Leitsatz (amtlich)
Konkursausfallgeld ist nicht zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis erst nach Eintritt eines dem Arbeitnehmer nicht bekannt gewordenen Insolvenzereignisses begründet worden ist.
Normenkette
AFG § 141b Abs 4 Fassung: 1979-07-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Konkursausfallgeld (Kaug) aus einem Arbeitsverhältnis, das er erst nach der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers eingegangen war.
Durch die Beschlüsse vom 10. Juni 1981 und 19. Januar 1982 hat das Amtsgericht K die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers, des Gastwirts H, mangels Masse abgelehnt. H hatte den Kläger, dem dies nicht bekannt war, vom 1. Juli bis zur Einstellung des Betriebes am 11. Oktober 1981 als Koch beschäftigt, ihm Arbeitslohn aber nur für Juli 1981 gezahlt. Das restliche Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 3.629,74 DM (netto) war er schuldig geblieben.
Die Beklagte lehnte den im Dezember 1981 gestellten Antrag des Klägers auf Zahlung von Kaug mit dem Bescheid vom 16. Februar 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1982 ab, weil das Arbeitsverhältnis erst nach dem Insolvenztag begonnen habe.
Das Sozialgericht Konstanz (SG) hat die Beklagte am 11. April 1984 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. August bis 11. Oktober 1981 Kaug zu zahlen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 19. Juli 1985 zurückgewiesen: Das Gesetz enthalte eine vom Gericht zu schließende Lücke. Zweck des Kaug-Rechts sei es nicht nur, alle Arbeitnehmer zu schützen, die Entgeltansprüche vor dem Insolvenzereignis erworben haben, sondern auch diejenigen, die in unverschuldeter Unkenntnis einer bereits eingetretenen Insolvenz ein Arbeitsverhältnis begründet haben.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141b Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Nach der Begründung zur Einführung dieser Vorschrift sei der Fall der Unkenntnis der Ablehnung der Konkurseröffnung und der Weiterarbeit des Arbeitnehmers ausdrücklich als Ausnahme bezeichnet worden. Die Anwendung dieser Vorschrift auf die Fälle der Begründung eines Arbeitsverhältnisses erst nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses widerspreche dem Sinn der Konkursausfallgeldversicherung.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 1985 und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. April 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht die Berufung der Beklagten gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kaug für die streitige Zeit.
Für den Fall des Klägers kommt es zunächst maßgeblich auf den Insolvenzzeitpunkt an. Hierzu hat das LSG festgestellt, daß der Kläger zwar für den ersten Monat des Arbeitsverhältnisses noch den vereinbarten Lohn erhalten hat, daß der Arbeitgeber des Klägers aber nicht nur im Zeitpunkt der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse durch Beschluß des Amtsgerichts K vom 10. Juni 1981, sondern darüber hinaus auch während der gesamten Laufzeit des Arbeitsverhältnisses des Klägers insolvent gewesen ist. Das LSG hat zu Recht den Tag der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens als Insolvenzereignis angesehen. Auch wenn der Arbeitgeber dem Kläger anfangs noch den vereinbarten Lohn gezahlt hat, so spricht dies nicht für den Wegfall seiner Zahlungsunfähigkeit vor Beginn des Arbeitsverhältnisses. Denn Zahlungsunfähigkeit liegt so lange vor, wie der Gemeinschuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist und andauernd aufhört, seine fälligen Geldschulden im allgemeinen zu erfüllen (Böhle-Stamschräder/Kilger, Konkursordnung, 14. Aufl, Anm 5 zu § 30 mit zahlreichen weiteren Nachw). Der Zustand der Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht bereits dann, wenn der Schuldner - wie hier - einzelne Zahlungsverpflichtungen erfüllt. Die Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit ergibt sich im übrigen auch daraus, daß am 19. Januar 1982 erneut ein Eröffnungs-Ablehnungsbeschluß ergangen ist.
Da das Arbeitsverhältnis des Klägers nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG demgemäß erst nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers begründet worden ist, steht dem Kläger bei Zugrundelegung des Wortlauts des § 141b AFG auch bei Berücksichtigung der Zielrichtung des Gesetzes in der Fassung des 5. Änderungsgesetzes das Kaug nicht zu.
Der erkennende Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 16. November 1984 - 10 RAr 17/83 -, SozR 4100 § 141b Nr 34), daß für die Berechnung des Dreimonats-Zeitraumes, für den ausgefallenes Arbeitsentgelt bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers durch Kaug ausgeglichen wird (Kaug-Zeitraum), die in § 141b Abs 1 und 3 AFG genannten Insolvenzereignisse maßgebend sind. Der Kaug-Zeitraum liegt danach grundsätzlich vor dem Eintritt dieser Ereignisse. Ebenso beginnt die zweimonatige Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG, innerhalb derer der Kaug-Antrag gestellt sein muß, mit dem maßgeblichen Insolvenzereignis. Diese Regelung entspricht dem sozialpolitischen Ausgangspunkt des Gesetzgebers, der die Vorschriften über das Kaug (§§ 141a ff AFG) durch das Gesetz über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BGBl I 1481) geschaffen hat, um den bisher unzureichenden Schutz der Arbeitnehmer vor dem Risiko des Lohnausfalles in Falle des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers durch die Begründung des Anspruches auf Kaug zu verbessern (Teil A der Begründung zum Entwurf des Gesetzes über das Konkursausfallgeld, BR-Drucks 9/74, S 10).
Dieser Grundsatz und die auf ihm beruhende Ausgestaltung des § 141b Abs 1 und 3 AFG hat sich aber für die Fälle der unverschuldet fehlenden Kenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses als zu eng erwiesen (vgl zB für den Fall der Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse - § 107 Abs 1 Satz 1 der Konkursordnung -KO-, § 141b Abs 3 Nr 1 AFG - im einzelnen Urteil des 12. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 20. Oktober 1977 - 12 RAr 93/76 -, BSGE 45, 85). Der Gesetzgeber hat deshalb mit dem 5. AFG-Änderungsgesetz vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1998) -AFG nF- zwei wesentliche Änderungen getroffen: Er hat einerseits für alle Insolvenzfälle - nicht nur für den vom BSG (aaO) entschiedenen Fall der Abweisung des Konkursantrages - eine weitere Ausschlußfrist eröffnet, wenn der Berechtigte die Frist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG unverschuldet versäumt hat (141e Abs 1 Sätze 3 und 4 AFG nF). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Zum anderen hat der Gesetzgeber bestimmt, daß im Falle der Abweisung des Konkursantrages (141b Abs 3 Nr 1 AFG) für den Kaug-Zeitraum nicht der Abweisungsbeschluß maßgebend sein soll, sondern der Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer, der weitergearbeitet hat, Kenntnis von diesem Beschluß erlangt hat (§ 141b Abs 4 AFG nF). Der Gesetzgeber hat sich wegen der geringen Publizität des Beschlusses über die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse und der dadurch bedingten - in der Regel unverschuldeten - Unkenntnis nicht nur zu einer Verlängerung der Frist für die Geltendmachung des Kaug-Anspruches, sondern vor allem zur Begründung einer von der Regelung in § 141b Abs 1 AFG abweichenden Gestaltung des Kaug-Zeitraumes veranlaßt gesehen. Dieser ist bei nicht zuzurechnender Unkenntnis des Insolvenzereignisses nicht vom Zeitpunkt des Eintrittes dieses Ereignisses, sondern vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung zu berechnen.
Der erkennende Senat hat bereits dargelegt (Urteil vom 16. November 1984 aaO), daß nach der Begründung des Regierungsentwurfes zum 5. AFG-Änderungsgesetz (BT-Drucks 8/2624 S 31 Nr 49 zu a; vgl auch BT-Drucks 8/2914 S 44 zu Art 1 Nr 48) mit der Änderung des § 141e AFG insbesondere die Benachteiligung solcher Arbeitnehmer vermieden werden sollte, die sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Arbeitsentgeltansprüche bemüht, jedoch von der Eröffnung des Konkursverfahrens oder von den gleichgestellten Tatbeständen keine Kenntnis erhalten haben. Ziel dieser Neuregelung war es, Härten zu vermeiden, die dadurch entstanden, daß Arbeitnehmer in Unkenntnis eines nicht veröffentlichten Abweisungsbeschlusses weiterarbeiteten, ohne daß ihr Anspruch auf Arbeitsentgelt durch die Kaug-Versicherung gesichert war. Mit beiden Neuregelungen war also bezweckt, den Kaug-Anspruch auch für den Fall zu sichern, daß ein Arbeitnehmer in Unkenntnis des Eintrittes eines Insolvenzereignisses iS des § 141b Abs 1 und 3 AFG während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht das Notwendige unternehmen konnte, um seinen Kaug-Anspruch auch zu verwirklichen. Der erkennende Senat (aaO) hat deshalb bereits entschieden, daß es auch nach dem Inkrafttreten des § 141b Abs 4 und 5 AFG nF nicht entscheidungserheblich ist, ob das Insolvenzereignis, von dem der Arbeitnehmer nichts weiß, ein Beschluß über die Eröffnung oder über die Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens ist.
Mit dieser vom Gesetzgeber und vom erkennenden Senat (aaO) im Wege der ergänzenden Auslegung getroffenen Abgrenzung ist aber nicht die Anknüpfung der Kaug-Leistung an ein im Zeitpunkt des Eintrittes des Insolvenzereignisses bereits bestehendes und vom Arbeitnehmer erfülltes Arbeitsverhältnis aufgegeben worden; der in § 141b Abs 4 AFG nF verwendete Begriff "weiterarbeiten" ist, wie auch die Begründung zum Entwurf dieser Vorschrift (BT-Drucks 8/2914 S 44f) zeigt, vom Gesetzgeber deshalb durchaus im Wortsinn gemeint und nur auf die im Zeitpunkt des Eintrittes des Insolvenzereignisses bestehenden Arbeitsverhältnisse bezogen. Auch der Umstand, daß der in § 141b Abs 4 AFG nF enthaltene Begriff "weitergearbeitet" in Rechtsprechung und Schrifttum nicht nur im Sinne einer tatsächlichen Arbeitsleistung verstanden, sondern auf ein bestehendes Arbeitsverhältnis bezogen wird (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 30. Oktober 1980 - 8b/12 RAr 7/79 -, SozR 4100 § 141b Nr 14 mwN) läßt nicht den vom LSG gezogenen Schluß zu, daß bei Zugrundelegung des Wortlautes und des Zweckes des § 141b Abs 4 AFG nF für Sachverhalte der hier vorliegenden Art eine im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zu schließende Lücke besteht.
Allein aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung kann nicht ohne weiteres auf eine entscheidungserhebliche und vom Gericht auszufüllende Lücke im Gesetz geschlossen werden. Eine solche liegt insbesondere nicht schon deshalb vor, weil es - wofür auch für diesen Fall manches spricht - sozialpolitisch wünschenswert sein könnte, Arbeitnehmern Kaug-Leistungen zu gewähren, denen der Arbeitgeber bei Begründung und während der Dauer eines Arbeitsverhältnisses seine Insolvenz - möglicherweise sogar in Täuschungsabsicht - verschwiegen hat. Für eine richterliche Lückenausfüllung kommen vielmehr nur die Fälle einer anfänglichen oder nachträglichen Planwidrigkeit in Betracht, in denen der Gesetzgeber eine im Hinblick auf das Gesamtziel einer Vorschrift bestehende Lücke, hätte er diese erkannt, in einem bestimmten Sinne geschlossen hätte (BSG, ständige Rechtsprechung; vgl aus neuerer Zeit Urteil des 7. Senats des BSG vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 41/82 -, BSGE 56, 20, 22 mwN; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, Stand 55. Nachtrag, S 198h mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Eine derartige Lücke kann bei Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des Zieles des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BR-Drucks 9/74) einschließlich der Erweiterung des § 141b um dessen Abs 4 mit dem 5. AFG-Änderungsgesetz (BT-Drucks 8/2941 aa0) entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht nicht angenommen werden. Die Vorschriften der §§ 141a ff AFG idF des Gesetzes vom 17. Juli 1974 hatten nur das Ziel, die vor dem Insolvenzzeitpunkt erarbeiteten Ansprüche zusätzlich und besser zu sichern als dies durch §§ 59 ff KO erreicht wird. Geschützt werden sollen allein die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzereignis begründet worden ist und die das Arbeitsverhältnis nicht sogleich bei der ersten ausgebliebenen Lohnzahlung beendet haben (vgl BR-Drucks 9/74, S 10, 12). Diese Beschränkung des Sicherungszweckes auf die vor dem Insolvenzereignis entstandenen Lohnforderungen hat der Gesetzgeber zwar mit § 141b Abs 4 AFG nF durchbrochen, indem er in den Fällen der unverschuldeten Unkenntnis der Berechtigten vom Insolvenzereignis bei der Abgrenzung des Kaug-Zeitraumes nicht auf das Insolvenzereignis, sondern auf den Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis durch den Betroffenen abhebt. Diese Verschiebung des Kaug-Zeitraumes ändert aber an dem Grundsatz nichts, daß im Rahmen der Kaug-Versicherung nur solche Arbeitsverhältnisse begünstigt werden sollen, die vor dem Zeitpunkt des Eintrittes des Insolvenzereignisses begründet worden sind und in denen der Eintritt des Insolvenzereignisses während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses unverschuldet unbekannt geblieben ist.
Die Sachlage ist aber anders, wenn der Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis mit einem bereits insolventen Arbeitgeber eingeht, wobei offenbleiben kann, ob ihm die Insolvenz infolge mangelnder eigener Nachforschungen unbekannt geblieben ist oder ob er vom Arbeitgeber getäuscht worden ist. Denn in einem solchen Fall ist das den arbeitsrechtlichen Entgeltanspruch begründende Arbeitsverhältnis von vornherein notleidend und der Arbeitnehmer gerät erst gar nicht in die Lage, die im Einzelfall schwierige Abwägung vorzunehmen, ob er weiterarbeiten soll. Hier entsteht nicht nur ein Risiko des Lohnausfalles, sondern dieser tritt zwangsläufig ein. Die Leistungspflicht der Beklagten für die Fälle der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit einem bereits insolventen Arbeitgeber würde demgemäß von dem vom Gesetzgeber erstrebten begrenzten Ziel, das den durch die KO nur unzureichend verwirklichten Schutz des zunächst trotz der Ungewißheit über das Ausmaß der Zahlungsschwierigkeiten weiterarbeitenden Arbeitnehmers besser bewirken soll, nicht mehr gedeckt sein, sondern auf einen hiervon zu unterscheidenden und vom Gesetzgeber bewußt nicht in den Schutz des Kaug-Rechts einbezogenen Lebenssachverhalt erstreckt werden. Demgemäß entsprechen die angefochtenen Bescheide der Sach- und Rechtslage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen