Leitsatz (amtlich)

Hauptberuf eines Versicherten, der nach Ablegung der Hauerprüfung noch - wenn auch nur kurzfristig - als Hauer beschäftigt war, ist die Hauertätigkeit. Es ist unerheblich, ob es sich um einen Hauer mit Bergmannslehre oder um einen sogenannten Neubergmann handelt. Die Ausübung der Hauertätigkeit wird auch dann in diesem Sinne berücksichtigt, wenn die Bergbau-Berufsgenossenschaft dem Versicherten bereits bei Beginn der Tätigkeit nahegelegt hat, wegen sogenannter Frühsilikose aus vorsorglichen Gründen die Untertagetätigkeit aufzugeben.

 

Normenkette

RKG § 45 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 1963 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1929 geborene Kläger erstrebt die Gewährung der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Streitig ist vor allem, welches der Hauptberuf des Klägers ist.

Der Kläger begann im April 1944 eine Elektrikerlehre, die er jedoch im März 1945 infolge der Kriegsereignisse abbrechen mußte. Von März 1945 bis Dezember 1948 arbeitete er in einer Schlosserei. Vom 7. Januar 1949 bis zum 11. Juni 1951 war er Landarbeiter. Am 23. Juni 1951 wurde er als Schichtlohnschlepper in einem knappschaftlichen Betrieb angelegt, arbeitete vom 1. August 1952 an als Gedingeschlepper und seit dem 1. August 1954 als Lehrhauer. Die Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) teilte mit Schreiben vom 2. Dezember 1957, abgesandt an demselben Tage, der Zechenverwaltung mit, daß sie dem Kläger nahelegen werde, die Untertagetätigkeit aufzugeben, weil die Nachuntersuchungen vom 19. August 1957 und 9. Oktober 1957 eine Silikose eben ersten Grades ohne Ausfallserscheinungen ergeben hätten und der Kläger wegen dieses Befundes ärztlicherseits als untauglich zur weiteren Untertagearbeit beurteilt worden sei; sie bat, dem Kläger Übertagearbeit zuzuweisen. Durch ein anderes Schreiben vom 2. Dezember 1957, abgesandt am 6. Dezember 1957, legte die BBG dem Kläger nahe, die Untertagetätigkeit wegen seiner silikotischen Einlagerungen aus vorsorglichen Gründen aufzugeben; sie habe die Zeche gebeten, ihn in ihren Tagesbetrieben zu beschäftigen.

Am 6. Dezember 1957 legte der Kläger die Hauerprüfung ab. Anschließend arbeitete er bis zum 31. Dezember 1957 als Hauer und wurde dann in den Tagesbetrieb verlegt. Er arbeitete zunächst als angelernter Schmied und ist seit dem 6. April 1959 Wäschearbeiter.

Am 11. August 1958 beantragte der Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. Dezember 1959 ab. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde von der Widerspruchsstelle der Beklagten zurückgewiesen.

Auf die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte durch Entscheidung vom 20. September 1960 verurteilt, dem Kläger vom 1. August 1958 an Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG zu gewähren. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 12. Dezember 1963 zurückgewiesen.

Das LSG ist entgegen der Auffassung der Beklagten der Ansicht, daß der Hauptberuf des Klägers die Hauertätigkeit sei. Der Kläger habe seine Hauerprüfung abgelegt und damit nachgewiesen, daß er die zur Ausübung der Hauertätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitze; er habe auch als Hauer gearbeitet. Der Kläger sei vermindert bergmännisch berufsfähig, weil er nicht mehr in der Lage sei, unter Tage zu arbeiten. Denn er leide an einer Krankheit, die ihn daran hindere. Zwar hätten die silikotischen Veränderungen noch nicht zu Ausfallserscheinungen der Atmung und des Kreislaufs geführt, gleichwohl handele es sich aber um eine Krankheit im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG. Wegen dieser Krankheit sei dem Kläger jede Untertagetätigkeit verboten, so daß er nicht auf Tätigkeiten unter Tage verwiesen werden könne. Auf Tätigkeiten über Tage könne der Kläger ebenfalls nicht verwiesen werden. Schon die Tätigkeiten der Lohngruppe I über Tage (ohne Zuschlag) nach den Lohnordnungen für den Steinkohlenbergbau vom 1. Juli 1957, 1. Mai 1959, 1. Mai 1960, 1. Oktober 1960, 1. Juli 1961 und 1. Juli 1962 seien der Hauerarbeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Allerdings seien vom 1. Oktober 1960 an die Tätigkeiten der Lohngruppe Ia über Tage sowie für den gesamten in Betracht kommenden Zeitraum die Tätigkeiten der Lohngruppe I über Tage mit Zuschlag der Tätigkeit des Hauers im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Ein Hauer aber, der kein Handwerk erlernt und auch nicht im Schachtförderbetrieb unter Tage gearbeitet habe, könne nicht auf die Tätigkeiten der Lohngruppen Ia sowie I über Tage mit Zuschlag verwiesen werden, weil er zu deren Ausübung nach seinen Kenntnissen und Fertigkeiten in der Regel nicht fähig sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 31. März 1964 Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 13. April 1964 begründet.

Sie rügt Verletzung des § 45 Abs. 2 RKG. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei der Hauptberuf des Klägers nicht der eines Hauers, sondern der eines Lehrhauers. Die Hauertätigkeit könne nicht als "bisher verrichtete Tätigkeit" im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG angesehen werden, weil der Kläger sie nur für drei Wochen ausgeübt habe. Eine so kurzfristig ausgeübte Tätigkeit könne nicht als eigentliche Berufstätigkeit angesehen werden, zumal sie nicht über eine vorgeschriebene Berufsausbildung, sondern nur über den Weg der für einen Neubergmann üblichen beruflichen Entwicklung erreicht worden sei und daher nicht angenommen werden könne, daß der Kläger bereits mit dem Hauerberuf völlig vertraut gewesen sei. Die Hauertätigkeit habe dem Berufsleben des Klägers in Anbetracht der Kürze ihrer tatsächlichen Ausübung nicht das Gepräge gegeben; insbesondere sei der soziale Status des Klägers nicht durch die Hauertätigkeit bestimmt. Ob ein Versicherter einen bestimmten Berufsstand erworben und damit eine für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung rechtserhebliche Stellung erreicht habe, sei davon abhängig, daß er sich einer entsprechenden Tätigkeit mindestens auf eine gewisse Dauer zugewandt und diese Tätigkeit auch in einem solchen Umfang ausgeübt habe, daß sie ihm im wirtschaftlichen Leben das Gepräge habe geben können. Die Rente solle zudem ein Ausgleich für die Lohnminderung sein, die dadurch eingetreten ist, daß der Versicherte infolge Krankheit außerstande ist, seine bisherige Tätigkeit oder andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Eine Lohneinbuße könne aber nur gemessen werden an dem Lohn, auf den sich der Versicherte bereits wirtschaftlich eingestellt habe. Von einer "Einstellung" in diesem Sinne könne folglich nur gesprochen werden, wenn ein höherer Lohn bereits über einen längeren Zeitraum hinweg bezogen worden sei. Der Hauerlohn habe die wirtschaftliche Stellung des Klägers zweifellos noch nicht geprägt, so daß die Hauertätigkeit auch nicht der Hauptberuf des Klägers im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG sein könne. Auch das Ruhegehalt eines Beamten bemesse sich regelmäßig nur dann nach seinen letzten Dienstbezügen, wenn er die Bezüge des zuletzt innegehabten Amtes mindestens ein Jahr erhalten habe (§ 109 Bundesbeamtengesetz). Als Jahresarbeitsverdienst für die Berechnung der Geldleistungen aus der Unfallversicherung gelte im Regelfall das Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall (§ 571 RVO). Eine Tätigkeit könne nicht als Hauptberuf angesehen werden, wenn sie nur "vorübergehend" ausgeübt worden sei. Man werde bei einer ordnungsgemäßen Berufsausbildung erst eine während eines Zeitraumes von zwei Jahren ausgeübte Tätigkeit als nicht vorübergehend verrichtet ansehen können. Als Hauptberuf des Klägers sei daher der eines Lehrhauers anzusehen.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG sei der Kläger noch in der Lage, Arbeiten der Lohngruppe I über Tage nach der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau, z. B. als Vorarbeiter, Probenehmer, Laboratoriumshelfer, erster Maschinist u. ä. zu verrichten. Auf diese Tätigkeiten könne ein Lehrhauer im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG noch verwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 1963 und das Urteil des SG Duisburg vom 20. September 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist insbesondere der Auffassung, daß sein Hauptberuf der des Hauers ist. Wenn eine Berufsausbildung mit abgeschlossener Hauerprüfung vorliege, müsse eine auch nur kurzfristige Ausübung dieser Tätigkeit genügen, um sie als Hauptberuf anzusehen.

II

Die zulässige Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 RKG zugesprochen. Denn der Kläger hat nicht nur die Wartezeit nach § 49 Abs. 1 RKG erfüllt, sondern er ist auch vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG.

Ohne Bedenken durfte das Berufungsgericht als Hauptberuf des Klägers den des Hauers ansehen.

Wenn der Kläger auch keine anerkannte Lehre als Berglehrling durchlaufen, sondern als sogenannter Neubergmann in vereinfachter Weise die Kenntnisse und Fertigkeiten des Hauers erworben hat, so hat er doch durch Ablegung der Hauerprüfung den Nachweis erbracht, daß er diese Kenntnisse und Fertigkeiten in vollem Umfang besitzt. Zwar konnte bei einem Bergmann, der in der Zeit, in welcher der Bergmannsberuf noch nicht als Lehrberuf anerkannt war, in welcher der Bergmann also noch ausschließlich auf dem Wege praktischer Ausübung seiner Tätigkeit ohne Prüfung zum Hauer aufstieg, der Nachweis der vollen Aneignung der Kenntnisse und Fertigkeiten eines Hauers erst nach gewisser zeitlicher Ausübung dieser Tätigkeit als erbracht angesehen werden. Bei einem Bergmann heutiger Art, der die Hauerprüfung erfolgreich abgelegt hat, ist dies jedoch nicht erforderlich.

Allerdings muß der Versicherte die Hauertätigkeit nach Ablegung der Hauerprüfung überhaupt ausgeübt haben, weil sie sonst nicht als eine bisher verrichtete Arbeit im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG anerkannt werden könnte. Es genügt jedoch insoweit jede, wenn auch nur kurze Ausübung dieser Tätigkeit. Ist dies der Fall, so besteht kein Grund, die Anerkennung dieser Tätigkeit als Hauptberuf abzulehnen. Der für die Hauertätigkeit gezahlte Lohn ist bereits Grundlage für die zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge gewesen. Es ist daher davon auszugehen, daß die Fähigkeit, diesen Beruf auszuüben und einen entsprechenden Entgelt zu erwerben, versicherungsrechtlich geschützt ist. Der Hinweis der Beklagten auf das Beamtenrecht und auf das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist nicht überzeugend. Der Vergleich mit dem Beamtenrecht ist schon deshalb nicht zutreffend, weil für die Rentenversicherung versicherungsrechtliche und nicht beamtenrechtliche Grundsätze maßgebend sind. Der Hinweis auf das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung greift nicht durch, weil der Jahresarbeitsverdienst nur für die Höhe der Rente maßgebend ist, hier aber die Frage zu entscheiden ist, ob der Anspruch überhaupt besteht. Es ist insoweit auch ohne Bedeutung, daß der Kläger die Hauerprüfung erst abgelegt hat, nachdem von der BBG beschlossen war, ihm nahezulegen, aus der Untertagearbeit auszuscheiden. Abgesehen davon, daß dem Kläger dieser Rat erst mit dem am 6. Dezember 1957 abgesandten Schreiben vom 2. Dezember 1957 erteilt worden ist, dieses Schreiben dem Kläger also erst nach Abschluß der Hauerprüfung zugestellt sein wird, steht mit erfolgreicher Ablegung der Hauerprüfung fest, daß der Versicherte die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Hauers besitzt.

Wie bereits ausgeführt, genügt allerdings die erfolgreiche Ablegung der Hauerprüfung nicht, sondern es ist die - wenn auch nur kurzfristige - Ausübung der Hauertätigkeit erforderlich, um den Hauerberuf als Hauptberuf im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG anerkennen zu können. Der Kläger hat den Hauerberuf nach Ablegung der Hauerprüfung etwa drei Wochen lang ausgeübt. Daß er während dieser Zeit nach ärztlicher Ansicht aus vorsorglichen Gründen eine Untertagetätigkeit eigentlich nicht mehr hätte ausüben dürfen, ist insoweit ohne Bedeutung. Grundsätzlich kommt es allein darauf an, ob er eine solche Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Kläger diese Tätigkeit nur "auf Kosten seiner Gesundheit" in dem Sinne hätte verrichten können, daß dadurch eine unmittelbare Gefahr für seine Gesundheit eingetreten wäre (vgl. zu diesem Begriff: Verb. Komm. zur RVO, 4. und 5. Buch, 5. Aufl. Anm. Nr. 16 zu § 1254; AN 02, 504). Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Zwar hat der Kläger während dieser Zeit in einem allgemeinen, landläufigen Sinne unter Tage auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet, weil die Gefahr einer Vermehrung der silikotischen Einlagerungen bestand, nicht dagegen in dem engeren Sinn, wie er von der Rechtsprechung verstanden wird und wie er hier allein von Bedeutung sein kann.

Auch wenn der Kläger am 7. Dezember 1957, dem Tag, an welchem er mit der Hauertätigkeit begonnen haben wird, das Schreiben der BBG, in welchem sie ihm "nahelegt", die Untertagetätigkeit aus vorsorglichen Gründen aufzugeben, erhalten haben sollte, bestehen keine Bedenken gegen die Anerkennung dieser Tätigkeit als Hauptberuf. Denn es kommt allein darauf an, ob er sie tatsächlich vollwertig ausgeübt hat, nicht aber ob er sie eigentlich nicht mehr hätte verrichten dürfen.

Vom Hauerberuf ausgehend, ist der Kläger vermindert bergmännisch berufsfähig. Denn er ist, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, infolge Krankheit außerstande, den Hauerberuf und darüber hinaus jede andere Untertagetätigkeit auszuüben. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, stellen silikotische Einlagerungen ersten Grades, selbst wenn sie noch keine Ausfallerscheinungen an Herz und Kreislauf zur Folge haben, eine Krankheit im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG dar (BSG 3, 171; SozR RKG § 45 Nr. 5). Auch ist der Kläger durch diese Krankheit und die durch sie veranlaßte Empfehlung der BBG an der Untertagetätigkeit gehindert. Zwar liegt hier keine auf einer Bergverordnung beruhende Anordnung, sondern nur ein auf § 5 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) beruhendes "Anhalten" zum Aufgeben der Untertagetätigkeit vor. Dennoch war der Kläger seit der Aufgabe der Untertagetätigkeit praktisch an der Verrichtung dieser Tätigkeit gehindert. Denn wenn die BBG als eine für die Sicherheit des Bergbaus und die Gesundheit der Bergleute neben der Bergbehörde zuständige öffentliche Stelle einem Bergmann empfiehlt, wegen der Gefahr der Vermehrung seiner silikotischen Einlagerungen die Untertagetätigkeit aufzugeben, und die Zechenleitung auf Empfehlung der BBG ihm aus demselben Grunde eine Übertagearbeit anbietet, so hat dies für einen Versicherten in dieser Stellung praktisch dieselbe Bedeutung wie eine Anordnung. Selbst wenn er wollte, hätte er kaum die Möglichkeit, sich einer solchen Empfehlung zu entziehen, weil die Zechenverwaltung auf deren Beachtung drängen wird. Jedenfalls geht es nicht an, einem solchen Versicherten später vorzuhalten, es habe sich bei dieser Empfehlung nur um eine unverbindliche Maßnahme und nicht um eine Anordnung gehandelt, der er sich nicht habe zu fügen brauchen. Eine solche Argumentation würde an den tatsächlichen Gegebenheiten des praktischen Lebens vorbeisehen.

Zu prüfen war daher nur noch, ob der Kläger auf Übertagetätigkeiten verwiesen werden kann. Dies hat das Berufungsgericht mit Recht abgelehnt, weil es über Tage nach der hier maßgebenden Lohnordnung grundsätzlich keine für den Hauer noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten gibt. Es ist zu beachten, daß diejenige Lohnordnung maßgebend ist, die zu dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles gilt. Da die Frage, ob und wann der Versicherungsfall eingetreten ist, aber nur zu beantworten ist, wenn feststeht, welche Tätigkeiten im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind, und zur Beantwortung dieser Frage - umgekehrt - bekannt sein muß, welche Lohnordnung anzuwenden ist, ist grundsätzlich von dem Zeitpunkt auszugehen, in welchem, die Angaben des Versicherten als richtig unterstellt, der Versicherungsfall eingetreten wäre. Dies ist in der Regel der Zeitpunkt der Antragstellung, so daß im vorliegenden Falle von dem 11. August 1958 auszugehen ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Lohnordnung vom 15. Februar 1956 für Untertagearbeiten und die Lohnordnung vom 1. Juli 1957 für Übertagearbeiten maßgebend. Da es allerdings möglich ist, daß eine bestimmte Lohnordnung einmal in der Relation der einzelnen Lohngruppen zueinander aus einer sonst einheitlichen Entwicklung herausfällt, kann es u. U. erforderlich sein, auch die vorgehenden und nachfolgenden Lohnordnungen mit heranzuziehen, um die Frage nach der wesentlichen Gleichwertigkeit entscheiden zu können (BSG 13, 29). Nach den hier maßgebenden Lohnordnungen für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 15. Februar 1956 und vom 1. Juli 1957 kann der Kläger unter Mitberücksichtigung der Lohnordnungen für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 1. Mai 1959 und vom 1. Mai 1960 grundsätzlich nicht auf die Tätigkeiten der Lohngruppe I über Tage verwiesen werden, weil diese Tätigkeiten nicht mehr der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind (BSG 17, 190 = SozR RKG § 45 Nr. 12). Eine Ausnahme könnte nur bei den in der Lohngruppe I über Tage genannten Tätigkeiten gerechtfertigt sein, für die ein tariflicher Zuschlag vorgesehen ist. Auf diese Tätigkeiten kann aber ein Hauer, der - wie der Kläger - keine weiteren Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt als sie für einen Hauer erforderlich sind, nicht verwiesen werden, da sie entweder solche weiteren Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern oder aber, soweit das - z. B. bei gewissen Kokereiarbeiten - nicht der Fall ist, nicht Tätigkeiten "von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten" im Vergleich zur Hauertätigkeit sind (SozR RKG § 45 Nr. 15).

Da das Berufungsgericht über eine Dauerleistung zu entscheiden hatte, hat es mit Recht geprüft, ob die Lohnordnung vom 1. Oktober 1960 mit ihrer Lohngruppe Ia den Anspruch für die Zeit von dem Wirksamwerden dieser Lohnordnung an beeinflußt hat. Es hat zutreffend angenommen, daß dies nicht der Fall ist. Wenn auch der Tariflohn der Lohngruppe Ia über Tage dieser Lohnordnung dem Hauerdurchschnittslohn noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sein dürfte, so kann doch ein Hauer, wenn er über keine weiteren Kenntnisse und Fertigkeiten - etwa als gelernter Handwerker - verfügt, als für den Hauerberuf erforderlich sind, nicht auf Tätigkeiten der in der Lohngruppe Ia genannten Art verwiesen werden (BSG in SozR RKG § 45 Nr. 15). Der Kläger besitzt jedoch, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, solche besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht.

Da das Berufungsgericht dem Kläger somit zu Recht die Bergmannsrente zugesprochen hat, ist die Revision der Beklagten unbegründet und muß zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297158

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