Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.02.1985; Aktenzeichen L 16 Kr 127/84)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 1985 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welchem Umfang die Beklagte der Klägerin aus der Witwenrente der verstorbenen Frau B.… erstattungspflichtig ist.

Die am 4. April 1986 verstorbene Witwe L.… B.… hatte von der Beklagten Witwenrente – seit Anfang 1982 in Höhe von 1.060,50 DM monatlich – bezogen. Den pfändbaren Teil ihres Einkommens hatte sie – zusammen mit ihrem damals noch lebenden Ehemann – am 11. Juli 1977 zur Sicherung eines Kredits an die Beigeladene abgetreten. Daraufhin hatte die Beklagte seit Dezember 1981 monatlich 200,-- DM an die beigeladene K.… gezahlt.

Seit dem 1. Dezember 1981 war Frau B.… in einem Pflegeheim untergebracht. Die Klägerin hatte ab Dezember 1981 die Kosten der Heimpflege übernommen und von der Beklagten die Erstattung ihrer Aufwendungen aus der Witwenrente der Frau B.… beansprucht. Die Beklagte entsprach dem Verlangen; sie teilte jedoch die Zahlung der 200,-- DM monatlich an die Beigeladene mit. Für die Monate November 1982 bis März 1983 hinterlegte sie diese Beträge bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Moers, ohne auf das Recht zur Rücknahme zu verzichten. Ab April 1983 hatte der Landschaftsverband Rheinland die Kosten der Heimpflege für Frau B.… übernommen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der gesamten Rente für Mai 1982 und von je 200,-- DM monatlich von Juni 1982 bis März 1983 verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil insoweit abgeändert, “als die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin mehr als 860,50 DM zu zahlen”. Hinsichtlich des Betrages von je 200,-- DM für die Monate November 1982 bis März 1983 sei das Urteil des SG rechtskräftig, weil die Beklagte die Berufung für diese Zeit um 1.000,-- DM beschränkt habe. Im übrigen habe die Klägerin nur noch Anspruch auf den unpfändbaren Teil der Rente für den Monat Mai 1982 in Höhe von 860,50 DM, weil sie einen Erstattungsanspruch iS des § 104 Abs 1 Satz 4 iVm Satz 1 des Sozialgesetzbuches, Zehntes Buch (SGB X) bezüglich der geltend gemachten Teilbeträge nicht habe. Die Abtretung dieser Beträge an die Beigeladene habe ihre Wirksamkeit nicht dadurch verloren, daß Frau B.… hilfsbedürftig geworden sei und von der Klägerin Hilfe nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) erhalten habe. Insbesondere habe der Erstattungsanspruch der Klägerin auch keinen Vorrang.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer – vom LSG zugelassenen Revision vor, sie habe der Frau B.… Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nach “Abschnitt 2” BSHG gewährt. In einem solchen Fall sei der Einsatz des gesamten Einkommens und Vermögens zwingend vorgeschrieben. Deshalb habe ihr Erstattungsanspruch Vorrang vor der Abtretung. Der bürgerlich-rechtliche Abtretungsempfänger habe jedenfalls dann keinen gleichbleibenden Anspruch auf den abgetretenen Betrag, wenn – wie im Falle der Frau B.… – sich der Bedarf des Zedenten zu Lasten der öffentlichen Hand vermehre.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen, soweit durch das Urteil des Landessozialgerichts hierüber entschieden worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Der 5a-Senat des Bundessozialgerichts (BSG), der für die Entscheidung dieses Rechtsstreits bis Ende 1987 zuständig war, beabsichtigte, der Klage stattzugeben, weil er den Erstattungsanspruch der Klägerin als vorrangig ansah. Er hat sich an dieser Entscheidung durch die Rechtsprechung des 1. Senats des BSG (Urteile vom 14. November 1984, BSGE 57, 218 = SozR 1300 § 104 Nr 3 und vom 30. Januar 1985, SozR 1300 § 104 Nr 4) gehindert gesehen und deshalb mit Beschluß vom 8. April 1987 beim 1. Senat des BSG angefragt, ob dieser an seiner in den vorgenannten Urteilen vertretenen Rechtsauffassung festhalte. Der 1. Senat hat diese Frage in seinem Beschluß vom 22. Juni 1988 – 1 S 4/87 – bejaht.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, weil die Beiladung des Rechtsnachfolgers der Witwe B.… nachzuholen ist.

Der erkennende Senat, der nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG seit dem 1. Januar 1988 über Angelegenheiten der Knappschaftsversicherung allein zu entscheiden hat, ist nicht an die dem Beschluß des 5a-Senats vom 8. April 1987 offenbar zugrundeliegende Rechtsauffassung gebunden, daß auch ohne Beiladung des Rechtsnachfolgers der Frau B.… abschließend entschieden werden kann.

Durch den Tod der Witwe B.… während des Revisionsverfahrens ist der Rechtsstreit zwar nicht unterbrochen worden (vgl zuletzt BSGE 61, 100 = SozR 1200 § 54 Nr 11 mwN). Der Rechtsnachfolger der Frau B.… ist auch nicht automatisch in deren Beteiligtenstellung eingerückt, weil der Beiladungsbeschluß des SG Duisburg vom 15. September 1983 nur Frau B.… persönlich betraf (BSG SozR 1750 § 239 Nr 2; vgl auch BSGE 61, 100 = SozR 1200 § 54 Nr 11). Im Falle des Todes eines notwendig Beigeladenen hat das Gericht jedoch zu prüfen, ob die Voraussetzungen der notwendigen Beiladung auch für den Rechtsnachfolger erfüllt sind.

Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, daß Frau B.… gemäß § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig beizuladen war. Streitiges Rechtsverhältnis ist die Erfüllung eines Erstattungsanspruchs aus der Rente, soweit dieser den der beigeladenen K.… abgetretenen Rententeil betrifft. An diesem Rechtsverhältnis war auch Frau B.… beteiligt, weil die – von der Klägerin beanspruchte – vorrangige Zahlung dieses Rententeils an die Klägerin die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X zur Folge hätte und dementsprechend auch nicht mehr zur Erfüllung des Abtretungsgeschäftes zur Verfügung stände. Die Entscheidung darüber, ob der streitige Teil der Rente der Klägerin oder der beigeladenen K.… zusteht, kann auch im Verhältnis zur Rentenberechtigten iS des § 75 Abs 2 SGG nur einheitlich ergehen. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Leistungsträger den streitigen Teil der Leistung unter Verzicht auf sein Rücknahmerecht hinterlegt hat (§ 376 Abs 2 Nr 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-) und deshalb von seiner Leistungspflicht befreit ist (§ 278 BGB), braucht nicht entschieden zu werden, weil nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG die Beklagte eine derartige Erklärung nicht abgegeben hat.

In die materielle Rechtsstellung der Frau B.… ist nach ihrem Tode ihr Rechtsnachfolger eingetreten, mag es sich dabei um einen Fall der Sonderrechtsnachfolge iS des § 56 des Sozialgesetzbuches, Erstes Buch (SGB I) oder um einen Fall der Gesamtrechtsnachfolge iS des § 1922 BGB handeln. Ebenso wie für die verstorbene Beigeladene wirkt die hier zu treffende Entscheidung auch für und gegen seine Rechtsnachfolger, denn von ihr hängt ab, ob eine Forderung der beigeladenen Bank aus der Rente erfüllt wird oder ein Erstattungsanspruch der Klägerin als erfüllt gilt. Auch wenn der streitige Rententeil in keinem Fall dem Rechtsnachfolger der Rentnerin zusteht, hängt für ihn von der Entscheidung doch ab, ob bzw in welcher Höhe noch eine Forderung der beigeladenen Bank besteht. Infolgedessen ist auch der Rechtsnachfolger der verstorbenen Frau B.… nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen. Da die Beiladung nach § 168 SGG im Revisionsverfahren ausgeschlossen ist, mußte das Berufungsurteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur Nachholung der Beiladung an das LSG zurückverwiesen werden (vgl BSGE 61, 100, 102 = SozR 1200 § 54 Nr 11 mwN).

Das LSG wird auch über die Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1062285

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