Orientierungssatz

Die Richtigkeit der Eintragung der Beschäftigungszeiten, der Arbeitsentgelte und der Beiträge wird mit Ablauf von 10 Jahren nach Aufrechnung der Versicherungskarte auch dann unanfechtbar (RVO § 1423 Abs 2 S 1 Nr 1), wenn die Versicherungskarte nicht rechtzeitig umgetauscht wurde und wenn sich die Eintragung nicht auf der Versicherungskarte selbst, sondern auf einem amtlich zugelassenen, mit der Versicherungskarte fest verbundenen Einlagezettel befindet. Sind für eine Zeit vor dem 1957-01-01 gültige Markenbeiträge entrichtet, so kann die Richtigkeit der für dieselbe Zeit eingetragenen Arbeitsentgelte und Beiträge nach Ablauf der 10 Jahre jedenfalls dann nicht mehr angefochten werden, wenn weder die bescheinigten Entgelte die für die Steigerungsbeträge alten Rechts geltenden Höchstbeträge (2. LAV § 11 Abs 1) übersteigen noch die Warteeinheiten neuen Rechts, die sich aus den Markenbeiträgen und den Entgelten für das betreffende Kalenderjahr insgesamt errechnen, die aus den genannten Höchstsätzen erzielbaren Werteinheiten erreichen.

Die Zulässigkeit der Berichtigung einer Versicherungskarte in sinngemäßer Anwendung des SGG § 138 (Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten) bleibt unentschieden. Eine solche Berichtigung ist jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn sich die Unrichtigkeit nicht unmittelbar aus dem Inhalt der Versicherungskarte selbst ergibt.

 

Normenkette

RVO § 1423 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; SGG § 138 Fassung: 1953-09-03; LAV 2 § 11 Abs. 1 Fassung: 1942-04-24; AVG § 145 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte lehnt es ab, den in einer Einlage zur Quittungskarte Nr. 11 des Klägers für die Zeit vom 10. September 1943 bis zum 31. Dezember 1943 eingetragenen Arbeitsverdienst bei der Berechnung des Altersruhegeldes zu berücksichtigen, weil die Entgeltseintragung irrtümlich vorgenommen worden sei (Bescheide vom 26. September 1967 und 4. Dezember 1967).

Die am 23. April 1942 von der Betriebskrankenkasse der Deutsche Werke K AG ausgestellte und am 8. Mai 1956 vom Versicherungsamt der Stadt Neumünster aufgerechnete Quittungskarte enthält für das Jahr 1943

a) 9 Zweiwochenbeitragsmarken verschiedener Klassen (erstes Entwertungsdatum: 26. September 1943, letztes Entwertungsdatum: 31. Dezember 1943);

b) in einer der drei Einlagen folgende - dem § 1401 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) genügende - Entgeltsbescheinigungen:

1. Januar 1943 bis 9. September 1943

1.799,26 RM,

10. September 1943 bis 31. Dezember 1943

729,44 RM;

c) eine Ersatzzeitbescheinigung (Wehrpflicht) für die Zeit vom 10. September 1943 bis zum 8. Juli 1945.

Das Sozialgericht (SG) Kiel hat die Beklagte verurteilt, sowohl den Arbeitsverdienst von 729,44 RM als auch die achtzehn Wochenbeiträge rentensteigernd zu berücksichtigen (Urteil vom 7. Mai 1968). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 20. Februar 1970).

Mit der Revision trägt die Beklagte vor: Der Schutz des § 1423 Abs. 2 RVO greife nur ein, wenn die Versicherungskarte rechtzeitig umgetauscht worden sei (§ 1412 Abs. 1 Halbs. 2 RVO); diese Voraussetzung habe - anders als in § 1423 Abs. 1 RVO - nicht besonders erwähnt werden müssen. Geschützt seien auch nur die Eintragungen in der Versicherungskarte selbst, nicht diejenigen auf einem Einlageblatt. Schließlich könne sich der Schutz nur auf Entgelte erstrecken, die innerhalb der Beitragsbemessungsgrenze lägen (§ 1 Abs. 1 der Zweiten Lohnabzugsverordnung - 2. LAV -: 3600 RM jährlich, 300 RM monatlich ...); nach der geltenden Rentenformel seien für die Leistungsberechnung absolute Höchstgrenzen gesetzt. - Außerdem sei die Unrichtigkeit der Entgeltsbescheinigung offenbar und ergebe sich unmittelbar aus der Versicherungskarte einschließlich der Einlageblätter. Deshalb müsse die Versicherungskarte in entsprechender Anwendung des § 138 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) berichtigt werden können.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Revision ist unbegründet.

Die Beklagte ist verpflichtet, bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers neben den im Markenverfahren entrichteten Beiträgen auch die Entgeltsbescheinigung für die Zeit vom 10. September 1943 bis zum 31. Dezember 1943 zu berücksichtigen.

Nach Ablauf von zehn Jahren nach der Aufrechnung der Versicherungskarte kann die Richtigkeit der Eintragung der Beschäftigungszeiten, der Arbeitsentgelte und der Beiträge nicht mehr angefochten werden (§ 1423 Abs. 2 Satz 1 RVO). Beiträge, die bescheinigt, tatsächlich aber nicht entrichtet wurden, sind wie rechtswirksame Beiträge zu behandeln (Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, 4. und 5. Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 6. Aufl., 1971, Vorbemerk. zu § 1418 unter 2 D, Anm. 11 zu § 1423; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 7. Aufl., 1971, S. 658 g; Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, 1963, Anm. 2 c zu § 1423, S. 331; Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 1957, Anm. II 1 zu § 1423, S. 263; Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 2./3. Aufl., Anm. 6 zu § 190 AVG, § 1445 RVO (aF), S. 682; Hanow/Lehmann/Bogs, Reichsversicherungsordnung, 4. Buch, Rentenversicherung der Arbeiter, 5. Aufl., 1969, Randziff. 5 und 6 zu § 1423; Baumgarten in Mitt. LVA Berlin 1968, 193, 218/219). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Beiträge, die der ordnungsmäßigen Entgeltsbescheinigung entsprechen, auf andere - rechtmäßige - Weise entrichtet worden sind und gesondert in der Versicherungskarte ausgewiesen werden. Die Beklagte muß die der Entgeltsbescheinigung zu entnehmenden Beiträge nach Ablauf der Zehnjahresfrist unabhängig davon, welche Gründe für das Unterbleiben der Beitragsentrichtung maßgebend waren, als wirksam gelten lassen.

Der Umstand, daß sich die Entgeltsbescheinigung auf einer Einlage zur Quittungskarte Nr. 11 befindet, schließt die Anwendung des § 1423 Abs. 2 RVO nicht aus. Der "Einlagezettel" entsprach dem Erlaß des RAM vom 20. Juni 1942 (AN S. II 361) und der Bekanntmachung des Reichsversicherungsamts vom 30. November 1943 (AN 1944, S. II 6). Er ist Teil der Quittungskarte und steht dieser in seinem Beurkundungswert gleich.

Anders als die Vermutung des § 1423 Abs. 1 RVO setzt der Schutz des § 1423 Abs. 2 RVO nicht voraus, daß die Versicherungskarte rechtzeitig umgetauscht wurde. Die Zehnjahresfrist beginnt nicht mit der Beitragsentrichtung, sondern mit der Aufrechnung der Versicherungskarte. Einer darüber hinausgehenden Sicherung des Trägers der Rentenversicherung bedarf es nicht.

Den Bedenken der Beklagten hinsichtlich des Überschreitens der "Beitragsbemessungsgrenze" vermag der Senat nicht beizupflichten. Da im Jahre 1943 der durchschnittliche Brutto-Jahresarbeitsentgelt aller Versicherten 2.324 RM, der für die Steigerungsbeträge alten Rechts geltende Höchstsatz jedoch 3.600 RM jährlich (§ 11 Abs. 1 der 2. LAV) betrug, hätte der Kläger theoretisch etwa 154 Werteinheiten (§ 1255 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b RVO) erreichen können. Die Werteinheiten aus allen für das Jahr 1943 in der Quittungskarte Nr. 11 nachgewiesenen Beiträge bleiben - mit etwa 141 - unter diesem Satz. Zudem übersteigt der für die Monate September bis Dezember bescheinigte Arbeitsentgelt für sich allein auch nicht den monatlichen Höchstsatz von 300 RM.

Die Frage, ob Versicherungsunterlagen in entsprechender Anwendung des § 138 SGG berichtigt werden dürfen, kann unentschieden bleiben. Eine Berichtigung scheidet in diesem Fall schon deshalb aus, weil die - von der Beklagten angenommene - Unrichtigkeit, nämlich das Unterbleiben einer Beitragsentrichtung im Lohnabzugsverfahren, nicht offenbar ist. Es ist nicht erwiesen, daß neben den im Markenverfahren entrichteten Beiträgen nicht auch - allerdings unwirksame - Beiträge im Lohnabzugsverfahren geleistet wurden. Die Beteiligten und die Vorinstanzen gehen zwar davon aus, daß die Entgeltsbescheinigung lediglich auf einem Irrtum beruhe. Ob dies der Fall war, ergibt sich nicht zwangsläufig und unmittelbar aus dem Inhalt der Quittungskarte Nr. 11 selbst. Hierauf käme es bei einer Berichtigung aber an.

Die Revision der Beklagten ist sonach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670309

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