Entscheidungsstichwort (Thema)

Verständiger Grund. Unterhaltsanspruch. Unterhaltsbeitrag. Verzicht aus verständigem Grund. Rangfolge zwischen Unterhaltsansprüchen

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein "Anspruch" auf einen Unterhaltsbeitrag nach EheG § 60 aF ist zwar nicht allgemein deshalb von der Anrechnung auf die Ausgleichsrente (BVG§33DV § 1 Abs 2 S 1) ausgenommen, weil solche Leistungen nicht aufgrund eines bürgerlichrechtlichen Unterhaltsanspruchs (BVG§33DV § 1 Abs 3 S 2 Nr 8 iVm § 4 Abs 2) zu erlangen wären und deshalb stets anderen Unterhaltsleistungen im Rang nachgingen (EheG § 63 aF), die anrechnungsfrei sind. Aber ein "Anspruch" jener Art ist in diesem Fall wegen des Verzichts aus "verständigem Grund" nicht als Einkommen im bezeichneten Sinn zu behandeln.

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage des verständigen Grundes iS des BVG§33DV § 1 Abs 2 S 1 Halbs 2, wenn die Parteien bei einer einvernehmlichen Scheidung in einem Scheidungsvergleich gegenseitig auf Unterhalt verzichtet haben.

2. Zur Rangfolge zwischen Unterhaltsansprüchen gegen Ehegatten und gegen Verwandte.

 

Normenkette

BVG § 33 Abs. 1 Fassung: 1976-06-14; BVG§33DV § 1 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1974-12-23, § 2 Nr. 19 Fassung: 1975-07-01; BVG§33DV § 4 Fassung: 1975-07-01; EheG §§ 60, 63, 73; BVG§33DV § 1 Abs. 3 S. 2 Nr. 8

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 05.05.1978; Aktenzeichen L 2 V 127/77)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 28.10.1977; Aktenzeichen S 6 V 67/77)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. Mai 1978 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger bezieht Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH (Bescheid vom 14. Juli 1975). Das Versorgungsamt gewährte ihm ab 1974 Ausgleichsrente und rechnete dabei ab 1. Juli 1976 laufend - mit Ausnahme des Monats Oktober 1976 - einen Unterhaltsbeitrag der geschiedenen Ehefrau in Höhe von 260,- DM an, der hätte verwirklicht werden können (Bescheid vom 6. Januar 1977). Die Ehe des Klägers, aus der acht Kinder hervorgegangen sind, wurde im April 1976 auf Klage und Widerklage aus beiderseitigem Verschulden geschieden; das Urteil des Landgerichts Itzehoe ist seit dem 22. Juni 1976 rechtskräftig. Für den Fall der rechtskräftigen Scheidung zur beiderseitig gleichen Schuld hatten die Parteien in einem Vergleich wechselseitig auf Unterhalt für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, selbst für veränderte Umstände und für den Fall des Notbedarfs verzichtet. Die geschiedenen Eheleute führen weiterhin einen gemeinsamen Haushalt. Die Ehefrau hat seit März 1976 als vollschichtig arbeitende Krankenschwester ein monatliches Nettoeinkommen von 1.618,55 DM. Der Kläger ist seit Jahren nicht mehr berufstätig. Er bezieht Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz. Seine Grundrente betrug ab 1. Juli 1976 206,- DM. Der Widerspruch, mit dem der Kläger auf den Unterhaltsverzicht verwies, blieb erfolglos (Bescheid vom 18. März 1977). Das Sozialgericht (SG) änderte die angefochtenen Bescheide dahin ab, daß ab 1. Juli 1976 keine Unterhaltsbeiträge der geschiedenen Ehefrau des Klägers auf seine Ausgleichsrente anzurechnen sind (Urteil vom 28. Oktober 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 5. Mai 1978): Entgegen der Ansicht des SG sei zwar auch ein Unterhaltsbeitrag nach § 60 Ehegesetz (EheG) aF zum anrechnungspflichtigen Einkommen (§ 33 BVG) zu rechnen. Jedoch sei hier ein entsprechendes fiktives Einkommen nicht deshalb nach § 1 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG (DV) anzusetzen, weil der Kläger auf eine solche Unterhaltsleistung seiner geschiedenen Ehefrau ohne "verständigen Grund" verzichtet hätte. Er habe vielmehr den Scheidungsvergleich aus einem "verständigen Grund" abgeschlossen. Der Verzicht habe in seinem Interesse gelegen und habe nicht zur Folge, daß öffentliche Mittel in größerem Umfang in Anspruch genommen werden müßten, verstoße mithin nicht gegen allgemeine Belange. Die Ehe des Klägers hätte mit gewisser Wahrscheinlichkeit wegen überwiegenden Verschuldens des Ehemannes geschieden werden können, falls die Parteien nicht zu einer einvernehmlichen Scheidung gelangt wären; deren wesentliche Grundlage sei der Scheidungsvergleich gewesen. Über den gegenseitigen Vorwurf von Beschimpfungen hinaus habe die Ehefrau ihre Klage auf Aushäusigkeit des Ehemannes, auf eine Bedrohung und auf Fehlen von Hilfe in der Hauswirtschaft und bei der Kinderbetreuung gestützt. Falls sich diese Beschuldigungen als wahr erwiesen hätten, wäre kein Anspruch des Ehemannes aus § 60 EheG aF entstanden. Der Kläger habe im übrigen deshalb einen "verständigen Grund" für den Unterhaltsverzicht annehmen können, weil er bei richtiger Berechnung einen Unterhaltsbeitrag, der als Einkommen angerechnet werden müsse, nicht hätte verlangen können. Wenn der Unterhaltsanspruch des schuldlos geschiedenen Ehegatten nach § 58 EheG aF anteilmäßig zwischen 1/7 und 3/7 der Gesamteinkünfte beider Ehegatten liege, könne dem Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG aF unter Berücksichtigung der Unterhaltsansprüche der vier minderjährigen, 1961, 1963, 1964 und 1967 geborenen Kinder ein anteiliger Betrag von höchstens 3/14 der gesamten Einkünfte (Nettoverdienst von 1.618,55 DM ./. Grundrente von 206,- DM und Kindergeld von 360,- DM) zugrunde gelegt werden. Auch die Grundrente des Klägers müsse bei der Bemessung der Bedürftigkeit in die Berechnung einbezogen werden; denn sie solle nicht nur schädigungsbedingte Mehraufwendungen ausgleichen, sondern sei auch mit für den Lebensunterhalt zu verwenden.

Der Beklagte beanstandet mit der - vom LSG zugelassenen - Revision, daß das Berufungsgericht einen "verständigen Grund" für den Unterhaltsverzicht angenommen hat. Die Preisgabe könne nicht allein wegen der Möglichkeit einer Scheidung aus überwiegendem Verschulden des Klägers als "verständig" gewertet werden. Der Prozeßausgang sei ungewiß gewesen. Dann hätte aber der Kläger die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigen müssen. Er habe auch nicht etwa einen praktisch nicht bestehenden Unterhaltsanspruch aufgegeben. Die Berechnung des LSG sei fehlerhaft und nicht nachvollziehbar. Im Nettoeinkommen der geschiedenen Ehefrau sei kein Kindergeld enthalten; ein entsprechender Betrag sei also nicht abzusetzen. Das gelte auch für die BVG-Grundrente, die dem Lebensunterhalt diene. Dann ergebe sich ein gemeinsames Nettoeinkommen von 2.184,55 DM, ohne Kindergeld von 1.824,55 DM, so daß ein Regelunterhalt von 184,97 DM verbleibe. Davon könne wegen der Grundrente als einzigem Einkommen des Klägers abgewichen werden. Vom Nettoeinkommen der geschiedenen Ehefrau stehe ihm nach der "Düsseldorfer Tabelle" 343,55 DM als Unterhalt zu. Demnach sei die Anrechnung von 260,- DM als dazwischenliegendem Wert nicht zu beanstanden.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf sein gesamtes Vorbringen in beiden Instanzen und tritt der vom SG vorgenommenen Unterscheidung zwischen Unterhaltsanspruch und Unterhaltsbeitrag bei, hält aber auch mit der Begründung des Berufungsurteils die Anrechnung von 260,- DM für rechtswidrig. Die Motive für einen solchen Unterhaltsvergleich, der in einem Scheidungsverfahren abgeschlossen wurde, dürften von der Verwaltung nicht nachgeprüft werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis mit Recht bestätigt, daß ab 1. Juli 1976 kein Unterhaltsbeitrag der Ehefrau des Klägers als sein Einkommen auf die Ausgleichsrente nach § 33 Abs 1 BVG (idF des 8. Anpassungsgesetzes-KOV - AnpG-KOV - vom 14. Juni 1976 - BGBl I 1481 -; Bekanntmachung der Neufassung vom 22. Juni 1976 - BGBl I 1633 -) anzurechnen ist.

Zu solchen Einkünften im Sinne des § 1 Abs 1 DV zu § 33 BVG (idF der 6. Änderungsverordnung vom 23. Dezember 1974 - BGBl 1975 I 107 -; Bekanntmachung der Neufassung vom 1. Juli 1975 - BGBl I 1769 -) rechnen zwar nach § 1 Abs 3 Satz 2 Nr 8 iVm § 4 Abs 2 DV Unterhaltsleistungen des früheren Ehegatten aufgrund eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruches, und ihnen steht nach § 1 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 DV ein Anspruch auf Unterhalt gleich. Das gilt aber nach Halbsatz 2 nicht, soweit ein Anspruch aus einem "verständigen Grund" nicht geltend gemacht worden ist oder nicht geltend gemacht wird. Einen derartigen Ausnahmetatbestand hat das LSG im Ergebnis zutreffend angenommen.

Diese Frage mußte das Berufungsgericht deshalb prüfen, weil ein Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG (idF vor dem Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG - vom 14. Juni 1976 - BGBl I 1421 - aF) und dementsprechend ein "Anspruch" auf eine solche Leistung (BSGE 13, 166, 168 ff; BSGE 30, 220, 222 = SozR Nr 29 zu § 1291 RVO) entgegen der Ansicht des SG nicht schlechthin von der Anrechnung als Einkommen ausgeschlossen ist. Nach der Vorschrift des § 60 Satz 1 EheG aF, die für die vor dem 1. Juli 1977 geschiedenen Eheleute weiterhin gilt (Art 12 Nr 3 Abs 2 iVm Nr 13 Buchstabe a des 1. EheRG), kann einem Ehegatten wie dem Kläger, der nach rechtsverbindlicher Entscheidung (BSG, NJW 1972, 735) ebenso wie seine Ehefrau an der Scheidung schuldig ist, ein Unterhaltsbeitrag "zugebilligt" werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie auf die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 unterhaltsverpflichteten Verwandten des Bedürftigen der "Billigkeit" entspricht. Die Beitragspflicht kann zeitlich beschränkt werden (Satz 2 Halbsatz 1). Hat der Verpflichtete einem minderjährigen unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren, so sind auch dessen Bedürfnisse und wirtschaftliche Verhältnisse zu berücksichtigen (Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 59 Abs 1 Satz 2). Diese Leistungsvoraussetzungen, die sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles richten, sind wohl für die Annahme eines "verständigen Grundes" bedeutsam, wie noch dargelegt wird. Die Gewichtung der verschiedenen Bestimmungsmerkmale zwingt aber nicht dazu, jeden Unterhaltsbeitrag eines Ehegatten als den Unterhaltspflichten von Verwandten nachgeordnet zu bewerten mit der Folge, daß er im Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) nicht wie eine eheliche Unterhaltsleistung aufgrund eines Anspruches ausnahmsweise nach § 4 DV als Einkommen anzurechnen wäre, sondern nach der allgemeinen Vorschrift des § 2 Abs 1 Nr 19 DV wie eine Unterhaltsleistung von Verwandten anrechnungsfrei bliebe. Die Regelung der Voraussetzungen in § 60 EheG aF ist von einer allgemeineren Rangfolge zwischen Unterhaltsansprüchen gegen Ehegatten und gegen Verwandte zu unterscheiden (Brühl/Göppinger/Mutschler, Unterhaltsrecht, 1. Teil 3. Aufl 1973, Rz 14), wie sie während der Ehe (§§ 1608 und 1609 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -; Scheffler in BGB RGR-Kommentar, IV. Band 2. Teil, 10./11. Aufl 1964, § 1608, Anm 2; Soergel/Siebert/Lange, BGB-Kommentar, Band 5, 10. Aufl 1971, § 1608, Rz 2) und nach einer Scheidung (§ 63 EheG aF; zu § 60: Brühl/Göppinger/Mutschler, Rz 423) besteht. Soweit diese Rangordnung in § 63 EheG aF festgelegt ist, müßte sie auch für einen Unterhaltsbeitrag gelten, der als Leistung aufgrund eines Anspruches behandelt wird. Andernfalls wäre ein allgemeingültiger gesetzlicher Nachrang für die Leistung gemäß § 60 EheG aF gegenüber solchen von Verwandten nicht festgelegt und damit die vom SG angenommene Rechtfertigung für eine Gleichbehandlung mit Unterhaltsleistungen von Verwandten nicht gesetzlich vorgeschrieben.

Ob und in welcher Höhe dem Kläger ohne den nach § 72 EheG aF abgeschlossenen Unterhaltsvertrag ein anrechenbarer Unterhaltsbeitrag zugebilligt worden wäre, brauchte das LSG nicht zu entscheiden. Damit erübrigt sich eine Zurückverweisung und sodann eine Aufklärung darüber, ob der Kläger sich unter zumutbarem Einsatz der verbliebenen Arbeitskraft überhaupt nicht selbst unterhalten kann (BSGE 13, 166, 170 f; Wüstenberg in BGB RGR-Kommentar, IV. Band, 3. Teil, 10./11. Aufl 1968, § 60, Anm 8; § 58, Anm 99), ob und inwieweit wenigstens das älteste der vier zum gemeinsamen Haushalt gehörenden Kinder eigenes Einkommen hat und welche Unterhaltsansprüche der Kläger gegen seine erwachsenen Kinder geltend machen kann. Jedenfalls war die Vereinbarung, durch die der Kläger einen möglicherweise bestehenden "Anspruch" preisgegeben hat, nicht nach § 72 Satz 3 EheG aF wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, und schließlich hat der Kläger auf einen eventuell zu erwartenden Unterhaltsbeitrag aus "verständigem Grund" im Sinne des § 1 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 DV verzichtet.

Sittenwidrig wäre der Verzicht nur dann, wenn die Ehegatten in gewissenloser Weise absichtlich die Unterhaltslast auf eine öffentliche Kasse hätten abwälzen wollen (Wüstenberg, aaO, § 72 EheG, Anm 98, 99, 108 ff; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 3. Aufl 1973, S 80 f). Dies kann unter den gegebenen Umständen, die den Verzicht sogar als "verständig" rechtfertigen, keinesfalls angenommen werden.

Das Verhalten des Klägers ist nicht nur "verständlich" in dem Sinne, daß sich erklären läßt, warum er auf Unterhalt verzichtet hat, sondern auch "verständig" im Sinne einer vernünftigen und rechtfertigenden Begründung (vgl zur allgemeinen sprachlichen Bedeutung der beiden Begriffe: Duden Stilwörterbuch, 4. Aufl 1956, S 113, 679; Duden Sinnverwandte Wörter und Wendungen, 1972, S 729; Duden Bedeutungswörterbuch, 1970, S 732; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1972, Sp 3847 f). Nach dem Sinn des Wortes "verständig" und nach dem Zweck von Vorschriften wie derjenigen des § 1 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 DV sind widerstreitende Interessen - hier des Verzichtenden und der öffentlichen Hand - gegeneinander abzuwägen (Jutta Limbach, Der verständige Rechtsgenosse, Berlin 1977, S 77 ff; speziell zum Sozialrecht: BSG, BVBl 1966, 119 = KOV 1966, 228; BVBl 1971, 81; BSGE 25, 262, 266 f = SozR Nr 9 zu § 44 BVG; Nrn 11 und 16 zu § 44 BVG; 3100 § 40a Nr 1; 3640 § 9 Nrn 6 und 8; 3660 § 1 Nrn 3 und 5; BSG vom 22. Oktober 1973 - 10 RV 456/72 -). Das rechtfertigt den vom Kläger vertretenen Standpunkt.

Einerseits haben Versorgungsberechtigte grundsätzlich nach Kräften bei der Minderung der Versorgungslast mitzuwirken und deren Ausdehnung möglichst zu vermeiden (vgl § 44 Abs 5 Satz 3 BVG; § 9 Abs 5, § 12 DV zu § 30 Abs 3 und 4 BVG idF vom 11. April 1974 - BGBl I 927 -, §§ 14 und 1 DV zu § 33 BVG; BSG SozR Nr 8 § 51 BVG; Nr 1 zu § 9 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968; BSGE 40, 260, 264 = SozR 3100 § 44 Nr 5; § 40 Nr 1; 3640 § 9 Nr 1, S 5; Nr 8, S 18 f). Andererseits sind gewichtige Umstände, die außerhalb des Rechts der KOV begründet sind, rechtfertigend zu berücksichtigen. Dazu gehört auch allgemein eine Vereinbarung, welche die an sich legitime Ehescheidung zur Regelung personenrechtlicher Beziehungen ermöglicht oder erleichtert (§ 72 Abs 1 und 2 EheG aF; BSGE 29, 81, 84 ff = SozR Nr 26 zu § 1291 RVO); diese Entscheidungsfreiheit darf nicht allein wegen ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse und finanzieller Interessen der öffentlichen Hand zu stark eingeschränkt werden (Wüstenberg, aaO, § 72, Anm 108 ff, insbesondere 110 ff). Der Kläger verhielt sich ganz typisch, er wollte erfahrungsgemäß schnell und ohne umfangreiche Beweisaufnahme, die intime Vorgänge in peinlicher Weise hätte aufdecken können und weitere Kosten verursacht hätte, geschieden werden. Die Gefahr, daß er mit der überwiegenden Schuld belastet wurde, lag nahe. Ob insoweit die Auslegung des Vergleichs durch das LSG für das Revisionsgericht nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbindlich ist (vgl dazu BSGE 43, 37, 38 f = SozR 2200 § 1265 Nr 24; § 1265 Nr 31; 3900 § 41 Nr 6, S 34), kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Das Berufungsgericht hat es wesentlich auf die Prozeßaussichten abgestellt. Was es darüber an Tatsachen festgestellt hat, ist verbindlich; der Beklagte greift nur die rechtliche Würdigung unter dem Gesichtspunkt des "verständigen Grundes" an. Das hat das Revisionsgericht uneingeschränkt nachzuprüfen. Falls das Scheidungsurteil - ohne den Vergleich - ein überwiegendes Verschulden dem Kläger auferlegt hätte, hätte er für den späteren Fall einer Bedürftigkeit seiner Ehefrau und eigener Leistungsfähigkeit mit einer Unterhaltspflicht ihr gegenüber rechnen müssen (§ 58 Abs 1, § 59 EheG aF). Angesichts dieser Sachlage konnte er nicht erwarten, daß seine Ehefrau, die allerdings damals weitaus mehr als er verdiente, sich mit einer Scheidung aus beiderseitig gleichem Verschulden ohne Unterhaltsverzicht einverstanden erklärte; ohne diese Preisgabe seinerseits hätte sie dann nämlich mit einer Verpflichtung zum Unterhaltsbeitrag rechnen müssen. Eine solche Sach- und Interessenlage allein mag nicht in jedem Fall einen Unterhaltsverzicht, der eine öffentliche Kasse belastet, als "verständig" bewerten lassen. Im gegenwärtigen Fall kommen aber zwei begründende Umstände hinzu, und diese insgesamt rechtfertigen den Verzicht des Klägers im Sinne des § 1 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 DV.

Dadurch, daß seine geschiedene Ehefrau von der möglichen Belastung durch einen Unterhaltsbeitrag befreit wurde, konnte sie leichter den angemessenen Unterhalt für ihre vier minderjährigen Kinder aufbringen, die im gemeinsamen Haushalt leben. Eine solche Erwägung hat schon der 10. Senat des Bundessozialgerichts als "verständig" in Betracht gezogen (BSG, BVBl 1971, 81).

Außerdem verzichtete der Kläger angesichts der gesamten Umstände, die bei der Billigkeitsentscheidung nach § 60 EheG aF zu berücksichtigen wären, falls er sich nicht selbst unterhalten könnte, nicht auf einen mit Sicherheit zu erwartenden Unterhaltsbeitrag in mehr als geringfügiger Höhe. Dabei sind die Unterhaltspflichten der geschiedenen Ehefrau gegenüber ihren Kindern, ihr eigener besonderer Bedarf, den sie als einzige erwerbstätige Angehörige der fortgesetzten Haushaltsgemeinschaft hat, einerseits (BSG, BVBl 1964, 55), andererseits die Grundrente des Klägers nach dem BVG (§ 31 Abs 1 BVG) anteilig zu berücksichtigen. Der Unterhaltsbedarf der vier minderjährigen Kinder ist durch das Kindergeld von anfangs insgesamt 360,- DM (Bundeskindergeldgesetz idF der Bekanntmachung vom 31. Januar 1975 - BGBl I 412 -/11. Dezember 1975 - BGBl I 3015, 3028 -/18. Dezember 1975 - BGBl I 3091, 3111 -/ab 1. September 1976 idF des Gesetzes vom 18. August 1976 - BGBl I 2213 -) bei weitem nicht gedeckt. Wenn auch grundsätzlich die BVG-Grundrente bei der Ermittlung von Unterhaltsverhältnissen als Einkommen zu bewerten sein mag (für die Rentenversicherung: BSG SozR 2200 § 1266 Nr 6; anderer Ansicht für die KOV: Lange, Versorgungsbeamter 1963, 85), so müßte doch nach ihrer Zweckbestimmung (vgl dazu auch BSGE 30, 21, 25 = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; BSGE 33, 112, 117 = SozR Nr 43 zu § 62 BVG; 3100 § 30 Nr 13) differenziert werden. Soweit sie Mehraufwendungen abgelten soll, wäre dies für einen entsprechenden besonderen Bedarf des Beschädigten anzusetzen. Der Anteil, der immaterielle Schäden ausgleichen soll, dürfte nicht für die Befriedigung des Unterhaltsbedarfs verrechnet werden (Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 2. Aufl 1971, S 448 f; vgl zur Anrechnung auf Arbeitslosenhilfe: BSGE 14, 120, 123 f = SozR Nr 1 zu § 149 AVAVG).

Ein Unterhaltsbeitrag braucht nicht nach einem bundeseinheitlichen Schema (zu § 58 EheG aF zB: BSG SozR Nr 16 zu § 1265 RVO; BSGE 32, 197, 199 f = SozR Nr 58 zu § 1265 RVO; Nr 64 zu § 1265 RVO; BSGE 40, 226; 42, 60, 62 f = SozR 2200 § 1265 Nr 17) oder nach irgendeinem der vielen Berechnungssysteme und Schlüssel, die von Zivilgerichten angewendet werden (Brühl/Göppinger/Mutschler, Rz 305 ff; Kalthoener/Hasse - Becher/Büttner, Die Rechtsprechung der Landgerichte zur Höhe des Unterhalts, 1975, NJW-Schriften 22, Rz 7 ff, 18 ff, 29 f; Köhler aaO S 14 f, 183 f; Henseling, Die Unterhaltsrechtsprechung des Landgerichts in Kassel 1957 bis 1967, 1968), insbesondere nach den verschiedenen, im Landgerichts-Bezirk Itzehoe gebräuchlichen (Kalthoener, aaO, Rz 26, S 13; Rz 32, S 18), genau berechnet zu werden. Überschlägig wäre nicht mit Sicherheit ein Unterhaltsbeitrag in einer so beträchtlichen Höhe zu erwarten gewesen, daß er im Verhältnis zu der Belastung des Beklagten durch die ohne Anrechnung erhöhte Ausgleichsrente als unangemessen hoch zu werten wäre.

Bei der Gesamtwürdigung des "verständigen Grundes" ist im übrigen abweichend von der früheren Rechtsprechung, die den gleichen Rechtsgedanken bei der Anrechnung von Unterhalt aus einer aufgelösten Ehe auf eine wiederaufgelebte Witwenversorgung (§ 44 Abs 2 und 5 BVG) betraf (BSG SozR Nr 11 zu § 44 BVG; BSG vom 19. März 1969 - 10 RV 450/66 -, Bericht in VdK-Mitteilungen 1969, 258; BSG BVBl 1966, 119; 1971, 81), eine liberalere Auslegung geboten; sie hat mehr Rücksicht auf die Entscheidungsfreiheit der Ehegatten zu nehmen und weniger zu Lasten der Versorgungsberechtigten zu entscheiden (Ruland, MDR 1976, 453; für das Beamtenrecht: BVerwGE 31, 197, 200 ff; zur Rentenversicherung: BSG SozR 2200 § 1291 Nr 16; zum Verwirkungstatbestand des § 66 EheG aF: BSGE 40, 260; SozR 3100 § 44 Nr 5). Dies ergibt sich für den Tatbestand des § 44 Abs 5 Satz 3 BVG daraus, daß die Verschuldensklausel des Abs 2 für nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 38, 187 = SozR 3100 § 44 Nr 2) und demnach das Wiederaufleben nicht mehr vom Verhalten der Witwe, das zur Eheauflösung geführt hat, abhängig ist. Davon ist allerdings die Anrechnungsvorschrift des § 44 Abs 5 BVG grundsätzlich unberührt geblieben (BVerfGE 38, 200 f, 205 f). Gleichwohl beeinflußt diese verfassungsmäßige Lage beim Wiederaufleben auch die Auslegung des Begriffes "verständiger Grund" in Abs 5 Satz 3. Obwohl diese rechtlichen Gesichtspunkte nicht unmittelbar für den vorliegenden Fall, in dem ein Anspruch auf eine Beschädigten-Ausgleichsrente umstritten ist, uneingeschränkt gelten, ist doch auch hier bei der Abwägung, wie sie zuvor vorgenommen worden ist, der im personenrechtlichen Bereich gültigen Entscheidungsfreiheit kein zu geringes Gewicht gegenüber den rein wirtschaftlichen Interessen der öffentlichen Hand beizumessen. Die Beschädigtenversorgung soll ebenso wie die wiederaufgelebte Witwenversorgung vom Verhalten, das zur Ehescheidung geführt hat, unabhängig sein. Versteht man demgemäß auch die Regelung des § 1 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 DV zu § 33 BVG als eine eng zu handhabende Mißbrauchsklausel (Ruland, aaO, S 458), so nähert sich die Auslegung des Begriffes "verständiger Grund" in diesem Zusammenhang dem Inhalt des Begriffes "gute Sitten" in § 72 Satz 3 EheG aF.

Demnach kann die Revision des Beklagten keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1980, 132

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