Leitsatz (amtlich)

Auch in der Zeit des bezahlten Urlaubs kann iS des AFG § 141b Abs 4 "weitergearbeitet" worden sein, denn Konkursausfallgeld ist für die Zeit zu zahlen, für die Arbeitslohn geschuldet wird, nicht aber für die Zeit, in der ohne Gegenleistung gearbeitet wurde (Fortführung von BSG 1976-12-01 7 RAr 136/75 = BSGE 43, 49).

 

Normenkette

AFG § 141b Abs 4 Fassung: 1974-12-21

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 29.03.1979; Aktenzeichen L 9(12) Ar 274/77)

SG Dortmund (Entscheidung vom 14.09.1977; Aktenzeichen S 27 Ar 32/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch darum, ob dem Kläger für die Zeit seines Urlaubs vom 15. bis 31. Oktober 1976 Konkursausfallgeld (Kaug) zusteht.

Am 6. September 1976 lehnte das Amtsgericht Lüdenscheid einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers mangels Masse ab. Der Betrieb wurde erst am 31. Oktober 1976 eingestellt. Für Oktober 1976 bezog der Kläger keinen Lohn mehr. Vom 15. bis 31. Oktober 1976 war er beurlaubt.

Seinen Antrag vom 2. November 1976, ihm Kaug für Oktober 1976 zu zahlen, lehnte die Beklagte ab: Kaug könne nur für die Zeit bis zum Insolvenztag beansprucht werden; das sei der Tag der Ablehnung des Antrags auf Konkurseröffnung (Bescheid vom 12. Januar 1977; Widerspruchsbescheid vom 7. März 1977).

Der Kläger hielt dem entgegen, der Tag der Insolvenz müsse der Tag der Kenntnisnahme von der Insolvenz sein. Seine Kollegen und er hätten erst bei der Betriebsstillegung am 31. Oktober 1976 erfahren, daß bereits am 6. September 1976 ein Antrag auf Konkurseröffnung mangels Masse abgelehnt worden sei. Vorher sei es ihm auch nicht möglich gewesen, dies zu erfahren.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Dortmund vom 14. September 1977; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. März 1979). Das LSG hat ua ausgeführt, die Kaug-Tatbestände habe das Gesetz bewußt klar festgelegt. Auf innere Tatsachen - Kenntnisnahme - könne es nicht ankommen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 141b Abs 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Der maßgebende Insolvenztag sei nicht der Tag der Ablehnung der Konkurseröffnung (§ 141b Abs 3 Nr 1 AFG), sondern der Tag der Betriebseinstellung (§ 141b Abs 3 Nr 2 AFG).

Nach dem Inkrafttreten der neuen Fassung (nF) des § 141 b Absätze 4 bis 7 AFG am 1. August 1979 (Art 1 Nr 52 Buchst b und Art 10 des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG -5. AFG-ÄndG- vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189) hat die Beklagte dem Kläger durch Änderungsbescheid vom 7. Februar 1980 für die Zeit bis zum 14. Oktober 1976 Kaug gewährt. Den weitergehenden Antrag - Zahlung von Kaug bis Ende Oktober 1976 - hat sie abgelehnt: Der Kläger habe in dieser Zeit nicht im Sinne des § 141b Abs 4 AFG nF "gearbeitet", weil er in Urlaub gewesen sei, während der Kläger sich darauf beruft, das LSG habe bindend festgestellt, daß er bis Ende Oktober 1976 gearbeitet habe ("arbeitete").

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen

vom 29. März 1979 und des SG Dortmund vom

14. September 1977 sowie die Bescheide der Beklagten

vom 12. Januar 1977 und vom 7. März 1977 aufzuheben

und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kaug auch für die Zeit

vom 15. Oktober bis 31. Oktober 1976 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Urteile und Bescheide zu verurteilen, dem Kläger antragsgemäß Kaug zu zahlen.

Der während des Revisionsverfahrens ergangene Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1980 ist Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, soweit er noch den Kläger beschwert. Das folgt aus § 171 Abs 2 SGG. Nach dem ersten Halbsatz dieser Vorschrift gilt zwar ein während des Revisionsverfahrens erlangender Verwaltungsakt, der den angefochtenen Verwaltungsakt durch einen neuen abändert oder - wie hier - ersetzt, grundsätzlich mit der Klage beim SG angefochten. Das ist aber nach dem zweiten Halbsatz dieser Vorschrift ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt wird oder wenn dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.

Für die Zeit vom 1. bis 14. Oktober 1976 ist der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt worden. Denn die Beklagte hat ihm für diese Zeit Kaug gewährt. Für die Zeit vom 15. bis 31. Oktober 1976 wird dem Klagebegehren durch die Entscheidung zum ersten Verwaltungsakt (vom 11. Januar 1977 idF vom 7. März 1977) in vollem Umfang genügt. Denn der mit der Anfechtungsklage gegen diesen Verwaltungsakt verbundenen Verpflichtungsklage ist - wie noch ausgeführt wird - stattzugeben. Die Tatsachen, von denen das Revisionsgericht hier auszugehen hat, reichen - was ebenfalls noch ausgeführt wird - für diese Entscheidung aus. Der neue Verwaltungsakt ist daher von dem Revisionsgericht nachzuprüfen (vgl auch BSGE 15, 105).

Ob es erforderlich ist, beide Verwaltungsakte aufzuheben, braucht nicht geklärt zu werden. Möglicherweise genügt es, den neuen Verwaltungsakt, soweit er als angefochten gilt, aufzuheben, weil dieser Verwaltungsakt, soweit er nicht angefochten ist, den ersten Verwaltungsakt im Ergebnis selbst aufhebt. Die Aufhebung des ersten Verwaltungsakts dient aber jedenfalls der Klarstellung.

Auf den hier zu entscheidenden Streitfall ist § 141b Abs 4 idF des 5. AFG-ÄndG anzuwenden, weil die Entscheidung über den Antrag auf Kaug noch nicht bindend abgelehnt ist (§ 141b Abs 6 und 7 AFG idF des 5. AFG-ÄndG).

Nach § 141b Abs 1 iVm § 141b Abs 3 Nr 1 AFG hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Abweisung des Antrags auf Konkurseröffnung mangels Masse (Insolvenztag) für die letzten der Abweisung vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Hat aber "der Arbeitnehmer in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses nach Abs 3 Nr 1 weitergearbeitet, so treten an die Stelle der letzten dem Abweisungsbeschluß vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses die letzten dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses" (§ 141b Abs 4 AFG). Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift sind auch für die Zeit vom 15. bis 31. Oktober 1976 erfüllt.

Die Vorinstanzen waren zwar nach ihrem Verständnis des vor Inkrafttreten des 5. AFG-ÄndG geltenden Rechts nicht genötigt festzustellen, daß der Kläger über den Insolvenztag hinaus gearbeitet hat, daß das Arbeitsverhältnis mit Lohnanspruch noch in der hier streitigen Zeit vom 15. bis 31. Oktober 1976 bestand, daß für diese Zeit kein Lohn gezahlt worden ist und daß der Kläger nicht vor dem Ende dieser Zeit von dem Insolvenzereignis Kenntnis hatte. Die Beklagte hat aber diese Tatsachen, auf die der Kläger seinen Anspruch schon vor Inkrafttreten des 5. AFG-ÄndG gründen zu können glaubte, im Laufe des Verfahrens nicht bestritten. Durch den neuen Bescheid vom 7. Februar 1980 hat sie noch einmal klargestellt, daß an dem Vortrag des Klägers in tatsächlicher Hinsicht kein Zweifel besteht. Sie hat den Vortrag des Klägers ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, für die Zeit nach dem Insolvenztag Kaug zu zahlen. Sie hat für die ganze zunächst streitige Zeit nur deshalb kein Kaug gezahlt, weil sie meint, aus Rechtsgründen könne die Urlaubszeit nicht als Kaug-Zeit im Sinne des § 141b Abs 4 AFG anerkannt werden. Der Senat hat in Übereinstimmung mit der Beklagten keinen Zweifel daran, daß sich in der Urlaubszeit die tatsächlichen Voraussetzungen für die Kaug-Zahlung nicht geändert haben. Der Senat kann daher diese Tatsachen, obwohl sie vom LSG nicht ausdrücklich festgestellt worden sind, seiner Entscheidung zugrunde legen (vgl BVerwGE 29, 127; BSGE 42, 135, 137; SozR 2200 § 355 Nr 1 und das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des erkennenden Senats vom 19. Dezember 1979 - 8b RK 2/78).

Der Senat teilt aber nicht die rechtlichen Bedenken der Beklagten, für die Urlaubszeit Kaug zu zahlen.

Der Begriff des Weiterarbeitens in § 141b Abs 4 AFG kann nicht so verstanden werden, daß für eine Urlaubszeit, für die der insolvent gewordene Arbeitgeber Arbeitsentgelt schuldet, der Kaug-Anspruch ausgeschlossen sein soll. Gegen eine solche Auslegung sprechen sowohl der Zweck des Kaug als auch der Zweck der besonderen Regelung des § 141b Abs 4 AFG.

Nach § 141a AFG, der den Zweck des Kaug allgemein umschreibt, haben Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers Anspruch auf Ausgleich ihres ausgefallenen Arbeitsentgelts (Kaug). Die Arbeitnehmer sollen möglichst rechtzeitig (vgl Begründung des Regierungsentwurfs BR-Drucks 9/74 S 10) in den Genuß dieser Ausgleichsleistung kommen, weil regelmäßig ihr Unterhalt und der ihrer Familie von dem ausgefallenen Arbeitsentgelt abhängt. Der Kaug-Anspruch besteht daher unabhängig davon, ob Aussicht besteht, daß der Arbeitsentgeltanspruch trotz des Insolvenzereignisses bei dem Arbeitgeber noch durchgesetzt werden kann. Der Kaug-Anspruch soll keine Entschädigung für die Zeit sein, in der der Arbeitnehmer ohne Gegenleistung gearbeitet hat, sondern eine Ersatzleistung für die Zeit, für die der Arbeitsentgeltanspruch zu erfüllen war. Dementsprechend hat der 7. Senat (BSGE 43, 49 = SozR 4100 § 141b Nr 2) entschieden, daß ein Kaug-Anspruch nach § 141b Absätze 1 und 2 AFG für eine Urlaubszeit auf alle Fälle dann begründet ist, wenn für diese Zeit ein Arbeitsentgeltanspruch bestand. Hierbei ist es gleichgültig, ob für diesen Arbeitsentgeltanspruch bereits die entsprechende Arbeit geleistet (vorgeleistet) war.

Für § 141b Abs 4 AFG gilt nichts anderes. Diese Vorschrift ist eine Härteregelung (Begründung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik, BT-Drucks 8/2914, S 44 f). Sie verlagert lediglich zeitlich den Schutz des Kaug-Anspruchs über den Insolvenzfall des § 141b Abs 3 Nr 1 AFG hinaus, bis der Arbeitnehmer von diesem Insolvenzfall Kenntnis nimmt. Durch § 141b Abs 4 AFG ist auch der Inhalt des Schutzes des Kaug-Rechts nicht geändert worden. Daß der Arbeitnehmer weitergearbeitet hat, wird zwar nur hier, nicht aber in den Fällen verlangt, für die die Härteregelung nicht gilt. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, nach § 141b Abs 4 AFG werde Kaug nur insoweit gezahlt, als eine Arbeitsleistung ohne Gegenleistung erbracht worden sei. Das Erfordernis des Weiterarbeitens besagt nur, daß nach der konkursgerichtlichen Feststellung des Insolvenzfalles des § 141b Abs 3 Nr 1 AFG nicht ohne weiteren Anhalt davon ausgegangen werden kann, daß die Arbeitsverhältnisse weitergeführt werden. Ist - wie hier - tatsächlich weitergearbeitet worden, so ist aber kein Zweifel daran begründet, daß das Arbeitsverhältnis trotz der Insolvenz des Arbeitgebers ernstlich weitergeführt worden ist. Der spätere Urlaub hat den Kläger noch eher als das tatsächliche Weiterarbeiten daran gehindert, von dem Insolvenzfall des § 141b Abs 3 Nr 1 AFG Kenntnis zu nehmen und sich um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655621

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