Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung des rechtlichen Gehörs. Mitwirkung des Kassenarztes zur Aufklärung des Sachverhalts

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs.

2. Auch der Kassenarzt ist zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet. Er hat insbesondere solche Umstände, die allein ihm bekannt sind, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 3, § 62

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.11.1987; Aktenzeichen L 12 Ka 110/86)

 

Gründe

Der Kläger ist als Internist niedergelassen und an der vertragsärztlichen Versorgung der Ersatzkassenmitglieder und ihrer Angehörigen beteiligt. Seine Honorarforderung für die vertragsärztliche Tätigkeit im Quartal I/82 wurde wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht voll anerkannt. Die Prüfungskommission der Beklagten kürzte sie bei den Sonderleistungen um 40 % (Bescheid vom 27. Juli 1982). Auf Widerspruch des Klägers setzte die Beschwerdekommission die Kürzung auf 15 % herab. Sie erkannte Praxisbesonderheiten an. Es lasse sich zwar die Höhe der Durchschnittsüberschreitung - gegenüber dem Fallwert der Fachgruppe bei den Sonderleistungen um 175,95 % - nicht ausreichend begründen. Die von der Prüfungskommission vorgenommene Kürzung erscheine aber der Höhe nach zu weitgehend. Die strukturellen Besonderheiten der Praxis seien damit nicht ausreichend berücksichtigt. Mit der teilweisen Rücknahme der Kürzung werde bei den Sonderleistungen ein Honorar anerkannt, welches um 134,75 % über dem Durchschnitt der Internisten der Gruppe II liege und in etwa dem der Internisten mit der Zusatzbezeichnung "Gastroenterologie" entspreche. Die unterdurchschnittlichen Arzneikosten des Klägers hätten bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden (Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1984).

Soweit die Kürzung bestätigt worden ist, hat sie der Kläger im gerichtlichen Verfahren angegriffen. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision nicht zugelassen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision nur zuzulassen, wenn 1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder 2.) das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts

oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3.) ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene

Entscheidung beruhen kann, wobei der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Im Beschwerdeverfahren hat sich die Prüfung dieser Voraussetzungen auf die Darlegungen des Beschwerdeführers - hier des Klägers - zu beschränken (folgt aus § 160a Abs 2 Sätze 1 und 3 SGG). Aus der Beschwerdebegründung des Klägers ergibt sich nicht, daß einer der genannten Zulassungsgründe vorliegt.

Der Kläger gibt am Anfang seiner Beschwerdebegründung bekannt, daß das Berufungsurteil wegen wesentlicher Verfahrensfehler angegriffen wird. Ein großer Teil der weiteren Ausführungen befaßt sich dann allerdings mit der Berufungsentscheidung selbst. Insbesondere wird (sinngemäß) beanstandet, das LSG habe die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsverfahrens und der angefochtenen Bescheide nicht erkannt und das Recht unrichtig angewandt. Solche Beanstandungen können nur im Rahmen einer zugelassenen Revision geprüft werden, sie können dagegen nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen. Aber auch soweit der Kläger Mängel des Berufungsverfahrens rügt, müssen umfangreiche Ausführungen von vornherein unberücksichtigt bleiben. Einen breiten Raum nehmen in der Beschwerdebegründung Verfahrensrügen ein, mit denen die Verletzung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung, also eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend gemacht wird. Die für die Zulassung der Revision maßgebliche gesetzliche Vorschrift des § 160 Abs 2 SGG, auf die in der Beschwerdebegründung an keiner Stelle eingegangen wird, bestimmt ausdrücklich, daß der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann.

Soweit der Kläger eine mangelnde Sachaufklärung, also eine Verletzung des § 103 SGG rügt, hat sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren auf diejenigen Beanstandungen zu beschränken, die sich auf einen Beweisantrag beziehen. Zudem ist lediglich zu prüfen, ob das LSG dem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Bei dieser Prüfung ist von der Rechtsansicht des LSG auszugehen. Nur wenn das LSG bei seiner Rechtsansicht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte durchführen müssen, kann ein Mangel des Verfahrens vorliegen. Eine andere Frage, nämlich eine Frage der Rechtsauslegung ist es, ob der Rechtsauffassung des LSG zuzustimmen ist. Die Rechtsauffassung des LSG ist aber abgesehen von ihrer Bedeutung für eine Zulassung der Revision nach Nr 1 und Nr 2 des § 160 Abs 2 SGG nicht Prüfungsgegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Der Kläger gibt in der Beschwerdebegründung vom 20. Juni 1988 auf den Seiten 27 bis 29 diejenigen Beweisanträge an, die er im Berufungsverfahren gestellt, das LSG aber zu Unrecht unberücksichtigt gelassen habe (die in seinem Schriftsatz vom 19. November 1987 auf den Seiten 9, 11, 12 und 14 gestellten Beweisanträge). Mit diesen Beweisanträgen wollte er im wesentlichen den Nachweis führen, daß er den Sonderleistungsdurchschnitt der Internisten, welche gleiche Leistungen erbringen wie er, wenn überhaupt, nur mit einer Quote von erheblich unter 50 % (Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis) überschritten habe, daß die Internisten, mit denen er verglichen worden sei, nur in einem geringen Anteil gleiche Leistungen erbracht hätten (Überweisungstätigkeit, Auftragsleistungen, Sonographie, Gastroskopie, Proktologie) und daß die von ihm abgerechneten Untersuchungen gemäß Nr 685 E-GO notwendig gewesen seien.

Aus der Beschwerdebegründung und der darin angegriffenen Berufungsentscheidung ergibt sich nicht, daß das LSG bei seiner Rechtsauffassung die beantragten Beweiserhebungen hätte durchführen müssen. Das LSG hält das von der Beschwerdekommission angewandte Prüfungsverfahren für rechtlich zulässig. Dieses Prüfungsverfahren bestand aus zwei Prüfungsabschnitten: Aus einem statistischen Kostenvergleich mit der Fachgruppe der Internisten und aus einer Bewertung der geltend gemachten und anerkannten Praxisbesonderheiten. Den Praxisbesonderheiten wurde dadurch Rechnung getragen, daß man bei den Sonderleistungen den Aufwand solcher Ärzte zum Vergleich heranzog, die in ihrer Praxisausrichtung der vom Kläger geltend gemachten Praxisausrichtung nahestanden. Obwohl der Kläger selbst nicht die Zusatzbezeichnung "Gastroenterologie" führt, wurde ihm ein Behandlungsaufwand zugebilligt, der dem Aufwand der Internisten mit der Zusatzbezeichnung "Gastroenterologie" entsprach. Dies führte zur Herabsetzung des Kürzungsbetrages von 40 % auf 15 %. Das LSG ist mit der Beschwerdekommission nicht der Auffassung, daß auch bei einem solchen zusätzlichen Kostenvergleich, der lediglich der Bewertung von gegebenen Praxisbesonderheiten dient, ein Toleranzbereich bis zum offensichtlichen Mißverhältnis einzuräumen ist. Soweit die Beweisanträge des Klägers auch bei solchen ergänzenden Prüfungen auf die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis abstellen, gehen sie also nicht von der hier maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG aus. Zum hohen Anteil der Überweisungstätigkeit des Klägers hat das LSG ausreichend Stellung genommen. Es hat ua festgestellt, daß bei den gastroenterologisch tätigen Internisten der Überweisungsanteil 45,91 % zu den Gesamtfällen beträgt, beim Kläger 49,09 %. Soweit der Kläger schließlich hinsichtlich der abgerechneten Untersuchungen gemäß Nr 685 E-GO eine Sachverständigenbegutachtung fordert, wird im Berufungsurteil hinreichend begründet, warum eine Einzelfallprüfung nicht durchzuführen ist. Es entspricht zudem der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß solchen Einzelfallprüfungen nur eine beschränkte Bedeutung zukommt.

Mit der Rüge, das LSG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, kann der Kläger ebenfalls keinen Erfolg haben. Das Gericht ist nicht verpflichtet, zu allen einzelnen Punkten des Parteivortrags Stellung zu nehmen. Es genügt, wenn die wesentlichen Punkte gewürdigt werden. Der Beschwerdebegründung des Klägers ist nicht zu entnehmen, daß ein Tatsachenvortrag, den das LSG angeblich bzw nicht ausreichend berücksichtigt habe, zu einem anderen Ergebnis hätte führen müssen. Wenn der Kläger hinsichtlich der behaupteten großen Zahl von Erstuntersuchungsfällen der ablehnenden Stellungnahme des LSG mit dem Hinweis auf die Aufklärungspflicht der Prüfungsinstanzen und der Gerichte begegnet, so übersieht er, daß auch der Kassenarzt zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet ist. Er hat insbesondere solche Umstände, die allein ihm bekannt sind, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Zum Umfang der Auftragstätigkeit, auf die sich der Kläger auch in diesem Zusammenhang beruft, hat sich das LSG geäußert. Hinsichtlich der behaupteten kausalen Ersparnisse bei Röntgenleistungen genügt der Vortrag des Klägers nicht den Anforderungen, die an eine Begründung des hier gerügten Verfahrensmangels zu stellen sind.

Zur Begründung einer seiner Rügen, die eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht zum Gegenstand haben, aber mangels Angabe eines Beweisantrags nicht berücksichtigt werden können, trägt der Kläger vor, das LSG habe in Widerspruch zum Bundessozialgericht (BSG) die Auffassung vertreten, daß lediglich ein erhöhter Rentneranteil als Praxisbesonderheit in Betracht gezogen werden könne, also nicht ein gegenüber dem Fachgruppendurchschnitt niedrigerer Rentneranteil. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Vortrag iS einer Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) auszulegen ist. Diese Rüge wäre jedenfalls nicht begründet. Das LSG hat im vorliegenden Fall nicht entschieden, daß ein niedrigerer Rentneranteil keine Praxisbesonderheit sein kann. Es hat diesem Umstand hier schon deshalb keine den Mehraufwand rechtfertigende Bedeutung beigemessen, weil der Kläger bei den Rentnern durchwegs die beanstandeten Leistungspositionen - Nrn 406, 407, 651 und 685 E-GO - zur Abrechnung gebracht habe. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663832

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