Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei einer Typhuserkrankung während einer Geschäftsreise nach Nordafrika

 

Orientierungssatz

1. Die Anerkennung einer Typhuserkrankung als Berufskrankheit iS der BKVO 7 Anl 1 Nr 44 hängt entscheidungserheblich davon ab, ob die Typhuskrankheit vorwiegend den Tropen bzw Subtropen eigentümlich ist und außerhalb dieser Zonen nur sporadisch bzw ab und zu beobachtet wird, oder ob es sich dabei um eine Erkrankung handelt, die sowohl in den Tropen wie auch in den Subtropen und den gemäßigten Zonen heimisch ist und deshalb - im Gegensatz zur Tropenkrankheit - als kosmopolitische oder ubiquitäre Krankheit bezeichnet werden muß.

2. Der Zweck der Erweiterung der BKVO 7 Anl 1 Nr 37 besteht darin, den Schutz der Unfallversicherung bei Infektionskrankheiten nicht mehr allein auf diejenigen Versicherten zu beschränken, die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig und deshalb der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt sind. In den Versicherungsschutz sollen vielmehr auch diejenigen Personen einbezogen werden, bei denen dies im ähnlichen Maße durch eine andere Tätigkeit der Fall ist. Kriterium für das Eingreifen des Versicherungsschutzes ist mithin nicht mehr die besondere Art der Tätigkeit, sondern die mit der Tätigkeit verbundene besondere Infektionsgefahr.

3. Voraussetzung für die Anerkennung einer Typhuserkrankung als Arbeitsunfall ist ua, daß die Infektion nicht etwa bei einer überwiegend dem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Betätigung, wie etwa der Nahrungsaufnahme, erfolgt ist (vgl BSG 1977-07-28 2 RU 55/75 = VdKMitt 1977, 545). Dabei könnten allerdings besondere mit der Durchführung der Geschäftsreise verbundene betriebliche Umstände dergestalt in den Vordergrund getreten sein, daß sie in den privaten Lebensbereich der Nahrungsaufnahme hineingewirkt haben und sich als für die Infektion wesentliche, die Annahme eines Arbeitsunfalls rechtfertigende Mitursache darstellen.

 

Normenkette

BKVO 7 Anl 1 Nr. 44 Fassung: 1968-06-20, Nr. 37 Fassung: 1968-06-20; RVO § 551 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, Abs. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

SG Ulm (Entscheidung vom 31.03.1977; Aktenzeichen S 5 U 580/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 31. März 1977 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der 1939 geborene Kläger war in der Zeit vom 10. Dezember 1974 bis zum 16. Februar 1975 arbeitsunfähig an Typhus erkrankt. Zuvor hatte er sich nach seinen Angaben als Exportsachbearbeiter einer Textilfirma in der Zeit vom 17. November bis zum 5. Dezember 1974 auf einer Geschäftsreise in Tunesien, Libyen, Algerien, Marokko, Portugal und Spanien befunden. Die medizinische Universitätsklinik Ulm stellte bei ihm im Blut Salmonella typhi fest und erstattete Berufskrankheits-Anzeige bei der Beklagten.

Der staatliche Gewerbearzt empfahl in seinen gutachtlichen Stellungnahmen vom 23. Mai und 23. Juli 1975 die Anerkennung der Erkrankung als entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach Nr 37 der Berufskrankheitenliste, weil es sich bei der Typhuskrankheit zwar nicht um eine typische Tropenkrankheit gehandelt habe, der Kläger aber während seiner Tätigkeit in Nordafrika einer erhöhten Infektionsgefahr in ähnlichem Maße wie im Gesundheitsdienst oder in der Wohlfahrtspflege ausgesetzt gewesen sei. Durch Bescheid vom 7. Oktober 1975 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als entschädigungspflichtige Berufskrankheit ab. Zur Begründung führte sie aus, um eine Tropenkrankheit nach Ziffer 44 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) handele es sich nicht, wie auch das frühere Reichsversicherungsamt (RVA) bereits entschieden habe. Als Infektionskrankheit stehe die Typhuserkrankung nach Ziff 37 a.a.O. nur dann unter Versicherungsschutz, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen sei. Dies treffe auf den Kläger nicht zu, weil er bei seiner Tätigkeit keinem wesentlich höheren Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen sei als die allgemeine Bevölkerung. Dem auf die besondere Ansteckungsgefahr unter den klimatischen und hygienischen Verhältnissen in Nordafrika gestützten Widerspruch gab die Beklagte nicht statt; sie leitete ihn dem Sozialgericht (SG) Ulm als Klage zu.

Das SG hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte am 31. März 1977 verurteilt, die Erkrankung des Klägers an Typhus als entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach Ziffer 44 der Anlage zur 7. BKVO anzuerkennen. Auf einen mit Zustimmung des Klägers gestellten Antrag der Beklagten hat das SG die Revision durch Kammerbeschluß zugelassen.

Das SG hat die Tätigkeit des Klägers im Ausland nicht als eine Tätigkeit erachtet, die ein ähnlich hohes Infektionsrisiko mit sich bringe, wie die Tätigkeiten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in ähnlichen Bereichen, weil ein Kontakt mit infizierten Personen oder infiziertem Material in besonderem Maße bei solchen Reisen nicht gegeben sei. Die Typhuserkrankung des Klägers stelle jedoch eine Tropenkrankheit dar. Zwar sei der Typhus auch in Europa heimisch; er komme hier jedoch nur vereinzelt vor. Der Aufenthalt in den nordafrikanischen Ländern bringe wegen der dort bestehenden mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnisse für Europäer auch heute noch ein stark erhöhtes Infektionsrisiko an Typhus mit sich. Deshalb sei die Entscheidung des RVA vom 3. Februar 1931 durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteile vom 19. September 1974 - 8 RU 64/73 - und 22. Oktober 1975 - 8 RU 54/75 -) überholt.

Die Beklagte, der der Beschluß über die Zulassung der Revision am 29. August 1977 zugestellt worden ist, hat gegen das Urteil des SG am 2. September 1977 die Sprungrevision eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, bei der Typhuserkrankung des Klägers handele es sich - anders als in den vom BSG entschiedenen Fällen einer Bazillenruhr und einer Hepatitis infectiosa - nicht um eine Tropenkrankheit, nämlich nicht um eine den Tropen bzw. Subtropen vorwiegend eigentümliche Krankheit, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse in den genannten Gebieten bevorzugt bzw. besonders häufig auftritt. Die Typhuskrankheit sei nämlich selbst unter den modernen hygienischen Verhältnissen in Westeuropa und Nordamerika keine fremde, sondern eine noch durchaus auftretende Krankheit, die somit nach den Ausführungen des BSG im Urteil vom 19. September 1974 überall heimisch sei und deshalb als kosmopolitische oder ubiquitäre Krankheit nicht unter die Berufskrankheitenregelung falle. Diese Eigenschaft gehe nicht dadurch verloren, daß die Krankheit leichter in Ländern erworben werden könne, die noch nicht in westlich-europäischem Stil zivilisiert seien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend; der Umstand, daß eine Krankheit auf der ganzen Welt anzutreffen sei, lasse noch nicht den Schluß zu, daß es sich deswegen nicht um eine Tropenkrankheit handele.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Sprungrevision ist zulässig (§§ 161, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie erweist sich iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz auch als begründet.

Maßgebend für die Beurteilung der vom Kläger in der Zeit vom 10. Dezember 1974 bis zum 16. Februar 1975 durchgemachten und nach ärztlicher Beurteilung ausgeheilten Erkrankung an Typhus ist § 551 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm der BKVO i.d.F. vom 20. Juni 1968 (BGBl I S. 721) - 7. BKVO -. Als Arbeitsunfall "gilt" nach § 551 Abs 1 RVO auch eine von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung als solche bezeichnete Berufskrankheit. Dabei erstreckt sich die Ermächtigung darauf, solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Im Einzelfall sollen nach § 551 Abs 2 RVO die Träger der Unfallversicherung eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind. Als Anspruchsgrundlage kommen im vorliegenden Fall die Nrn 37 und 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO in Betracht. Die vom SG getroffenen Feststellungen reichen indes zur Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen der dort genannten Krankheiten nicht aus.

Das SG hat in der Typhuserkrankung des Klägers eine Tropenkrankheit iS der Nr 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO erblickt, weil wegen der in den nordafrikanischen Ländern bestehenden mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnisse für Europäer auch heute noch ein stark erhöhtes Infektionsrisiko an Typhus bestehe, während diese Krankheit in Europa nur noch vereinzelt vorkomme. Deshalb sei die Entscheidung des RVA vom 3. Februar 1931 (EuM Band 29, 232, 233) durch die Rechtsprechung des BSG - Urteile vom 19. September 1974 - 8 RU 64/73 - und vom 22. Oktober 1975 - 8 RU 54/75 - (SozR 5676 Nrn 1 und 2 zu Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO) überholt. Das kann jedoch in dieser Allgemeinheit nicht gesagt werden. Der erkennende Senat hat sich im Urteil vom 19. September 1974 vielmehr gerade an die Entscheidung des RVA angelehnt, in der ausgeführt ist, die Tatsache, daß eine sonst den Tropen vorwiegend eigentümliche und dort besonders häufig vorkommende Erkrankung "sporadisch" bzw "ab und zu" auch außerhalb der Tropen und Subtropen beobachtet wird, rechtfertige es nicht, eine Entschädigung mit der Begründung abzulehnen, daß nur Krankheiten, die den Tropen und Subtropen ausschließlich eigentümlich sind, als Tropenkrankheiten in Betracht kämen. Überholt könnte allenfalls die weitere Erwägung des RVA sein, unter die vorbezeichnete Regelung sollten nicht Erkrankungen fallen, die - wie zB Tuberkulose oder Typhus - überall heimisch seien und deshalb als kosmopolitische oder ubiquitäre Krankheiten bezeichnet würden. Diese Erwägung wäre überholt, wenn innerhalb der seit der genannten Entscheidung verstrichenen Zeit die Typhuskrankheit in den nach westlich-europäischem Stil zivilisierten Bereichen so weit zurückgedrängt worden wäre, daß sie - im Gegensatz zu ihrer Ausbreitung bis zum Jahre 1931 - hier nur noch "sporadisch bzw ab und zu" vorkommt, während sie in den tropischen und subtropischen Bereichen nach wie vor verbreitet auftritt. Denn nur unter dieser Voraussetzung könnte die Typhuskrankheit nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, die im Urteil vom 22. Oktober 1975 fortgeführt worden ist und von der auch der 2. Senat des BSG in seinem Urteil vom 28. Juli 1977 - 2 RU 55/75 - ausgegangen ist, als Tropenkrankheit iS der Nr 44 der Anlage 1 der 7. BKVO angesehen werden.

Verläßliche Feststellungen hierzu hat das SG nicht getroffen. Der im Urteil enthaltene Satz, in Europa sei zwar der Typhus auch heimisch, er komme jedoch nur noch vereinzelt vor, erweist sich unter den zuvor genannten Kriterien als widerspruchsvoll. Denn gerade das nur noch vereinzelte Vorkommen einer früher - nach der Rechtsprechung des RVA - auch in Europa heimischen Krankheit, hier des Typhus, könnte zu dem Schluß führen, daß nunmehr auch bei Typhus die Voraussetzungen der "Tropenkrankheit" gegeben sind. Ist aber nach der Auskunft des Obermedizinaldirektors Dr. A vom 23. Juli 1975, die das SG seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, die Typhuskrankheit deshalb nicht eine nach Nr 44 der 7. BKVO anzuerkennende Tropenkrankheit, weil der "Typhus auch bei uns und in gemäßigten Zonen heimisch ist", so kann daraus ohne nähere medizinalstatistische Anhaltspunkte nicht hergeleitet werden, daß die Typhuskrankheit in Europa nur noch vereinzelt vorkommt. Im übrigen hat das SG insoweit übersehen, daß die Geschäftsreise des Klägers, nach der es bei ihm zum Ausbruch der Typhuskrankheit gekommen ist, sich nicht nur auf die nordafrikanischen Länder Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko, sondern auch auf die europäischen Länder Portugal und Spanien erstreckt hat. Den Angaben des Klägers zufolge liegt sogar der Schluß nahe, daß er Portugal und Spanien als letzte Stationen seiner Geschäftsreise berührt hat. Schon aus diesem Grunde hätte es der medizinischen Überprüfung bedurft, ob nach den aus den Reiseunterlagen des Klägers bzw seiner Firma ersichtlichen Aufenthaltszeiten in den einzelnen Ländern unter Berücksichtigung der Inkubationszeit der Typhuskrankheit überhaupt eine Infektion während des Aufenthalts in Nordafrika in Betracht kommen kann. In jedem Falle hätte es aber der gutachtlichen Stellungnahme eines mit der Verbreitung der Typhuserkrankung auf die tropischen, subtropischen und gemäßigten Zonen der Erde vertrauten Sachverständigen bedurft, um die entscheidungserhebliche Frage beantworten zu können, ob die Typhuskrankheit vorwiegend den Tropen bzw Subtropen eigentümlich ist und außerhalb dieser Zonen nur sporadisch bzw ab und zu beobachtet wird, oder ob es sich dabei um eine Erkrankung handelt, die sowohl in den Tropen wie auch in den Subtropen und den gemäßigten Zonen heimisch ist und deshalb - im Gegensatz zur Tropenkrankheit - als kosmopolitische oder ubiquitäre Krankheit bezeichnet werden muß. Da Feststellungen zu dieser Frage in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden können, muß die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils schon aus diesem Grunde an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

Sollte das SG nach Durchführung der vorbezeichneten Erhebungen zu der Feststellung gelangen, daß es sich bei der Typhuskrankheit nicht um eine Tropenkrankheit handelt, wird es weiter zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen der Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO gegeben sind. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich nämlich von den vom BSG bisher entschiedenen Fällen dadurch, daß der Zeitpunkt der möglichen Infektion in den Geltungsbereich der 7. BKVO fällt. Nach der Regelung der Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO ist aber der früher auf die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium Tätigen beschränkte Kreis der gegen Infektionskrankheiten Versicherten um den Kreis derjenigen erweitert worden, die "durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt" waren. Diese - neu geschaffene - Voraussetzung für die Anerkennung einer Infektionskrankheit als Berufskrankheit kann nicht, wie das SG gemeint hat, mit der allgemeinen Erwägung verneint werden, bei der Tätigkeit eines Kaufmanns, auch wenn sie mit Reisen ins Ausland verbunden sei, handele es sich um keine Tätigkeit, die ein gleich- oder ähnlich hohes Infektionsrisiko in sich berge, wie die Tätigkeiten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in ähnlichen Bereichen, weil hier ein Kontakt mit infizierten Personen oder infiziertem Material nicht in gleichem Maße gegeben sei. Mit dieser allgemeinen - im übrigen mit der Beurteilung durch Obermedizinalrat Dr. A vom 23. Juli 1975 nicht vereinbaren - Feststellung ist bei Anwendung der Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO nicht auszukommen. Es muß vielmehr -dem Sinn der Regelung entsprechend - im Einzelfall geprüft werden, welches Maß das Infektionsrisiko erreicht hat, dem der Versicherte bei der zur Infektion führenden konkreten Berufstätigkeit ausgesetzt gewesen ist. Denn der Zweck der Erweiterung der Nr 37 besteht gerade darin, den Schutz der Unfallversicherung bei Infektionskrankheiten nicht mehr allein auf diejenigen Versicherten zu beschränken, die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig und deshalb der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt sind. In den Versicherungsschutz sollen vielmehr auch diejenigen Personen einbezogen werden, bei denen dies im ähnlichen Maße durch eine andere Tätigkeit der Fall ist.

Kriterium für das Eingreifen des Versicherungsschutzes ist mithin nicht mehr die besondere Art der Tätigkeit, sondern die mit der Tätigkeit verbundene besondere Infektionsgefahr. Deshalb wird für die Entscheidung des vorliegenden Falles zunächst geklärt werden müssen, worin die Tätigkeit des Klägers auf seiner Geschäftsreise im November/Dezember 1974 bestanden hat. Das Maß der Infektionsgefahr, dem der Kläger auf dieser Geschäftsreise ausgesetzt gewesen ist, hängt nämlich ua auch davon ab, ob sich sein Aufenthalt und insbesondere seine Unterbringung und Verpflegung auf Fremdenverkehrseinrichtungen beschränkt hat, die in ihren hygienischen und sanitären Einrichtungen den Standard westeuropäischer Zivilisation erreichen und damit das Infektionsrisiko an Typhus entsprechend vermindern, oder ob die Tätigkeit des Klägers unter dem für die übrige Bevölkerung der von ihm bereisten Länder bestehenden Infektionsrisiko verrichtet werden mußte. Trifft letzteres zu, so ist für das Maß der Infektionsgefahr, dem der Kläger auf seiner Geschäftsreise ausgesetzt war, auch zu berücksichtigen, daß die außerhalb des gewohnten Lebensbereichs anzutreffenden Infektionsrisiken wenn sie sich von denen des gewohnten Lebensbereichs wesentlich unterscheiden, das Maß der Gefährdung dadurch verstärken, daß der Organismus des Ausländers im Gegensatz zu dem der Inländer durch fehlende Anpassung an die klimatischen und sonstigen Bedingungen des von ihm besuchten Landes Infektionsvorgängen gegenüber nicht die gleiche Widerstandskraft besitzt. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kann die medizinische Beurteilung der Infektionsgefährdung ergeben, daß ein Versicherter auch bei einer anderen Tätigkeit als der im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium der Infektionsgefahr "in ähnlichen Maße besonders ausgesetzt" war. Sollte mithin im vorliegenden Fall das von einem geeigneten Sachverständigen einzuholende Gutachten ergeben, daß die Typhusgefahr, der der Kläger auf seiner Geschäftsreise im November/Dezember 1974 ausgesetzt war, derjenigen nahe kommt, denen im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätige Versicherte ausgesetzt sind, so wäre der Anspruch auf Anerkennung der Typhuserkrankung als Berufskrankheit gerechtfertigt. Im Rahmen des erforderlichen medizinischen Gutachtens wird u.U. auch zu klären sein, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 551 Abs 2 RVO in Gestalt neuer Erkenntnisse hinsichtlich der Typhusinfektion vorliegen.

Für den Fall, daß sich die Typhuserkrankung des Klägers weder nach Nr 44 noch nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO als Berufskrankheit erweist, wird noch zu prüfen sein, ob es sich bei der Typhusinfektion um einen Arbeitsunfall (§ 548 RVO; vgl BSG 15, 41, 45) gehandelt hat. Voraussetzung dafür ist ua, daß die Infektion nicht etwa bei einer überwiegend dem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Betätigung, wie etwa der Nahrungsaufnahme, erfolgt ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 28. Juli 1977 - 2 RU 55/75 -). Dabei könnten allerdings besondere mit der Durchführung der Geschäftsreise verbundene betriebliche Umstände dergestalt in den Vordergrund getreten sein, daß sie in den privaten Lebensbereich der Nahrungsaufnahme hineingewirkt haben und sich als für die Infektion wesentliche, die Annahme eines Arbeitsunfalls rechtfertigende Mitursache darstellen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit in der Sache abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654956

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