Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Sachverhaltsdarstellung. pauschale Bezugnahme auf das Berufungsurteil nicht ausreichend. Erforderlichkeit einer eigenen Sachverhaltsschilderung. Verfahrensfehler. Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Der Beschwerdeführer einer Nichtzulassungsbeschwerde kann die ihm obliegende eigene Sachverhaltsdarstellung nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf das angegriffene Urteil ersetzen.
2. Zu den Anforderungen an die Geltendmachung einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §§ 160a , 160 Abs 2 Nr 3 SGG .
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 14.12.2017; Aktenzeichen S 45 VG 191/10) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 10.02.2022; Aktenzeichen L 13 VG 13/18) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Februar 2022 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Das LSG hat mit Urteil vom 10.2.2022 - soweit dies der Beschwerdebegründung zu entnehmen ist - Entschädigungsansprüche der Klägerin wegen der Folgen eines Überfalls am 3.4.2007 verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und hierfür Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt. Ihre Beschwerde hat sie mit Verfahrensmängeln begründet.
II
1. Der Antrag der Klägerin auf PKH ist abzulehnen.
Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die von der Klägerin eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angegriffenen Entscheidung des LSG nicht erfolgreich sein kann. Die Klägerin hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt oder bezeichnet wäre. Das ist hier nicht der Fall (hierzu sogleich unter 2.).
Mit der Ablehnung des Antrags auf PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die unabhängig vom Antrag auf PKH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat den von ihr ausschließlich geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet. Hierfür fehlt es schon an einer - zumindest knappen - Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Vorliegend wird bereits der Gegenstand des Rechtsstreits nicht eindeutig kenntlich gemacht. Nur aus dem Gesamtzusammenhang der Beschwerdebegründung ist zu entnehmen, dass es der Klägerin um Entschädigung wegen der Folgen eines Überfalls am 3.4.2007 geht, den sie trotz möglicherweise konkurrierender Kindheitstraumata als ursächlich für ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand ansieht. Ein Verfahrensmangel wird jedoch nur dann im Sinne des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.5.2020 - B 9 SB 8/20 B - juris RdNr 5 mwN).
Die Klägerin kann die ihr obliegende Sachverhaltsdarstellung auch nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf das angegriffene Urteil ersetzen. Das gesetzliche Erfordernis, bereits die Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG) begründen zu lassen, soll das Revisionsgericht entlasten und im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten die sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens gewährleisten (BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 24.2.1992 - 7 BAr 86/91 - SozR 3-1500 § 166 Nr 4 - juris RdNr 3 f). Diesem Ziel wird mit der bloßen Bezugnahme auf den Inhalt der angegriffenen Entscheidung jedenfalls dann nicht genügt, wenn dieser wie vorliegend an die Stelle einer eigenen Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts tritt (BSG Beschluss vom 26.1.2018, aaO 4). Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.9.2021 - B 9 SB 12/21 B - juris RdNr 5 mwN).
Darüber hinaus werden die geltend gemachten "Verfahrensmängel" auch aus anderen Gründen nicht in der gebotenen Form bezeichnet. Der Schwerpunkt der Beschwerdebegründung der Klägerin betrifft ein von Amts wegen veranlasstes Sachverständigengutachten des Prof. Dr. P vom 8.5.2020. Im Rahmen der Gutachtenerstellung sei zunächst eine persönliche Befragung der Klägerin angeordnet gewesen. Hierzu habe sie sich zunächst aus Angst vor einer Retraumatisierung nicht in der Lage gesehen. Deshalb habe sie beantragt, die Beweisanordnung zu ändern und eine Begutachtung nach Aktenlage anzuordnen. Über diesen Antrag sei nie entschieden worden, das Gutachten sei aber tatsächlich nach Aktenlage erstattet worden. Zwei Jahre später habe sie sich dann doch einer persönlichen Befragung durch den Gutachter unterziehen wollen, was jedoch wegen dessen Gesundheitszustand nicht mehr möglich gewesen sei.
Dieser Vortrag ist zu Gunsten der Klägerin als Rüge einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) auszulegen, die jedoch nicht nur aus den oben bereits dargelegten Gründen nicht den diesbezüglich geltenden Anforderungen genügt. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat oder das Gericht diesen Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.9.2017 - B 9 SB 51/17 B - juris RdNr 7, jeweils mwN). Ein solcher förmlicher Beweisantrag wird - anders als erforderlich - mit der Beschwerdebegründung nicht kenntlich gemacht.
Selbst wenn es sich bei dem Antrag auf Änderung der Beweisanordnung in Richtung auf eine Begutachtung nach Aktenlage um einen formgerechten Beweisantrag gehandelt hätte, ist nach den Ausführungen der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, inwiefern sich das Unterlassen einer förmlichen Bescheidung zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt hätte, zumal das Gutachten nach ihrem Vortrag tatsächlich nach Aktenlage erstattet worden ist. Damit fehlt die erforderliche Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaften Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5).
Soweit die Klägerin einen Verfahrensmangel darin sieht, dass das LSG dem genannten Gutachten in seinem Urteil nicht gefolgt sei, ist auch diese Rüge nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen. Mit dieser Rüge wendet sich die Klägerin im Kern gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Diese entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann daher mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 4.11.2021 - B 9 SB 76/20 B - juris RdNr 22 mwN).
Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Kaltenstein Röhl Ch. Mecke
Fundstellen
Dokument-Index HI15285400 |