Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Die 1935 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Sie war versicherungspflichtig tätig von 1950 bis 1960 als Arbeiterin, von 1967 bis 1968 als Packerin, von 1969 bis 1973 als Verkäuferin in einer Drogerie, von 1974 bis 1979 und von 1981 bis 1982 als Verkäuferin im Fleisch- und Wurstverkauf sowie von 1983 bis Ende Oktober 1988 als Verpackerin von Fleisch- und Wurstwaren in der Metzgerei des A. … Warenhauses in H. … O. …. Ab Mai 1984 war sie zusätzlich bedarfsweise als Verkäuferin an der Wursttheke und für den Wurstaufschnitt eingesetzt. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete wegen eines Wohnortwechsels der Klägerin.
Im Juni 1991 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Versicherungsleistungen wegen EU/BU. Mit Bescheid vom 21. November 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 1992 lehnte die Beklagte eine Rentengewährung mit der Begründung ab, die Klägerin könne – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Hildesheim ≪SG≫ vom 15. März 1994 und Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen ≪LSG≫ vom 16. Februar 1995). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Die Klägerin sei nicht berufsunfähig und damit erst recht nicht erwerbsunfähig. Mit ihrem Restleistungsvermögen könne sie jedenfalls noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten im Stehen und Sitzen, ohne ständiges Heben und Tragen von Gegenständen von mehr als fünf Kilogramm, ohne Arbeiten im Freien, unter Nässeeinfluß, auf Leitern oder in Zugluft verrichten, unter Ausschluß von Arbeiten am Fließband, bei denen eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme bei ständiger manueller Tätigkeit gefordert werde.
Die Klägerin habe keinen Beruf erlernt oder qualifizierte Facharbeiten verrichtet, die einen Berufsschutz als Facharbeiterin begründen könnten. Dies gelte auch für ihre letzte Tätigkeit als Verpackerin in der Fleischabteilung eines Selbstbedienungswarenhauses mit gelegentlicher Aushilfe als Verkäuferin von Wurstwaren. Diese Tätigkeit sei allenfalls als „normale” angelernte Tätigkeit anzusehen. Es könne dahinstehen, ob die früheren Tätigkeiten als Verkäuferin in einer Drogerie oder als Fleischfachverkäuferin eine Facharbeitertätigkeit iS des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (BSG) gewesen seien, denn sie, die Klägerin, habe sich von diesen Tätigkeiten nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Als „normale” angelernte Arbeiterin müsse sie sich auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Tätigkeiten etwa als Prüferin, Montiererin oder Verpackerin von Kleinteilen, ohne daß es hier einer konkreten Benennung bedürfe, würden sie in ihren Kräften und Fähigkeiten nicht überfordern. Dies gelte auch für die nur unwesentlich eingeschränkte Armfunktion, zumal die Einsatzfähigkeit der Hände nicht beeinträchtigt sei. Die verminderte Sensibilität der rechten Hand unter Einschluß des Handballens sei für derartige Arbeiten nicht hinderlich.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der §§ 62, 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des Art 103 des Grundgesetzes (GG). Dazu trägt sie vor: Wegen der Vielzahl der vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen sei sie nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Insbesondere sei sie nicht mehr fähig, bestimmte Anforderungen organisierter Arbeitsformen zu erfüllen, da sie keine Akkord- oder Fließbandarbeit verrichten könne.
Weiterhin sei ihr im Berufungsverfahren das rechtliche Gehör versagt worden. Das LSG habe erstmals in seinem Beschluß Verweisungsberufe benannt. Ihr hätte vorher Gelegenheit gegeben werden müssen, zu diesen Verweisungsberufen Stellung nehmen zu können. Sie hätte mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens auch den Nachweis erbringen können, daß sie aus gesundheitlichen Gründen und mangels Umstellungsfähigkeit nicht in der Lage sei, die genannten Beschäftigungen auszuüben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 1995, das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. März 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. November 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Juli 1991 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Darüber hinaus trägt sie vor: Nach der Entscheidung des Großen Senats des BSG sei eine Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bei der hier in Frage kommenden Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters im unteren Bereich und der Gruppe mit dem Leitbild des ungelernten Arbeiters nur dann erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorläge. Die bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen unterfielen keiner solchen Fallgruppe. Dies gelte auch im Hinblick darauf, daß die volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme bei ständiger manueller Tätigkeit eingeschränkt sei, denn nach den Feststellungen des LSG sei die verminderte Sensibilität der rechten Hand unter Einschluß des Handballens für körperlich leichte Tätigkeiten als Prüferin, Verpackerin von Kleinteilen usw nicht hinderlich. Auch könne dahinstehen, ob die zuletzt ausgeübte Beschäftigung der Klägerin als Verpackerin in einer Fleischereiabteilung eines Selbstbedienungswarenhauses bei gelegentlicher Wahrnehmung von Verkaufstätigkeiten als angelernte oder ungelernte Tätigkeit einzustufen sei, da es sich – wie das LSG zutreffend ausgeführt habe – bestenfalls um eine „normale” angelernte Tätigkeit handele, so daß sich die Klägerin auch auf ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen müsse.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Wegen fehlender Tatsachenfeststellungen kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob das LSG zu Unrecht das Urteil des SG bestätigt hat, durch welches die auf Versichertenrente wegen EU, hilfsweise wegen BU, gerichtete Klage abgewiesen worden ist.
Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen EU oder BU richtet sich noch nach dem Vierten Buch der RVO, da der Rentenantrag bereits im Jahre 1991 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden ist und er sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Rente wegen EU, welche die Klägerin in erster Linie begehrt, erhält gemäß § 1247 Abs 1 RVO ein Versicherter, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Erwerbsunfähig ist der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl § 1247 Abs 2 RVO).
Zwar ist die Klägerin im Rahmen der Prüfung von EU ohne subjektive Zumutbarkeitsbeschränkung (iS eines Berufsschutzes) auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Der vorliegende Fall gibt jedoch Anlaß, der Frage nachzugehen, ob sie mit ihren Leistungseinschränkungen – gemessen an den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt – noch in erforderlichem Umfang erwerbstätig sein kann (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8). Dies vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht sicher zu beurteilen.
Nach der jetzt vom Großen Senat des BSG (vgl den Beschluß vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 10 ff mwN) bestätigten Rechtsprechung des BSG ist einem Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht mehr verrichten kann, bei Verweisung auf das übrige Arbeitsfeld grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen, die er noch auszuüben vermag. Eine derartige Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit ist hingegen nicht erforderlich, wenn der Versicherte – wie die Klägerin – zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage ist und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbar ist.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn bei dem Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. In diesem Falle kann nämlich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist. Es kommen vielmehr ernste Zweifel daran auf, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist.
Im Hinblick darauf, daß der Große Senat des BSG die vom erkennenden Senat angestrebte Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Benennung von ungelernten Verweisungstätigkeiten für erheblich leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsetzbare Versicherte (vgl den Vorlagebeschlüsse vom 23. November 1994 – 13 RJ 19/93 – ua) auch mit Rücksicht auf zwischenzeitliche gesetzgeberische Maßnahmen (vgl §§ 43, 44 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) abgelehnt hat, kommt den Merkmalen „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” eine besondere Bedeutung zu.
Der dargestellten Systematik entsprechend liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nur dann vor, wenn die Fähigkeit der Versicherten, zumindest körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist. Dazu hat nach Auffassung des erkennenden Senats der Große Senat des BSG in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 hinreichend deutlich gemacht, daß die Frage, ob im konkreten Fall eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung anzunehmen ist, nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitswelt, insbesondere auch der dort an Arbeitnehmer gestellten Anforderungen, zutreffend beantwortet werden kann (vgl bereits BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81).
Unter dem Begriff „schwere spezifische Leistungsbehinderung” werden vom BSG diejenigen Fälle erfaßt, wo bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hingegen trägt das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” dem Umstand Rechnung, daß auch eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. Jede qualitative Leistungseinschränkung, zB der Ausschluß von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, versperrt der Versicherten eine bestimmte Gruppe von Arbeitsplätzen, dh alle Tätigkeiten, bei denen – und sei es auch nur gelegentlich – die nicht mehr mögliche Leistungserbringung gefordert wird. Jede weitere Leistungseinschränkung schließt ihrerseits einen anderen Bereich des Arbeitsmarktes aus, wobei sich diese Bereiche überschneiden, aber auch zu einer größeren Einengung des Arbeitsmarktes addieren können. Mit jeder zusätzlichen Einengung steigt die Unsicherheit, ob in dem verbliebenen Feld noch ohne weiteres Beschäftigungsmöglichkeiten unterstellt werden können. In diesem Sinne kann letztlich auch eine größere Summierung „gewöhnlicher” Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen.
„Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung nur schwer zugänglich sind. Denn zum einen sind die verschiedenen Leistungsanforderungen der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Arbeitsplätze kaum überschaubar und zudem ständigen Veränderungen unterworfen. Zum anderen können sich qualitative Leistungseinschränkungen je nach ihrer bei einem Versicherten vorliegenden Anzahl, Art und Schwere ganz unterschiedlich auf dessen betriebliche Einsetzbarkeit auswirken. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff „leichte Arbeiten”, auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten. Nur so erscheint eine „vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe” gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 19. Dezember 1996 (GS 2/95, Umdr S 19) vorausgesetzt hat.
Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Die vom BSG jeweils vorgenommenen Beurteilungen mögen zwar – auch wenn sie weder näher begründet noch berufskundlich oder arbeitswissenschaftlich belegt worden sind – im allgemeinen nachvollziehbar sein, ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen; allenfalls können sie – soweit sie auf aktuellen Erkenntnissen zu den Verhältnissen der Arbeitswelt beruhen – Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen liefern.
Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden. Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, um so eingehender und konkreter muß das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen.
Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des (noch) unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muß aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben. Zwar wird der Richter in vielen Fällen anhand allgemeinkundiger Tatsachen, seiner Berufserfahrung oder durch Beiziehung von Beweisergebnissen aus anderen Verfahren über eine Beurteilungsgrundlage verfügen, die eine Beweisaufnahme im Einzelfall erübrigt. Wegen der großen Beurteilungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten ist dann regelmäßig eine eingehende Erörterung der Einschätzungen mit den Beteiligten erforderlich. Dort, wo dies nicht ausreicht – was vor allem in Grenzfällen so sein wird –, ist jedoch eine Beweisaufnahme erforderlich, zB durch Anhörung eines Sachverständigen der Arbeitsverwaltung, um aufzuklären, ob noch ein ausreichendes Verweisungsfeld vorliegt oder, falls dies nicht der Fall ist, eine geeignete Tätigkeit konkret benannt werden kann.
Nach diesen Grundsätzen reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus, um im vorliegenden Fall eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit verneinen zu können. Den Feststellungen des LSG zufolge ist davon auszugehen, daß die Klägerin noch vollschichtig leichte Tätigkeiten im Stehen und im Sitzen verrichten kann. Nicht mehr möglich sind ständiges Heben und Tragen von Gegenständen mit mehr als fünf Kilogramm, Arbeiten im Freien, unter Nässeeinfluß, auf Leitern und in Zugluft sowie Arbeiten am Fließband, bei denen eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme bei ständiger manueller Tätigkeit gefordert wird.
Im vorliegenden Fall könnte danach eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen in Betracht kommen. Das LSG hat sich mit dieser Frage jedoch überhaupt nicht auseinandergesetzt. Soweit es sich mit den Auswirkungen der eingeschränkten Armfunktion und der verminderten Sensibilität der rechten Hand unter Einschluß des Handballens befaßt und ihnen keine Bedeutung beimißt, bezieht sich dies offenbar nur auf die dort beispielhaft genannten Verweisungstätigkeiten (vgl S 10 des Urteilsabdrucks: …für „derartige Arbeiten” nicht hinderlich…).
Zwar bewegen sich die Leistungseinschränkungen der Klägerin weitgehend in dem Rahmen, der ohnehin regelmäßig von körperlich leichten Tätigkeiten eingehalten wird, jedoch weisen sie auch einige Besonderheiten auf, deren Auswirkungen auf dem allgemeinen Arbeitsfeld hätten näher geprüft werden müssen. Insbesondere wäre dabei zu untersuchen gewesen, inwiefern die hier wohl in erster Linie in Betracht kommenden fachlich einfachen und zugleich körperlich leichten Arbeiten häufig gerade einen Einsatz am Fließband bedingen und/oder erhöhte Fingerfertigkeit erfordern (vgl Schimanski, SozVers 1991, 169, 171). Insoweit gibt der Ausschluß von Arbeiten am Fließband, bei denen die volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme bei ständiger manueller Tätigkeit gefordert wird, Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob hierdurch das betreffende Arbeitsfeld nicht in hohem Maße eingeschränkt und deshalb die Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich sein könnte.
Zwar hat das LSG in Frage kommende Verweisungstätigkeiten benannt (Prüferin, Montiererin oder Verpackerin von Kleinteilen). Diese Bezeichnung von Arbeitsfeldern kann zwar an sich ausreichen, um das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” zu verneinen; denn eine Präzisierung, wie sie bei der Benennnung von Verweisungstätigkeiten gefordert wird (vgl dazu ua BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19), ist auf dieser Überlegungsstufe noch nicht erforderlich. Die betreffenden berufungsgerichtlichen Feststellungen kann der erkennende Senat seiner Entscheidung jedoch nicht zugrunde legen, da sie – wie die Klägerin zu Recht rügt – in verfahrensfehlerhafter Weise zustandegekommen sind. Denn soweit das LSG die Klägerin (hilfsweise) auf diese Tätigkeiten verwiesen hat, liegt der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs vor. Der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör iS der §§ 62, 128 Abs 2 SGG ist verletzt, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (vgl SozR 1500 § 62 Nrn 3, 11, 23). Das Gericht muß die Beteiligten demnach über die für seine Entscheidung maßgeblichen Tatsachen vorher unterrichten, ihnen insbesondere auch Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 98). Daran fehlt es hier. Die fraglichen Verweisungstätigkeiten hatten im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt, sondern sind erst im Berufungsbeschluß benannt worden. Infolgedessen hatte die Klägerin keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, daß sie die betreffenden Arbeiten nicht mehr vollschichtig verrichten könne.
Da der erkennende Senat die somit noch erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 SGG), ist der Beschluß des LSG gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Kommt das LSG nach weiterer Sachaufklärung zu dem Ergebnis, daß eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, bleibt zu prüfen, ob für die dann zu benennende Verweisungstätigkeit der Arbeitsmarkt verschlossen ist (vgl dazu jetzt auch den Beschluß des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 14). Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, daß es sich um Schonarbeitsplätze handeln könnte.
Sollte ein Versicherungsfall der EU letztlich zu verneinen sein, wäre noch auf das Vorliegen von BU einzugehen. Dazu wäre zunächst zu prüfen, ob die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, ihrem bisherigen Beruf nachzugehen. Insoweit läßt sich dem Berufungsbeschluß nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, ob angesichts des festgestellten Restleistungsvermögens eine weitere Erwerbstätigkeit der Klägerin als Verpackerin von Fleisch- und Wurstwaren mit gelegentlicher Aushilfe an der Wursttheke ausscheidet, zumal die Klägerin nach Ansicht des LSG weiterhin als Verpackerin von Kleinteilen tätig sein kann. Ferner erscheinen ergänzende Feststellungen zur Wertigkeit des bisherigen Berufs der Klägerin angezeigt. Dabei ist zu bedenken, daß allein das Fehlen einer förmlichen Berufsausbildung die Klägerin nicht zu einer ungelernten Arbeiterin iS des Mehrstufenschemas der Rechtsprechung (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140) macht. Insofern bedarf es zunächst einer genaueren Bestimmung des Inhaltes ihrer bisherigen Berufstätigkeit. Dazu gehört eine Klärung der allgemein erforderlichen Ausbildungs-, Anlern- oder Einweisungszeit. Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der letzten Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des BSG ferner deren tarifvertragliche Einstufung (vgl dazu zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14). Hierzu besteht insbesondere auch deshalb Veranlassung, weil die Klägerin neben dem Verpacken von Kleinteilen auch zusätzlich bedarfsweise als Verkäuferin an der Wursttheke und für den Wurstaufschnitt eingesetzt war. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß eine undifferenzierte Einstufung der Klägerin als „normale” angelernte Arbeiterin – wie sie vom LSG vorgenommen worden ist – nach der Rechtsprechung des BSG nicht ausreicht. Vielmehr ist innerhalb der Gruppe der Angelernten je nach betrieblicher Anlernzeit zwischen einem oberen Bereich (Anlernzeit von mehr als 12 Monaten) und einem unteren Bereich (Anlernzeit von drei Monaten bis 12 Monaten) zu unterscheiden (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45).
Sollte die Klägerin dem oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten zuzuordnen sein, könnte sie nicht schlechthin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Vielmehr scheiden ungelernte Tätigkeiten nur ganz geringen qualitativen Wertes aus; die zumutbaren Verweisungstätigkeiten müssen sich durch Qualitätsmerkmale auszeichnen (ständige Rechtsprechung, vgl etwa BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45; SozR 3-1500 § 62 Nr 12). Die vom LSG beispielhaft genannten Tätigkeiten als Prüferin, Montiererin oder Verpackerin von Kleinteilen entsprechen jedenfalls für gehobene Angelernte schon deshalb nicht den Anforderungen an eine konkrete Benennung von Berufstätigkeiten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72), weil vom LSG insoweit keine qualitätsrelevanten Merkmale festgestellt worden sind.
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen