzubefördern. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Arbeitslosen aus der Garantieerklärung des Arbeitsamts noch weitergehende Rechte zustehen; schon die Nr. 35 der Richtlinien zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 17. Dezember 1953 (ANBA 1954 S. 571), die bei Fehlvermittlungen ausdrücklich die Übernahme der Rückfahrtkosten zuläßt, schützt ihn ausreichend. Denn ein Arbeitsamt, das sich trotz der Garantie weigern wollte, würde zumindest im Dienstaufsichtswege zur ordnungsmäßigen Handhabung der Ermächtigung angehalten werden können. Der Arbeitslose läuft also keine Gefahr. Das volle Risiko liegt beim Arbeitsamt, und es verringert sich rein tatsächlich nur dadurch entscheidend, daß nach den Dienstvorschriften lediglich sorgsam ausgewählte und überprüfte Arbeitsstellen in den zwischenbezirklichen Ausgleich gegeben werden sollen und die wenigen trotzdem unvermeidlichen Unstimmigkeiten sich im Aufnahmebezirk bereinigen lassen. Zudem kommt die Sammelvermittlung üblicherweise und der Sache nach überhaupt nur für gewisse Berufe (im wesentlichen Land- und Bauwirtschaft) in Betracht, und diese Arbeitskräfte sind ihrer Verwendbarkeit nach in weitem Umfange auswechselbar.

X. Nicht verletzt wurde seitens des Arbeitsamts das durch Art. 12 GG garantierte Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes. Denn Art.12 sichert, wie allgemein anerkannt ist, nur die Ausübung dieses Rechts, bewahrt jedoch nicht vor ungünstigen Folgen, die im Einzelfall aus der Ausübung erwachsen können.

Nicht zu befassen hatte sich der Senat auch mit der Frage, ob es zweckmäßig war, wenn das Arbeitsamt die Vermittlung der Arbeitskräfte für Baden-Württemberg unter Zuhilfenahme des § 90 AVAVG durchführte, und ob nicht die Werbung von Freiwilligen ausgereicht hätte; das zu entscheiden, lag im verwaltungsmäßigen Ermessen des Arbeitsamts, und ein Ermessensfehler ist weder behauptet worden noch ersichtlich, zumal § 90 auch der Prüfung des Arbeitswillens dient. Das Gleiche gilt für die Art, wie das Arbeitsangebot gemacht worden sein mag, für die unnötig als "Sammeltransport" bezeichnete, in Wahrheit aus Gründen der Kostenersparnis und der für alle bequemeren Abwicklung gebotene Gemeinschaftsreise usw.

Ebensowenig konnte das eigentliche sozialpolitische Kernstück des Falles angegangen werden, nämlich die im Zuge der "Sozialreform" für den Gesetzgeber erwägenswerte Frage, ob § 90 Abs.2 Nr.5 AVAVG und allgemein der § 90 heutigen Anschauungen noch voll genügen. Der Bundestagsausschuß für Arbeit hat bei Beratung der großen AVAVG-Novelle (Deutscher Bundestag, 2.Wahlperiode 1953, Drucksachen 1274, 2714) einschlägige Anregungen nicht aufgenommen. [1]

XI. Nach allem war der Revision stattzugeben und die Klage unter Aufhebung der Vorderurteile abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dem Kläger Kosten aufzuerlegen, bestand kein Anlaß, da er lediglich auf die Revision der Beklagten hin in einer Rechtsfrage unterlegen ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379950

[1] Das Plenum des Bundestages hat sich inzwischen den Beschlüssen des Ausschusses zu § 90 AVAVG angeschlossen.

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