Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung in AktO § 7 Abs 3 S 2 vom 1934-11-28, nach der bürgerliche Rechtsstreitigkeiten als erledigt gelten, wenn sie länger als 6 Monate nicht betrieben wurden, ist auch für die Gerichtsverwaltungen der Sozialgerichtsbarkeit in den Fällen anwendbar, in denen - wie bei der Unterbrechung des Verfahrens durch den Tod eines Beteiligten - der Fortgang des Verfahrens an das Betreiben durch die Beteiligten geknüpft ist.

2. Wird in derartigen Fällen eine Sache unter den Voraussetzungen des AktO § 7 Abs 3 S 2 als erledigt angesehen und die Gebührenschuld festgestellt, so ist die Gebührenfeststellung jedenfalls dann rechtswidrig, wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, in dem das Verfahren bereits wieder aufgenommen worden war.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ob die Pauschgebühr fällig wird, wenn das unterbrochene Verfahren im Zeitpunkt der Feststellung der Gebührenschuld noch als erledigt gilt, bleibt dahingestellt.

 

Normenkette

SGG § 185 Fassung: 1958-06-25; AktenO § 7 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1934-11-28

 

Tenor

Auf die Erinnerung der Beklagten wird die Gebührenfeststellung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts vom 25. November 1963 - Az.: Gen 15 - 1/XIV - XIX, lfd. Nr, 311, Az.: 1 RA 369/62 - aufgehoben.

 

Gründe

Der Rechtsstreit, der seit dem 30. November 1962 unter dem Aktenzeichen 1 RA 369/62 beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig war, wurde auf Grund einer Verfügung des Vorsitzenden des damals zuständigen Senats vom 17. September 1963 als erledigt angesehen, weil das Verfahren, das durch den Tod des Klägers am 4. Februar 1963 unterbrochen war, bis dahin weder von einem Rechtsnachfolger des Klägers noch von einem der übrigen Beteiligten fortgesetzt worden war. Daraufhin stellte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des BSG durch Zustellung eines Auszugs aus dem Gebührenverzeichnis vom 25. November 1963 - Az.: Gen 15 - 1/XIV - XIX, lfd. Nr. 311, Az.: 1 RA 369/62 - die Gebührenschuld der Beklagten für diese Streitsache nach §§ 184, 187 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 1 der Verordnung vom 31. März 1955 (BGBl I, 120) auf 30,- DM fest (§ 189 Abs. 1 SGG). Die Beklagte entrichtete diese Gebühr. Mit Schreiben vom 26. September 1963/8. November 1963 beantragte die Beigeladene, die Witwe des Klägers, Frau K. S., als Rechtsnachfolgerin des Klägers zur Aufnahme des Rechtsstreits zu laden.

Die Beklagte legte mit Schreiben vom 16. Dezember 1963 - beim BSG eingegangen am 18. Dezember 1063 - Erinnerung gegen die Gebührenfeststellung ein und beantragte, ihr den Betrag von 30,- DM zurückzuzahlen, weil die Gebühr noch nicht fällig sei.

Die Erinnerung ist zulässig (§ 189 Abs. 2 Satz 2 SGG); sie ist auch begründet.

Nach § 183 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kostenfrei, "soweit nichts anderes bestimmt ist". In § 184 Abs. 1 Satz 1 SGG ist bestimmt, daß Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts für jede Streitsache, an der sie beteiligt sind, eine Gebühr zu entrichten haben; sie haben damit zu den Kosten der Gerichtshaltung und zu den im Verfahren entstehenden Auslagen, die grundsätzlich von Bund und Ländern zu tragen sind, beizutragen. Die Gebühr "entsteht", sobald die Streitsache rechtshängig geworden ist (§ 184 Abs. 1 Satz 2 SGG); die Gebühr "wird fällig", sobald die Streitsache durch Zurücknahme des Rechtsbehelfs, durch Vergleich, Anerkenntnis, Vorbescheid, Beschluß oder durch Urteil erledigt ist (§ 185 SGG). Den in § 185 SGG aufgeführten Erledigungsgründen ist gemeinsam, daß, wenn einer dieser Gründe vorliegt, ein Streit nicht mehr besteht, das "Streitverfahren" abgeschlossen, die Streitsache prozeßrechtlich erledigt "ist". Ein gerichtliches Verfahren, das durch, den Tod eines Beteiligten unterbrochen und noch nicht wiederaufgenommen ist (§§ 68 Sgg, 239 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), ist prozeßrechtlich nicht erledigt, das Verfahren bleibt rechtshängig, durch die Unterbrechung wird das Verfahren nur rechtlich "aufgehalten”, es kommt zu einem Stillstand des Verfahrens mit den in § 249 Abs. 1 Und 2 ZPO (in Verbindung mit § 68 SGG) geregelten Wirkungen; andere Wirkungen treten nicht ein; insbesondere enthält keine gerichtliche Verfahrensordnung eine Regelung dahin, daß nach einer Unterbrechung, die längere Zeit gedauert hat, das Verfahren prozeßrechtlich erledigt "ist". Die Gerichtsverwaltungen haben jedoch ein berechtigtes Interesse daran, daß Sachen, die prozeßrechtlich nicht erledigt werden können, nicht auf unabsehbare Zeit die Aktenführung der Gerichte belasten. Dem trägt in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die "Anweisung für die Verwaltung des Schriftgutes bei den Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften" vom 28. November 1934 - Aktenordnung - Rechnung - veröffentlicht als Sonderausgabe der "Deutschen Justiz" 1934, vgl. Erlaß des Reichsjustizministers, Deutsche Justiz 1934 S. 1492). - Für die "Anordnung der Weglegung der Akten" gilt nach § 7 Abs. 3 Satz 2 eine Angelegenheit u.a. dann als erledigt, "wenn sie länger als sechs Monate nicht betrieben wurde". Es bestehen keine Bedenken, diese Regelung für die Gerichtsverwaltung auch in der Sozialgerichtsbarkeit in den Fällen zu übernehmen, in denen - wie bei der Unterbrechung durch den Tod eines Beteiligten - der Fortgang des Verfahrens an das "Betreiben" durch die Beteiligten geknüpft ist. Die Verfügung des Vorsitzenden eines Spruchkörpers der Sozialgerichtsbarkeit, nach der eine Sache unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Satz 2 der Aktenordnung "als erledigt gilt" oder "als erledigt angesehen wird", ist die Feststellung, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Verwaltung die Akten "weglegen" darf. Dabei handelt es sich aber nur um eine Fiktion: Die Streitsache wird deshalb, weil sie längere Zeit nicht "betrieben" wird, verwaltungsmäßig so behandelt, wie wenn sie erledigt wäre, obwohl sie prozeßrechtlich nicht erledigt ist. Ob diese Fiktion einer Erledigung den prozeßrechtlichen Erledigungsgründen des § 185 SGG gleichgestellt werden darf und damit auch zur Fälligkeit der Gebühr führt, wenn das unterbrochene Verfahren bei "Feststellung der Gebührenschuld" durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 189 Abs. 1 und 2 SGG) - noch - als erledigt "gilt", kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Für diese Fiktion ist jedenfalls dann kein Raum mehr, wenn in den Zeitpunkt, in dem die Gebührenschuld festgestellt wird, das Verfahren - wieder - "betrieben" wird und die Unterbrechung beendet ist, wenn also im Zeitpunkt der Feststellung der Gebührenschuld die Streitsache nicht erledigt "ist". Damit ist die richterliche Verfügung, daß das Verfahren als erledigt "gilt", hinfällig geworden. So ist es aber hier. Durch Verfügung vom 17. September 1963 hat der Vorsitzende des damals zuständigen 1. Senats des BSG festgestellt, daß "der Rechtsstreit als erledigt angesehen wird, nachdem der Kläger am 4. Februar 1963 verstorben ist und bisher weder ein Rechtsnachfolger noch die übrigen Beteiligten ... die Fortsetzung des Verfahrens betrieben haben"; dies ist den Beteiligten mitgeteilt worden. Am 26. September 1963 hat die Beigeladene und Revisionsklägerin, die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein, beantragt, die Rechtsnachfolger (des verstorbenen Klägers und Revisionsbeklagten) zur Aufnahme und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache zu laden; am 8. November 1963 hat sie diesen Antrag dahin vervollständigt, daß sie als Rechtsnachfolgerin die Witwe des verstorbenen Klägers und Revisionsbeklagten bezeichnet hat. Die Unterbrechung des Verfahrens ist mit dem Eingang dieses Antrags am 12. November 1963 beendet gewesen. Die Kosten des Verfahrens sind in dem Gebührenverzeichnis vom 25. November 1963, Az.: Gen 15 - 1/XIV - XIX, lfd. Nr. 311, Az.: 1 RA 369/62, gegenüber der Beklagten mit 30,- DM (vgl. §§ 186, 187 SGG) festgestellt worden. Diese Feststellung ist rechtswidrig, weil das Verfahren jedenfalls in dem Zeitpunkt, in dem die Gebührenschuld festgestellt worden ist, nicht erledigt gewesen "ist".

Hieran ändert sicht nichts dadurch, daß mit der - späteren - Erledigung des wiederaufgenommenen Verfahrens eine Gebührenschuld mindestens in Höhe von 30,- DM fällig wird. Am 25. November 1963 hat eine Gebühr von der Beklagten nicht gefordert werden dürfen, weil die Gebühr damals nicht fällig gewesen ist. Die Gebührenfeststellung ist daher aufzuheben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2126428

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