Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenantragsteller der knappschaftlichen KVdR. Anspruchsvoraussetzung (Mitgliedschaft) für wiederaufgelebtes Krankengeld

 

Orientierungssatz

1. Von der Übernahme nach § 212 RVO sind die weiteren Krankengeldleistungen nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Versicherte bei der neuen Kasse nur noch ohne Krankengeldberechtigung versichert ist (Bestätigung BSG vom 1981-04-28 3 RK 8/80 = SozR 2200 § 183 Nr 35).

2. Die Gleichbehandlung der Antragsteller auf Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung mit Personen, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten beantragt haben, rechtfertigt aber - zumindest für sich allein - nicht das Ergebnis, daß das wiederzugewährende Krankengeld von der nichtknappschaftlichen Krankenkasse zu zahlen ist.

 

Normenkette

RVO § 212 Abs 1 S 1 Fassung: 1972-08-10, § 315a Abs 1 S 1 Fassung: 1977-06-27; RAMErl 1942-08-22; RVO § 183 Abs 2 S 1 Fassung: 1961-07-12; KnKVdRV § 19 Abs 1 Fassung: 1942-06-08

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 22.01.1981; Aktenzeichen L 16 Kr 182/79)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 24.10.1979; Aktenzeichen S 17 Kr 47/79)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger innerhalb der 4. Blockfrist ab 17. Juli 1979 Krankengeld zu gewähren hat.

Der Kläger war von 1945 bis 1966 im Bergbau beschäftigt und in der knappschaftlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Danach arbeitete er bei der E-T GmbH und war aufgrund dieser Beschäftigung Mitglied der Beklagten. Am 6. Mai 1969 wurde der Kläger aufgrund eines Bandscheibenleidens vorübergehend arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm damals und auch während der 2. und 3. Blockfrist wegen "ununterbrochen fortbestehender" Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit Krankengeld - zuletzt bis zum 1. November 1976. Bereits am 16. Dezember 1974 hatte der Kläger die Gewährung der Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit bei der Bundesknappschaft beantragt, die den Antrag ablehnte. Die Klage dagegen wurde abgewiesen; die Berufung nahm der Kläger am 29. November 1979 zurück. Die Bundesknappschaft erkannte aber während des Verfahrens den Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit an.

Am 4. April 1979 beantragte der Kläger, ihm erneut Krankengeld zu gewähren. Eine ärztliche Bescheinigung vom 29. Juni 1979, wonach er wegen Lumboischialgie über den 1. November 1976 hinaus arbeitsunfähig war, ging am 11. Juli 1979 beim Sozialgericht (SG) und am 24. Juli 1979 bei der Beklagten ein. Den Krankengeldantrag lehnte die Beklagte ab. Das SG hat sie mit Urteil vom 24. Oktober 1979 zur Gewährung von Krankengeld ab 17. Juli 1979 verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger sei vom 17. Juli 1979 bis zum Ablauf der 78 Wochenfrist am 2. November 1979 arbeitsunfähig gewesen. Allerdings setze das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld das Bestehen eines Mitgliedschaftsverhältnisses zur gesetzlichen Krankenversicherung bei Beginn der neuen Blockfrist voraus. Der Kläger habe aber über den 27. Februar 1975 hinaus durchgehend von der Bundesknappschaft Sachleistungen der Krankenversicherung erhalten, und zwar vom 29. August 1975 bis zum 30. November 1979 aufgrund des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 22. August 1942. Dieser jahrelange Leistungsbezug komme der vorzeitigen Begründung eines Mitgliedschaftsverhältnisses zumindest nahe. Dem Kläger müßte das Krankengeld aber auch dann zuerkannt werden, wenn die Annahme einer mitgliedschaftsähnlichen Beziehung nicht gerechtfertigt sein sollte. Dies folge aus einer verfassungskonformen Auslegung der einschlägigen Vorschriften. Wäre nämlich die Rechtsposition von Rentenantragstellern, wie dem Kläger, im Rahmen des § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) grundlegend anders als die der Versicherten, für deren Anträge die Träger der Arbeiterrenten- und der Angestelltenversicherung zuständig sind, läge ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vor. Durch den Antrag auf die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung würde in allen Fällen, in denen nicht schon aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften ein Versicherungsverhältnis in der gesetzlichen Krankenversicherung bestand (§ 165 Abs 6 RVO), eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner ausgelöst. Rentenanträge beim Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung aus der Zeit bis zum 30. Juni 1977 führten demgegenüber regelmäßig nicht zu einer Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner. Darin läge eine ungleiche Behandlung wesentlich gleicher Sachverhalte, für die es auch keinen einleuchtenden Grund gäbe. Insoweit sei daher eine Ausnahme von dem Grundsatz gerechtfertigt, wonach die Solidargemeinschaft ihre Leistungen nur für Mitglieder vorsieht.

Die Beklagte hat Revision eingelegt und macht geltend, ohne das Bestehen einer Mitgliedschaft könne Krankengeld nur in speziell normierten Ausnahmen im Rahmen des sogenannten nachgehenden Leistungsanspruchs in Betracht kommen. In der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner beginne die Mitgliedschaft nicht mit dem Rentenantrag, sondern erst mit der Zustellung des Rentenbescheids. Eine status-rechtliche Rechtsposition, die als dem Mitgliedschaftsrecht ähnlich angesprochen werden könnte, müsse dem Rentenantragsteller jedoch zumindest einen einklagbaren Anspruch auf die Kernleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, das seien insbesondere die Leistungen der gesetzlichen Krankenhilfe, garantieren. Eine mitgliedschaftsähnliche Beziehung begründe aber der Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 22. August 1942 nicht. Ein Verstoß gegen Art 3 GG liege nicht vor. Bei der Einführung einer gesetzlichen Pflichtversicherung liege es nämlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich sei. Schließlich sei zu beachten, daß der knappschaftliche Rentenbewerber einen beitragsfreien Versicherungsschutz genieße.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land

Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1981 und das

Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24. Oktober 1979

aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land

Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1981 aufzuheben und

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung

an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Hilfsantrag soll als Anschlußrevision verstanden

werden.

Der Kläger schließt sich der Auffassung des LSG an und macht hilfsweise geltend, daß eine Beiladung der Bundesknappschaft nach § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Betracht komme.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinn der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Geboten ist die Zurückverweisung, weil zu dem Rechtsstreit die Bundesknappschaft notwendig beizuladen war.

Die Notwendigkeit der Beiladung ergibt sich aus der Bestimmung des § 75 Abs 2 SGG, die das Bundessozialgericht (BSG) auf eine zugelassene Revision von Amts wegen zu beachten hat (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr 1). Nach der zweiten Alternative des § 75 Abs 2 SGG sind andere Versicherungsträger beizuladen, wenn sich im Verfahren ergibt, daß sie bei der Ablehnung des Anspruchs als leistungspflichtig in Betracht kommen. Für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist entscheidend, daß die Gründe für eine Ablehnung des Anspruchs gegen die Beklagte und die möglichen Gründe für die Verurteilung der Bundesknappschaft in engem Zusammenhang stehen und daß es sich um denselben Anspruch handelt (Urteil des Senats vom 3. Juni 1981 - 3 RK 6/80 - unter Hinweis auf Hennig/Danckwerts/König Kommentar zum SGG § 75 Anm 5). In Betracht kommt sowohl die Ablehnung des Anspruchs gegen die Beklagte wie auch die Verpflichtung der Bundesknappschaft, da für beides nach den Feststellungen des LSG eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht.

Der Anspruch gegen die Beklagte ist möglicherweise entgegen der Auffassung des LSG nicht begründet und statt dessen ein Anspruch gegen die Bundesknappschaft gegeben. Nach der Auffassung des LSG hatte der jahrelange Leistungsbezug aufgrund des Erlasses des Reichsarbeitsministers ein der Mitgliedschaft nahes Verhältnis begründet; wenn aber die Annahme einer mitgliedschaftsähnlichen Beziehung nicht gerechtfertigt sein sollte, wäre hier eine Ausnahme von der Forderung nach einer solchen Beziehung geboten. Ausgehend von einer der Mitgliedschaft entsprechenden Beziehung ist hier indessen zumindest für die Zeit bis zum 29. November 1979 nicht die Beklagte für die Krankengeldleistung zuständig. Vielmehr käme dann nach § 212 RVO eine Verpflichtung der Bundesknappschaft in Betracht, die weiteren Leistungen des Krankengeldes zu übernehmen. Wenn das Krankengeld nicht zu den Leistungen aufgrund des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 22. August 1942 gehört, so steht dies der Übernahme der weiteren Krankengeldleistungen nach § 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) idF des Gesetzes zur Errichtung der Bundesknappschaft vom 28. Juli 1969 (BGBl I 974) iVm § 212 RVO nicht entgegen.

Der Versicherte hat, wenn er die Kasse wechselt, gegenüber demjenigen Krankenversicherungsträger, bei dem er gerade versichert ist, Ansprüche auf die Leistungen, die von diesem Träger nach dem für ihn geltenden Recht zu gewähren sind (BSG Urteil vom 18. Februar 1981 - 3 RK 60/79 - und vom 28. April 1981 - 3 RK 8/80 -). Nach § 212 RVO übernimmt der neue Träger der Krankenversicherung die weiteren Leistungen nach seiner Satzung, wenn ein Versicherter, der Leistungen bezieht, zu einem anderen Träger der Krankenversicherung übertritt. Übernahme der Leistungen bedeutet auch, daß der alte Versicherungsträger aus der Leistungspflicht entlassen wird; einer eventuellen Leistungspflicht der alten Kasse aus der beendeten Mitgliedschaft geht die Leistungspflicht der neuen Kasse aus der bestehenden Mitgliedschaft grundsätzlich vor (vgl BSGE 28, 202, 203, 204 = SozR Nr 6 zu § 212 RVO; BSGE 48, 235, 237 = SozR 2200 § 306 RVO Nr 5). Wie der Senat entschieden hat, sind von der Übernahme nach § 212 RVO die weiteren Krankengeldleistungen nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Versicherte bei der neuen Kasse nur noch ohne Krankengeldberechtigung versichert ist (BSG Urteil vom 28. April 1981 - 3 RK 8/80 -).

Die Beklagte wäre zur Leistung des verlangten Krankengeldes nach dem von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsatz andererseits dann nicht verpflichtet, wenn überhaupt kein mitgliedschaftliches oder ähnliches Verhältnis zur gesetzlichen Krankenversicherung bei Beginn der neuen Blockfrist bestanden hätte (s BSGE 45, 11 ff). Nach Ansicht des LSG ist im Fall des Klägers wegen seines Rentenantrags beim Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung eine Ausnahme von diesem Grundsatz gerechtfertigt. Die Gleichbehandlung der Antragsteller auf Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung mit Personen, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten beantragt haben, rechtfertigt aber - zumindest für sich allein - nicht das Ergebnis, daß das Krankengeld von der Beklagten zu zahlen ist. Nach der dargestellten neueren Rechtsprechung des BSG zu § 212 RVO kommt vielmehr für die weiteren Leistungen des Krankengeldes an alle Rentenantragsteller unter den weiteren Voraussetzungen des § 315a RVO der Träger der Krankenversicherung der Rentner als zuständig in Betracht.

Der Rechtsstreit ist aus allen diesen Gründen an das LSG zurückzuverweisen, damit die notwendige Beiladung der Bundesknappschaft nachgeholt wird. Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG mitzuentscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656525

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