Leitsatz (amtlich)

1. Im Saarland war beim Erlaß von Umanerkennungsbescheiden auf Grund des EGBVG SL die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Beschädigten unabhängig von dem nach Reichs- und saarländischem Recht zuerkannten Minderung der Erwerbsfähigkeits-Grad und unabhängig vom Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 Abs 1 nach den im Zeitpunkt der Umanerkennung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen zu bemessen (Anschluß an BSG 1966-08-18 8 RV 1069/64 = BSGE 25, 153).

2. Bei dieser Umstellung der Versorgungsbezüge im Saarland vom 1960-06-01 an liegt eine Verletzung der Eigentumsgarantie des GG Art 14 Abs 1 schon im Hinblick auf den nach EGBVG SL Art 1 § 4 zu gewährenden Ausgleich nicht vor.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; GG Art. 14 Abs. 1; BVG § 85 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 86 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20; BVGSaarEG Art. 1 §§ 4, 2 Abs. 1, § 3 S. 4

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland in Saarbrücken vom 26. Oktober 1965 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Als Dienstbeschädigungen aus dem Ersten Weltkrieg stellte das Versorgungsamt S im Anschluß an den Bescheid vom 3. Dezember 1941 durch Bescheid vom 5. März 1952 nach dem Reichsversorgungsgesetz (RVG) bei dem Kläger beiderseitige Schwerhörigkeit und Narben am rechten Oberarm nach Granatsplitterverletzung und -entfernung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. fest. Mit Bescheid vom 14. August 1952 wurden auf Grund von 1945 erlittenen Verletzungen nach der Personenschädenverordnung vom 1. September 1939 in der Fassung vom 10. November 1940 (RGBl I 1479) als Personenschäden Versteifung des linken Zeigefingers im Mittelgelenk nach Bombensplitterverletzung sowie Steckschuß im rechten Oberschenkel anerkannt und zusammen mit der Dienstbeschädigung mit einer MdE um 100 v.H. bewertet. Der auf Grund des Gesetzes zur Einführung des Bundesversorgungsgesetzes im Saarland (EinfG) vom 16. August 1961 (BGBl I 1292) nach ärztlicher Untersuchung erlassene Umanerkennungsbescheid vom 18. Dezember 1963 übernahm die früheren Leidensbezeichnungen; die beiderseitige Schwerhörigkeit wurde als durch den militärischen Dienst verschlimmert, die übrigen Gesundheitsstörungen wurden im Sinne der Entstehung anerkannt. Die MdE wurde ab 1. Juni 1960 auf 60 v.H. festgestellt und um 20 v.H. auf 80 v.H. wegen beruflichen Betroffenseins erhöht. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Dezember 1963 war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) lud die Bundesrepublik Deutschland bei und hörte Dr. S., der die Auffassung vertrat, daß die Verhältnisse sich nicht geändert hätten. Das SG für das Saarland in Saarbrücken änderte durch Urteil vom 26. Oktober 1965 den Bescheid vom 18. Dezember 1963 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1964 und verurteilte den Beklagten, dem Kläger über den 31. Mai 1960 hinaus Rente nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren; es ließ die Berufung zu. Nach der Stellungnahme des Dr. S. sei eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Deshalb habe der Beklagte die Rente nicht neu feststellen dürfen. Aus der Anwendbarkeit des § 85 Bundesversorgungsgesetz (BVG) gemäß Art. I § 2 Abs. 1 EinfG ergebe sich nicht, daß die Bindungswirkung der nach früherem Recht ergangenen Entscheidungen nur auf die Rechtsverbindlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis beschränkt sei. Die Einführung des BVG im Saarland habe unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des sozialen Besitzstandes gestanden. Dies ergebe sich aus Art. I § 3 Satz 4 EinfG. Durch diese Vorschrift sei Abs. 2 des Entwurfs, der eine Neufeststellung der Rente binnen vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes ohne den Nachweis einer wesentlichen Änderung zugelassen habe, durch die Bestimmung ersetzt worden, daß bei der Anwendung des § 62 BVG von den Verhältnissen auszugehen sei, die für die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes maßgebend waren. Eine nach saarländischem Recht getroffene Einstufung der MdE habe deshalb nur unter den strengeren Voraussetzungen des § 62 BVG zum Nachteil des Versorgungsempfängers geändert werden können. Diese Auslegung des Gesetzes stehe auch im Einklang mit Art. 14 des Grundgesetzes (GG), dessen Schutz nach herrschender Meinung auch die durch eigenverantwortliche Leistung als öffentliche Berechtigungen erworbenen Vermögenswerte umfasse; eine eigenverantwortliche Leistung in diesem Sinne sei auch der Einsatz von Leben und Gesundheit.

Mit der Sprungrevision rügt der Beklagte Verletzung des Art. I §§ 2, 3 EinfG. Das SG habe verkannt, daß durch die Bezugnahme auf § 85 BVG in Art. I § 2 Abs. 1 EinfG früheren Entscheidungen Bindungswirkung nur in der Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang beigelegt worden sei. Das SG habe übersehen, daß § 62 bei der Umanerkennung nach dem BVG keine Bedeutung habe, weil die Anwendung dieser Vorschrift eine bindende Entscheidung voraussetze. Wenn es in Art. 1 § 3 Satz 4 EinfG heiße, daß bei der Anwendung des § 62 BVG von den Verhältnissen auszugehen sei, die für die Feststellung der MdE nach den Vorschriften des Saarlandes maßgebend waren, so könne es sich nur um die erste Neufeststellung nach dem BVG handeln, der eine Umanerkennung ohne ärztliche Nachuntersuchung vorausgegangen, bei der somit der MdE-Grad des früheren Bescheides übernommen worden sei. Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenleiden Dr. D habe auf Grund der vor Erlaß des Umanerkennungsbescheides durchgeführten Untersuchung die MdE auf seinem Fachgebiet mit 50 v.H. angegeben. Da nach der Stellungnahme des Leitenden Arztes des Versorgungsamtes die Gesamt-MdE auf 60 v.H. und wegen des beruflichen Betroffenseins auf 80 v.H. erhöht worden sei, entspreche dieser Grad der MdE den tatsächlichen Verhältnissen. Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 18. Dezember 1963 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1964 abzuweisen.

Die Beigeladene ist den Ausführungen des Beklagten beigetreten. Art. I § 3 letzter Satz EinfG betreffe allein die Fälle der Neufeststellung im technischen Sinn, d.h. die Feststellungen im Anschluß an eine Erstfeststellung nach dem BVG.

Der Kläger beantragt, die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend; die darin vertretene Rechtsauffassung werde auch durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. August 1965 (BSG 23, 283) gestützt.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Da das SG die Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen und der Beklagte bei Einlegung der Revision die Einwilligung des Klägers nach § 161 Abs. 1 SGG vorgelegt hat, ist die Sprungrevision statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig. Sie ist sachlich im Sinne der Zurückverweisung an das Sozialgericht begründet.

Streitig ist, ob der Beklagte in dem Umanerkennungsbescheid vom 18. Dezember 1963 von einer MdE um 100 v.H. ausgehen mußte, die der 1952 nach dem RVG erlassene Bescheid festgestellt hatte, oder ob er berechtigt war, den Grad der MdE im Umanerkennungsbescheid nach den Verhältnissen zu bemessen, die zur Zeit des Inkrafttretens des EinfG (1. Juni 1960) oder später bestanden. Das SG hat zu Unrecht dem Art. I § 3 Satz 4 EinfG entnommen, daß die Versorgungsbehörde bei Feststellung der Bezüge nach dem BVG an die nach den Vorschriften des Saarlandes festgestellte MdE um 100 v.H. gebunden gewesen sei. Der 8. Senat des BSG hat in dem Urteil vom 18. August 1966 - 8 RV 1069/64 - (BSG 25, 153, 155) festgestellt, daß gemäß Art. I § 2 Abs. 1 EinfG bei der Umanerkennung im Saarland, ähnlich wie bei der Einführung des BVG im Bundesgebiet, die Zusammenhangsfrage nicht mehr geprüft werden darf, und daß darüber hinaus die Besitzstandswahrung durch die Tatbestände der §§ 4 (Vergleich der Leistungsansprüche und ihrer Höhe nach bisherigem Recht und nach dem BVG), 5 (Erweiterung des berechtigten Personenkreises) und 6 (Bestandskraft von Härteausgleichen und Zuwendungen) EinfG erweitert worden ist, im übrigen aber die Versorgungsverwaltung bei der Beurteilung des Sachverhalts freie Hand hatte. Dies gelte insbesondere auch für den Grad der MdE, der erst auf Grund einer neuen Prüfung festgestellt werden könne. Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung und ihrer Begründung an, die zwar nur den Anspruch auf eine Pflegezulage, im übrigen aber dieselbe auch hier zu entscheidende Rechtsfrage betraf. Soweit in dem Urteil des Senats vom 26. August 1965 - 9 RV 1034/64 - (BSG 23, 283, 291) die Auffassung vertreten worden ist, daß Art. I § 3 letzter Satz EinfG den rechtlichen Besitzstand garantiere, wird an dieser Auffassung nicht mehr festgehalten.

Die Fortwirkung von Entscheidungen, die nach saarländischem Recht ergangen waren, hing allein davon ab, ob und inwieweit das neue Recht (EinfG) ihnen noch Bedeutung für die künftige Versorgung zuerkannte. Mit der Einführung des BVG im Saarland gemäß Art. I § 1 Abs. 1 EinfG und dem Außerkrafttreten aller entgegenstehenden oder inhaltsgleichen Vorschriften des Saarlandes nach Art. III EinfG war dem früheren Recht die Grundlage entzogen; es waren somit keine anderen Rechtsgrundsätze anzuwenden als die, von denen das BSG in ständiger Rechtsprechung ausgegangen ist, wenn frühere Versorgungsgesetze durch ein neues Versorgungsgesetz abgelöst worden waren (BSG 1, 164; 3, 255; 4, 23; 10, 251; vgl. auch BSG 19, 247, 251). Als Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Versorgung unabhängig von den bisherigen Gesetzen und den auf ihnen beruhenden Entscheidungen nach den Vorschriften des BVG festzustellen sei, ist in Art. I § 2 Abs. 1 EinfG die Rechtsverbindlichkeit der nach saarländischem Recht oder vor dem Zusammenbruch im Jahre 1945 nach Reichsrecht getroffenen Entscheidungen über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG bestimmt worden (vgl. auch Deutscher Bundestag, 3. Wahlp., Drucks. 2690, Begründung zum Entwurf des Gesetzes S. 5 zu § 2). Daneben sind in Art. I §§ 4 ff EinfG Einzelregelungen getroffen worden, die als Besitzstands- oder Härtebestimmungen ausschließlich auf dem neuen Recht beruhen. Wenn aber der Gesetzgeber hätte bestimmen wollen, daß bei der Umstellung nach dem BVG der in früheren Bescheiden zugrunde gelegte MdE-Grad übernommen werden müsse, ohne daß sich die Verhältnisse geändert hatten, so hätte nach der Systematik des EinfG eine solche Regelung in Art. I § 2 EinfG auch ausdrücklich getroffen werden müssen. Da dies nicht geschehen ist, kann die in Art. I § 3 Satz 1 EinfG bestimmte "Umstellung der Versorgung auf das Bundesversorgungsgesetz" nur bedeuten, daß die Versorgungsbezüge in Zukunft nach den Bestimmungen des BVG und damit auf Grund des tatsächlich bestehenden MdE-Grades zu ermitteln sind. Die in Art. I § 3 EinfG bestimmte "Umstellung" ist somit keine Umrechnung der Bezüge auf der Grundlage einer früher zuerkannten MdE. Für die Feststellung der MdE bei der Umanerkennung ist insoweit die Rechtslage nicht anders als bei der Einführung des BVG im Jahre 1950 (vgl. BSG 2, 263, 264). Art. I § 2 Abs. 1 EinfG ist in bewußter Anlehnung an § 85 BVG gefaßt worden und kann deshalb nicht anders als diese Vorschrift ausgelegt werden. In der Begründung des Entwurfs zu § 2 heißt es: "Was § 85 BVG für die vor Inkrafttreten des BVG (1.10.1950) getroffenen Entscheidungen bedeutet, bedeutet Abs. 1 für die nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes getroffenen Entscheidungen" (Deutscher Bundestag, 3. Wahlper., Drucks. 2690 S. 5 zu § 2). Deshalb läßt § 2 Abs. 1 EinfG nur die Auslegung zu, daß ausschließlich in der Frage des ursächlichen Zusammenhangs den nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes ergangenen Entscheidungen Rechtsverbindlichkeit für die Entscheidung nach dem BVG zukommen soll. Auch die Entscheidung in BSG 2, 263, die die Umanerkennung nach § 86 Abs. 1 (nicht die Neufeststellung nach Abs. 3) BVG betraf, ist im Gegensatz zu der von dem Kläger vertretenen Auffassung nur damit begründet, daß das BVG unabhängig von den bisherigen Gesetzen und neu die Versorgung aller Personen regele, die durch den militärischen Dienst und diesem gleichgestellte Vorgänge eine Gesundheitsschädigung erlitten haben, daß es neue Tatbestände aufstelle, die vom Inkrafttreten des BVG an allein die Grundlage der Versorgung bilden, daß es in § 84 Abs. 2 die früheren Versorgungsgesetze außer Kraft setze, und daß eine Bindung an frühere Entscheidungen im wesentlichen nur in § 85 Satz 1 BVG über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG ausgesprochen worden sei (BSG 2, 264).

Eine andere Auslegung des Gesetzes läßt sich auch nicht auf Art. I § 3 Satz 4 EinfG stützen. Nach dieser Vorschrift ist bei der Anwendung des § 62 BVG von den Verhältnissen auszugehen, die für die Feststellung der MdE nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes maßgebend waren. Dieser Satz ist an die Stelle des im Entwurf vorgesehenen Absatzes 2 des § 3 getreten, der ähnlich wie § 86 Abs. 3 BVG idF vom 20. Dezember 1950 (BGBl I 791) auch ohne eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG binnen vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Neufeststellung der Rente zulassen wollte, wenn bei der Umstellung der Versorgung die nach den Vorschriften des Saarlandes anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne Nachuntersuchung übernommen worden war (vgl. Deutscher Bundestag, 3. Wahlp., Drucks. 2690 S. 2 (Entwurf) und Deutscher Bundestag, 3. Wahlp., Drucks. 2853 S. 4 zu § 3 - Schriftlicher Bericht des 22. Ausschusses des Bundestages vom 15.6.1961 -). Da die im Entwurf vorgesehene Regelung nicht Gesetz geworden ist, hatte die Versorgungsverwaltung auch nicht das Recht, binnen vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes die MdE - nach vorangegangenem Umanerkennungsbescheid - ohne den Nachweis einer wesentlichen Änderung neu festzustellen. Sie wurde aber durch Art. I §§ 2, 3 Satz 1 EinfG ermächtigt, ohne Rücksicht darauf, ob die Verhältnisse sich nach der letzten Feststellung geändert hatten, im Umanerkennungsbescheid die Bezüge nach dem zur Zeit des Inkrafttretens des BVG sich ergebenden MdE-Grad festzustellen. Der ersatzlose Wegfall des Abs. 2 in Art. I § 3 EinfG hätte jedoch zu der Auslegung führen können, daß die Versorgungsverwaltung auch dann an den im Umanerkennungsbescheid übernommenen MdE-Grad gebunden sei, wenn eine Nachuntersuchung nicht stattgefunden hatte, da bei der Beurteilung der wesentlichen Änderung im Sinne des § 62 BVG der nach dem BVG erlassene Erstbescheid (Umanerkennungsbescheid) zugrunde zu legen war. Um diese Rechtsfolge auszuschließen, war die Einführung von Satz 4 in § 3 EinfG geboten. Diese Vorschrift stellt sich als eine Ausnahme von der Bindungswirkung des § 77 SGG und sachlich als eine Lockerung der Voraussetzungen des § 62 BVG in diesem besonderen Falle dar. Sie kam aber nur für die Fälle in Betracht, in denen bei der Umstellung der Versorgung auf das BVG die Änderung der Verhältnisse seit dem letzten saarländischen Bescheid nicht geprüft worden war, insbesondere eine Nachuntersuchung nicht stattgefunden hatte; denn soweit eine Prüfung bei Erlaß des Umanerkennungsbescheides schon erfolgt war, ergab sich die Bindungswirkung des Umanerkennungsbescheides bereits aus § 77 SGG. Demgemäß heißt es in dem Schriftlichen Bericht des 22. Ausschusses des Bundestages vom 15. Juni 1961 zu § 3, die einstimmig beschlossene Ergänzung des ehemaligen Absatzes 1 sei nach Streichung des Absatzes 2 notwendig geworden, um sicherzustellen, daß auch solche Änderungen der Verhältnisse zu einer Neufeststellung nach § 62 BVG führen können, die vor der Umstellung der Versorgung auf das neue Recht eingetreten sind (Deutscher Bundestag, 3. Wahlp., Drucks. 2853 S. 1 zu § 3). Die Versorgungsverwaltung sollte damit sicher nicht das Recht erhalten, eine in dem Umanerkennungsbescheid nach ärztlicher Untersuchung verneinte Besserung des Gesundheitszustandes später bei Erlaß eines Neufeststellungsbescheides für die Zeit vor Erlaß des Umanerkennungsbescheides einer erneuten Prüfung zu unterziehen oder in anderer Weise den Bescheid, der nach sachlicher Prüfung der zur Zeit der Umanerkennung bestehenden Verhältnisse erlassen worden war, wieder zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten abzuändern. Es blieben somit nur noch die Fälle übrig, in denen der Umanerkennungsbescheid ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme der früher zuerkannten MdE erlassen worden war, in denen also insbesondere noch keine Prüfung, ob sich die Verhältnisse geändert hatten, erfolgt war. Die in Art. I § 3 Satz 4 EinfG getroffene Regelung hat sonach nur etwas mit den Voraussetzungen einer Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse, dagegen nichts mit der Frage zu tun, ob die Versorgungsbehörde berechtigt war, bei Erlaß des Umanerkennungsbescheides von dem MdE-Grad auszugehen, der bei Anwendung der Vorschriften des BVG berechtigt war. Diese Frage kann nur aus der in § 2 Abs. 1 EinfG getroffenen Ausnahmeregelung - durch Gegenschluß - beantwortet werden.

Der hier vertretenen Auffassung stehen auch nicht die Ausführungen in dem Schriftlichen Bericht des 22. Ausschusses zu der in der 181. Sitzung des Bundestages vom 14. Dezember 1956 gefaßten Entschließungen zur Besitzstandswahrung entgegen. Denn in den einleitenden Bemerkungen dieses Berichts ist ausdrücklich hervorgehoben, im Ausschuß habe Einmütigkeit darüber geherrscht, daß der persönliche Besitzstand ohne zeitliche Begrenzung erhalten bleiben müsse. Hinsichtlich der Wahrung des rechtlichen Besitzstandes habe keine Übereinstimmung erzielt werden können (Deutscher Bundestag, 3. Wahlp., Drucks. 2853 S. 1). Zu § 3 des Entwurfs ist in dem Bericht weiter ausgeführt, daß "unter Berücksichtigung des Grundsatzes der persönlichen Besitzstandswahrung" der Ausschuß einstimmig beschlossen habe, den Absatz 2 ersatzlos zu streichen. Diese Streichung sei u.a. mit Rücksicht auf das Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen an den Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Französischen Republik vom 27. Oktober 1956 (Anlage zum Saar-Vertrag, BGBl II 1828) für vertretbar gehalten worden. In diesem Brief des Bundesministers des Auswärtigen wurde unter Bezugnahme auf Art. 96 des Vertrages zur Regelung der Saarfrage (BGBl II 1589, 1638) die Erzielung eines Einverständnisses darüber bestätigt, daß die im Verhältnis zwischen dem Saarland und Frankreich bei Inkrafttreten des Vertrages angewendete Regelung auf dem Gebiet der Versorgung der Kriegsopfer ... aufrechterhalten bleibt, vorbehaltlich anderweitiger Entscheidung einer der beiden Regierungen, die der anderen Regierung rechtzeitig mitzuteilen ist. Wenn der 22. Ausschuß des Bundestages in diesem Schreiben die Zusicherung des persönlichen Besitzstandes erblickt hat und sich demgemäß nicht eindeutig für die Erhaltung eines rechtlichen Besitzstandes (etwa durch Gewährung einer Rente nach der bisher anerkannten MdE) ausgesprochen hat, so handelte es sich um Erwägungen, die in dem Schriftlichen Bericht zwar zutreffend zu § 4, der die Gewährung des persönlichen Besitzstandes hinsichtlich der Höhe der Bezüge betrifft, hervorgehoben wurden, die aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der in Art. I § 3 EinfG angeordneten Umstellung auf das BVG, den Voraussetzungen eines Neufeststellungsbescheides wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nach § 62 BVG und der Streichung des Absatzes 2 des Entwurfs standen. Insoweit waren die Ausführungen in dem Schriftlichen Bericht des 22. Ausschusses zu § 3 geeignet, unrichtige Vorstellungen hervorzurufen; diese können aber nicht für die Auslegung des § 3 EinfG maßgebend sein, da sich aus ihm Sinn und Zweck der in dieser Vorschrift enthaltenen Regelung hinreichend deutlich ergibt und die von dem 22. Ausschuß erstrebte Erhaltung des persönlichen Besitzstandes allein schon durch die Fassung von Art. I § 4 EinfG gewährleistet ist.

Der hier vertretenen Auslegung steht auch nicht die verfassungsmäßig nach Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentumsgarantie entgegen. Zwar sind die Meinungen darüber nicht einheitlich, ob und in welchem Umfang subjektive öffentliche Rechte "Eigentum" im Sinne dieser Vorschrift sein können (vgl. die Nachweise bei v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 1, Art. 14, Anm. III 1 c; Leibholz/Rinck, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Art. 14, Anm. 2, 3; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 14, Anm. 4). Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) umfaßt dieser Begriff grundsätzlich nicht solche öffentlich-rechtlichen Ansprüche, die der Staat in Erfüllung seiner "Fürsorgepflicht" durch Gesetz einräumt (BVerfG 2, 381, 402; 3, 153; 15, 200; 16, 113). Damit sind nicht nur die Ansprüche auf Fürsorgeleistungen im engeren Sinn (nach dem Sozialhilfegesetz) gemeint. Maßgebend ist nach dieser Rechtsprechung, ob im Einzelfall das subjektive öffentliche Recht dem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht (BVerfG 15, 200), und inwieweit es sich als Äquivalent eigener Leistung erweist oder auf staatlicher Gewährung beruht (BVerfG 18, 397; 14, 294). Wenn der Staat seine Verpflichtung, nach Kräften das Schicksal der Kriegshinterbliebenen zu wenden, willkürlich, d.h. ohne sachlichen Grund, versäumen würde, so könnte nach Auffassung des BVerfG daraus möglicherweise dem Einzelnen ein mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch erwachsen (BVerfG 1, 104, 105). Im übrigen handelt es sich aber bei dem Versuch des Staates, den Opfern allgemeiner Katastrophen, "besonders den Opfern der Kriege zu helfen", um Maßnahmen besonderer Art, die sich zwar aus der Verpflichtung zu sozialer Aktivität ergeben, die aber nicht mit einem zivilrechtlichen Schadensersatz für weggenommenes Gut oder verschuldeten Körperschaden verglichen werden können (BVerfG 1, 104-106). Hiernach dürfte es trotz der durch den Krieg erlittenen Schädigung an dem in Art. 14 vorausgesetzten, dem Betroffenen zugemuteten "Sonderopfer" fehlen (vgl. BVerfG 18, 339). Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die aus der Kriegsopferversorgung sich ergebenden Ansprüche schlechthin nicht unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG fallen können (so im Ergebnis z.B. Dürig in Festschrift für Apelt S. 50-52 mit weiteren Hinweisen in Anm. 108, S. 52; BGH 9, 83, 87; 20, 61, 64; grundsätzlich a.M. insbesondere Berg mit zahlreichen Nachweisen in Festschrift für Walter Bogs, Sozialenquête und Sozialrecht (1967), S. 25-30, da der Entschädigungsanspruch als Aufopferungsanspruch rechtsstaatlichen Charakter für ein dem Betroffenen aufgezwungenes besonderes Opfer trage - S. 29 -). Selbst für die wesentlich auf der Beitragspflicht als eigener Leistung beruhende gesetzliche Krankenversicherung ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, daß aus dem grundgesetzlichen Gebot zu sozialstaatlichem Handeln gemäß Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG nicht eine Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung der Rechte aus der Sozialversicherung abgeleitet werden kann (BSG 15, 76; vgl. auch BVerfG 2, 380, 402). Die Verfassung ermächtigt den Gesetzgeber, "Inhalt und Schranken" des Eigentums zu bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), soweit dabei das Grundrecht Eigentum nicht "in seinem Wesensgehalt" angetastet wird (Art. 19 Abs. 2 GG). Art. 14 GG bedeutet somit keine "Zementierung" der bestehenden Sozialordnung, soweit darin gesetzliche Leistungen normiert sind. Rentenkürzungen sind nach Auffassung der gemäß Beschluß der Bundesregierung vom 29. April 1964 bestimmten Enquête-Kommission zulässig, solange sie den verfassungsmäßig unabdingbar geschützten Kernbereich der Rentenansprüche nicht berühren und der gekürzten Rente noch der Rechtscharakter etwa einer Sozialversicherungsrente zuzusprechen ist (Soziale Sicherung, Sozialenquête in der Bundesrepublik, Nr. 126, 127 S. 58). Im vorliegenden Falle kommt die Verletzung einer Eigentumsgarantie des Art. 14 GG aber schon deswegen nicht in Betracht, weil dem Kläger die vermögensrechtliche Position, die er auf Grund der Anwendung des saarländischen Rechts erlangt hatte, gar nicht genommen oder geschmälert wird, denn ihm ist ein Ausgleich nach Art. I § 4 EinfG zu gewähren, soweit der Gesamtbetrag der nach dem Bundesversorgungsgesetz zu zahlenden Versorgungsbezüge niedriger ist als der Gesamtbetrag, der bei Anwendung der Rechtsvorschriften des Saarlandes zu zahlen wäre (vgl. auch für das Recht der Sozialversicherung BSG 23, 62).

Nach alledem war der Beklagte berechtigt, bei der Umanerkennung gemäß Bescheid vom 18. Dezember 1963 die auf Grund der vorangegangenen ärztlichen Untersuchung unter Berücksichtigung des beruflichen Betroffenseins gerechtfertigte MdE der Berechnung der Bezüge nach dem BVG zugrunde zu legen. Da das angefochtene Urteil die §§ 2, 3 des Art. I des EinfG verletzt hat, war es aufzuheben. Das SG hat zwar unter Bezugnahme auf die im einzelnen nicht näher begründete Stellungnahme des Dr. S. ausgeführt, daß in dem Gesundheitszustand des Klägers eine Änderung nicht eingetreten sei. Das Urteil beruht aber allein auf der Erwägung, daß der Kläger auf Grund des Einführungsgesetzes Anspruch auf Rente nach einer MdE um 100 v.H. habe. Der Kläger hat im ersten Rechtszuge geltend gemacht, daß seine MdE nach seiner körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben höher als mit 60 v.H. zu bewerten sei. Auf die von ihm geltend gemachten Beschwerden sind Dr. S. und das SG nicht näher eingegangen. Ferner hat der Bescheid vom 18. Dezember 1963 bei dem Vergleich der nach dem BVG zu gewährenden Bezüge mit den Bezügen, die nach saarländischem Recht zu zahlen wären (Art. I § 4 EinfG), für letzteres nur eine MdE um 80 v.H. zugrunde gelegt, obgleich nach den 1951 und 1952 durchgeführten ärztlichen Untersuchungen, die zu einer Schätzung der MdE um 40 v.H. (oder höchstens 40 v.H.) geführt hatten, in den nachfolgenden Bescheiden bis zuletzt unverändert eine MdE um 100 v.H. angenommen worden war. Es muß daher zunächst geprüft werden, ob dem Kläger bei Zugrundelegung einer MdE um 100 v.H. ein Ausgleich nach Art. I § 4 EinfG für die Zukunft zusteht. Bei den zur zutreffenden Berechnung der Versorgungsrente anzuwendenden Vorschriften des RVG handelt es sich zwar um Bundesrecht und damit um revisibles Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG (BSG 23, 285); die zur Feststellung des Anspruches, insbesondere auch für die Zukunft ab 1. Februar 1964, erforderlichen tatsächlichen Feststellungen sind jedoch von dem SG nicht getroffen worden; sie können im Revisionsverfahren auch nicht nachgeholt werden. Deshalb war die Sache an das SG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374861

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