Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Verweisung auf zumutbare Tätigkeiten kommt es grundsätzlich nicht darauf an, wieviel Arbeitsplätze für solche Tätigkeiten vorhanden sind, es sei denn, deren Zahl ist praktisch bedeutungslos.
2. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit verletzten nicht die Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung, wenn sie die Entscheidung, bestimmte Arbeitsplätze seien nicht nur in völlig unbedeutendem Umfange vorhanden, auf Grund ihrer besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitslebens treffen; Beweise darüber brauchen regelmäßig nicht erhoben zu werden.
3. Ein Versicherter kann auf Tätigkeiten, die er erst nach einer Umschulung oder nach einer längeren betrieblichen Einweisung und Einarbeitung verrichten kann, nur verwiesen werden, wenn die erforderliche Maßnahme mit Erfolg abgeschlossen ist. Die Notwendigkeit einer kürzeren betrieblichen Einweisung und Einarbeitung steht der Verweisung nicht entgegen.
Orientierungssatz
Mit der bloßen Bewertung der Minderung in der Erwerbsfähigkeit in Prozentsätzen durch die medizinischen Sachverständigen, wie sie in der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung üblich ist, kann die Frage nach der Berufsunfähigkeit nicht beantwortet werden.
Normenkette
RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21, § 45 Fassung: 1957-05-21, § 47 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 128 Fassung: 1958-08-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 19. November 1962 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger berufsunfähig ist.
Er war von 1921 bis 1942 Schlepper, Lehr- und Kohlenhauer. Am 6. August 1942 erlitt er einen komplizierten Unterarm- und Mittelhandknochenbruch links. Wegen der Unfallfolgen bezieht er eine Rente von 50 v. H. der Vollrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Seit dem 1. März 1943 gewährt ihm die Beklagte Knappschaftsrente alten Rechts. Nach dem Arbeitsunfall von 1942 war der Kläger zunächst als Hilfswächter und dann bis 1958 als Gelderheber beim Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk in Merzig beschäftigt. Am 27. Juli 1958 erlitt er beim Sturz von der Kellertreppe seines Anwesens eine Distorsion des linken Sprunggelenkes mit einer Zerrung der Seitenbänder. Wegen dieser Unfallfolgen gewährte ihm die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung von 10 v. H. der Vollrente bis zum 30. September 1960.
Der Kläger beantragte am 20. Juni 1958 die Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nach §§ 46 RKG, 1246 RVO als Gesamtleistung. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 14. Januar 1959 ab. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Bescheid vom 23. März 1959 zurück. Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland durch Urteil vom 23. Februar 1961 abgewiesen.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland durch Urteil vom 19. November 1962 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Das LSG ist der Ansicht, daß der Kläger nicht berufsunfähig ist. Selbst wenn man von der Kohlenhauertätigkeit als Hauptberuf ausgehe, sei ein Rentenanspruch nicht gegeben. Der Kläger sei gesundheitlich noch imstande, die ihm zumutbaren Tätigkeiten des Schaltpultwärters und des Stellwerkswärters zu verrichten, obwohl er nur noch einen voll gebrauchsfähigen Arm habe. Dies folge aus dem Gutachten von Dr. F. Die aufgeführten Verweisungstätigkeiten seien in nennenswerter Zahl auf den saarländischen Gruben vorhanden. Dies ergebe sich aus einer Auskunft der Saarbergwerke in einer anderen Streitsache, wonach es etwa 60 Arbeitsplätze dieser Art gebe.
Gegen dieses - am 27. November 1962 zugestellte - Urteil hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 19. Dezember 1962 Revision eingelegt und mit Schriftsatz vom 16. Januar 1963 begründet. Er rügt, das Berufungsgericht habe § 46 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) verletzt. Nach dem ärztlichen Gutachten der Universitätsklinik in Homburg (Saar) sei seine Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsfeld um 55 v. H. gemindert; der Sachverständige halte ihn noch für tauglich, leichte Arbeiten, wie die eines Pförtners, Boten und Aufsehers, mit der erforderlichen Regelmäßigkeit auszuüben. Das Berufungsgericht komme auf Grund dieses Gutachtens zu dem Ergebnis, daß er bei der Ausübung dieser Arbeiten noch mehr als die Hälfte des Verdienstes eines gesunden Versicherten erzielen könne, so daß die Voraussetzungen zur Gewährung einer Rente nach § 46 RKG nicht gegeben seien. Dieses Ergebnis stehe aber im Widerspruch zu der von dem Gutachter angegebenen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 55 v. H. Denn bei einer solchen MdE dürfte er nicht in der Lage sein, einen Lohn zu erzielen, der die Hälfte desjenigen eines gesunden Versicherten erreiche. Nach Ansicht des LSG habe er auch bei Zugrundelegung der Hauertätigkeit keinen Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit, weil er nach den ärztlichen Gutachten noch die Tätigkeiten eines Schaltpultwärters und Stellwerkswärters verrichten könne. Der ärztliche Sachverständige Dr. F habe ihn aber nur für tauglich gehalten, die Tätigkeit eines Schaltpultwärters auszuüben, während er die Tätigkeit eines Stellwerkswärters in seinem Gutachten überhaupt nicht erwähne. In dem Gutachten der Universitätsklinik Homburg sei die Tätigkeit des Schaltpultwärters ebenfalls nicht aufgeführt. Insoweit sei daher das Vordergericht über die Feststellungen der medizinischen Sachverständigen hinausgegangen. Die angefochtene Entscheidung gehe davon aus, daß Stellen als Schaltpult- und Stellwerkswärter auf den saarländischen Gruben in nennenswerter Zahl, nämlich in Höhe von 60, vorhanden seien. Dies sei jedoch bei einer Belegschaftsstärke von 40.000 Mann keine nennenswerte Zahl, zumal diese Stellen restlos durch andere Invaliden besetzt seien. Wenn man aber annehme, daß er nur die Schaltpultwärtertätigkeit ausüben könne, stünden sogar nur 35 Plätze bei den Saarbergwerken zur Verfügung. Eine Verweisung auf eine Tätigkeit sei aber nur möglich, wenn für sie ein dem Wettbewerb zugängliches allgemeines Arbeitsfeld bestehe. Im übrigen sei die Aufnahme solcher Tätigkeiten mit einem sozialen Abstieg verbunden. Denn diese Tätigkeiten würden nach Kat. III und IV über Tage entlohnt, seien also mittelschwere Hilfsarbeitertätigkeiten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 19. November 1962 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend; der Kläger sei nicht berufsunfähig. Zwar sei in dem vom SG eingeholten Gutachten nur die Tätigkeit des Schaltpultwärters aufgeführt, während die Tätigkeit des Stellwerkswärters in keinem der von den Gerichten angeforderten Gutachten als noch mögliche Arbeit genannt sei. Das LSG habe daher von sich aus entschieden, daß der Kläger die Tätigkeit eines Stellwerkswärters noch verrichten könne. Damit habe es jedoch die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nicht überschritten. Denn das LSG sei nach Besichtigung von Tagesbetrieben zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger auch noch als Stellwerkswärter eingesetzt werden könne. Die Arbeiten eines Stellwerkswärters, Schaltpultwärters, Lichtpausers, Tankwarts, Markenausgebers, Gelderhebers usw. könnten dem Kläger i. S. der §§ 46 Abs. 2 RKG, 1246 Abs. 2 RVO zugemutet werden, weil damit für ihn kein wesentlicher sozialer Abstieg verbunden sei.
Schließlich gehe auch die Rüge des Klägers fehl, er könne wegen der geringen Zahl der auf den saarländischen Gruben vorhandenen Arbeitsplätze als Schaltpult- bzw. Stellwerkswärter nicht auf diese Tätigkeiten verwiesen werden. Tatsächlich seien Arbeitsplätze dieser Art vorhanden. Wenn die in Betracht kommenden Stellen zur Zeit besetzt sein sollten, könne dies bei Prüfung der Berufsunfähigkeit nicht berücksichtigt werden.
II
Die Revision des Klägers ist begründet.
Die bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Entscheidung, daß der Kläger noch berufsfähig im Sinne der §§ 46 Abs. 2 RKG, 1246 Abs. 2 RVO ist.
In Übereinstimmung mit der Ansicht der Beteiligten ist als bisheriger Beruf des Klägers der für seinen Anspruch günstigste Beruf, das ist der Hauerberuf, anzusehen, den er lange Zeit hindurch ausgeübt und den er aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat (vgl. dazu BSG 2, 182; SozR RVO § 1246 Nr. 33; Urteil des 1. Senats des BSG vom 19. November 1965 - 1 RA 275/62 -).
Da der Kläger gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, Hauerarbeiten zu verrichten, hängt die Entscheidung, ob er berufsfähig oder berufsunfähig ist, davon ab, ob er nach seinem Gesundheitszustand und nach seinem Wissen und Können imstande ist, ihm zumutbare andere Tätigkeiten zu verrichten, mit denen er noch die Hälfte dessen erwerben kann, was ein gesunder Versicherter mit ähnlicher Ausbildung und gleichen Kenntnissen und Fähigkeiten zu erwerben in der Lage ist (§§ 46 Abs. 2 RKG, 1246 Abs. 2 RVO).
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger gesundheitlich noch imstande ist, die Tätigkeit eines Schaltpultwärters und eines Stellwerkswärters zu verrichten. Der Kläger hat diese Feststellung hinsichtlich der Tätigkeit des Stellwerkswärters mit der Begründung angegriffen, die ärztlichen Sachverständigen hätten in ihren Gutachten diese Tätigkeit nicht genannt. Diese Rüge greift jedoch nicht durch. Das Berufungsgericht hat nicht etwa ausgeführt, Dr. F habe den Kläger noch für fähig gehalten, die Tätigkeit eines Stellwerkswärters zu verrichten, es hat vielmehr aus dem Gutachten des Sachverständigen nur gefolgert, daß der Kläger diese Tätigkeit noch verrichten könne. Diese Feststellung durfte das LSG auf Grund dieses Sachverständigengutachtens treffen, ohne die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung zu verletzen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit ihren besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitslebens sind im allgemeinen in der Lage, auf Grund der von den medizinischen Sachverständigen erhobenen Befunde und beschriebenen Funktionseinschränkungen auch dann zu entscheiden, welche Arbeiten der Versicherte noch verrichten kann, wenn der ärztliche Sachverständige dazu nicht ausdrücklich Stellung genommen hat. Hier liegt ein entsprechender Fall vor, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers im wesentlichen nur durch die erhebliche Funktionseinschränkung der linken Hand beeinträchtigt ist, die Beurteilung, welche Arbeiten er trotz dieser Behinderung noch verrichten kann, also keine besonderen ärztlichen Kenntnisse voraussetzt.
Ohne Bedenken durfte das Berufungsgericht die Arbeiten des Schaltpultwärters und des Stellwerkswärters grundsätzlich auch als einem Hauer zumutbare Tätigkeiten im Sinne der §§ 46 Abs. 2 RKG, 1246 Abs. 2 RVO ansehen. Zwar handelt es sich dabei um die Tätigkeiten eines ungelernten Arbeiters, doch heben sie sich aus dem Kreis dieser Tätigkeiten heraus, weil sie ein besonderes Verantwortungsbewußtsein voraussetzen (vgl. dazu SozR RVO § 1246 Nr. 4,26).
Mit diesen Tätigkeiten könnte der Kläger auch mindestens die Hälfte dessen erwerben, was eine gesunde Vergleichsperson im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 1 RKG, § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO zu erwerben in der Lage ist. Der Kläger beruft sich zwar auf das Gutachten des Prof. Dr. Ch und des Dr. F vom 4. April 1962, die zu dem Ergebnis gekommen sind, daß seine Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsfeld um 55 v. H. gemindert sei. Er verkennt bei dieser Rüge aber ebenso wie diese Sachverständigen, daß es bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit im Sinne der §§ 46 Abs. 2 RKG, 1246 Abs. 2 RVO nicht auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit etwa im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ankommt, sondern daß allein entscheidend ist, ob der Versicherte noch in der Lage ist, durch Tätigkeiten, die ihm nach seinem bisherigen Beruf zumutbar sind und die er nach seinem Gesundheitszustand und nach seinen beruflichen Fähigkeiten noch verrichten kann, die Hälfte dessen zu erwerben, was die für ihn maßgebende Vergleichsperson verdienen kann. Mit der bloßen Bewertung der MdE in Prozentsätzen durch die medizinischen Sachverständigen, wie sie in der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung üblich ist, kann daher die Frage nach der Berufsunfähigkeit nicht beantwortet werden. Davon abgesehen führen diese Sachverständigen im vorliegenden Fall aber auch aus, daß der Kläger noch eine Reihe von leichteren Tätigkeiten verrichten könne, wenn sie dabei die Tätigkeiten des Schaltpultwärters und des Stellwerkswärters auch nicht ausdrücklich erwähnen.
Der Kläger rügt weiter, daß es Arbeitsstellen für Schaltpultwärter im Saarbergbau nicht in nennenswerter Zahl gebe. Da es hier nur auf die Arbeitsplätze der Schaltpultwärter ankomme, könne nur von einer Stellenzahl von 35 ausgegangen werden. Diese Zahl von Arbeitsstellen könne aber bei einer Belegschaftsstärke des Saarbergbaus von 40.000 Arbeitnehmern nicht als nennenswert angesehen werden. Außerdem seien alle entsprechenden Arbeitsplätze besetzt. Auch diese Rüge greift nicht durch. Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht den Kläger nicht allein auf die Tätigkeit des Schaltpultwärters, sondern auch auf die des Stellwerkswärters verwiesen hat, was nach dem gesundheitlichen Zustand des Klägers unbedenklich war, beachtet er nicht, daß sich der Versicherte nach § 46 Abs. 2 Satz 2 RKG, § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO auf zumutbare "Tätigkeiten", d. h. auf Erwerbstätigkeiten, die er nach seinem Gesundheitszustand und nach seinen beruflichen Fähigkeiten verrichten kann, und nicht auf "Arbeitsplätze" verweisen lassen muß. Es kommt also bei der Verweisung auf "Erwerbstätigkeiten", hier auf die des Schaltpultwärters und Stellwerkswärters, nicht aber auf die Zahl der vorhandenen oder gar der freien Arbeitsplätze an. Natürlich besteht zwischen beiden Begriffen insofern ein untrennbarer Zusammenhang, als es keine "Erwerbstätigkeit" - die ja ihrem Wesen nach verrichtet wird, um Einkommen zu erwerben - geben kann, für die nicht auch "Arbeitsplätze" vorhanden sind. Wenn es nun theoretisch auch genügen mag, daß es für eine bestimmte Tätigkeit nur einige wenige entsprechende "Arbeitsplätze" gibt, so erfordert doch die praktische Anwendung des Gesetzes, daß entsprechende Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter, d. h. praktisch ins Gewicht fallender Zahl vorhanden sind, wobei es unerheblich ist, ob diese frei oder besetzt sind (vgl. dazu BSG 21, 282, 284 = SozR RKG Nr. 15 zu § 45; BSG 19, 147, 149 = SozR RVO Nr. 6 zu § 1247). Alle zumutbaren Tätigkeiten kommen also grundsätzlich als Verweisungstätigkeiten in Betracht, es sei denn, daß die Zahl der entsprechenden Arbeitsplätze praktisch bedeutungslos ist. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es bei der Entscheidung dieser Frage nicht auf die Feststellung der genauen Zahl der entsprechenden Arbeitsplätze an. Es genügt vielmehr die Feststellung, daß Arbeitsplätze, auf die der Versicherte verwiesen werden kann, nicht nur in völlig unbedeutendem Umfang vorhanden sind. Diese Feststellung dürfen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unbedenklich auf Grund ihrer besonderen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitslebens treffen, ohne hierüber Beweise zu erheben (Beschluß des 4. Senats des BSG vom 27. Juli 1965 - 4 RJ 273/65 -). Das Berufungsgericht konnte im vorliegenden Fall ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß der Kläger auf die Tätigkeit des Schaltpultwärters oder des Stellwerkswärters verwiesen werden kann, weil eine praktisch ins Gewicht fallende Zahl von Arbeitsplätzen dieser Art vorhanden ist.
Dagegen hat das Berufungsgericht nicht geprüft, ob der Kläger nach seinem Wissen und Können noch in der Lage ist, die Tätigkeiten eines Schaltpultwärters und Stellwerkswärters zu verrichten. Dazu bestand nicht nur deshalb Anlaß, weil diese Tätigkeiten eine gewisse körperliche und geistige Wendigkeit voraussetzen, sondern vor allem deshalb, weil der Kläger schon seit 1942 aus dem Bergbau ausgeschieden ist und es auch unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen technischen Entwicklung zumindest fraglich erscheint, ob ihm die allgemeinen betrieblichen Zusammenhänge so gegenwärtig sind, wie es erforderlich ist, um diese Tätigkeiten nach kurzer betrieblicher Einweisung und Einarbeitung verrichten zu können. Ist das aber nicht möglich, so kann er auf diese Tätigkeiten nicht verwiesen werden. Ob er nach einer Umschulung oder einer längeren betrieblichen Einweisung und Einarbeitung diese Tätigkeiten verrichten könnte, ist hier ohne Bedeutung, weil ein Versicherter nur auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, die er allenfalls nach einer kürzeren betrieblichen Einweisung und Einarbeitung verrichten kann. Ist dagegen eine Umschulung oder längere betriebliche Einweisung und Einarbeitung notwendig, so kann ein Versicherter erst dann auf diese Tätigkeit verwiesen werden, wenn die erforderliche Maßnahme mit Erfolg abgeschlossen ist.
Da die Revision somit begründet ist, muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Mangels erforderlicher Feststellungen ist der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Falls das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, daß der Kläger auf die Tätigkeiten des Schaltpultwärters und Stellwerkswärters nicht verwiesen werden kann, wird es zusätzlich zu prüfen haben, ob er noch in der Lage ist, andere ihm zuzumutende Tätigkeiten im Bergbau oder außerhalb des Bergbaus zu verrichten. Da hier die Berufsunfähigkeitsrente im Streit ist, muß der Kläger sich nämlich auch auf zumutbare Tätigkeiten außerhalb des Bergbaus verweisen lassen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen