Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. März 1994 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die Klägerin.
Die 1939 im früheren Jugoslawien geborene Klägerin ist inzwischen deutsche Staatsangehörige. Ihren Angaben zufolge hat sie keinen Beruf erlernt. Zwischen 1953 und 1963 war sie als landwirtschaftliche Arbeiterin und anschließend bis 1965 als Fabrikarbeiterin in ihrem Heimatland beschäftigt. Im Jahr 1965 übersiedelte die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland und arbeitete hier zunächst bis 1969 als Beiköchin. Nach einer mehrjährigen Unterbrechung durch Kindererziehung und Führung des eigenen Haushalts war sie von 1976 bis 1982 als Angestellte in der Warenausgabe eines Bekleidungskaufhauses, anschließend bis 1987 in teilweise gleicher Funktion bei verschiedenen Firmen als Arbeiterin tätig. Zuletzt verrichtete die Klägerin von Oktober 1987 bis Juni 1990 eine Tätigkeit als Hausgehilfin, die sie nach eigenen Angaben wegen des Umzugs ihres Arbeitgebers aufgeben mußte. Seit Juli 1990 ist sie als arbeitssuchend gemeldet.
Am 5. November 1990 stellte die Klägerin einen Rentenantrag, der von der Beklagten nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 12. April 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1991 abgelehnt wurde, weil die Klägerin weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht München (SG) hat die Klage durch Urteil vom 18. Mai 1993 als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ua dargelegt: Die Klägerin sei dem ungelernten Bereich zuzuordnen und damit auf die gesamte Breite des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Im Hinblick auf die bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen könne sie weiterhin als Hausangestellte in einem Privathaushalt arbeiten, ferner auch als Sortiererin oder Montiererin leichterer Gegenstände.
Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin ist vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 17. März 1994 zurückgewiesen worden. Zur Begründung heißt es darin ua:
Dem Rechtsmittel müsse der Erfolg versagt bleiben, da die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang der Sach- und Rechtslage entspreche. Ein Anspruch auf Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit stehe der Klägerin nicht zu. Das Erstgericht habe die Leistungsbedingungen der streitigen Ansprüche in medizinischer und berufskundlicher Hinsicht unter Einbeziehung der Verhältnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt mit zutreffenden Erwägungen verneint, so daß der Senat iS einer verkürzten Darstellung der Entscheidungsgründe im wesentlichen auf die schriftlichen Ausführungen des angefochtenen Urteils verweisen könne.
Bei Zumutbarkeit einer regelmäßigen Ganztagsbeschäftigung stehe der Klägerin noch eine Vielzahl beruflicher Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes offen, auch wenn dabei die Einsatzbedingungen den arbeitsmedizinischen Anforderungen entsprechen müßten, wie sie sich aus den Feststellungen der Sachverständigen Dr. P. … über das Vorliegen qualitativer Leistungseinschränkungen ergäben. Letztere führten im Ergebnis erst zu der Gesamtbeurteilung, daß die Klägerin nur noch leichte Frauenarbeiten verrichten könne.
Die von Dr. P. … bezeichneten Einsatzbeschränkungen verringerten die Zahl der für die Klägerin geeigneten Tätigkeiten nicht erheblich. Das gelte auch unter Berücksichtigung der Annahme dieser Sachverständigen, daß die Klägerin generell keine Tätigkeiten mehr ausüben könne, die erhöhte Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit mit sich brächten bzw unter Zeitdruck, Akkord, Schichtbedingungen oder am Fließband erfolgten. Wenn Dr. P. … in diesem Zusammenhang darauf hinweise, daß bei der Klägerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Konzentrations-, Reaktions- und Übersichtsfähigkeit, Ausdauer und Verantwortungsbewußtsein sowie die Anpassungsfähigkeit und geistige Beweglichkeit eingeschränkt seien und daß sie deshalb keine Tätigkeiten mehr ausüben könne, die Anforderungen an diese Funktionen stellten, so bedeute diese Aussage nach dem Verständnis des Senats keineswegs, daß die Klägerin einfache Tätigkeiten schon dann nicht mehr übernehmen könne, wenn dazu die genannten Eigenschaften nur in geringem Umfang notwendig wären. Dies lasse sich schon daraus entnehmen, daß die Sachverständige lediglich von einer „Beeinträchtigung” der Konzentrationsfähigkeit usw, nicht aber von deren „Aufhebung” spreche. Auch die Einschätzung der Nervenärztin, daß die Klägerin in der Lage wäre, leichte Sortier- oder Etikettiertätigkeiten auszuüben, und weiterhin als Haushälterin eingesetzt werden könnte, bestätige diese Interpretation. Denn gerade die Tätigkeit als Haushaltsführerin setze Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Aufmerksamkeit, ferner die Einhaltung tageszeitlicher Termine und im Zusammenhang damit vorausschauende Arbeitseinteilung in mehr als nur ganz geringem Maße voraus.
Nach den weitgehend übereinstimmenden gutachterlichen Feststellungen der in erster Instanz gehörten gerichtlichen Sachverständigen bestehe bei der Klägerin zusammenfassend weder eine „gravierende Einzelbehinderung” noch eine Mehrzahl krankheitsbedingter Leistungseinschränkungen, die durch ihre Summierung den Zugang zum Arbeitsmarkt in derart außergewöhnlicher Weise erschwerten, daß der Klägerin konkret gesundheitlich zumutbare Erwerbstätigkeiten benannt werden müßten.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dazu trägt sie im wesentlichen vor: Angesichts der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen führe die Ablehnung der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit im Ergebnis zu einer pauschalen und nicht gerechtfertigten Verweisung auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die es letztlich nicht mehr gebe. Zudem habe das Berufungsgericht ihr Leistungsvermögen und ihre Umsetzungsfähigkeit entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht an den konkreten Bedingungen des Arbeitsmarktes gemessen, sondern seine Entscheidung vielmehr auf die pauschale Behauptung gestützt, der Arbeitsmarkt sei für sie nicht verschlossen. Insbesondere ihre mangelnde Umstellungsfähigkeit und die eingeschränkte Gehfähigkeit wirkten sich nachteilig auf ihre betrieblichen Einsatzmöglichkeiten aus. Ferner beziehe sich das LSG unzulässigerweise auf nicht näher belegte berufskundliche Feststellungen von medizinischen Sachverständigen. Schließlich beruhe das Berufungsurteil auf einem Verfahrensfehler, da das LSG – entgegen ihrem Beweisantrag – kein berufskundliches Gutachten zu der Frage eingeholt habe, ob der allgemeine Arbeitsmarkt für sie verschlossen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. März 1994 und des Sozialgerichts München vom 18. Mai 1993 sowie ihres Bescheides vom 12. April 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1991 zu verurteilen, ihr – der Klägerin – Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU), zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie macht insbesondere geltend: Da die Klägerin noch vollschichtig einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne, sei davon auszugehen, daß geeignete Arbeitsplätze in hinreichender Zahl vorhanden seien und somit der Klägerin der inländische Arbeitsmarkt nicht verschlossen sei. Die Vermittlung in einen geeigneten Arbeitsplatz falle nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade nicht in den Risikobereich der Rentenversicherung, sondern in den der Arbeitsvermittlung.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Wegen Fehlens von Tatsachenfeststellungen kann noch nicht entschieden werden, ob das LSG das klageabweisende Urteil des SG zu Recht bestätigt hat.
Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen BU oder EU richtet sich noch nach den §§ 1246, 1247 RVO, da sie ihren Rentenantrag bereits im Jahre 1990, also bis zum 31. März 1992, gestellt hat und dieser sich auch auf einen Zeitraum vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫; dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Rente wegen EU, welche die Klägerin in erster Linie begehrt, erhält gemäß § 1247 Abs 1 RVO ein Versicherter, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. EU liegt vor, wenn ein Versicherter infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl § 1247 Abs 2 RVO).
Zwar ist die Klägerin im Rahmen der Prüfung von EU ohne subjektive Zumutbarkeitsbeschränkungen (iS eines Berufsschutzes) auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Ob sie jedoch mit ihren Leistungseinschränkungen – gemessen an den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt – noch in erforderlichem Umfang erwerbstätig sein kann (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8), vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht sicher zu beurteilen.
Das Vorliegen von EU ist nicht bereits deshalb zu verneinen, weil die Klägerin weiterhin als Hausangestellte in einem Privathaushalt oder auch als Sortiererin oder Montiererin leichter Gegenstände tätig sein könnte. Das LSG selbst hat dazu nichts festgestellt. Darüber hinaus hat es die betreffenden Feststellungen des SG nicht durch eine ordnungsgemäße Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe übernommen. Gemäß § 153 Abs 2 SGG, der an dieser Stelle des Berufungsurteils aufgeführt wird, kann das LSG allerdings in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Insoweit besteht die Möglichkeit, entweder ganz oder auch nur teilweise auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils zu verweisen. In letzterem Falle müssen die in Bezug genommenen Teile grundsätzlich genau bezeichnet werden (vgl Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ in Buchholz 312 EntlG Nr 44). Zumindest muß sich aus dem Zusammenhang der berufungsgerichtlichen Entscheidungsgründe klar ergeben, in welchem Umfang die erstinstanzlichen Ausführungen übernommen werden sollen.
Das LSG hat ausgeführt, das Erstgericht habe die Leistungsbedingungen der streitigen Ansprüche in medizinischer und berufskundlicher Hinsicht mit zutreffenden Erwägungen verneint, so daß der Berufungssenat iS einer verkürzten Darstellung der Entscheidungsgründe „im wesentlichen” auf die schriftlichen Ausführungen des angefochtenen Urteils verweisen könne. Damit hat das Berufungsgericht die Erwägungen des SG zwar allgemein als zutreffend bezeichnet, gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, daß es vollständig und einschränkungslos auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen hat. Anderenfalls hätte es nicht nur „im wesentlichen” darauf verwiesen. Außerdem hat sich das LSG nicht auf eine Auseinandersetzung mit neuem Vorbringen der Beteiligten beschränkt, sondern sowohl das medizinische Beweisergebnis als auch die Fragen einer Pflicht zur Benennung von Verweisungstätigkeiten sowie einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes eingehend erörtert. Dabei handelt es sich nicht um unwesentliche Ergänzungen der Darlegungen des SG. Vielmehr wären insbesondere die berufungsgerichtlichen Ausführungen zum Fehlen einer Benennungspflicht überflüssig und unverständlich, wenn sich das LSG die Auffassung des SG zu eigen gemacht hätte, die Klägerin könne noch ihre letzte Tätigkeit als Hausangestellte verrichten sowie als Sortiererin oder Montiererin leichter Gegenstände arbeiten. In diesem Fall hätte sich das LSG im übrigen mit dem zweitinstanzlichen Beweisantrag der Klägerin befassen müssen, von berufskundlichen Sachverständigen Auskünfte über die Belastungsanforderungen dieser Tätigkeiten einzuholen. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Andererseits hat es das LSG unterlassen, die Teile des SG-Urteils, auf die es Bezug nehmen wollte, hinreichend zu bezeichnen. Insbesondere wird nicht deutlich, inwieweit die eigenen Erwägungen des LSG die Entscheidungsgründe des SG ersetzen oder alternativ neben diese treten sollten. Im Hinblick auf diese Unklarheit ist der vom LSG ausgesprochenen Verweisung allenfalls eine ergänzende Bedeutung beizumessen. Mithin kann sie sich nur auf vom LSG nicht nochmals erwähnte Selbstverständlichkeiten beziehen. Dazu ist die Feststellung des SG zu rechnen, daß die Klägerin zuletzt als Hausangestellte beschäftigt gewesen ist, zumal sich dies auch aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt. Im Hinblick auf den Inhalt der eigenen Ausführungen des LSG kann entsprechendes jedoch nicht für die Annahme des SG gelten, die Klägerin könne bestimmte Tätigkeiten noch verrichten. Vielmehr ist angesichts der berufungsgerichtlichen Darlegungen zur Offenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes davon auszugehen, daß die Vorinstanz eine Unfähigkeit der Klägerin, ihren bisherigen Beruf als Hausangestellte weiter auszuüben, ebenso unterstellt hat, wie deren Unfähigkeit, als Sortiererin oder Montiererin leichter Gegenstände zu arbeiten.
Da das LSG selbst der Klägerin keine für sie noch geeignete Tätigkeit benannt hat, stellt sich die Frage, ob sie pauschal auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann.
Nach der jetzt vom Großen Senat des BSG (vgl den Beschluß vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 10 ff mwN) bestätigten Rechtsprechung des BSG ist einem Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht mehr verrichten kann, bei Verweisung auf das übrige Arbeitsfeld grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen, die er noch auszuüben vermag. Eine derartige Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit ist hingegen nicht erforderlich, wenn der Versicherte zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage ist und – wie die Klägerin im Rahmen des § 1247 Abs 2 RVO – auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbar ist.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn bei dem Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. In diesem Falle kann nämlich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist. Es kommen vielmehr ernste Zweifel daran auf, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist. Insoweit ist nach Auffassung des Großen Senats bereits in diesem Zusammenhang auch zu prüfen, ob ein sog Katalogfall vorliegen könnte, also eine der vom BSG (in SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139) zusammengefaßten Fallgestaltungen, welche die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes mit sich bringen.
Im Hinblick darauf, daß der Große Senat des BSG die vom erkennenden Senat angestrebte Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Benennung von ungelernten Verweisungstätigkeiten für erheblich leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsetzbare Versicherte (vgl die Vorlagebeschlüsse vom 23. November 1994 – 13 RJ 19/93 – ua) auch mit Rücksicht auf zwischenzeitliche gesetzgeberische Maßnahmen (vgl §§ 43, 44 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) abgelehnt hat, kommt den Merkmalen „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” eine besondere Bedeutung zu.
Der dargestellten Systematik entsprechend liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nur dann vor, wenn die Fähigkeit der Versicherten, zumindest körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist. Dazu hat nach Auffassung des erkennenden Senats der Große Senat des BSG in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 hinreichend deutlich gemacht, daß die Frage, ob im konkreten Fall eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung anzunehmen ist, nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitswelt, insbesondere auch der dort an Arbeitnehmer gestellten Anforderungen, zutreffend beantwortet werden kann (vgl bereits BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81).
Unter dem Begriff „schwere spezifische Leistungsbehinderung” werden vom BSG diejenigen Fälle erfaßt, wo bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hingegen trägt das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” dem Umstand Rechnung, daß auch eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. Jede qualitative Leistungseinschränkung, zB der Ausschluß von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, versperrt der Versicherten eine bestimmte Gruppe von Arbeitsplätzen, dh alle Tätigkeiten, bei denen – und sei es auch nur gelegentlich – die nicht mehr mögliche Leistungserbringung gefordert wird. Jede weitere Leistungseinschränkung schließt ihrerseits einen anderen Bereich des Arbeitsmarktes aus, wobei sich diese Bereiche überschneiden, aber auch zu einer größeren Einengung des Arbeitsmarktes addieren können. Mit jeder zusätzlichen Einengung steigt die Unsicherheit, ob in dem verbliebenen Feld noch ohne weiteres Beschäftigungsmöglichkeiten unterstellt werden können. In diesem Sinne kann letztlich auch eine größere Summierung „gewöhnlicher” Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen.
„Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung nur schwer zugänglich sind. Denn zum einen sind die verschiedenen Leistungsanforderungen der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Arbeitsplätze kaum überschaubar und zudem ständigen Veränderungen unterworfen. Zum anderen können sich qualitative Leistungseinschränkungen je nach ihrer bei einem Versicherten vorliegenden Anzahl, Art und Schwere ganz unterschiedlich auf dessen betriebliche Einsetzbarkeit auswirken. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff „leichte Arbeiten”, auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten. Nur so erscheint eine „vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe” gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 19. Dezember 1996 (vgl GS 2/95, Umdr S 19) vorausgesetzt hat.
Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Die vom BSG jeweils vorgenommenen Beurteilungen mögen zwar – auch wenn sie weder näher begründet noch berufskundlich oder arbeitswissenschaftlich belegt worden sind – im allgemeinen nachvollziehbar sein, ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen; allenfalls können sie – soweit sie auf aktuellen Erkenntnissen zu den Verhältnissen der Arbeitswelt beruhen – Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen liefern.
Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden. Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, um so eingehender und konkreter muß das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen.
Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des (noch) unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muß aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben. Zwar wird der Richter in vielen Fällen anhand allgemeinkundiger Tatsachen, seiner Berufserfahrung oder durch Beiziehung von Beweisergebnissen aus anderen Verfahren über eine Beurteilungsgrundlage verfügen, die eine Beweisaufnahme im Einzelfall erübrigt. Wegen der großen Beurteilungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten ist dann regelmäßig eine eingehende Erörterung der Einschätzungen mit den Beteiligten erforderlich. Dort, wo dies nicht ausreicht – was vor allem in Grenzfällen so sein wird –, ist jedoch eine Beweisaufnahme erforderlich, zB durch Anhörung eines Sachverständigen der Arbeitsverwaltung, um aufzuklären, ob noch ein ausreichendes Verweisungsfeld vorliegt oder, falls dies nicht der Fall ist, eine geeignete Tätigkeit konkret benannt werden kann.
Nach diesen Grundsätzen reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus, um im vorliegenden Fall eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit ausschließen zu können. Nach den Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß die Klägerin noch vollschichtig leichte Tätigkeiten verrichten kann. Ausgeschlossen sind allerdings Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, häufigem Bücken oder Hocken, in lärmerfüllten Räumen bzw an lauten Maschinen, mit besonderen Anforderungen an das Hörvermögen, auf Leitern und Gerüsten sowie am Fließband, unter Zeitdruck, Akkord- und Schichtbedingungen. Hinzu treten Einschränkungen der Konzentrations-, Reaktions- und Übersichtsfähigkeit, der Ausdauer, des Verantwortungsbewußtseins, der Anpassungsfähigkeit und der geistigen Beweglichkeit.
Das LSG hat seine Auffassung, bei der Klägerin bestehe weder eine „gravierende Einzelbehinderung” noch eine Vielzahl krankheitsbedingter Einschränkungen, die durch ihre Summierung den Zugang zum Arbeitsmarkt in außergewöhnlicher Weise erschwerten, zunächst allgemein damit begründet, die anzuerkennenden Einsatzbeschränkungen führten im Ergebnis erst zu der Gesamtbeurteilung, daß die Klägerin nur noch „leichte Frauenarbeiten” verrichten könne. Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Auch wenn der Begriff der „körperlich leichten Tätigkeiten” im einzelnen nur schwer abzugrenzen sein mag, so ist nicht davon auszugehen, daß sämtliche qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin davon erfaßt werden. Insbesondere kann nicht gesagt werden, daß körperlich leichte Tätigkeiten nie in lärmerfüllten Räumen oder an laufenden Maschinen stattfinden. Auch besondere Anforderungen an das Hörvermögen sind in diesem Arbeitsfeld ebensowenig von vornherein ausgeschlossen wie etwa ein Einsatz am Fließband.
Soweit das LSG den von der nervenärztlichen Sachverständigen Dr. P. … aufgeführten Einsatzbeschränkungen der Klägerin eine erhebliche Auswirkung auf das Arbeitsfeld körperlich leichter Tätigkeiten abgesprochen hat, kann der erkennende Senat die betreffenden Tatsachenfeststellungen seiner Beurteilung nicht zugrunde legen, weil sie – wie die Klägerin zutreffend rügt – unter Verstoß gegen die gerichtliche Ermittlungspflicht (§ 103 SGG) zustande gekommen sind.
Grundsätzlich ist es (revisionsgerichtlich nicht im einzelnen nachprüfbare) Sache des Tatsachengerichts zu entscheiden, ob und ggf in welcher Richtung es Ermittlungen anstellt. Ein Verstoß gegen § 103 SGG und damit ein iS von §§ 162, 164 Abs 2 Satz 3 SGG beachtlicher Verfahrensmangel liegt jedoch vor, wenn das Gericht eine weitere Sachaufklärung unterläßt, obwohl es sich dazu hätte gedrängt fühlen müssen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Das ist hier hinsichtlich der Frage der Fall, in welchem Umfang der Klägerin durch die Summierung der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen – insbesondere auch der nervenärztlich festgestellten – das allgemeine Arbeitsfeld versperrt ist. Angesichts der zahlreichen und verschiedenartigen Leistungseinschränkungen der Klägerin ist nicht ersichtlich, wie das LSG deren Auswirkungen ohne Zuhilfenahme eines berufskundigen Sachverständigen in ihrer Gesamtheit zuverlässig einschätzen konnte. Jedenfalls hat es insoweit im Berufungsurteil keine besondere eigene Sachkunde offenbart. Auch aus der Beurteilung der Sachverständigen Dr. P. …, die Klägerin könne „unter Berücksichtigung aller Einschränkungen” noch vollschichtig als Haushälterin arbeiten oder zB leichte Sortier- oder Etikettiertätigkeiten verrichten, durfte das LSG nicht ohne weiteres den Schluß ziehen, daß die von dieser Nervenärztin festgestellten Leistungseinschränkungen für einen Einsatz der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne größere Bedeutung seien. Denn bei einem medizinischen Sachverständigen können insoweit nicht von vornherein ausreichende berufskundliche Kenntnisse unterstellt werden (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 44, S 181 f). Hier kam hinzu, daß die Klägerin gerade auch ihre Fähigkeit, noch als Hausangestellte, Sortiererin oder Montiererin arbeiten zu können, bestritten und eine berufskundliche Abklärung der Belastungsanforderungen dieser Tätigkeiten beantragt hatte.
Da der erkennende Senat die somit noch erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Kommt das LSG nach weiterer Sachaufklärung zu dem Ergebnis, daß eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, bleibt zu prüfen, ob für die dann zu benennende Verweisungstätigkeit der Arbeitsmarkt verschlossen ist (vgl dazu jetzt auch den Beschluß des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 14). Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, daß es sich um Schonarbeitsplätze handeln könnte.
Sollte ein Versicherungsfall der EU letztlich zu verneinen sein, wäre noch auf das Vorliegen von BU einzugehen. Insoweit erscheinen ergänzende Feststellung zur Wertigkeit des bisherigen Berufs der Klägerin angezeigt. Dabei ist zu bedenken, daß allein das Fehlen einer förmlichen Berufsausbildung die Klägerin nicht zu einer ungelernten Arbeiterin iS des Mehrstufenschemas der Rechtsprechung (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140) macht. Zwar gibt es sicher Haushaltshilfen, die der Gruppe der Ungelernten zuzuordnen sind, dies muß aber nicht für die Klägerin gelten, zumal, wenn sie als weitgehend eigenverantwortlich handelnde „Haushälterin” oder „Haushaltsführerin” (vgl S 12 des Berufungsurteils) – womöglich mit umfangreichem und anspruchsvollem Aufgabenbereich – tätig gewesen sein sollte. Insofern bedarf es zunächst einer genaueren Bestimmung des Inhaltes ihrer bisherigen Berufstätigkeit. Dazu gehört eine Klärung der allgemein erforderlichen Ausbildungs-, Anlern- oder Einweisungszeit. Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der letzten Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des BSG ferner deren tarifvertragliche Einstufung (vgl dazu zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14).
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen