Leitsatz (amtlich)

1. Ist das verfassungsmäßig gültige Zustandekommen des AnVNG Art 2 § 9a Abs 2 für die Entscheidung über die Klage nicht rechtserheblich, so besteht für das mit dem Rechtsstreit befaßte Gericht keine Verpflichtung, das Verfahren gemäß GG Art 100 Abs 1 auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen (Anschluß und Bestätigung von BSG 1977-03-08 11 RA 126/75 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 2).

2. AnVNG Art 2 § 9a Abs 2 verstößt in der verkündeten Fassung (1972-10-16) nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des GG Art 3 Abs 1.

 

Leitsatz (redaktionell)

Wissenschaftliche Ausbildung

Wird ein Versicherter nach seinem Assessor-Examen nur innerhalb eines kurzen Zeitraumes (18.4.1933 bis 25.7.1933) als juristische Hilfskraft mit einer Vergütung von 100 RM monatlich tätig, so handelt es sich um eine versicherungsfreie vorübergehende Dienstleistung, die gemäß AVG § 10 aF iVm AnVBefrV § 1 (RGBl 1 1923, 109) versicherungsfrei war. Eine die Beitragsnachentrichtung voraussetzende wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf (AnVNG Art 2 § 44a Abs 3) hat in diesem Falle nicht vorgelegen.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 9a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 9a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 77 Fassung: 1968-11-15, Art. 78 Fassung: 1949-05-23, Art. 100 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; AnVBefrV § 1; AVG § 10; RVO § 1233; AnVNG Art. 2 § 44a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 46 Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.11.1976; Aktenzeichen L 1 An 104/76)

SG Stade (Entscheidung vom 11.02.1976; Aktenzeichen S 4 An 79/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. November 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger die rentensteigernde Anrechnung seiner Schul- und Hochschulausbildung vom 16. Lebensjahr an als Ausfallzeit, die Zeiten des Kriegsdienstes und der Vertreibung als Ersatzzeiten sowie die Zeit der Kriegsdienstverpflichtung als Beitrags- oder Ersatzzeit und außerdem die Zulassung einer weiteren Beitragsentrichtung für die Zeit von Mai bis Juli 1933 verlangen kann.

Der 1902 geborene Kläger war bereits vor dem 2. Weltkrieg in seiner ostpreußischen Heimat als Rechtsanwalt tätig. Seit der Vertreibung übt er diesen Beruf in Bremervörde aus. Nach seinen Angaben war er im Anschluß an das Assessorexamen bis zu seiner Zulassung als Rechtsanwalt vom 18. April bis 25. Juli 1933 bei einem Rechtsanwalt in Königsberg im Angestelltenverhältnis mit einer Vergütung von monatlich 100,- RM beschäftigt. In der Zeit vom 10. Oktober 1943 bis 31. März 1945 sei er vom Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen kriegsdienstverpflichtet worden und habe im Angestelltenverhältnis der Zivilverwaltung in Bialystok unterstanden. Er habe damals ein monatliches Entgelt von etwa 950,- RM netto erhalten.

Die Beklagte gewährte dem Kläger Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach einem am 31. Dezember 1972 eingetretenen Versicherungsfall und legte dabei die nach Art. 2 § 49 a Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) für die Zeit von Januar 1956 bis November 1972 nachentrichteten freiwilligen Beiträge und einen Pflichtbeitrag für Dezember 1972 zugrunde. Die begehrte Zulassung einer Beitragsnachentrichtung nach Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG für die Zeit von August 1927 bis Juli 1933 lehnte sie ab (Bescheid vom 6. Juni 1973). Während des Klageverfahrens ließ die Beklagte die Beitragsnachentrichtung gemäß Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG für die Zeit vom 1. August 1927 bis 18. April 1933 zu und setzte das Altersruhegeld nach entsprechender Beitragsentrichtung neu fest. Ersatz- und Ausfallzeiten wurden dabei nicht berücksichtigt (Bescheid vom 27. August 1974). Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine weitere Beitragsnachentrichtung hielt sie nicht für gegeben (Widerspruchsbescheid vom 7. September 1976).

Die Klage blieb in den beiden Vorinstanzen erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) im wesentlichen mit folgender Begründung zurück:

Für die geltend gemachten Ersatz- und Ausfallzeiten sei die Halbbelegung (§ 28 Abs. 2 c und § 36 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) nicht erfüllt. Der Kläger sei auch nicht vor Beginn der Ersatzzeiten versichert gewesen und habe auch nicht innerhalb von drei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeiten eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen (§ 28 Abs. 2 a AVG). Pflichtbeitragszeiten seien bis auf den Pflichtbeitrag für Dezember 1972 weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Die Wahrscheinlichkeit spreche dafür, daß die vom Kläger vom 18. April bis 25. Juli 1933 im Angestelltenverhältnis ausgeübte Anwaltstätigkeit als vorübergehende Dienstleistung angesehen worden und deshalb versicherungsfrei gewesen sei. Deshalb habe die Beklagte für diese Zeit auch zu Recht die Nachentrichtung weiterer freiwilliger Beiträge nach Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG nicht zugelassen. Der Kläger habe sich damals nicht mehr in einer wissenschaftlichen Ausbildung für seinen künftigen Beruf befunden, nachdem er am 18. April 1933 sein Assessor-Examen abgelegt habe. Auch während der Kriegsdienstverpflichtung vom 10. Oktober 1943 bis 31. März 1945 sei der Kläger versicherungsfrei gewesen, weil das von ihm angegebene monatliche Nettogehalt die damalige Versicherungspflichtgrenze überschritten habe.

Der Kläger erfülle auch nicht die Voraussetzungen für eine Anrechnung der begehrten Ersatzzeiten nach Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG und - über Art. 2 § 13 a AnVNG - der geltend gemachten Ausfallzeit, weil er seine selbständige Erwerbstätigkeit als Rechtsanwalt vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht aufgegeben habe. Diese gesetzliche Einschränkung sei zwar bei der zweiten Beratung des Rentenreformgesetzes (RRG) durch den Deutschen Bundestag nicht in Art. 2 § 9 a Abs. 2, sondern in Art. 2 § 49 a Abs. 1 Buchst. c AnVNG enthalten gewesen. Erst nach der dritten parlamentarischen Beratung sei die "Berichtigung" der genannten Vorschriften erfolgt, um eine ansonsten erhebliche Einschränkung der Nachentrichtungsmöglichkeit des Art. 2 § 49 a Abs. 1 AnVNG zu vermeiden. Offenbar habe bei der dritten Beratung des Gesetzes dem Wegfall der genannten Einschränkung in Art. 2 § 49 a AnVNG ein Einfügen in Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG entsprechen sollen, was aber offensichtlich vergessen worden sei. Deshalb sei dieses Versehen durch das Schreiben des Direktors des Deutschen Bundestags an den Direktor des Bundesrats vom 3. Oktober 1972 berichtigt worden. Diese redaktionelle Berichtigung, die dem Willen des Deutschen Bundestages entsprochen habe, sei analog dem allgemeinen Rechtsgedanken über die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten als zulässig anzusehen. Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG sei daher nicht - wie der Kläger meine - unter Verletzung verfassungsrechtlicher Bestimmungen zustande gekommen. Die in der Vorschrift enthaltene Einschränkung des begünstigten Personenkreises verstoße insoweit auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Schließlich könne dem Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten, die streitigen Zeiten mit dem Zeitpunkt des Aufgebens der selbständigen Tätigkeit anzurechnen, ebenfalls nicht entsprochen werden. Es handele sich hierbei um die nicht zulässige Feststellung eines zukünftigen Rechtsverhältnisses. Im übrigen müsse nach Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG die Erwerbstätigkeit bei Eintritt des Versicherungsfalles aufgegeben sein. Es komme stets auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Versicherungsfalles an (Urteil vom 19. November 1976).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Neben einer unrichtigen Anwendung des Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG rügt er eine Verletzung des Art. 78 und des Art. 3 des Grundgesetzes (GG): Art. 2 § 9 a Abs. 2 sei "in der jetzigen Form", der der Bundesrat seine Zustimmung gegeben habe, nicht vom Bundestag beschlossen worden. Es liege eine unzulässige Berichtigung eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes vor. Die erlassene Vorschrift verstoße außerdem gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG vom 11. Februar 1976 die Beklagte zu verpflichten, ihm vom Rentenbeginn an höheres Altersruhegeld zu gewähren und dabei die Schul- und Hochschulausbildung nach Vollendung des 16. Lebensjahres (29. Januar 1918) bis zum 31. Juli 1927 als Ausfallzeit, die Kriegsdienstzeit vom 16. August 1939 bis zum 9. Dezember 1939 und vom 27. April 1943 bis zum 9. Oktober 1943 als Ersatzzeit, die Kriegsdienstverpflichtung vom 10. Oktober 1943 bis zum 31. März 1945 als Beitrags- oder Ersatzzeit sowie die Vertreibungszeit vom 1. Januar 1945 bis zum 31. Dezember 1946 als Ersatzzeit zusätzlich zu berücksichtigen und außerdem für die Zeit von Mai 1933 bis Juli 1933 die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge gemäß Art. 2 § 44 a AnVNG zuzulassen; hilfsweise beantragt er festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, mit dem Zeitpunkt des Aufgebens der selbständigen Tätigkeit des Klägers die vorbezeichneten Zeiten anzurechnen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist die Gesetz gewordene Fassung von Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG weder unter Verletzung verfassungsrechtlicher Bestimmungen zustande gekommen noch verstößt ihr Inhalt gegen Art. 3 GG.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger weder die Anrechnung weiterer Versicherungszeiten und Ausfallzeiten noch die Nachentrichtung weiterer freiwilliger Beiträge gemäß Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG verlangen kann. Es ist dabei ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß der erst nach Klageerhebung von der Beklagten erlassene Neufeststellungsbescheid vom 27. August 1974, der den ursprünglichen Bescheid vom 6. Juni 1973 ersetzt hat, Gegenstand des Verfahrens geworden ist (§ 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Außerdem hat es zutreffend den hinsichtlich der Ablehnung der Nachversicherungsberechtigung für die Zeit von Mai bis Juli 1933 nach § 80 Nr. 2 SGG in der bis zum 31. Dezember 1974 gültigen Fassung erforderlichen und von der Beklagten in zulässiger Weise noch während des Berufungsverfahrens nachgeholten Widerspruchsbescheid vom 7. September 1976 (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 5 und Nr. 13 zu § 78 SGG) in seine Prüfung einbezogen.

Eine - die Beitragsnachentrichtung gemäß Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG voraussetzende - wissenschaftliche Ausbildung des Klägers auch noch in der streitigen Zeit von Mai bis Juli 1933 ist unter Berücksichtigung der von der Revision nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angefochtenen und deshalb für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts zu verneinen. Danach hatte der Kläger bereits am 18. April 1933 sein Assessor-Examen abgelegt und übte anschließend bis zu seiner Zulassung als Rechtsanwalt im Juli 1933 überbrückungsweise im Angestelltenverhältnis eine "juristische Hilfsarbeiter-Tätigkeit" aus. Im Hinblick auf den kurzen Zeitraum der Beschäftigung und der dabei erhaltenen Vergütung von 100,- RM monatlich ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß das LSG diese Aushilfstätigkeit als vorübergehende Dienstleistung beurteilt hat, die gemäß § 10 AVG in der damals gültigen Fassung (aF) i. V. m. § 1 der Verordnung vom 9. Februar 1923 (RGBl I 109) versicherungsfrei war. Dies gilt um so mehr, als erst durch § 2 der Reichs-Rechtsanwaltsordnung vom 21. Februar 1936 (RGBl I 107) für die Zulassung als Rechtsanwalt ein anwaltlicher Probe- und Anwärterdienst vorgeschrieben wurde, der als wissenschaftliche Ausbildung für den künftigen Beruf anzusehen war (vgl. Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 2. und 3. Aufl., Band I, Anm. 5 zu § 12 aF). Ein anderes Ergebnis rechtfertigt auch nicht - wie der Kläger meint - die von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegte Stellungnahme des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Berlin vom 13. Mai 1975. Auch in ihr wird betont, daß vor Inkrafttreten der Reichs-Rechtsanwaltsordnung vom 21. Februar 1936 ein Anwaltsassessorat als unerläßliche Ausbildung für den Anwaltsberuf "nicht statuiert" war, allerdings eine solche Ausbildung auf freiwilliger Basis üblich gewesen sei. Ein nach der maßgeblichen Berufsordnung nicht vorgeschriebenes Assessorat kann aber nicht Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung für den künftigen Beruf im Sinne des Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG sein.

Da das vom Kläger angegebene und vom LSG zugrunde gelegte monatliche Nettogehalt von 950,- RM während der Kriegsdienstverpflichtung vom 10. Oktober 1943 bis 31. März 1945 die damals bestehende Jahresarbeitsverdienstgrenze von 7.200,- RM (vgl. Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst aaO, Anm. 1 zu § 3 AVG aF) überstieg, hat das LSG zu Recht und von der Revision unbeanstandet gemäß § 1 Abs. 3 AVG aF die Versicherungsfreiheit des Klägers in dem genannten Zeitraum bejaht. Schon deswegen kommt die - wahlweise - geltend gemachte Anrechnung der Kriegsdienstverpflichtung als Beitragszeit nicht in Betracht.

Hinsichtlich der geltend gemachten Ersatz- und Ausfallzeiten ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß nach den §§ 28 Abs. 2 und 36 Abs. 3 AVG keine Anrechnungsmöglichkeit besteht. Da der Kläger insgesamt lediglich einen Pflichtbeitrag (für Dezember 1972) entrichtet hat, scheidet die in diesen Vorschriften genannte Halbbelegung mit Pflichtbeiträgen als Voraussetzung für die Anrechnung von vornherein aus. Die vom Kläger gemäß Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG für seine Ausbildungszeit (August 1927 bis April 1933) nachentrichteten Beiträge sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für eine Vorversicherungszeit im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG nicht geeignet (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 27.10.1977 - 1 RA 9/76 - unter Hinweis auf BSG in SozR Nr. 66 zu § 1251 RVO und SozR 2200 § 1251 Nr. 20).

Hiergegen wendet sich die Revision auch gar nicht. Der Kläger stützt sein Begehren auf die rentensteigernde Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten vielmehr nur noch auf Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG. Nach dieser Vorschrift werden Ersatzzeiten bei Personen, die von der Nachentrichtungsmöglichkeit nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG Gebrauch gemacht haben, auch ohne die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG angerechnet, wenn die Versicherten vor Inkrafttreten der Vorschrift am 19. Oktober 1972 (Art. 6 § 8 Abs. 2 RRG) das 60. Lebensjahr vollendet und eine selbständige Erwerbstätigkeit von wenigstens fünf Jahren aufgegeben haben. Die Revision geht selbst davon aus, daß beim Kläger letztere Voraussetzung des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG und auch das Erfordernis einer verkürzten Halbbelegung im Sinne des Absatzes 1 der Vorschrift für eine Ersatzzeitenanrechnung nicht erfüllt sind, so daß auch die Berücksichtigung der geltend gemachten Ausfallzeit nach dem auf Art. 2 § 9 a AnVNG Bezug nehmenden Art. 2 § 13 a AnVNG entfällt.

Die Revision vertritt allerdings die Ansicht, Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG sei unter Verletzung des Art. 78 GG zustande gekommen, weil sein im Bundesgesetzblatt veröffentlichter Wortlaut (BGBl I 1972, S. 1965, 1985) nicht auf den Gesetzesbeschluß des Bundestages in dritter Beratung gemäß Art. 77 Abs. 1 GG (vgl. Stenographischer Bericht über die 198. BT-Sitzung vom 21.9.1972, 6. Wahlperiode S. 11701), sondern auf eine nachträgliche Berichtigung ohne Beteiligung des Parlaments zurückgehe (ebenso Kröger in SGb 1977, S. 178 ff). Ob dies zutrifft oder ob mit den Ausführungen des LSG die verkündete Fassung des Art. 2 § 9a Abs. 2 AnVNG auf einer zulässigen redaktionellen Berichtigung beruht, kann indes hier dahingestellt bleiben.

Ist die verkündete Gesetzesfassung des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG gültig (vgl. insoweit auch die im Urteil des BSG vom 8.3.1977 - SozR 5750 Art. 2 § 9 a Nr. 2 - angeführten Zweifel), so ist der Klageanspruch auf Anrechnung einer Ersatzzeit und - über Art. 2 § 13 a AnVNG - auch einer Ausfallzeit nicht begründet, weil der Kläger "eine selbständige Erwerbstätigkeit von wenigstens fünf Jahren" nicht aufgegeben hat. Auch wenn aber Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG in der verkündeten Gesetzesfassung nicht gültiges Recht geworden wäre, würde Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG nicht - wie die Revision offenbar annimmt- mit der nach der dritten Lesung in der Schlußabstimmung des Bundestages bestätigten Fassung, nach der die weitere selbständige Erwerbstätigkeit des Klägers einer Anrechnung von Ersatzzeiten nicht entgegenstünde, Gesetz geworden sein. Denn diese Fassung ist unter Berücksichtigung des Art. 78 GG (Beteiligung des Bundesrats) weder zustande gekommen noch mangels Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten (vgl. Art. 82 GG). Vielmehr gäbe es dann, worauf der 11. Senat des BSG im Urteil vom 8. März 1977 aaO bereits hingewiesen hat, für eine mit der Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG verbundene Anrechnung von Ersatzzeiten überhaupt keine Rechtsgrundlage, so daß die Klage auch in diesem Falle abzuweisen wäre.

Da somit die Klage unabhängig von der Gültigkeit des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG keinen Erfolg haben kann, ist der Senat im Anschluß an die Entscheidung des BSG vom 8. März 1977 aaO zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht geboten ist, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG herbeizuführen. Das Verfahren zur konkreten Normenkontrolle ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG nur zulässig, wenn das vorlegende Gericht bei Gültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171, 174; 10, 258, 261; 11, 330, 334; 13, 178, 180; 22, 175, 176; 25, 129, 136; 25, 327, 335). An dieser Voraussetzung fehlt es, weil die Gültigkeit des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG - wie dargelegt - für die Entscheidung über die Klage nicht rechtserheblich ist.

Eine Vorlage an das BVerfG kommt schließlich auch nicht unter Beachtung des Vorbringens der Revision in Betracht, Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG verstoße in der veröffentlichten Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Vielmehr ist die genannte gesetzliche Regelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.

Das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG schließt lediglich die willkürliche Differenzierung gleicher gesetzlicher Tatbestände aus (vgl. BSGE 31, 136, 137 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG). Die Revision sieht eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in der unterschiedlichen Behandlung der über 60-jährigen Versicherten je nachdem, ob sie eine selbständige Erwerbstätigkeit aufgegeben haben oder nicht. Dabei wird übersehen, daß der Gesetzgeber die erleichterte Anrechnung von Ersatzzeiten - und damit Vorteile, die eigentlich nur für Pflichtversicherte bestimmt waren (so ausdrücklich BVerfG-Beschluß vom 17.10.1973 in SozR Nr. 97 zu Art. 3 GG), - für lediglich zur freiwilligen Versicherung Berechtigten im Sinne des Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG in Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen durfte und demgegenüber für Pflichtversicherte in Absatz 1 der Vorschrift schon deswegen eine abweichende Regelung treffen konnte, weil es sich bei diesem Personenkreis um andere Sachverhalte handelt. Im übrigen wird von der Revision nicht genügend beachtet, daß nach Art. 2 § 9 a Abs. 1 AnVNG Selbständige, die nach dem Inkrafttreten des RRG die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG beantragt haben, bei fortlaufender Beitragsentrichtung nach Ablauf von fünf Jahren die Anrechnung von Ersatzzeiten erreichen können. Der Gesetzgeber sah sich deshalb nur für Selbständige, für die bis zum Erreichen der allgemeinen Altersgrenze von 65 Jahren die Möglichkeit, über Art. 2 § 9 a Abs. 1 AnVNG zur Anrechnung von Ersatzzeiten zu kommen, nicht bestand, zu einer zusätzlichen Regelung in Absatz 2 der Vorschrift veranlaßt. Insoweit ist in ihr, wie bereits im Urteil des BSG vom 8. März 1977 aaO betont wird, der begünstigte Personenkreis entsprechend der Gesamtkonzeption des RRG sachgerecht abgegrenzt worden (vgl. hierzu auch Urteil des erkennenden Senats vom 27.10.1977 - 1 RA 19/76 -). Wenn dabei während einer Übergangszeit in Einzelfällen Härten auftreten, so können diese eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht begründen, weil bei der im Bereich des Sozialversicherungsrechts gebotenen Ordnung von Massenerscheinungen typisierende Regelungen unerläßlich sind (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 24.11.1976 in SozR 2200 § 1255 Nr. 6 mit weiteren Nachweisen).

Da somit die rentensteigernde Anrechnung der geltend gemachten Ersatz- und Ausfallzeiten gemäß Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG bereits an der fehlenden Aufgabe der selbständigen Tätigkeit scheitert, kann offenbleiben, ob die in dieser Vorschrift des weiteren geforderte Voraussetzung, daß von der Nachentrichtungsmöglichkeit nach Absatz 2 des Art. 2 § 9 a AnVNG Gebrauch gemacht worden ist, im Falle des Klägers wenigstens im Wege der Umdeutung eines der für die Zeit bis 30. November 1972 nachentrichteten freiwilligen Beiträge erfüllt wäre. Denn nach den von der Revision nicht angefochtenen Feststellungen des LSG beruht der Rentenanspruch - außer dem Pflichtbeitrag für Dezember 1972 und den gemäß Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG nachentrichteten Beiträgen - ausschließlich auf freiwilligen Beiträgen, die nach Absatz 1 des Art. 2 § 49 a AnVNG nachentrichtet worden sind.

Schließlich ist dem LSG auch im Ergebnis darin zuzustimmen, daß der Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten, die streitigen Zeiten mit dem Zeitpunkt der Aufgebens der selbständigen Tätigkeit anzurechnen, unzulässig ist. Dieses Begehren betrifft nicht die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Es bezieht sich vielmehr ausschließlich auf die künftige Anrechenbarkeit von Ersatz- und Ausfallzeiten. Insoweit handelt es sich lediglich um die Klärung der Tatbestandsmerkmale des Art. 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG. Bloße Rechtsfragen, die - nach Ansicht des Klägers - möglicherweise für eine künftige Rentenerhöhung von Bedeutung sind, können indes nicht Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG sein (vgl. BSGE 4, 184 und SozR Nr. 53 zu § 55 SGG). Die hilfsweise beantragte Feststellung ist auch nicht nach § 55 Abs. 2 SGG zulässig. Dies schon deswegen, weil zur Feststellung, "in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind", nicht die Auswirkung von - unstreitig wirksamen - Beiträgen auf die Anrechnung anderer Zeiten gehört (ebenso BSG in SozR aaO).

Nach alledem muß der Revision des Klägers der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 209

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