Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenhauspflege bei Tuberkulose

 

Leitsatz (amtlich)

Die 2jährige Verjährungsfrist für Ansprüche auf Kassenleistungen (RVO § 223 Abs 1) gilt auch, wenn Leistungsansprüche eines Versicherten auf einen Dritten übergeleitet werden (zB auf den Sozialhilfeträger nach BSHG § 90) oder wenn der Dritte wegen Unterstützung des Versicherten einen Ersatzanspruch gegen die KK erhebt (Fortführung von BSG 1966-02-25 3 RK 9/63 = BSGE 24, 260).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Krankenhauspflege (§§ 184, 205 RVO) wegen Tuberkulose ist gegenüber der Tuberkulosehilfe des Sozialhilfeträgers oder des öffentlichen Dienstherrn vorrangig zu gewähren; entgegenstehenden Bestimmungen der Versicherungsbedingungen einer Ersatzkasse sind unzulässig.

2. Ist die stationäre Behandlung wegen einer Tuberkulose medizinisch erforderlich, so darf die Krankenkasse die Krankenhauspflege nicht verweigern. Der Anspruch auf Krankenhauspflege (§ 184 RVO) geht dem Anspruch auf Tuberkulosehilfe sowohl gegen den Träger der Sozialhilfe als auch gegen den Dienstherrn vor. Diese vorrangige Leistungspflicht kann auch für die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder weder durch die Satzung noch durch die sie ergänzenden Versicherungsbedingungen der Ersatzkasse ausgeschlossen werden.

 

Normenkette

RVO § 223 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19; BSHG § 90; RVO § 184 Abs. 1, § 205

 

Tenor

Die Revision des Klägers und die Anschlußrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Juli 1971 werden zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten - das klagende Land und die beklagte Ersatzkasse - streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die von ihm übernommenen Kosten mehrerer stationärer Tuberkulose-Behandlungen des inzwischen verstorbenen, bei der Beklagten freiwillig versichert gewesenen Regierungsobersekretärs B (B.) zu erstatten. B. war u. a. vom 13. Juni bis 22. Oktober 1962, vom 25. bis 30. Oktober 1962, vom 27. Februar bis zum 6. März 1964 und vom 26. Juli bis zum 19. September 1965 in Heilstättenbehandlung. Die Kosten früherer Behandlungen (zwischen Februar 1961 und Mai 1962) hat die Beklagte dem Kläger aufgrund eines rechtskräftigen Urteils des Senats vom 23. November 1966 (SozR Nr. 8 zu § 4 der 12. AufbauVO vom 24. Dezember 1935) nach dem seinerzeit noch gültigen Tbc-Hilfegesetz ersetzt. Während dieser Rechtsstreit noch schwebte, leitete der Kläger "als Dienstherr" des B. nach dessen Wiederaufnahme in eine Heilstätte im Juli 1965 seine Leistungsansprüche gegen die Beklagte gemäß § 90 des am 1. Juni 1962 in Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf sich über. Insoweit, d. h. wegen der auf die letzte Behandlungszeit (26. Juli bis 19. September 1965) entfallenden Kosten, hat das Landessozialgericht (LSG) dem Erstattungsbegehren des Klägers stattgegeben. Wegen der übrigen, die Behandlungszeiten zwischen dem 13. Juni 1962 und dem 6. März 1964 betreffenden Kosten hat es dagegen den - erstmals im Mai 1967 erhobenen - Ersatzanspruch für unbegründet gehalten; insoweit habe nämlich der Kläger die Behandlungskosten nicht als Dienstherr des B., sondern als Sozialhilfeträger nach § 59 BSHG a. F. getragen, so daß er seinen Ersatzanspruch nach §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) innerhalb einer sechsmonatigen Ausschlußfrist (§ 1539 RVO) hätte anmelden müssen, was nicht geschehen sei, wie die Beklagte mit Recht eingewendet habe (Urteil vom 6. Juli 1971).

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und geltend gemacht, das LSG habe nicht genügend berücksichtigt, daß B. Landesbeamter gewesen sei; deshalb habe das Land die Tbc-Hilfe nicht als Sozialhilfeträger, sondern als Dienstherr gewährt. Die Ansprüche des Versicherten gegen die Beklagte habe das Land schon durch eine Überleitungsanzeige vom 15. Februar 1961 auf sich übergeleitet. Diese Anzeige sei auch für die folgenden Behandlungszeiträume wirksam geblieben. Im übrigen habe das Land gegen die Beklagte auch einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erworben. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Urteils zur Zahlung weiterer 3.123,38 DM zu verurteilen.

Die Beklagte hat Anschlußrevision eingelegt. Mit ihr beantragt sie die Abweisung der Klage auch insoweit, als das LSG ihr stattgegeben hat. Ihrer Ansicht nach steht dem Kläger kein Ersatzanspruch zu, weil nach einer Bestimmung ihrer Versicherungsbedingungen (§ 11 Nr. 3 Buchst. b) nichtversicherungspflichtige Mitglieder keine Leistungsansprüche für Krankenhauspflege und Heilstättenbehandlung hätten, deren Kosten nach dem BSHG von anderer Seite zu tragen seien. Im Falle des Landesbeamten B. sei Kostenträger der Kläger als Dienstherr gewesen.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat ihm einen Ersatzanspruch wegen der für Zeiten zwischen dem 13. Juni 1962 und dem 6. März 1964 aufgewendeten Behandlungskosten mit Recht versagt.

Dabei kann es für die Entscheidung des Rechtsstreits offenbleiben, ob der Kläger, wie das LSG angenommen hat, die streitigen Behandlungskosten als Sozialhilfeträger übernommen hat - dafür sprechen in der Tat Kopf und Inhalt der an die Beklagte gerichteten Schreiben des Klägers - oder ob man der Ansicht des Klägers folgt, er habe die Tbc-Hilfe als Dienstherr des erkrankten Beamten geleistet. Im ersten Fall wäre der Ersatzanspruch des Klägers, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nach § 59 BSHG aF in Verbindung mit §§ 1531 ff RVO zu beurteilen; er hätte deshalb auch der in § 1539 RVO bestimmten Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Ablauf der Unterstützung unterlegen. Da der Kläger seinen Ersatzanspruch für die genannte Zeit erst lange nach Fristablauf - im Mai 1967 - angemeldet hat, wäre der Anspruch nach § 1539 RVO ausgeschlossen.

Hätte der Kläger dagegen die Behandlungskosten als Dienstherr nach § 127 BSHG in Verbindung mit dem einschlägigen Landesrecht getragen, so würde zwar dem Ersatzanspruch nicht § 1539 RVO entgegenstehen, da für Ansprüche des Dienstherrn die §§ 1531 ff RVO nicht gelten; diese Vorschriften sind insoweit weder über § 59 BSHG, der in § 127 Abs. 4 BSHG ausdrücklich nicht mitgenannt ist, noch über § 1541 RVO anwendbar, der unter den Trägern der Tbc-Hilfe nur die Sozialhilfeträger erwähnt. Als Anspruchsgrundlage käme dann vielmehr nur eine Überleitung von Ansprüchen des Versicherten auf den Dienstherrn nach § 90 BSHG oder der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. In beiden Fällen wäre indessen der Ersatzanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Verjährung unbegründet.

Nach § 223 Abs. 1 RVO verjähren Ansprüche auf Kassenleistungen in zwei Jahren nach dem Tage ihrer Entstehung. Diese Vorschrift ist auch anwendbar, wenn Ansprüche eines Versicherten auf einen Dritten übergeleitet werden oder dieser wegen Unterstützung des Versicherten einen Ersatzanspruch gegen die Krankenkasse erhebt; denn das Schutzbedürfnis der Krankenkasse ist nicht geringer, wenn sie, anstatt vom Versicherten, von einem Dritten in Anspruch genommen wird (vgl. BSG 24, 260, 262 zur entsprechenden Anwendung des § 223 Abs. 1 RVO auf Ersatzforderungen von Krankenkassen). Als der Kläger seinen Ersatzanspruch für die Behandlungszeiten zwischen dem 13. Juni 1962 und dem 6. März 1964 im Mai 1967 erstmals bei der Beklagten geltend machte, war die zweijährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen. Darauf hat sich die Beklagte auch berufen, in dem sie dem Kläger vor dem LSG - unter dem damals im Vordergrund der Erörterungen stehenden rechtlichen Gesichtspunkten des § 1539 RVO - entgegengehalten hat, er habe seinen Ersatzanspruch nicht rechtzeitig verfolgt.

Unbegründet ist andererseits auch die Anschlußrevision der Beklagten, mit der sie sich gegen ihre Verurteilung zur Befriedigung eines Ersatzanspruchs des Klägers für die Behandlungszeit vom 26. Juli bis zum 19. Juni 1965 wendet. Wie der Senat schon im Urteil vom 24. Mai 1972 (SozR Nr. 34 zu § 184 RVO) für den zeitlichen Geltungsbereich des BSHG entschieden hat, ist die von der Beklagten angeführte Bestimmung ihrer Versicherungsbedingungen, auf die sie die Ablehnung des Klaganspruchs in der Sache allein stützt und stützen kann, nicht vereinbar mit den Regelungen des BSHG über den Vorrang der von den Trägern der Krankenversicherung zu gewährenden Krankenhauspflege. Das LSG hat deshalb dem - insoweit rechtzeitig angemeldeten - Ersatzanspruch des Klägers mit Recht stattgegeben. Die Anschlußrevision der Beklagten ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1973, 1768

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